Agentin Anja hat es aus nächster Nähe miterlebt und kann nur sagen:
Vorsicht Familienalarm! In der irrigen Meinung, seine jüngste Tochter bräuchte endlich einen anständigen Mann, gab Mechthildvater Winfried (von alten Kumpels auch Winne oder Löwe genannt) eine Partnerschaftsanzeige für seine nichtsahnende Tochter Britta im Hamburger Abendblatt auf. Die bekam bei der ihr freudig am Telefon mitgeteilten Nachricht einen Tobsuchtsanfall, was den fürsorgenden Vater erstaunte, hatte er es doch nur gut mit ihr gemeint. Daß sie zum betreffenden Zeitpunkt liiert war, störte ihn offensichtlich nicht.
Auch ihre Wut ließ ihn augenscheinlich kalt, denn kurz darauf rief dieser umtriebige Vater bei Agentin Anja an und erbot ihr einen ebensolchen Dienst. Was wirklich frech ist, ist Anja doch schon seit fast 10 Jahren mit Tycoon Besuch verpaart. Im Gegensatz zu ihrer Schwester hatte sie Glück, sie konnte dieses Vorhaben noch im Vorfeld abschmettern.
Die Anzeige
Diese Anzeige hat auch noch 170,- DM gekostet:
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Britta, Drogistin, Dipl.Ing. Bio, 27/168, Vegetarierin, sportlich, Laufen, Handball, Schwimmen, 2 Katzen, su. Mann zum Heiraten in gesicherter Position; bin selber "Kirchenmaus". VE 7540 HA |
Der Brief-Botenservice
Statt Gras über die Sache wachsen zu lassen, steckte der Vater dann jeden Tag die über Chiffre bei ihm eingegangenen Briefe in den Briefkasten seiner Tochter. Nach einem weiteren Krach wagte er es dann doch nicht mehr, ihr die Briefe persönlich zu überreichen. Wie auch immer, es störte ihn jedenfalls nicht, jeden Tag den Weg von Elmshorn nach Hamburg zurückzulegen, um seinem Hermesdienst zu genügen.
Natürlich hatte er die Briefe vorher alle genauestens studiert und ließ es sich nicht nehmen, ihr die seiner Meinung nach geeignetsten Bewerber wärmstens ans Herz zu legen. Zwischen dem Vater und seiner genasweisten Tochter trat daraufhin eine kurzzeitige Funkstille ein. Erst nach Erhalt einer antiken Kommode als Wiedergutmachung, nahm Britta die diplomatischen Beziehungen wieder auf.
Agentin Anja wurde sowohl durch den Vater, wie auch durch ihre Schwester über den neuesten Stand der Dinge unterrichtet. Wie zu erwarten, klafften Welten zwischen den beidseitigen Ausführungen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ließ der alte Sünder noch kein Wort der Reue verlautbaren.
Die Antworten
Die geplagte Inserentin wider Willen weigerte sich einen Blick in diese Ergüsse einsamer Herzen zu werfen. Erst nachdem sie von einer Freundin mit Alkohol abgefüllt wurde, ließ sie sich doch erweichen 'mal hineinzusehen. Wie zu erwarten fanden die Briefe keine Gnade vor ihren kalten blauen Augen und wanderten in den Müll. Mechthilds Enthüllungsreporter konnte die Schriftstücke in letzter Minute aus dem Altpapier retten. Wir geben euch einige Auszüge aus diesen Abgründen einsamer Seelen - natürlich anonym, denn wir sind ja keine Unmenschen.
Brief Nummer 1: Wir singen neue christliche Lieder
Nachdem Du schon einiges über Dich verraten hast, will ich Dir schreiben, weil Du einiges geschrieben hast, was mich neugierig macht. Ich singe in einem jungen Chor‘, wir singen neue christliche Lieder und Stücke aus Musicals. Sonst schwimme ich gerne und spiele ein wenig Hallenfußball. Aber ich suche noch jemanden, mit dem ich mein Leben teilen und mit dem ich auch sein Leben teilen kann, jemandem, dem die Umwelt nicht ganz egal ist.
Für mich ist Ehrlichkeit und Vertrauen viel wert und ein gutes miteinander Umgehen. Aber ich weiß nicht, wie ich das schriftlich ausdrücken soll, ich mag nämlich nicht so gerne schreiben, ich mag lieber mit Menschen reden und klönen und etwas mit ihnen zusammen machen, spazierengehen oder spielen. Aber vielleicht bist Du ja neugierig geworden und meldest Dich mal, ich würde mich schon freuen und außerdem würde ich gerne wissen, was eine Kirchenmaus ist. Etwas, was für mich und Beziehung wichtig ist, hat einmal Camus geschrieben:
Don‘t walk behind me
I may not lead
Don‘t walk in front of me
I may not follow
Walk beside me
And be my friend
[Warum er das Gedicht Camus‘, der ja Franzose war, in englisch niederschrieb, bleibt unklar. ab ]
Also bis vielleicht bald. Übrigens, das Briefpapier ist auch ein Traum von mir, es ist ein wenig Irland, ein wenig weite Offenheit. Für mich ist wichtig, seinen Traum zu leben und nicht sein Leben zu träumen.“
Brief Nummer 2: Nach einem Candle-Light-Dinner gemeinsam auf der Couch liegen und der Partnerin sanft durchs Haar fahren
Habe deine Anzeige im Hamburger Abendblatt gelesen und fand sie sehr interessant, da ich Übereinstimmungen gefunden habe, die du und ich suchen. Bevor ich mich näher beschreibe, nenne ich dir am besten einige Dinge, die mir in einer Beziehung sehr wichtig erscheinen:
Romantik - Nach einem gemütlich verbrachten Abend, bei dem man ein Theater besucht hat, ins Kino gegangen ist, einen Spaziergang an der Alster unternommen hat oder ein Candle-Light-Dinner hatte, gemeinsam auf der Couch zu liegen, und ich meiner Partnerin sanft durchs Haar fahre. Durch kleine Aufmerksamkeiten wie Blumen der Partnerin zeigen, daß man sie liebt.
