Yama das Tor

copyright @ Durga, 2004



Die Skelette und ich waren zusammen – und es klapperten die Knochen schrecklich. Das taten wir absichtlich – es war eine Begrüssung für jemanden, der erwartet wurde. Und im unserem Kreis, und Yama stand dort, in wechselnder Gestalt: mal war es Yama, Stierhaupt und Loderndes Feuer ringsum, rot und schwarz und sehr mächtig, dann war es ein licht erscheinender Jüngling neben einem schwarzen, riesigen Stier.
Ich konzentrierte mich nur auf den Stier und trat zu ihm. Er hatte goldene Hörner, grün-goldene, schöne Augen, und ich berührte ihn. Da tat die Erde sich auf und ein mächtiger Feuerstrom schoss zum Himmel empor. Ein Feuerstrahl, einer Säule gleich, die die tiefsten Tiefen, Untiefen, verband mit den lichtesten, hellsten, reinsten Höhen. Ich musste an Agni denken. Ich schaute hinunter, tief in die Erde, von wo das Feuer kam und sah so etwa wie eine grüne Scheibe. Und ich sah noch oben, bis wohin ich den Strahl mit meinen Augen verfolgen konnte, und sah eine rote Scheibe. So war der Feuerstrom gehalten, gebündelt von einer grünen Scheibe unten, und einer roten (orange-rot) Scheibe. Viele der Helfenden Hände warfen sich in dieses Feuer, ich sah sie aufwärts fliegen – sie freuten sich, genossen es riesig. Ich selber trat in den Strom und sank abwärts.

Hier konnte ich nichts mehr richtig erkennen – irgendwelche Wesen, dunkel, schwebten auf grossen Federn an mir vorüber, eine lange Schlange von Menschen hatte sich vor so einer Art Pult gebildet, hinter dem jemand sass und Buch führte. Er stellte immer dieselbe frage: „Wer bist Du?“ Und ich fand, es war die am schwersten zu beantwortende Frage, die ich überhaupt kenne. Und kam an das Pult und holte mein Herz aus der Brust und hielt es dem Prüfer hin: rot und golden schlug es in meinen Händen. Erguckte mich an, lächelte, stellte gar keine Frage sondern liess mich durch – offenbar hatte ich so eine Art geheime Eintrittskarte vorlegen können.

Dann kam ich zum Dunklen Hüter. Ich bat ihn, mir zu zeigen, was aus den Menschen, die ich bei ihm kennengelernt hatte, geworden war: das Mädchen, die frau un dder Mann.Und wWir guckten durch so eine Art Bullauge und ich sah in die Zukunft.



Das Mädchen:
Ich sah afrikanische Menschen, spärlich bewachsenes Land. „Hier wird sie Schamanin werden.“ Sagte der Dunkle Hüter zu mir. Ich wunderte mich – Afrika ist ein sterbender Kontinent – und die Zeit der Schamanen scheint mir vorüber zu sein. Der Dunkle Hüter erinnerte mich an Ebene, auf der ich das Mädchen kennengelernt hatte – ich sah die dunkle Sonne und die vielen Pflanzen wieder. „Warum, glaubst du, scheint diese Sonne hier so dunkel?“ fragte der Dunkle Hüter mich. „Weil die Wesen, die hierher kommen, nicht mehr Licht vertragen.“ Sagte ich sofort. „Sie haben noch nicht genügend Herzenswärme für soviel Sonne und Licht.“ Der Hüter war zufrieden mit dieser Antwort. „Sie wird dort Schamanin werden und Heilerin, “ sagte er, „weil sie an diesen Pflanzen hier gelernt hat. Es sind Heilpflanzen, einige giftig in falscher Menge.“ Da begriff ich, dass es hier nicht Nahrung gab im üblichen Sinn – keine dieser Pflanzen war einfach nur da zum Verzehr gedacht – es war dies auch eine Ebene, wo Heiler geboren wurden. Es war dies eine Ebene, wo sowohl Gefühle wieder lebendig gemacht wurden, also auch Heilereigenschaften geboren werden konnten. „Keine dieser Pflanzen hier gibt es auf der Erde“, erklärte der Dunkle Hüter mir, „aber sie wird am Flair mit ihrer eigenen Intuition die Qualität der Pflanzen erkennen und wozu sie gut sind. Sie wird eine grosse Heilerin werden.“

Die Frau:
Und dann fragte er mich „Willst Du noch sehen, was aus dem Mann und der Frau geworden ist, die Du auch gesehen hast?“ Ich erinnerte mich an beide. Der Dunkle Hüter hatte irgendwie übersehen, dass beide Gefühle hinzugewonnen hatten in einem Mass, dass er nicht erwartet hatte. „Ja“, beantwortete der Dunkle Hüter meine Gedanken, „wir haben sehr viel zu tun. Da habe ich tatsächlich etwas übersehen. Aber es war noch nicht zu spät.“ Und wieder guckten wir durch das Bullauge, das zuerst nur himmelblau erschien. Dann zeigte sich eine weite Wiesenebene, ich sah ein weisses Pferd und eine Frau, die sich eben mit diesem Pferd beschäftigte. Zuerst dachte ich, die Inkarnation, um die es ging, wäre diese Frau hier – aber es war das weisse Pferd. „Sie ist als Pferd wiedergeboren worden.“ – „Ist dies ein Abstieg?“ wollte ich wissen – aber der Dunkle Hüter hält nichts von Hierarchien oder „oben“ und „unten“. Es im wie es ist. Es ist was es ist. Das ist alles. Immer. „Sie wird als Pferd viel, sehr viel von der Menschenfrau lernen“ sagte er. Diese Menschenfrau scheint hervorragend mit Pferden umgehen zu können, so kam es mir vor. „Und sie wird lernen, sich anzuvertrauen. Das hat ihr noch gefehlt,“ sagte der Dunkle Hüter. bevor er mich sehen liess, was aus dem Mann geworden war, bzw. werden würde.

Der Mann:
Ich sah eine Schulklasse, eine ganz normale Schulklasse. Und ich sah ein Mädchen darin, etwa 7 oder 9 Jahre alt. „Sie wird missbraucht werden“, sagte der Dunkle Hüter. Ich erschrak, war entsetzt und sah mir das Mädchen genauer an. Sie hielt die Augen gesenkt, war verschlossen, in sich gekehrt. Vielleicht hatte sie schon erlebt, war der Hüter sagte. „Warum?!“ fragte ich „Damit er es nie wieder tut!“ sagte der Dunkle Hüter, die Lippen jetzt zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Der Dunkle Hüter kennt keine Gefühle. Er ist ein nüchterner, sachlicher Meister. Was immer der Mann getan hatte – es musste fruchtbar gewesen sein: Der Dunkle Hüter war zornig – und das ist er nicht leicht.



Dann stand ich wieder vor dem Stier. Und Yama und der Stier verschwanden. Und noch im Verschwinden dröhnte Yama mir zu: „Yama ist ein Tor! Es gibt viele Tore!“
Da verstand ich.
Es gab Yama, es gab und es gibt viele und vieles. Aber ab und zu sind sie auch Tore. Und es gibt viele Tore, Türen, Eingänge zu sehr vielen Welten. Und zwei Menschen, die durch dieselbe Tür, dasselbe Tor gehen, können unterschiedliche Ebenen, Dingen, Wesen dahinter begegnen.

Es liegt nicht nur am Tor, was dahinter liegt. Es liegt daran, was ich zu sehen erwarte, was ich mir wünsche, wer ich bin, welche Motivation ich habe – auf vieles kommt es an, sobald eine Energie, Jemand, Etwas ein Tor ist.