Dienstag, 17. November 1998, Seite 30 |
Bildung & Wissenschaft |
Ybbs - "... jene unglücklichen Kranken müssen sterben, weil sie nach dem Urteil eines Amtes oder einer Kommission lebensunwert geworden sind, weil sie durch Gutachten zu den unproduktiven Volksgenossen gehören. - Wenn zugegeben wird, daß Menschen das Recht haben, unproduktive Menschen zu töten, dann ist grundsätzlich der Mord an uns allen, wenn wir unproduktiv werden, freigegeben..." - In dieser Passage einer Radiorede, die Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster, 1940 gegen die Vernichtung behinderter Menschen im "Dritten Reich" hielt, machte er deutlich, welche Tragweite der Mord an Geisteskranken hat. Auch das Therapiezentrum Ybbs an der Donau war unter den Nazis Durchgangsstation und Ausführungsorgan für Euthanasie. In nur wenigen Monaten wurde die Patientenzahl von 1700 auf 300 "reduziert".
Die Maturaklasse der Handelsakademie Ybbs hat nun die Freigabe der Krankengeschichten zum Anlaß genommen, das Thema Euthanasie nach halbjähriger Recherchearbeit als fächerübergreifendes Projekt in einem Theaterstück aufzuarbeiten. In 22 Szenen zeichnen die Schüler anhand dreier authentischer Schicksale den dramatischen Weg von der Heilanstalt in die Selektionsanstalt nach.
Plus oder Minus
"Es stimmt schon sehr nachdenklich, wenn ein Plus, Minus oder Fragezeichen in der rechten unteren Ecke eines Formulares über Leben oder Tod entscheidet. Während der Arbeit wurde uns bewußt, daß es nicht immer selbstverständlich war, daß jedes Leben lebenswert ist", sagt der Schüler Peter Hofmann, der die Rolle des listenführenden Beamten und die von Hitlers Leibarzt Dr. Brand spielt.
"Nachdenklich" wurde auch Matthias Kienberger in seiner Rolle als Arzt, der einst seine Patienten fürsorglich betreute, letztlich aber ihre Deportation in eine der Todesanstalten - zynisch "Nicht näher bezeichnete Anstalt" genannt - veranlaßte.
"Wir wollen keine Schuldzuweisungen machen, sondern aufzeigen, daß die Mithelfer auch hätten Nein sagen können", sagt Deutschprofessor Hans Müller, der das Projekt initiierte, "bewußt machen, daß sich Menschen von der Eigendynamik mitreißen lassen, die entsteht, wenn Dämme brechen."
Die persönliche Konsequenz der Schüler: "Ausgrenzungstendenzen schon im Keim ersticken!" Das Theaterstück wird heute, Dienstag, um 19.30 Uhr in der Stadthalle Ybbs aufgeführt.