Zärtlichkeit - Einfach nur da zu liegen und die Nähe des anderen spüren.
Einen Sonnenuntergang gemeinsam beobachten und sich Gegenseitig Stärke und Rückhalt geben.
Vertrauen - Daß der andere weiß, daß es kein Belügen und Betrügen gibt, wenn etwas gesagt oder versprochen wird. Bei Problemen miteinander darüber zu sprechen, anstatt sich anzuschweigen oder den Kopf in den Sand zu stecken.
Liebe - Der Partnerin die Treue zu halten und auch im späteren Verlauf nie einen gewissen Alltagstrott“ hineinkommen zu lassen. Wenn es nötig ist, sogar um die Liebe des anderen zu kämpfen.
Damit du nicht denkst, hier schreibt ein völlig verträumter und realitätsfremder Mann, nenne ich dir einmal, meine Hobbies, die verschieden genug sind - Lesen, Schreiben (eigene Kurzgeschichten und Drehbücher), Kino, Mode, Musik (von Klassik bis Rock/Pop), im Sommer Motorradfahren, Laufen (Marathon), etwas Kraft- und Konditionstraining, Billard (wenn sich eine Gelegenheit dazu ergibt) und noch vieles mehr (von Kunst bis Kitsch).
Ich bin auf der Suche nach einer festen und dauerhaften Beziehung, mit allem, was dazugehört und meine, daß man ein stetes Miteinander füreinander dabei empfinden sollte und kein Gegeneinander. Sich zu ergänzen ohne den anderen verändern oder ausnutzen zu wollen, so stelle ich mir dies vor. Auch keine Angst zu haben, seine Gefühle zu zeigen.“
Brief Nummer 3: Mich interessiert nicht was Du hast oder bist, sondern nur, ob Du mir in der Wirtschaft helfen kannst
Möchte dir ein paar nette Zeilen zukommenlassen, vielleicht hast du ja Interesse und wir können uns mal treffen. Wie auch du, so suche ich eine nette Partnerin zu Leben, Lieben, Lachen, aber vielleicht auch für die Stunden sachlichen Redens. Aber vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen: Name: XXX, Alter. XX, X,XXm groß, kräftig, sportlich (Joggen, Fitneß, Schwimmen). Bin treu, ehrlich, verantwortungsbewußt, fleißig und suche eine Frau mit fast gleichen Attributen.
Mit einer gesicherten Position kann ich dienen, und mit einer Partnerin kann diese noch ausgebaut werden. (Pensionsbetrieb, welchen ich selbständig leite) Habe auch einen kleinen Sohn, welchen du bei Interesse akzeptieren solltest.
Trotz einer bösen Enttäuschung nach sechs Jahren Ehe bin ich zuversichtlich und möchte noch einmal neu beginnen. Mich interessiert nicht, was du hast oder bist, sondern einzig und allein, ob du den nötigen Esprit hast, mir bei diesem Unternehmen behilflich zu sein...“
Brief Nummer 4: Die Zeit der Abenteuer ist für mich vorbei
Auf so eine sportliche Kirchenmaus habe ich gerade gewartet. ... Die Zeit der Abenteuer ist für mich vorbei. Deshalb laß uns doch herausfinden, ob sich unsere Wellenlängen für eine aufregende, verliebte, dauerhafte Zukunft vereinen lassen! Ich jedenfalls freue mich schon jetzt riesig auf eine prickelnde, sportliche, entdeckungsreiche Unterhaltung mit Dir.“
- und so weiter und so fort
Es trudelten noch etliche andere Liebesbriefe ein. Einige nicht einmal eine Seite kurz, andere über drei Seiten lang. Einige mit mehreren Fotos, mit einem Foto, mit Fotokopien von Fotos oder ohne Foto. Der Hit war ein kurzer Serienbrief eines heiratswilligen Letten mit standardisierter Anrede und einer Chiffre Nummer als Absender.
Anja Böhnke
Noch zur Sache: Nach der Veröffentlichung bekam ich immer mehr Geschichen über geplagte Töchter zu hören, die vor ihren Eltern solcherart unter die Haube gebracht werden sollten. Am besten war eine Anzeige in der Zeitschrift "Textilwirtschaft". Dort suchte eine Mutter geeignete Ehemänner gleich für ihre beiden Töchter und ließ sich ausgiebig über die mitzubringenden Eigenschaften der Aspiranten aus.
Erstveröffentlichung: Die Kleine Mechthild, Nr. 25, April 1996. © Anja Böhnke.