Datum: 18.03.1996  
Ressort:  Marzahn/Hellersdorf
Autor: Miriam Hollstein


Plappermaul mit Doktortitel 
In der "Kiste" begeisterte der ORB-Talker Jürgen Kuttner das Publikum 

Fast schüchtern wirkt der 1,67 Meter große Mann, der da in schwarzen Jeans und hochgekrempeltem Hemd auf der Bühne steht und nervös am Mikro herumfummelt. 
Der Schein trügt. 
Auch außerhalb seines Senderstudios hat Kuttner die Fäden in der Hand."Ich will mal gleich klarstellten, wie det hier läuft", berlinert der 38jährige und erklärt, er brauche nun erstmal eine Viertelstunde, um "mich so hineinzudödeln."Eine Untertreibung - schon nach wenigen Minuten hat Kuttner mit seinen frechen Sprüchen die Zuhörer im Sturm erorbert. 
Provokant und ironisch Dabei ist Bescheidenheit nicht unbedingt seine Sache: Viel scheint er seinem Publikum nicht zuzutrauen, sich selbst dafür um so mehr. 
Fragezettel will er verteilen, damit die Anwesenden bei der abschließenden Diskussion wissen, was sie sagen sollen. 
Dafür verspricht Kuttner "supertolle Antworten, bei denen ich mir denke: Hut ab, Kuttner
Du bist total sympathisch." Mit seiner Mischung aus Kodderschnauze, Provokation und Selbstironie ist der gebürtige Berliner zum Star des Jugendsenders "Fritz!" geworden. 
Zehntausende schalten zu, wenn er zu nächtlicher Stunde über so tiefsinnige Themen wie die Elchjagd und die klimatische Bedeutsamkeit von Wasserhähnen plaudert. 
Als ein Mittelding zwischen "Zyniker und seelischem Mülleimer" bezeichnet er selbst seine Art des Moderierens. 
Die kommt auch auf dem Bildschirm an: Nach seiner Sendung "Null Uhr Kuttner" ist er nun jeden zweiten Sonntag um 21.50 Uhr in der ORB-Telefon-Show "Kuttner zweimal klingeln" zu sehen. 
Trotz seines Erfolgs ist Kuttner ein Anti-Star geblieben. 
Medienklischees, die ihn als "Kult-Moderator aus dem Osten" bezeichnen, kann er nicht leiden. 
Auf die Frage eines Zuhörers, wo er denn seinen Dialekt gelernt habe, reagiert der Talker verständnislos: "Ick hab noch nie was anderes gekonnt als berlinern, außer bei Anrufbeantwortern."Der Sprechfunker mit dem Doktortitel (er hat über das Thema "Massenkultur" promoviert) ist seinem Motto "Ick bin ick" treu geblieben. 
Andere Promis bemühen sich krampfhaft um das Image des "netten Typen von nebenan". 
Bei Kuttner wirkt es echt, wenn er sich nach der Lesung noch mit den Schülern zusammensetzt. K wie Kuttner Stolz ist Kuttner auf die Querbeet-Sammlung seiner Nachtgespräche, die im Herbst 1995 unter dem Titel "Das große Sprechfunk-Lesebuch" erschienen ist. 
Manchmal, gesteht er grinsend, würde er in Bibliotheken gehen, nur um im Autorenkatalog unter K wie Kuttner nachzuschlagen. 
Im Klub "Kiste" spielt er die Interviews noch einmal nach, als Moderator und Anrufer zugleich. 
Das Authentische, das Spontane der "echten" Gespräche bleibt dabei zwar auf der Strecke; dem Publikum gefällt es trotzdem."Er hat so eine lockere Art und nutzt das Vokabular, das hier gesprochen wird", erklärt die 41jährige Ingrid Janietz seine Beliebtheit. 
Mit seinem mitreißenden Mundwerk wirkt Jürgen Kuttner ein wenig wie die ostdeutsche Antwort auf den SAT1-Klamauker Harald Schmidt. 
Aber mit Berlin-Bonus: Was eine "Schnauze mit Herz" ist, bekamen die Besucher bei seinem Auftritt in der "Kiste" eindrucksvoll demonstriert. 

 
 
 
 
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