TREFFPUNKT Georgia

Chamäleon mit Profil

(Marcus Gammel, Jazzthetik 12/01 01/02)

 

Joe Fonda / Michael Jefry Stevens-Group

Jazz, Free Jazz, Improvisierte Musik, Nonidiomatische Musik, Musique Actuelle, Creative Music, Instant Composing, Comprovisation... Die Namen für zeitgenössische Musik mit lmprovisationselementen sind Legion. Was einmal, zumindest an der Oberfläche, als klare Teilung der Jazzwelt in zwei Lager begann, ist längst ein weit gespanntes Ökosystem geworden, voll von Nischen, Revieren, Arten und Unterarten. Ein Kriterium allerdings funktioniert auch im Zeitalter der Totalhybridisierung noch erstaunlich gut, wenn man die Dunstkreise von Jazz und Improvisierter Musik auseinander halten möchte:

ein Blick auf den Seitenfalz des CD-Booklets. Wollen sich hier drei bis x Nachnamen zu einer Gruppe zusammendrängeln, dann ist das ein verlässliches Indiz für freie Improvisation. Nirgendwo sonst in der Musikwelt ist die Individualität des/der Einzelnen so wichtig wie dort.

Marcus Gammel.

Der Fonda/Stevens-Group sieht man schon am Namen an, dass sie sich in diesem Territorium einen eigenwilligen Lebensraum gesucht hat: genau auf der Grenze. Selten bildet das Zusammenfließen von straight ahead Jazz und freier Improvisation ein so aus-gewogenes Ganzes, selten erreicht das Zusammenwirken verschiedenster Persönlichkeiten ein so stabiles Gleichgewicht. Die Keimzelle der Gruppe aus Joe Fonda (b), Michael Jefry Stevens (p), Herb Robertson (tp), Harvey Sorgen (dr) und (bis 1998) Mark Whitecage (sax, cl) geht auf die späten 80er Jahre zurück. Whitecage, der Stevens lange Jahre als Lehrer und Mentor begleitet hatte, brachte ihn mit Joe Fonda zusammen. Alsbald spielten die beiden gemeinsam im Mosaic Sextett mit Dave Douglas und Mark Feldman, zu dem schließlich auch Harvey Sorgen stieß. Douglas‘ Fruchtbarkeit als Komponist spornte Stevens rasch dazu an, selbst ein schnell wachsendes Oeuvre aufzubauen. Douglas‘ Sinn für komplexe, ungewöhnliche Formabläufe wurde dabei zu einem wichtigen Vorbild für den Pianisten, ebenso wie für Joe Fonda. Ein Vorbild, dem beide jedoch auch kritisch gegenüberstehen: Douglas neigte dazu, das Formgefüge eines Stückes bis ins Kleinste kontrollieren zu wollen. »Mark Whitecage hat mich gelehrt, meine Ideen zu öffnen und die Form nicht so streng festzulegen«, sagt hingegen Michael Jefry Stevens. »Das ist ein wesentlicher Aspekt der Fonda/Stevens-Group: Wir erlauben den Musikern, sich von Zwängen zu befreien und zu spielen, was sie im jeweiligen Augenblick fühlen. In dieser Gruppe wird die Form ein flexibler Parameter, mit dem improvisiert werden kann. Man kann die Form ausdehnen oder verkürzen, man kann Teile von ihr spielen oder gar nichts. Ein Musiker kann die Form spielen, ein anderer nicht. All das geschieht ständig in dieser Band.«

