Hostessing in Japan

"Ich sehe wie eine Schlampe aus, aber es gibt 30 US$ die Stunde plus Trinkgeld, also beschwere ich mich nicht zu sehr."

Globetrotter haben ein ständiges Problem: Wie verdiene ich genug Geld für das nächste Ticket? Ein "Geheimtip", der in billigen Reiseunterkünften gegeben wird, lautet: "Als Hostess in Japan verdienst Du am schnellsten und leichtesten viel Geld".

Was ist eine Hostess?
In Japan ist das eine Clubangestellte zur Unterhaltung der Gäste. Sie ist Ess- und Trinkbegleiterin, man darf mit ihr scherzen und flirten. In Karaokebars muß die Hostess auch mitsingen können. Sie ist mit hiesigen "Animierdamen" vergleichbar, aber sie ist keine Prostituierte. Das heißt, die Gäste dürfen sie nicht antatschen oder eine Nummer in einem Stundenhotel erwarten. Mit den traditionellen Unterhaltungsdamen Japans, den Geishas, haben sie dennoch nichts gemeinsam. Es fehlt ihnen die spezifische Ausbildung.

In Hongkong und China verhält es etwas anders. Während in Hongkong Hostessing noch zwischen Animierdame und Prostituierter schwankt gehen die Gäste in China automatisch davon aus, das die Hostess auch für alles andere zu haben ist.

Europäische und amerikanische Hostessen sind in Japan besonders begehrt. Es gibt Bezahlungsrichtlinien, abhängig von Haarfarbe und Haarlänge. Langhaarige Blondinen erhalten den höchsten Lohn, sie müssen lediglich Englisch sprechen können. Japanisch können sie auch später noch lernen, außerden freuen sich viele Gäste, ihr Englisch anzuwenden.

Das Arbeitsoutfit besteht aus Tonnen von Make-up, einem durchsichtigen Kleid, Netzstrümpfen und Stöckelschuhen. In dieser Aufmachung können die jungen Frauen nur per Taxi zum Arbeitsplatz gelangen. In den öffentlichen Verkehrsmitteln hätten sie Belästigungen zu befürchten. "Ich sehe wie eine Schlampe aus, aber es gibt 30 US$ die Stunde plus Trinkgeld, also beschwere ich mich nicht zu sehr", erläuterte die 22 jährige Amerikanerin Joan* (*Name geändert) .

Das klingt alles easy: Man ißt, trinkt, amüsiert sich und wird dafür auch noch gut bezahlt. Doch ganz so nett ist das nicht.

"Der hat ja eine Pistole"
Nachtclubs gehören meist zum Millieu. Selbst wenn die Clubbesitzer es nicht sein sollten, so sind die Kunden häufig Kriminelle, sogenannte Yakuza. Betrunkene abzuwehren, die plötzlich keinen Unterschied mehr zwischen einer Hostess und einer Prostituierten sehen, ist lästig. Es wird jedoch gefährlich wenn diese zudem bewaffnet sind. Was in den Clubs gar nicht so selten vorkommt.

Als die junge Joan während ihrer Schicht von einem bewaffneten Betrunkenen belästigt wurde, konnte sie sich nur unter dem Vorwand, sich "frischmachen" zu wollen, entfernen. Um vollends gehen zu können, mußte sie aber ihren Chef um Erlaubnis bitten. Der wiederum mußte den Gast beschwichtigen und ihm eine andere Hostess zur Verfügung stellen.

Die sozialen Kontakte der Hostessen bleiben, durch Arbeitsplatz und Arbeitszeit bedingt, meist auf das Clubmillieu beschränkt. Joan hatte ihren Freund, einen jungen Yakuza, auch im Club kennengelernt. Er hat sie mit einer anderen Frau betrogen. In Japan, wo eine Geliebte und Seitensprünge zum Sozialprestige des Mannes beitragen, ist das etwas, das die Frau bzw. Freundin zu dulden hat. Als Joan ihn daraufhin verließ, drohte der Yakuza, sie zu töten. Lediglich weil sie auch einen seiner Bosse aus dem Club kannte, konnte sie unverletzt aus Osaka fliehen.

Viel Lärm um nichts? Das ist kein Einzelfall. In Asien gibt es stehende Witze über die Lebenserwartung oder obskure Todesarten von Hostessen. Im Schmelztiegel Hongkong begegnete Joan einer britischen Hostess aus Korea. Diese konnte nicht schnell genug fliehen. Als Andenken hinterließ ihr Ex-Freund ihr eine 10cm lange Schnittnarbe im Gesicht.
Anja Böhnke

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Noch zur Sache: Die Informationen habe ich von meiner Reisebekanntschaft Joan* (*Name geändert), als sie nach den Ereignissen in Osaka 1992 gerade durch China reiste. Die britische Hostess mit der Narbe trafen wir zusammen in Hongkong.
Erstveröffentlichung: Die Kleine Mechthild Nr. 3, Dezember 1993. © Anja Böhnke