Nords Schwert

Ein Schwert wider die Dämonen

Eine Kurzgeschichte von Mike Wimmer

Fast zwei Monate ging diese Hektik im Haus. Auch Herr Stern, der in letzter Zeit zwei-dreimal mit uns beim Waffenschmied war, um sich ein Schwert anpassen zu lassen, fragte mich darüber aus, aber ich konnte ihm auch nicht weiterhelfen. Mein Herr, Chadim Ibn Rashmal al'Yarush, ein mächtiger Zauberer, hatte wohl irgendein größeres Ritual vor, denn seltsame Vorbereitungen wurden getroffen. Immer wieder kamen Händler aus der Stadt und brachten seltsame Dinge. Dinge wie Kohle, wo wir doch so gut wie nie heizen, oder weißen Marmor und dann doch tatsächlich - Eis. Eis in Khunchom. Dafür mußte ich etwa alle sechs Stunden Eis aus dem Keller in einen Trog im Garten nachfüllen und das Feuer schüren, sogar nachts. Nach jeder Lieferung zog sich mein Herr für eine Zeit in den Garten an einen zuvor sorgsam angelegten Platz zurück. Fast jedesmal kam er danach erschöpft, aber offensichtlich zufrieden, zurück. Zweimal jedoch zog er sich auch am nächsten Tag nocheinmal in den Garten zurück. Eines Abends dann, ich hatte gerade den Trog erneut mit Eis gefüllt und Kohle ins Feuer gelegt, ging mein Herr mit einem Bündel im Arm in den Garten und sagte mir, daß ich in etwa einer halben Stunde Herrn Stern zu ihm führen solle.
Es war etwa um die dritte Stunde nach Einbruch der Dunkelheit, als Herr Stern und ich den Garten betraten. Die Sterne strahlten hell wie nie, denn die Luft war klar und angenehm kühl, und Mada hatte Ihr Antlitz verhüllt. Auf dem durch das Feuer spärlich erleuchteten Platz stand, in einer prachtvollen weißen, mit arkanen Symbolen bestickten Robe, mein Herr - inmitten eines in den Boden gezeichneten Hexagramms. Erst jetzt fiel mir auf, daß das Feuer und das Eis zwei Spitzen des Hexagramms bildeten; die anderen Spitzen wurden durch den Marmor und einen selbst in der Nacht prächtig leuchtenden Purpurfarn gebildet. Eine Spitze blieb frei, während die letzte Spitze ab und zu vom sich träge dahinwälzenden Wasser des Mhanadi überspült wurde. Luft, der freie Platz war für das letzte noch fehlende Element, die Luft. Dies mußte also das Siegel der Elemente sein, von dem mein Herr so oft sprach. Doch was wollte er hier im Garten damit? Sollte er etwa wirklich imstande sein, einen jener sagenhaften Dschinne beschwören, wie man in der Stadt von ihm sagte?
Als wir uns näherten kam uns Herr Chadim entgegen und nahm Herrn Stern das Schwert, das er ihm mitzubringen aufgetragen hatte, ab und hieß uns zu warten und uns vor dem Kommenden nicht zu fürchten. Er selbst betrat, seinen Stab in den Händen, das Zentrum des Hexagramms. Mit einem Gebet an Hesinde auf den Lippen verneigte er sich langsam vor allen Elementen und hob daraufhin seine Arme gen Himmel.
"Im Namen des verändernden Feuers, des ewigen Felses, des grimmen Frostes, des wandelbaren Wassers, des lebenspendenden Humus und der flüchtigen Luft. Bei der Macht meiner Herrin HESinde und der Kraft, die Sie mir verliehen, rufe ich Euch, Dschinne der Elemente!"
Und ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu dürfen. Plötzlich loderte das Feuer auf, das Wasser des Mhanadi fing zu kochen und zu brodeln an, das Eis quoll aus dem Trog, der Farn fing an zu wachsen, der Marmor floß zu einem Turm auf, und mit einem Getöse und Geheule schwoll der eben noch so sanfte Wind zu einem Orkan an, der Staub und Dreck aufwirbelte. Und mitten drin in all diesem niederhöllischen Chaos stand mein Herr, ruhig, die Arme immer noch gegen den Himmel erhoben, fast schien es, als ob ein Lächeln seine Lippen umspielte.
Doch dieses Treiben währte nur Sekunden, und einen Augenblick später, als der Sturm und mit ihm der Staub sich an einer Stelle verdichteten, standen sechs Personen um das Hexagramm. Eine rahjagefällige, marmorne Statue einer jungen Frau stand zur Rechten Herrn Chadims, und im Feuer schien ebenfalls eine Frau zu stehen, deren rotglühender Körper von Flammen umzüngelt wurde, und aus deren brennenden Haaren ständig Funken in den klaren Nachthimmel stoben. Die Arme des Purpurfarns waren zu einem Oberkörper einer alten Frau verflochten, wie man sie auf dem Markt oft sieht, wie sie ihre Kräuter verkaufen, und auch die Körper der anderen drei Dschinne, ein kräftig gebauter Mann mit grünlich-blauer Schuppenhaut und Seegras als Haaren, ein kleiner, dicklicher Herr mit einem Gesicht wie einer der feisten Handelsleute aus dem Norden, mit einem Bart und Haaren aus kleinen grauen Wölkchen und ein zarter, fast zerbrechlich wirkender Jüngling aus Eis, gingen ansatzlos in ihr Element über. Fast hätte einem jede einzelne dieser Personen freundlich vorkommen können, doch sechs auf einmal, mit Körpern aus Eis und Feuer und Wasser und ... Hätte nicht Herr Stern seinen Griff - seine Hand hatte ich gleich beim ersten Auflodern des Feuers ergriffen - verstärkt, ich wäre so schnell weggelaufen, wie ich in meinem ganzen Leben noch nicht gelaufen bin.
"Was ist Euer Wusch, Meister?"
Das letzte, was ich sah, als ich mich Herrn Sterns Griff entwand und kopfüber in die Nacht davonstolperte, war, daß sich mein Herr nach unten beugte und ein Säckchen, das neben ihm am Boden gelegen haben mußte, öffnete und Herrn Sterns Schwert daneben legte.


