Plappermaul mit Doktortitel
In der "Kiste" begeisterte der ORB-Talker Jürgen Kuttner das
Publikum
Fast schüchtern wirkt der 1,67 Meter große Mann, der da in
schwarzen Jeans und hochgekrempeltem Hemd auf der Bühne steht und
nervös am Mikro herumfummelt.
Der Schein trügt.
Auch außerhalb seines Senderstudios hat Kuttner die Fäden
in der Hand."Ich will mal gleich klarstellten, wie det hier läuft",
berlinert der 38jährige und erklärt, er brauche nun erstmal eine
Viertelstunde, um "mich so hineinzudödeln."Eine Untertreibung - schon
nach wenigen Minuten hat Kuttner mit seinen frechen Sprüchen
die Zuhörer im Sturm erorbert.
Provokant und ironisch Dabei ist Bescheidenheit nicht unbedingt seine
Sache: Viel scheint er seinem Publikum nicht zuzutrauen, sich selbst dafür
um so mehr.
Fragezettel will er verteilen, damit die Anwesenden bei der abschließenden
Diskussion wissen, was sie sagen sollen.
Dafür verspricht Kuttner "supertolle Antworten, bei denen
ich mir denke: Hut ab, Kuttner!
Du bist total sympathisch." Mit seiner Mischung aus Kodderschnauze,
Provokation und Selbstironie ist der gebürtige Berliner zum Star des
Jugendsenders "Fritz!" geworden.
Zehntausende schalten zu, wenn er zu nächtlicher Stunde über
so tiefsinnige Themen wie die Elchjagd und die klimatische Bedeutsamkeit
von Wasserhähnen plaudert.
Als ein Mittelding zwischen "Zyniker und seelischem Mülleimer"
bezeichnet er selbst seine Art des Moderierens.
Die kommt auch auf dem Bildschirm an: Nach seiner Sendung "Null Uhr
Kuttner" ist er nun jeden zweiten Sonntag um 21.50 Uhr in der ORB-Telefon-Show
"Kuttner zweimal klingeln" zu sehen.
Trotz seines Erfolgs ist Kuttner ein Anti-Star geblieben.
Medienklischees, die ihn als "Kult-Moderator aus dem Osten" bezeichnen,
kann er nicht leiden.
Auf die Frage eines Zuhörers, wo er denn seinen Dialekt gelernt
habe, reagiert der Talker verständnislos: "Ick hab noch nie was anderes
gekonnt als berlinern, außer bei Anrufbeantwortern."Der Sprechfunker
mit dem Doktortitel (er hat über das Thema "Massenkultur" promoviert)
ist seinem Motto "Ick bin ick" treu geblieben.
Andere Promis bemühen sich krampfhaft um das Image des "netten
Typen von nebenan".
Bei Kuttner wirkt es echt, wenn er sich nach der Lesung noch
mit den Schülern zusammensetzt. K wie Kuttner Stolz ist Kuttner
auf die Querbeet-Sammlung seiner Nachtgespräche, die im Herbst 1995
unter dem Titel "Das große Sprechfunk-Lesebuch" erschienen ist.
Manchmal, gesteht er grinsend, würde er in Bibliotheken gehen,
nur um im Autorenkatalog unter K wie Kuttner nachzuschlagen.
Im Klub "Kiste" spielt er die Interviews noch einmal nach, als Moderator
und Anrufer zugleich.
Das Authentische, das Spontane der "echten" Gespräche bleibt dabei
zwar auf der Strecke; dem Publikum gefällt es trotzdem."Er hat so
eine lockere Art und nutzt das Vokabular, das hier gesprochen wird", erklärt
die 41jährige Ingrid Janietz seine Beliebtheit.
Mit seinem mitreißenden Mundwerk wirkt Jürgen Kuttner
ein wenig wie die ostdeutsche Antwort auf den SAT1-Klamauker Harald Schmidt.
Aber mit Berlin-Bonus: Was eine "Schnauze mit Herz" ist, bekamen die
Besucher bei seinem Auftritt in der "Kiste" eindrucksvoll demonstriert. |