Der
doppelte Mozart
Es
dürfte eigentlich nichts schief gehen: Mozart als Musical-Held bringt
in seiner Lebensgeschichte alles mit, was einen
guten
Stoff ausmacht. Die bunte Aura des Wunderkinds, die Leidensfähigkeit
unter der Tyrannei des Vaters, die Mischung aus Zartheit und Derbheit in
Denken und Sprache, die Rebellion gegen Fürstenwillkür, die chaotischen
Lebensumstände, die Anmut des Charakters. Eienen Routinier der
Testfabrikation wie Michael Kunze, dem es an Mut gegenüber großen
Tieren und großen Themen von EVITA über den GLÖCKNER VON
NOTRE DAME bis hin zur Kaiserin Sisi (ELISABETH) nicht gefehlt hat musste
bezaubert sein von Stern und Irrlicht eines musikalischen Wunders. Das Werk,
das den Verantwortlichen für "Idee, Buch, Liedtexte" als Meister ehren
soll, ist sieben Jahre nach seinem Welterfolg ELISABETH, fertig geworden.
In Wien musst nicht erst nach einer geeigneten Spielstätte gesucht werden.
Im THEATER AND DER WIEN, einem gleichermaßen durch Beethoven und
Operettenseligkeit geadelten Haus, wurde am Wochenende
MOZART!
uraufgeführt, mit rauschendem Erfolg. Es beginntmit einer Ausgrabung
unter Anspielung auf Mozarts noch immer von Legendenverdüsterte Grablegung,
und es endet mit einer Verballhornung mit Hilfe von Mozartkugeln und
der Touristenkulisse von Salzburgs Getreidegasse. Die Angst der Anbeter
kassischer Musik ist gleichwohl grundlos. Bis auf ein Dutzend behutsam
eingespielte Orginalzitate bleibt das musikalische Werk unangetastet. Für
die Musik ist Sylvester Levay zuständig, gebürtiger Ungar und wie
Kunze ein hollywoodbewährter Hitlisten Spitzenreiter. Er begleitet Mozart
auf seinem Lebenslauf mit einem poppigen, rockigen Geräuschbrei,
gelegentlich aufgezuckert mit dem Stoff, aus dem die Schnulzen sind. Das
Team ist reihum rekordverdächtig. Auch Regisseur Harry Kupfer war schon
bei "Elisabeth" dabei und auch der Bühnenbildner Hans Schavernoch, ein
Vertreter der österreichischen Minderheit in der
Uraufführungsbesetzung. Die Regie lässt niemals Lnageweile aufkommen,
denn "irgendwo wird immer getanzt", wie Mozarts Constanze zu singen hat,
und Bewegung bleibt das Grundgesetz des Musicals. Sie wird intelligent, witzig
und pfiffig eingesetzt, auf Hochleistungsmaschinerie und vor barocken
Durchblicken in verschwenderischer Pracht.
Der arme Mozart freilich muss sich in Freizeit -Look und schäbiges
Olivengrün aus dem Army-Surplus-Laden kleiden. Er muss als
Kostüm-Einzelgänger durch 29 Szenen eilen, denn sonst könnte
womöglich jemand Kunzes Trick mit der Persönlichkeistsspaltung
missverstehen. Dem willensschwachen, ungezogenen, zügellosen Rabauken
Wolfgang Mozart mit dem goldenen Herzen und dem wirren blonden Haar steht
sein
eigener Genius namens Amadé zur Seite, eine von einem Kind gespielten
Porzellanpuppe, die, immerzu den Gänsekiel wetzend, für den Nachruhm
sorgt. Wie dieses edle Partnerwesen den Widerspruch in der Burst des Komponisten
erklärt wo wird die Mannheimer Familie Weber, die ihren Schwiegersohn
in krimineller Niedertracht ums Geld erleichtert, als Lumpengesindel
eingesetzt, um den Kontrast zu Fürstenhof zu illustrieren. Während
sich Kunze ansonsten werktreu an die Biographie hält, brucht er aus
dramaturgischen Gründen - als wäre die Mesalliance mit Constanze
nicht schon elend genug - das Gossenmilieu. Die peinliche Verwandschaft muss
in den Landfärerstand hinabgestoßen werden. Als der von Kunze
kurpfälzische Hof-Bassist Fridolin Weber als Schausteller seiner
Lastwagen-Schrott auf den Bühnen-Prater zu steuern hat, setzt die Steuerung
des Theatercomputers aus und sorgt für eine kleine Premierenkatastrophe.
Die Rache der Webers, die heutzutage sicherlich kleine Hacker
wären, könnten einen Virus in die Wiener Perfektion
eingwschmuggelt haben.
Es war das Einzige, das schiefging, außer der Handlung etwas manieriert
und die Musik nicht allzu einfallsreich ist. Aber das kann den Erfolg nicht
trüben; das Ausrufungszeichen im Titel "Mozart!" hätte man
sich sparen können. Das zweite Musical in deutscher Sprache und
aus Winer Lokalkolorist ist somit auf die Bretter gebracht, die für
den Kulurttourismus Geld bedeuten. Der Mann aus dem Armengrab ist der Stadt,
in der er nacheinander in 18 Wohnungen gelebt und komponiert hat, lustzt
nichts schulig
geblieben.