Jetzt endlich waren alle versammelt. All die Anstrengungen, all die Vorbereitungen der vergangenen Tage würden nun endlich einen Sinn bekommen. Keiner konnte mir jetzt noch helfen - jetzt würde alles von mir abhängen. "Ihr Dschinne der Elemente, endlich ist die Zeit gekommen für die ich Euch gerufen habe. Auch wenn Ihr lange warten mußtet, Frau Arbria, so hoffe ich doch, daß Euch der Aufenthalt in meinem Garten gefallen hat. Und Ihr, Herr Wadojiu, ich hoffe, ich konnte Euch den Aufenthalt hier, in einer sonnenverwöhnten Stadt wie Khunchom, so angenehm wie möglich machen. Ich freue mich auch sehr, Euch wieder zu sehen, Frau Madjana, dieselbe makellose Schönheit wie auch schon beim Bau meines Turms. Bedanken möchte ich mich auch bei Euch, Frau Rochana, Herr Quarabad, Herr Auenwind, daß Ihr meinem Rufe gefolgt seid.
Große Gefahren werfen ihre Schatten auf unsere Sphären. Gefahren, die die göttergewollte Ordnung bedrohen und denen wir uns gemeinsam entgegenstellen müssen, gemeinsam mit Magie und Schwert. Darum habe ich Euch hier zusammengerufen, um die Macht der Elemente in eine Waffe zu legen und sie so zu einem Werkzeug Eurer Macht zu machen!"

Mit einem Rascheln und Zittern meldete sich die Humusdschinni zu Wort.
"Verzeiht Meister, aber ich werde kein Werk unterstützen, das dazu dient, eine Waffe zu schaffen, deren Zweck es ist, Leben zu zerstören."
"Frau Arbria, wir kennen uns nun schon so lange, und Ihr wißt, daß ich immer Euer Freund war und versucht habe, nie gegen das Leben und die Erde zu handeln. Bitte glaubt mir, wenn ich Euch sage, daß diese Waffe nicht dazu gebraucht werden soll, Leben zu nehmen, sondern dazu, Leben vor den zerstörerischen Kräften der Daimonen zu schützen. Dazu bedarf es unser aller Kräft, versagt uns also bitte nicht Euren Segen."
"Ich will Euch glauben, Meister. Doch sollte ein Lebewesen durch diese Waffe den Tod finden, so werde ich meinen Segen von ihr nehmen, und sie soll keinen Vorteil mehr aus den Kräften des Humus ziehen. Nur unter diesen Voraussetzungen werde auch ich dieser Waffe meinen Segen geben."
"SO sei es. Möge HESinde gnädig auf unser Tun herabblicken.
UND so rufe ich Euch, Dschinn des Feuers, auf diesen edlen Stahl und dieses magische Meteoreisen herab! Erhitze und schmelze es, und stärke und segne es mit Hitze und Vernichtung, auf daß eine Klinge aus Feuer den niederhöllischen Kreaturen ihren Platz weise!"

