Der Dunkle Hüter
copyright @ Durga, 2004 Ich-die-sah hörte dumpfes Hämmern, fühlte es zuerst an meiner Brustgegend. Dann kam das Hämmern mir immer näher – ich schritt durch einen Felsen. Schmal war der Gang, und schmal und hoch war ich selber. Einen dunkler Umhang umgab meinen Körper, der Kopf war düster-schimmerndes Gold, und zwei kleine Hörner, wie glatt poliert, ragten auf von der Stirn.
Und ich schritt den schmalen Gang, der kaum breiter war als ich selber, entlang, zielstrebig, hinter mir die Meute der Hunde. Auch sie waren hoch und schmal gebaut, sehr gross und feingliedrig, Windhunde waren es, aber sie hatten nichts Edles. Sei geiferten und tanzten gross hinter mir her. Ich beachtete sie nicht. Sie waren immer da. Rechts und links des Ganges gab es Mulden, kleinere, grössere, einige schienen die Grösse von kleinen Höhlen zu haben. In allen war es stockfinster, sie waren aber, wie ich recht wohl wusste, aber bewohnt. Und dann kam ich zu dem Feuer, rechts in einer der grösseren Höhlen. Von hier kam der Hammerschlag. Ein riesiger Kerl schmiedete – es war eine grosse, schwere Kette, auf der er herumhämmerte und seinen Hammer schlug. Das Eisen glühte rot. Er sah kurz auf und lächelte. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, war zufrieden mit dem, was ich sah und ging weiter.
Während ich meinem Ziel entgegenschritt, wusste ich, dass mich jemand sah. Jemand, der dieser Ebene nicht zugehörte, aber Einlass erhalten hatte, beobachtete mich und versuchte zu verstehen. Das kam nicht oft vor. Die Höchsten wählten gut aus, wen sie einliessen, in dieses Reich. Ich blieb wachsam, gab mit nichts zu verstehen, dass ich die, die lautlos jemand hinter mir herglitt, bemerkt hatte.
Am Ende des Ganges lag eine weite Ebene – es wuchs Gras. Ich sah hinauf in den dunklen Himmel und dachte: „Ah, die Sonne ist schon aufgegangen.“ Diese Sonne hatte den Glanz fahlen Mondes. Hier war dies das hellste Licht, dass es gab. Der Glanz dieser düsteren Sonne liess mich sehen, wohin ich ging. Es war steinig, teilweise, aber es gab Pflanzen, die in diesem Licht wuchsen. Ich sah sie, freute ich an der Üppigkeit. Die Bäume allerdings waren zu dieser Jahreszeit kahl. Teilweise war die Gegend sumpfig. Ich ging zu einer Art Steinbruch. Viele Leute arbeiteten hier sehr, sehr hart. Sie schlugen Steine, mächtige Brocken aus dem Fels und schleppten sie irgendwo hin.
Ich trat auf ein kleines, blondes Mädchen zu und bedeutete ihm, mit mir zu kommen. Das Mädchen liess den Steinbrocken, den es schleppte, fallen und kam widerspruchslos mit. Es hatte keine Angst, und ich-die-sah weiss nicht, ob es die nicht hatte, weil es hier keine Gefühle gab, in dieser Ebene, oder ob die Menschen so furchtbar hart arbeiteten, dass sie keine Gefühle mehr hatten – vor Übermüdung, Dreck, Dunkelheit, Überlastung.
Ein Mann und eine Frau erschraken, als das Kind mitgenommen wurde. Der Schreck hielt sich hier, wie alle Gefühle, in Grenzen, war aber deutlich und überraschte mich – es war mehr Gefühl, als ich erwartet hatte. Da hatte ich etwas übersehen und musste diesbezüglich, nach der Sache mit dem Kind, sofort handeln.
Das Kind ging mit mir, fürchtete sich auch nicht vor den Hunden. Es war ohne jeden Ausdruck, fast ohne Ausstrahlung, wie alles hier.
Während wir gingen, wurde der, die mir folgte klar, dass ich sie schon längst realisiert hatte: ich fühlte, wie sie erschrak.
Ich ging mit dem Kind zu dem Schmied. Die plötzliche Angst des Kindes rührte mich nicht im Mindesten, ich nahm es kaum wahr. Der Schmied nahm eines der Glieder der Kette, noch glühend rot, und setzte es geschickt und ohne Umschweife dem Kind in die Brust. Das Kind schmolz, es starb, es verbrannte. Es stank. Dann begann etwas zu lodern, es rauchte. Und das, was von dem Kind mit dem Kettenglied verschmolzen war und nun eins mit diesem, wurde zu etwas anderem. Rauch bildete sich, Nebel, eine Gestalt formte sich daraus, eine Frau, zartgliedrig und fein, ein wenig durchsichtig, aber nicht sehr. Und ihr Herz schlug in dem Rahmen, den das Kettenglied, nun erkaltet, erlaubte: es hatte sich um das Herz gelegt. Die Frau lächelte, war sehr schön und schien ein glückliches Naturell zu haben. Sie strahlte von innen heraus.
Sehr gut. Dies war war immer ein riskantes Unternehmen, aber es hatte gelückt. Ausgezeichnet.
Da drehte ich mich um zu der, die mir so lautlos gefolgt war und sah sie an. In ihren Augen spiegelte ich mich und sah mich, wie sie mich empfand: düster – nur die Augen waren von strahlendstem Blau. Erbarmunglos - das war das Gefühl von ihr, die zu lernen, zu begreifen versuchte.
Die eben geborene Frau ging fort, einer der grossen Hunde führte sie. Der Hund kannte das Ziel, die Frau hatte vertrauensvoll ihre Hand auf den hohen Rücken des Tieres gelegt. So schritten beide von dannen, sie einer neuen Inkarkation entgegen.
Und noch etwas sagte ich zu der, die mir gefolgt war: „So lernt man fühlen im Rahmen des Möglichen.“
Und Ich-die-sah lernte, dieser Reif um das Herz war nicht der Panzer, die Verhärtung, als die es zuerst auf mich-die-sah gewirkt hatte.
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