Auf diese Weise entsteht ein reizvolles Spannungsverhältnis zwischen den anspruchsvollen Kompositionen und den jeweiligen Persönlichkeiten der Spieler. Joe Fonda sieht vor allem hier den unterschied zum Konzept des Mosaic Sextetts: »Harvey (Sorgen) zum Beispiel ging im Mosaic Sextett seine Arbeit ganz klar mit der Haltung eines Sideman an. Er spielte die Musik so, wie Dave und Michael sie seiner Meinung nach hören wollten. In der Fonda/Stevens-Group kann er nun seine ganze Persönlichkeit einbringen. Hier Legt jeder von uns alles, was zu ihm gehört, auf den Tisch. Diese Möglichkeit hat man nur selten.« Was dabei auf dem Tisch der Fonda/Stevens-Group zusammenkommt, besticht durch außergewöhnliche Vielfalt und reiche Kontraste: Der Trompeter Herb Robertson ist hierzulande wohl vor allem durch seine Assoziation mit Stefan Winters JMT Label bekannt. Gemeinsam mit Tim Berne, Mark Helias, Bill Frisell, Wayne Horvitz, Paul Motian und Bobby Previte stand er in den 80er Jahren für einen neuen Aufbruch der New Yorker Szene in die Grenzbereiche zwischen Jazztradition und freier Improvisation. Robertson bereichert das Inventar der Fonda/Stevens Group vor allem durch seine enorme Klangvielfalt voller Dämpfer-, Ventil- und Lippeneffekte. Besonders wirkungsvoll ist die Sprödigkeit seines Spiels, wenn sie Michael Jefry Stevens‘ schwelgerische Balladen mit Brüchen und scharfen Kanten versieht. Der Schlagzeuges Harvey Sorgen hat ebenso mit Anthony Braxton zusammengearbeitet wie mit Bill FriseIl und der Rock Band Hot Tuna. Ganz besonders liegt ihm die Gratwanderung zwischen packend pulsierenden Rhythmen und freischwebenden Klanggeweben. Gemeinsam mit seinen Bandkollegen gelingt es ihm, immer wieder das eine für das andere transparent zu machen. Freies und festes Metrum scheinen für Augenblicke nur durch einen dünnen Vorhang voneinander getrennt. Diese Flexibilität im Umgang mit der Zeit ist dabei ebenso sehr dem Bassisten Joe Fonda zu verdanken, der jede Bewegung des Schlagzeuges vorherzuahnen und mitzutragen scheint. »Ich bin ein Schlagzeugerbassist, ich gehöre zu den Drummern.« Sagt Fonda über sich selbst. »Was mich an der Musik am meisten berührt, ist der physische Aspekt. Ich mag Körpermusik. und genau das ist es, was Schlagzeuger einem geben: Sie bringen die Musik in den Körper.« Nicht von ungefähr hat Fonda während seiner ganzen Karriere immer wieder die Begegnung mit Tänzern gesucht, darunter die Improvisationsgruppe Sonomama. In den letzten Jahren begleitete Fonda regelmäßig die Stepptänzerin Brenda Bufalino, die er auch für sein wohl ungewöhnlichstes Album ins Studio bat: From the Source dokumentiert die Begegnung zwischen Fonda, Bufalino, der Heilpraktikerin und Obertonsängerin Vickie Dodd, Anthony Braxton, Herb Robertson und Grisha Alexiev. »Meiner Meinung nach gibt es zu viel Isolation auf der Welt. Die fruchtbarsten Dinge entstehen oft, wenn man das Blut vermischt. Das trifft auch für Menschen zu. Die schönsten und intelligentesten Leute dieses Planeten kommen aus Gegenden, wo sich die Rassen mischen.«

Beim Zusammenmischen seines eigenen musikalischen Stammbaumes hat Fonda sich immer wieder an besonders eigenwilligen Persönlichkeiten orientiert. Wadada Leo Smith gehörte zu seinen ersten Mentoren, gefolgt von Anthony Braxton, in dessen Tri-Centric-Ensemble Fonda noch immer eine zentrale Rolle einnimmt. Von der Arbeit mit Smiths Kompositionen hat Fonda eine für Bassisten ungewöhnliche Melodik mit einer Vorliebe für weite Intervallsprünge zurückbehalten. Anthony Braxton vermittelte ihm ein Formgefühl, das nicht zuletzt in Fondas ausgedehnten Soli zum Tragen kommt. Der Bassist dreht und wendet jedes Motiv, das ihm in die Finger gerät, bis er ihm auch die letzte unerhörte Seite abgelauscht hat. Auf seiner Soloplatte When lt‘s Time gerät er dabei bisweilen in allzu bedächtige Entwicklungsgänge, die den Fluss der Musik gelegentlich zäh werden lassen. In der Fonda/Stevens-Group bewahrt ihn die Agilität seiner Mitspieler weitgehend vor solchen Engpässen. Nicht zuletzt dank der Offenheit seiner eigenen Kompositionen: Oft versieht er einen Teil der Band mit unberechenbaren Unisonolinien, die von den übrigen Spielern frei umwoben oder konterkariert werden.