UND die Feuerdschinni verneigte sich, und ein kleines Flämmchen begann, auf dem Barren und dem schwarzen Pulver zu tanzen, welche sich in dem Säckchen befunden hatten. Doch welche Kraft und Hitze mußten in dieser kleinen Flamme stecken, denn schon bald begann alles rot zu glühen und zu verschmelzen.
"UND ich rufe Euch, Dschinne des Erzes und des Humus! Fahret hernieder auf dieses Erz und formt es nach dem Vorbild dieser Waffe! Stärkt und segnet es mit Beständigkeit und Anpassungsfähigkeit, mit Härte und Leben, auf daß keine Rüstung dieser Klinge widerstehen kann!"
UND die Dschinne des Erzes und des Humus verneigten sich, und das glühende Erz formte sich zu einer Klinge, und es bildete sich ein Knauf aus Holz und Leder, in den ein grüner Stein eingelassen war.
"UND schließlich rufe ich Euch, Dschinne des Wassers, des Eises und der Luft, auf diese Waffe herab! Härtet und kühlt sie, und stärkt und segnet sie mit Eleganz, Schärfe und Beweglichkeit, mit Wandelbarkeit, Kälte und Schnelligkeit, auf daß sie durch keines Menschen Hand zu zerstören sei, auf daß die Schärfe ihre Klinge niemals nachlasse und auf daß sie die Luft durchschneide wie eine Falke auf der Jagd!"
UND die übrigen drei Dschinne verneigten sich, und das Schwert wurde emporgehoben, und Wasser perlte über die Waffe, und das Wasser gefror zu Eis.
DOCH überall, wo die entgegengesetzten Elemente aufeinandertrafen, gab es ein Zischen und Fauchen, und Rauch, Dampf, Staub und Dunstschwaden stiegen von dem Schwert auf und hüllten es in einen Nebelschleier, und die Flammen der Feuerdschinni begannen wild zu tanzen und hüllten alles in ein gespenstisches Licht. UND endlich ebbte der Kampf ab, verstummten die Geräusche, wurde das Licht wieder klarer, sank das Schwert langsam zu Boden.
"Es ist vollbracht, Meister!"
Vorsichtig hob ich die Waffe auf. Fast vermeinte ich, Flammen in der Klinge tanzen zu sehen, Wasser das daran noch immer hinablief oder die Maserung von Holz.
"Ja, es ist vollbracht! Dieses Schwert soll von nun an den Namen al-Aeolihm tragen, was soviel heißt wie 'Klinge der Elemente'. Al-Aeolihm, ich übergebe Dich nun Deinem Herrn und Meister. Diene ihm und unterstütze ihn im Kampf gegen die Mächte des Chaos und der Zerstörung!"
Langsam drehte ich mich um und blickte erwartungsvoll auf Nord. Ehrfürchtig, fast vorsichtig, trat dieser in den Kreis der Elemente und nahm die Waffe entgegen. Die Klinge war schwarz und matt, und nur der Smaragd im Knauf der Waffe brach das Licht der Flammen in myriaden grün-gleißende Splitter.
"Ich danke Euch, Dschinne der Elemente, und ich hoffe, daß wir uns eines Tages wiedersehen!"
Ich verbeugte mich vor jeder der sechs elementaren Wesenheiten, und binnen weniger Augenblicke lag der Platz wieder genauso vor uns, wie wir ihn vor etwa einer halben Stunde angetroffen hatten - nur durch das Licht der Sterne und das Glimmen der Kohle erhellt.


Was für eine wunderbare Waffe hielt ich da nur in meinen Händen. Obwohl sie sich äußerlich kaum von meinem Schwert, das beileibe nicht schlecht war, unterschied - abgesehen von der schwarzen Klinge natürlich - konnte man die beiden Waffen nicht miteinander vergleichen. Denn wie könnte man eine Ente mit einem Adler, dem König der Lüfte, vergleichen. Wo die eine nach Schnecken und Würmern taucht, da stürzt sich der andere mit tödlicher Sicherheit auf seine Beute, wo die Ente mit plumpen Anstrengungen versucht sich Sumus Griff zu entziehen, da schraubt sich der Adler mit kraftvollen Schwüngen Praios entgegen.

Auch heute noch denke ich oft an diesen Tag zurück. Und wenn ich al-Aeolihm aus der Scheide ziehe, vermeine ich noch immer Eisblumen oder das Weiß des Marmors in der Klinge aufblitzen zu sehen.