Und plötzlich kam man zu einer Vorlesung...
Hallo ihr...
Die ganze Sache begann damit, dass mir mein Prof mal wieder über den Weg lief. Wie üblich, wenn man ihn absolut nicht braucht, als ich am vergangenen Donnerstag auf dem Weg zum Essen war. Ausserdem war ich sowieso schon in Eile, weil ich vorher noch zu TAPIR wollte, die nur noch 15 min geöffnet hatten. Doch da (auch) er ein Hektiker ist, hatte er diese Pläne nur geringfügig verschoben - ich habe alles noch geschafft.
Was er mir allerdings in den paar Minuten eröffnete, hätte meine Aufregung geweckt, wäre ich nicht sowieso schon in einer Art alles paralysierenden Dauerstresszustand gewesen. Es begann mit: "I have big plans for you." - "Oh, bigger than me?" - "Noooo, but they are good."
Das Ende vom Lied bzw. des Gesprächs war, dass er das Problem hatte, an einem Tag gleichzeitig in Oslo und in Trondheim zu sein. Da das Menschenklonen noch nicht so recht funktioniert, sollte ich bei seiner doppelten Präsenz helfen - und seine Vorlesung hier in Trondheim übernehmen.
So weit so gut, nur war mein Problem, dass ich zum Einen noch nie eine Vorlesung gehalten hatte - und zum anderen von der Existenz dieses Kurses vorher auch absolut nix wusste. Da mein Prof aber die Montagsvorlesung noch selbst hielt, konnte ich am Wochenende erst einmal wieder ganz beruhigt auf Hütte gehen. (Leute, es gibt Schnee in Norwegen!!!! Direkt vor der Hütte haben wir 85 cm gemessen, und mit etwas Tricksen - Graben in einem Tälchen - fabrizierte ich ein Loch, das ganze 130ccm tief war, ehe man auf Gras stiess!! Leider war bzw. isses auch dazu noch recht kalt wieder... Doch es ist fantastisch mit der Sonne & dem blauen Himmel dazu. Wer meine Büroaussicht kennt, wird mich BENEIDEN! )
Nunja, die halbstündige Auftauaktion unter der heissen Dusche am Sonntagabend war der Auftakt zur nächsten Woche; kurz danach bin ich ins Bett, um Montag morgen 8 Uhr so munter zu sein, dass ich der Vorlesung meines Profs aufmerksam folgen konnte. Schliesslich musste ich ja erstmal mitbekommen, worüber er überhaupt so erzählt. Nunja, es war wirklich recht langweilig, aber da der Hörsaal keine Fenster hatte, durch die ich den schönen eisigkalten Sonnenaufgang ansehen konnte, blieb mir nichts anderes weiter übrig als mir anzuhören, wie er durch die Powerpoint-Slideshow ging und die Beispiele in Kleinweichs Excel nachexerzierte. Mir ist nur immer noch rätselhaft, wieso Studenten im 3. Jahr dies wirklich so explizit Schritt für Schritt erklärt bekommen müssen. Wie mein Prof meint: "Wenn am Montag morgen 8 Uhr schon um die 40 Leute (von 100, die die Klausur schreiben wollen) kommen, brauchen sie es wirklich." Hat er wohl recht.
Am Montag mittag bekam ich dann auch endlich das Buch von ihm, wonach er
die Vorlesung hält, und den Laptop zum Kreide und Tafel schonen. Das
Ladegerät bekam ich auch am Abend (und mein Prof erfuhr dann, dass ich noch
nie 'ne Vorlesung hielt), so dass ich den Dienstag vormittag völlig der
Vorlesungsvorbereitung widmen konnte. Dabei lernte ich dann den Unterschied
zwischen einem Buch aus dem USA und seiner Umsetzung in Norwegen kennen,
z.b. liess sich keine der angegebenen Formeln aus der Slideshow direkt
kopieren, sondern man musste alle Kommata durch Semikoli ersetzen.
Ausserdem kann ich nun von mir behaupten, dass ich mit Excel gearbeitet
habe - vorher habe ich das nie benötigt... Und ich weiss, wieso mein Prof
sich einen neuen Laptop zulegte: er überliess mir seinen alten, der ab und
zu Probleme mit der "linken Maustaste" hatte. Was sich so richtig während
der Vorlesung zeigte... Irgendwie bekam ich es sogar noch hin, mehr
vorzubereiten als zunächst geplant (und von meinem Prof vorgeschlagen).
