Das Kind |
Und ich sah Christus: eine grosse, leuchtende Gestalt ganz aus Licht.
Und ich dachte an Odin, der am Baume hing; dachte an so viele grosse
Heilige, an das Christusbewusstsein.
Und ich erinnerte mich des Kindes, das ich so oft gesehen hatte und nie
beachtet:
ein Baby, dunkelhäutig, mit schmutzigen Tüchern und Binden um Arme und
Hände, Beine und Füsse. Und es tropfte stinkend aus diesen Stoffen heraus.
Ich wusste, es fehlten Teile der Glieder oder Gliedmassen ganz - und
dachte: “Das Kind muss irrsinnige Schmerzen haben.” Und sah es mir an, und
es war von vollkommener Ruhe, sehr ernst schaute es mich an.
Und ich hörte eine Stimme, die sagte: “Dies ist Christus.” Und ich
verstand, da trug einer das Leiden der Welt mit; da war einer freiwillig
hinab gestiegen um teilzuhaben am Elend.
Und ich sah das Kind: es war grösser nun, etwa sieben oder so, stand fest
auf seinen Beinen, keine Binden mehr um Arme und Füsse. Und es sah mich an,
als sei dies alles ihm völlig egal und drehte sich um, um zu gehen. Und ich
hatte Angst, etwas verkehrt gemacht zu haben.
Und immer noch strömte das Gold hoch in mich in den Scheitel und darüber
hinaus, und kam Wässriges in den geöffneten Mund und strömte nach unten,
zum Schoss…es war ein Spülen und Säubern ….und ich war kein Mensch mehr,
war ohne Gestalt, war nur Wirbel und Strömen und Pulsieren und Kraft, war
nur Leben, war nur Energie.
Und blickte wieder zum Kind.
Und sah einen uralten Mann, gebeugt von den Jahren, er schlurfte davon,
drehte sich nicht mehr um.
Am nächsten Morgen war das Kind wieder da, ein Baby, dunkelhäutig, mit
schmutzigen Tüchern und Binden um Arme und Hände, Beine und Füsse. Und ich
öffnete seinen Brustkorb, da lag ein gold-glitzerndes Herz; es war für
mich. Und ich nahm es an mich und setzte es mir selber ein. Und das Baby
gluckste vor Wonne, wie nur Kleine das tun.
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