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DJADSIJAHS SEELE

© copyright Durga, 2004

 

 
 

 

Djadsijah geht geduckt durch die staubige Strasse. Sie darf hier nicht sein, nicht ohne männliche Begleitung, dass weiss sie. Es ist lebensgefährlich. Aber sie muss für sich sorgen, irgendwie. Sie riecht ihren Schweiss unter dem Tschador und den Schmutz der Kleider, die Haut juckt - ob vor Schmutz oder ob sie Ausschlag hat, weiss sie nicht. Sie ist seit Wochen nicht an Wasser gekommen. Es gibt kaum welches in Kabul, und schon gar nicht für eine Witwe. Durch den Gesichtsschleier ist ihre Sicht eingeengt. Sie denkt schon gar nicht mehr darüber nach: sie weiss, dass die Händler sie mit dem Wechselgeld betrügen, sie kann es nicht richtig erkennen. Das wissen sie.

Da kommen 5 Männer auf sie zu, Polizisten. Und Djadsijah weiss, was sie tun werden.

Mir ist diese Frau hinter dem Tschador vertraut, ich sehe ihre schönen, starken Augen. Eine Frau aus dem osmanischen Volk, eine Kriegerin wie die Männer. Schon, dass sie bis jetzt überlebt hat, beweisst es: Eine Kriegerin mit niedergeschlagenen Augen, leiser Stimme und demütiger Haltung; eine, die in der Lage ist, ins Gefängnis zu gehen, sich foltern zu lassen und zu sterben - wenn sie nur weiss, wofür. Ich bin stolz auf sie.

Auch ich sehe die Männer, die sie vergewaltigen werden, einer nach dem anderen. Djadsijah wird umringt, fällt, ich fange ihre Seele auf.

Was für eine Seele! Ich erkenne eine Seele, wenn ich sie sehe, da bin ich sicher. Dies hier, dieses kleine Bündel, ist keine, kann keine sein. Wäre sie aus Stoff, es wäre ein durchlöcherter Lumpen, zum Fortwerfen gut. Mir bricht fast das Herz. Da kommt mein Gefährte, mein Geliebter, ist neben mir und hilft mir heim, er und ich, zwei hohe, schmale Gestalten im Licht. Sofort sind wir von den anderen umringt, es sind fünf insgesamt, die mich nun begleiten und mir den Weg weisen.

Sie passen auf, dass ich nicht falle, nicht stürze ins Dunkel, das ich durchschreiten muss, will ich ins Lichte Land.
Und sie führen mich heim, und dann hocke ich dort, mit dem Bündel Seele auf meinem Schoss, wie eine Pieta und weiss nicht, was ich tun soll. Die Seele beginnt zu wimmern. Hier, inmitten der Liebe, der Wärme, des Glücks, kann sie aufweichen. Sie hat unerträgliche Schmerzen, die sie jetzt erst fühlt. Ich weine mit ihr und bin völlig hilflos. Einer der anderen kommt: “Gib sie mir!” Ich lege sie ihm in den Arm, er nimmt sie mit sich ins Dunkel, für mich noch gefährlich, für die Gefährten so vertraut. Als er wiederkommt, es dauert nicht lange, trägt er eine schöne, vielfarbig schimmernde Seele, die ich wieder in die Arme nehme. Ich hocke noch ein Weilchen im Licht mit ihr - das tue ich für mich, nicht für sie. Ich muss mich wieder nähren nach dem Schmerz, den ich mit ihr gefühlt habe……

Dann begeben wir uns wieder zu Djadsijah. Die Männer lassen grade ab von ihr, der letzte knöpft sich seine Hose zu und geht. Sie lassen sie liegen im Staub, ein Bündel Altkleider, wund, kein Mensch mehr und schon gar nicht eine Frau.

Ich weine. Alles in mir sträubt sich, diese schöne Seele wieder in den geschundenen Körper zu geben. Mein Gefährte sagt: “Tu es. Es wird nur wenig übrig bleiben, aber das muss genügen.”
Ich flüstere ihr noch zu: “Geh nach Farah!” Ich sage: “RAWA!!!” Und lasse dann die Seele in den Körper zurückkehren.

Langsam, sehr langsam öffnet Djadsijah ihre vormals so schönen Augen, sie sind jetzt wild, fast irre. Sie wird sich zusammenreimen, was ihr angetan worden ist. Aber sie wird sich nicht erinnern. Darüber bin ich froh.

Sie steht auf, ordnet die Kleider - kein Stück Haut darf zu sehen sein und kein Fetzchen vom Strumpf, sonst wird sie getötet - und geht. Ich hoffe, sie kommt nach Farah. Ich hoffe, sie findet RAWA.

RAWA ist die Widerstandsbewegung in Afghanistan, die einzige, die jemals gab, auch schon unter den Taliban. Sie besteht ausschliesslich aus Frauen. Farah ist eine der unzugänglichsten Gebiete - nicht einmal die Taliban oder die Warlords kommen dorthin. RAWA hat im Augenblick hier gute Chancen.
 
 

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