Und 15.15 Uhr durfte meinereiner vor die gesammelten Massen treten. Die mich erstmal geflissentlich ignorierten. "Sollte jetzt hier nicht Vorlesung sein? Wo ist denn der Vorleser? Und wer bist Du?!" Wie dumm auch, wenn man viel jünger aussieht als die meisten der Zuhörer... Die Technik spielte mir einen ersten Streich: der Touchscreen für die Steuerung aller Technik des Hörsaals wollte nicht. Nach drei-(oder mehr-?) mals Fluchen klappte es, doch die Lampen wollten einfach nicht dunkler werden. Das Problem liess ich jemand anderes lösen, der mir die ersten 5 Minuten "stehlen" wollte und über eine anstehende "Aktivitätswoche" erzählte. Dabei befolgte er meine Bitte und liess sich Zeit.
Dann begann ich also meinen Wechsel zwischen Powerpoint und Excel und Tafel und Notaten und Buch und und und ... Das oben beschriebene Tastenproblem zeigte sich des öfteren und liess die Slides noch schneller durchlaufen, schob mir beim Erklären andere unter, markierte in Excel Zellen, veränderte Einträge in Formeln... Irgendwie war's doch schon unheimlich, auch wenn es manchmal nach meinen Wünschen war und meinen Gedanken Bruchteile von Sekunden vorauslief. Und wenn man die Hände deutlich sichtbar über den Kopf hebt, "I'm doing nothing!!" sagt und sich hinter einem an der Leinwand trotzdem die Slides abspulen wie von Geisterhand, hat man die (mitleidigen!) Lacher auf seiner Seite.
Nachdem dann noch die Sensitivitätsanalyse gar nicht wollte - was man mit "Wenn man jetzt die Analyse gemacht hätte, könnte man sehen, dass...." umschifft - war ich plötzlich am Ende des Beispiels angelagt. Ein Blick auf die Uhr sagte, dass gerade mal eine halbe Stunde vergangen war. Also noch 10 min bis zur Pause. (Für Nichtnorweger: hier ist eine Vorlesung in 45 min + 15 min Pause + 45 min geteilt.) Zuwenig, um mit dem anderen Kapitel zu beginnen.
Ich beschloss, die Pause vorzuziehen und den Rest danach zu erzählen. Beantwortete einige Fragen der Studenten (bzw. verwies auf meinen Prof unter Erwähnung, wie ich dazu kam, heute hier zu stehen). Unterhielt mich allgemein etwas mit zweien. Einer der beiden dreht sich um: "Wo sind die denn alle hin???" Ganz spontan hatten sich (bis auf die beiden) alle ca. 30 entschlossen, doch schon mal middag zu machen und zu gehen. Wir restlichen 3 entschieden uns dann, dass es absolut keinen Sinn habe, eine Vorlesung vor gerade mal 2% der Zuhörer zu halten - und ebenfalls nach Hause zu gehen! Der Ordnung halber hielt ich es noch die paar Minuten bis 16.15 aus, um eventuellen Wiederkommern unseren Entschluss mitzuteilen. Kam aber keiner wieder ;->
Nun habe ich nur noch das Problem, meinem Prof morgen darüber zu berichten... Aber war ja nicht meine Schuld, dass da keiner mehr war ;-> Und das Feedback, worum ich die beiden bat, spricht auch für mich: sie waren der Meinung, dass es absolut gut war. (Sogar besser als bei meinem Prof, meinte einer!!!) Allerdings kann man die Reaktion der anderen ca. 28 gegen mich deuten.....
Auf jeden Fall kann ich nun auch das unter Erfahrung verbuchen - die nächste Sache sind die Examen dieser 100 Leute, die ich korrigieren darf. Aber sowas bin ich ja schon gewohnt ;-> Und ich kann wieder an meine momentan überdringliche Programmiererei gehen. Man gebe mir einen 30-Stunden-Tag und ich schaffe endlich mal 50% meiner Vorhaben!
Habt genauso'n Spass wie ich heute nach 16.15......
der Adrian.