Im Garten

Story von Inge Koberski

für Martina

 

Für den Gärtner kam es einem Wunder gleich, daß Edosianische Orchideen in diesem Klima wuchsen, daß sie blühten hielt er für ein Zeichen. Die kühle, feuchte Witterung auf ch’Rihan war alles andere als geeignet für diese seltenen, empfindlichen und giftigen Pflanzen. Es bedeutete Herausforderung und Notwendigkeit zugleich, dieses Wunder der Natur in seinem Garten anzusiedeln. Ja, es war tasächlich s e i n Garten geworden, dieses kleine Stück Fremde, fern von Cardassia. Deshalb beugte er sich unermüdlich über die Pflanzen, um ihr Wachstum zu überprüfen, mögliche Schäden frühzeitig zu erkennen und zu beseitigen. Die Arbeit als Gärtner erfüllte Elim Garak auf unvorhergesehene Weise mit Stolz und Befriedigung: seinem Geschick und seinem Einfühlungsvermögen war dieser blühende Garten zu verdanken. Manchmal erschien es ihm, als könne er mit Blumen und Sträuchern kommunizieren, als teilten sie ihm ihre Bedürfnisse auf einer Ebene jenseits des Bewußtseins mit; seine Aufgabe war es, entsprechend zu reagieren. Er konzentrierte sich ganz auf die Arbeit, denn auf diese Weise konnte er sich - allein und unauffällig, wie es seine Art war - mental auf den auszuführenden Auftrag einstellen. Seine Tarnung war ebenso einfach wie vollkommen: Oberflächlich betrachtet war er ein Mann ohne Eigenschaften, er war in der Lage, ohne große Schwierigkeiten in jede vorgegebene Rolle zu schlüpfen, einen fremden Charakter wie einen neuen Mantel überzuziehen. Davon abgesehen entsprach er in einem weiteren Punkt dem Ideal eines Agenten des Obsidianischen Ordens: Er war ein glühender Patriot, skrupellos und ohne Interesse für politische Verwicklungen. Die Arbeit für den Geheimdienst kam vollkommen seiner Vorstellung von Macht sehr entgegen. Die Politiker waren bloße Marionetten, der Orden zog im Hintergrund die Fäden, die sie manipulierten, und bestimmte so die Zukunft Cardassias.

Ein Schatten fiel auf seine Hände. Geschickt verbarg Garak seine Verwirrung hinter eine Maske aus redseliger Ehrerbietung:

"Herr Prokonsul, es ist mir eine Ehre, Sie in meinem bescheidenen Garten begrüßen zu dürfen! Darf ich Ihnen einige Blüten für die Ausstattung des abendlichen Banketts vor schlagen? Wie wäre es mit..." Prokonsul Morok unterbrach ihn mit einer knappen Handbewegung. "Begleiten Sie mich ein wenig, zeigen Sie mir den Garten, er ist wirklich sehenswert."

Garak erhob sich eilfertig aus seiner gebückten Haltung und lief dienernd neben dem langbeinigen Romulaner her. Er überlegte fieberhaft, wie sich der Prokonsol unbemerkt hatte nähern können, so etwas konnte für einen Mann in seiner Situation fatale Folgen haben. Noch nie hatte er sich während eines Auftrags derart gehen lassen, noch nie war er so sehr in eine nur zur Tarnung ausgeübte Tätigkeit vertieft gewesen. Morok begann, ihn über seine Tätigkeit auszufragen:

"Wie lange arbeiten Sie schon in diesem Métier?"

"Welche cardassianischen Pflanzen gedeihen überhaupt auf romulanischem Boden?" "Sagen Sie, wie nennt man die leuchtend gelben Blüten dort drüben?"

Beinahe pausenlos reihten sich die Fragen des Prokonsuls aneinander, Garak hatte nicht den Eindruck, als lege der Romulaner Wert darauf, seine Antworten zu hören. Anscheinend hatte Morok etwas anderes im Sinn, denn auf einigen Umwegen näherte sich das ungleiche Paar schließlich dem Hauptgebäude der cardassianischen Botschaft. Von dort kamen ihnen schon einige romulanische Sicherheitsoffiziere entgegen, sichtlich besorgt über den Verbleib des Prokonsuls.

