"Dit Leben is 'n Selbstbedienungsladen"

Jürgen Kuttner im Unbunte-Interview

Kuttner, rauchend 

 Dr. Jürgen Kuttner, 

 einziger Raucher 
im deutschen Fernsehen 

Die Unbunte: Tach Kuttner. Eigentlich wollten wir Dich gleich fragen, ob Du aufgehört hast, zu rauchen.

 Jürgen Kuttner: (rauchend) Jaja, ick rauch jetzt ooch nicht mehr, is ja extrem ungesund, schmeckt eklig und stößt Leute ab.

 Und wegen 'Fuck Chirac' rauchst Du auch keine roten Gauloises mehr...

 ...Ja klar - ne, Getränke Hoffmann um die Ecke hat irgendwie nur West Lights. (auf das Diktiergerät zeigend) Läuft det Ding hier schon?

 Ja...

 ...dann fangt einfach mal an, ick kenn das mit den blöden Fragen.

Wie gern hört sich Kuttner reden?

 Ich hör mich ja nicht reden. Hört Ihr Euch denn reden? Aber manchmal, wenn ick mir im Nachhinein mal 'ne Sendung auf Kassette anhöre, was relativ selten vorkommt, denk ich: "Man, ist aber toll der Typ da im Radio!" Ne, es ist nicht so, daß ich mich besonders gerne reden höre. Aber im Radio is det schon komisch, wenn da ein schweigsamer Typ sitzt.

 Du findest also Deine Stimme erotisch.

 Det is einfach 'ne Definitionssache. Meine Stimme ist erotisch. Man oh man, Kinder, da sagt man mal so 'n Rotz dahin, und schon wird man mit seiner eigenen Dämlichkeit konfrontiert.

 Wir haben uns natürlich auch die ein oder andere Sendung angehört...

 ...Super, das ist schön.

 Nachdem man einige Sendungen hört, merkt man, daß es immer wieder vorkommt, daß Du Leute an der Strippe hast, die anfangen, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Und dann mußt Du auf den Kopf drücken und sagen: "Schön, Geralf, daß du dabei warst!"

 Det is eigentlich nicht das Problem. Wenn mal wirklich jemand an der Strippe wäre, der anfangen würde, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Das passiert aber sehr selten. Det Problem sind eher die Leute, die darüber klagen, daß sie morgen 'ne
Kuttner, froh 
Geographiearbeit schreiben. Da kann ick nur sagen: "Es gibt viel Elend auf dieser Welt!"

 Was verlangt es von Dir selbst, dann einfach auf's Knöpfchen zu drücken?

 Anfangs gehört da irgendwie Mut und Brutalität meinerseits dazu, weil ick da extrem schüchtern war. Aber wenn du zum 80. Mal die Geographiearbeit angeboten kriegst, dann denk ich nur: "Schnell weg damit!" Man muß ja auch an die anderen Hörer denken. Die Sendung soll ja keine Selbstdarstellungsgeschichte für Leute sein, die mal im Radio sein wollen. Sinn macht's nur, wenn man sich gegenseitig wirklich wat zu erzählen hat.

 Vorhin hast Du mit Kollegen über's "aus den Fingern saugen" gesprochen. Wieviel steckt wirklich hinter Deiner Sendung?

 Naja, det is ja nich so'ne Sendung, wo ick mich vorher am Computer hinsetzen könnte, um meine Texte zu schreiben. Es ist also eher 'ne permanente Vorbereitung...ein bißchen kieken, ein bißchen zuhören und Sachen aufschnappen. Da findet sich dann oft ein gutet Thema für die Sendung. Letzte Woche, zum Beispiel, bin ich umgezogen, die Sendung ist ausgefallen, alles irgendwie chaotisch. Und da hatte ich auch keinen Sinn, mir 'n Thema für heute auszudenken. Denn ist mir aber vorhin, wie ich finde, ein ziemlich geniales Thema eingefallen: Notlösungen; weil die Sendung ja selber eine ist...

 Wer sitzt denn Deiner Meinung nach so vor dem Radio/Fernseher, um Kuttner zu hören bzw. zu sehen?

 Det is so ziemlich gemischt, det find ick aber ooch ganz gut. Ick merk's jetzt immer bei
Kuttner, lächelnd 
den Lesungen, wenn da irgendwie vier alte Frauen und ein richtiger Vati sitzen.

 Nimmt sich Kuttner in seinen Sendungen sehr ernst?

 Ick glaub nicht, daß ich mich nicht besonders ernst nehme. Die Leute nehmen mich viel ernster, als ich mich selbst. Da ist ein ironisches Verhälnis zur Sendung und zu mir selbst. Wenn ich sage: "Kinder, ruft doch mal an und sagt, daß es 'ne super tolle Sendung ist...", meine ich das wohl kaum so. Aber das ist so meine Art, damit umzugehen, daß irgendwelche Säcke sagen: "Kuttner, du bist Kult." Wenn man so 'ne Sache im Radio macht, kriegt man schon mal 'n Brief: "Kuttner, du bist ja so arrogant geworden und dein Eigenlob, das geht mir auf die Nerven." Und ich sag: "Oh, soll ick immer 'n Fähnchen hochhalten 'Jetzt ist's nicht so ernst gemeint, jetzt wird's lustig'?"

 ...geht ja auch schwer im Radio!

 Stimmt, man sollte ja nicht so verbissen sein. Bin ja nicht Info-Radio.