Ganz anders denkt und arbeitet Michael Jefry Stevens: »Alles, was ich schreibe, entwickle ich aus der Harmonik«, sagt der Pianist; und in der Tat basieren seine Stücke oft auf delikaten Akkordfolgen, denen sich das melodische und rhythmische Geschehen beizufügen hat. Dabei steht Stevens der Tradition des modernen und modalen Jazz weit näher als seine Bandkollegen. Gerne verwendet er eingängige Riffs und althergebrachte Songformen, die er jedoch selbst immer wieder in die verschiedensten Richtungen aufbricht: sein Hang zur europäischen Moderne beispielsweise findet sich ausgiebig auf der Duo-CD Haiku mit Mark Feldman dokumentiert. Hier ergehen sich die beiden New Yorker in düsteren Klanglandschaften, an deren Horizonten die Zwölftonmusik Schönbergs und Bergs aufschimmert. In zurückhaltenderen Passagen vernimmt man das Echo europäischer Japanrezeption, das bereits der Titelt nahe legt, während auf der anderen Seite des Klangspektrums die überhänge spätromantischer Virtuosität ertönen. Jene entspricht zweifellos Stevens‘ Naturell. Auch im Jazz hält er sich gerne an Vorbilder mit flinken und kräftigen Fingern. Die vollmundigen Akkordbögen McCoy Tyners finden sich in seinem Spiel ebenso

wie die mächtigen Cluster Cecil Taylors. Es nimmt denn auch nicht Wunder, wenn man Stevens auf der Quintett-CD Elements in Gesellschaft von Taylors Bassisten Dominic Duval findet. Die Tongewalt der beiden Session-Leader wird hier allerdings durch den sparsamen Einsatz von Tutti-Passagen und durch aphoristisch kurze Trackzeiten wohltuend eingedämmt.

In der Fonda/Stevens-Group hingegen lässt der Pianist seinen Energien gerne freien Lauf. »Diese Band ist im Wesentlichen eine Live-Band«, meint Joe Fonda und verweist auf stolze sieben Europatourneen in den letzten fünf Jahren. Die hört man der Gruppe an, nicht nur auf ihrer in Bielefeld eingespielten Platte Live at the Bunker. Grade diese Langjährige Bühnenerfahrung macht produktiv, was das Quartett auszeichnet: die Spannungen zwischen seinen unterschiedlichen Persönlichkeiten. »Natürlich hat es Kontroversen gegeben«, sagt Michael Jefry Stevens. »Ich musste mich erst für Joes Kompositionsweise öffnen. Es fiel mir schwer, Musik zu spielen, die keine festen Tonhöhen vorgibt.« Inzwischen erzielt die Band ihre stärksten Ergebnisse gerade da, wo all ihre verschiedenen Komponenten aufeinander treffen. Wie ein Chamäleon schillert ihre Musik dann hin und her zwischen schwelgerischer Harmonik, packenden Grooves und abstrakter Klangrecherche, zusammengehalten vom wechselseitigen Vertrauen der Musiker.

 

5 Auswahldiskografie

Fonda/Stevens-Group:

Evolution (Leo Records, LR 260, 1998)

Live at the Bunker (Leo Records, LR 301. 2000)

The Healing (Leo Records, erscheint 2002)

 

Joe Fonda:

From the Source (Konnex KCD 5075, 1997)

When lt‘s Time  (Jazz‘Halo TS 011, 1999)

Distance (mit Xu Feng Xia) (Leo Lab 069, 2000)

Step-In (mit CarLo Morena und Jeif Hirshfield) (De Werf 021, 2001)

 

Michael Jefry Stevens:

Haiku (mit Mark Feldman) (Leo Records, LR 225, 1995)

Elements (mit Dominic Duval u.a.) (Leo Records, LR 241, 1996)

Short Stones (mit Mark Whitecage) (Red Toucan, RT 9312-2, 1997)

 

The Mosaic Sextet:

The Mosaic Sextet (2-CD-Set, 1998/2001, GM Recordings 3045)

(Marcus Gammel, Jazzthetik 12/01 01/02)

 

„There is more to creative master ship than the surface of satisfaction and political certainty. The music of Joe Fonda is part of a living tradition of belief and dedication. Future historians will be surprised at the breadth of Mr. Fonda's offerings. This is a real virtuoso and composer of the highest order.“

- Anthony Braxton 1996.

Joe is a composer, bassist, recording artist, interdisciplinary performer and producer. An accomplished international artist, Fonda has performed as a leader in his own ensembles throughout the United States and Europe, and as a sideman with Archie Shepp, Ken McIntyre, Lou Donaldson, Bill and Kenny Barron, Leo Smith, Perry Robinson, Dave Douglas, Curtis Fuller, Mark Whitecage, Marion Brown and Bill Dixon.

Fonda / Stevens Group

Joe Fonda – bass

Michael Jefry Stevens - piano

Harvey Sorgen - drums

Herb Robertson - trumpet

 

Termin: Samstag, 30.03.2002

Obernberg am Inn, 20:30

Musikschule

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