 Irgendwie ja schon, oder?!

 Klar, irgendwie natürlich auch Info-Radio...

 Also, wie nun?

 Ja...das ist eben Dialektik.

 In der letzten Sendung hast Du ein Heiner-Müller-Bild auf dem Tisch gehabt, und immer wieder läßt Du Dich als Heiner Müller abbilden. Warum diese Affinität?

 Na weil ick Heiner Müller total super finde. Vielleicht lassen sich ja auch zwei oder drei andere Leute dazu bringen, sich mit Heiner auseinanderzusetzten. Ein bißchen Ironie
Kuttner, Cobain 

 Kuttner, Cobain 

ist natürlich ooch dabei.

 Was gibt's zu sagen zu Kuttner, dem Kleinen, in der Schule?

 Nee, ick war nicht "der Kleine". Es gab immer noch eenen, der noch kleiner war.

 Das war jetzt gar nicht auf groß oder klein bezogen...

 Okay, ich in der Schule?

 Ja!

 Ey super, ick hatte prima, total super Zensuren. Echt, ehrlich! Ick bin nicht der Rock'n Roller gewesen, der Fünfen hatte. Sondern ick hatte schon 'n klasse Durchschnitt.

 Also wir kennen das...

 Ja, ick hab immer Schwein gehabt. Gut, ick hab in der Arbeit 'ne Eins gekriegt, doch da hab ick mir auch keine Gedanken gemacht, daß ick diese gekriegt habe. Det is eben so passiert, also ohne daß ich irgendwie gebüffelt hätte oder strebsam gewesen wäre.

 Und dann kam das Kulturwissenschaftsstudium. Hat Dir das, zurückblickend, viel gebracht?

 Ja klar, volle Pulle. Dit war richtig gut. Weeßte, es gibt, glaube ich, zwei Möglichkeiten, zu studieren. Einerseits um den Abschluß zu kriegen, da hat man dann so seine Lebensplanung, will die Praxis von Vati übernehmen. Ich will das gar nicht denunzieren. Aber ick habe mir gedacht, daß ick wat studieren will, wat mir Spaß macht und wat mich dann auch interessiert. Und nicht, um irgendwie 'nen Schein zu kriegen oder um da irgendwie Rentenansprüche auszurechnen oder solche Geschichten. Dit schöne an Kulturwissenschaften war, daß es völlig unklar war, was man hinterher macht. Und dit kam mir irgendwie sehr entgegen. Ick hab es erst einfach mal studiert, hab mich sehr intensiv damit beschäftigt und fand es richtig toll.

 Danach habe ich dann auf tausend Hochzeiten getanzt und es hat sich immer wieder wat ergeben. Erst im Künstlerverband, dann mit 'ner Zeitung, dann ooch mit 'ner kleinen Zeitschrift und dann kam auf einmal det Radio an. Die Sendung funktioniert natürlich sehr personell. Wenn du da Scheiße machst, dann ist es auch wirklich grobe Scheiße. Wenn du ein Morgenmagazin moderierst und Musiken und Beiträge ansagst, Politikerinterviews machst, dann hast du so 'n Skelett, aber du stellst dich als Person
Kuttner, fertig 
nicht so sehr in Frage. Wenn man dann 'ne blöde Bemerkung macht, ist det natürlich hardcore peinlich und Scheiße.

Spielst Du gern den Alleinunterhalter?

 Nö. Naja, manchmal schon, aber ick stell mich auch ganz gerne hinten hin und kiek zu, ich hab nicht den Zwang, mich auf die Bühne zu stellen.

 Gibt es Leute, denen Du im Wortgefecht unterlegen bist?

 Dit kommt auf die Situation an. Ick bewundere zum Beispiel Wieprecht. Bei dem legst 'nen Kippschalter um und der quasselt zehn Minuten am Stück durch. Det kann ick nicht.

 (Gelächter) Nee?

 Manchmal schon, aber nicht grundsätzlich. Mach mich früh wach und sag: "Kuttner, rede mal über...!" Bei Wieprecht wäre das dann der Kippschalter.

 Hast Du ein paar Tips, wie Schüler ihren Lehrern mitteilen können, daß deren Leistung gerade nicht auf der Höhe war?

 Dit muß man wirklich selber auf die Reihe kriegen. Dit Problem sind letztendlich nicht die Lehrer. Dit ist der Punkt, den man für sein ganzes Leben irgendwie kapieren muß. Später hat man dann Probleme mit der Frau, die man liebt, und dann nützt es auch nichts, ihr zu sagen, daß sie Scheiße ist, und da kommt ooch nicht von vornherein 'ne Neue, die man liebt, dat muß man dann echt selbst begreifen. Klar, da sind Freunde und so, die man um Rat fragen kann. Also, immer das Sozialamt, den Finanzsenator, den Lehrer oder die Politiker für alles verantwortlich zu machen, ist Schwachsinn. Dit Leben is 'n Selbstbedienungsladen und wenn man erwartet, in 'ner Gaststätte zu sitzen, kann man auf die Fresse fallen. Wenn man aus dem Hause Thurn und Taxis kommt, sitzt man wahrscheinlich in der Gaststätte, aber wir müssen den Korb selbst für uns durch die Regale schieben und überlegen, was man will. 


Jürgen Kuttner war im Gespräch mit Nico Laubisch, Ernst Haft, Sven Friebe, Elke Hagemann, Katja Strempel und Hans-Martin Krausmann