"Bitte, erübrigen Sie einige Minuten für mich", wandte sich dieser, betont höflich, an den vermeintlichen Gärtner. Garak bemühte sich, Unruhe und Mißtrauen zu verbergen und folgte den Wachen in das Gebäude.

Prokonsul Morok war an diesem Tag Gast der cardassianischen Delegation, man hatte ihm für die Dauer der anberaumten Verhandlungen einen Raum zur Verfügung gestellt, dessen luxuriöse Einrichtung dem strengen, arroganten Wesen seines Bewohners widersprach. Auch den großen Saal der Botschaft hatte man prachtvoll hergerichtet, denn für den Abend war zu Ehren des Prokonsuls ein festlicher Empfang vorgesehen. Und irgendwann, im Verlauf dieses Empfangs, würde Garak den Romulaner ermorden, doch davon wußten nur einige wenige Eingeweihte des Ordens.

Mit sichtlichem Unbehagen nahm Morok in einem der tiefen Sessel seines Ruheraumes Platz; eine einladende Handbewegung wies Garak die gegenüber liegende Sitzgelegenheit zu. "Lassen Sie uns zur Sache kommen", begann der Prokonsul, "meine Offiziere haben mir zu erhöhter Wachsamkeit geraten. Es gibt Gerüchte über die Anwesenheit des Obsidianischen Ordens auf ch’Rihan, vielleicht können Sie mir in diesem Punkt weiterhelfen."

Garaks Gesicht verzog sich zu einem Ausdruck ungläubigen Erstaunens: "Aber, Prokonsul, Sie glauben doch nicht....wie könnte ausgerechnet ich, ein einfacher Gärtner, nein, wirklich, ich kann Ihnen in dieser Angelegenheit überhaupt nicht dienlich sein."

"Nun, es ist hinlänglich bekannt, daß die Agenten des Ordens überall dort operieren, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden. Das ist auch hier und heute der Fall, deshalb liegt doch die Vermutung nahe...."

Elim Garak überlegte schnell, es durfte einfach keine undichte Stelle im Obsidianischen Orden geben, Morok und seine Leute wußten nichts Genaues, es war alles reine Spekulation. Gut zu wissen, daß die Romulaner besonders wachsam waren, um so umfassender mußte seine Vorbereitung, um so geschickter die Ausführung sein, und um so gründlicher mußte er nach dem Giftanschlag die Spuren verwischen.

Nun kam es darauf an, den Verdacht des Prokonsuls zu zerstreuen und ihn in Sicherheit zu wiegen: "Auch ein einfacher Gärtner beschäftigt sich hin und wieder mit hoher Politik", begann Garak, "bedeutet doch der erfolgreiche Abschluß dieser Verhandlungen einen weiteren Fortschritt in den Beziehungen zwischen Romulus und Cardassia." Innerlich schmunzelnd dachte er an seine Unterweisung in diplomatischer Redekunst: Es kam darauf an, mit möglichst großen Worten möglichst wenig und schon gar nichts Verpflichtendes zu sagen. "Beide Regierungen versprechen sich doch enorme Vorteile von der Ausweitung der Handelsbeziehungen, und...."

Abrupt brach Garak seinen Vortrag ab, er durfte es nicht übertreiben, es war schließlich tatsächlich nicht üblich, daß sich die Angestellten mit hohen Beamten über Politik unterhielten. Morok hatte versucht, die Mitglieder des romulanischen Senats davon zu überzeugen, daß der Einfluß des Obsidiansichen Ordens auf die cardassianische Politik unbedingt verringert werden müsse, sollten die guten Beziehungen zwischen Romulus und Cardassia Bestand haben.

Garak fühlte die Augen des Romulaners auf sich ruhen, hart und dunkel wie Basalt. Er zwang sich, dem Blick standzuhalten, als ihm schlagartig bewußt wurde, daß er es hier mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun hatte.

Er beeilte sich, die Spannung zu zerstreuen: "Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, es gibt noch viel zu tun für einen Gärtner wie mich." Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ihn die Doppeldeutigkeit dieser Aussage amüsiert, doch inzwischen war er in Gedanken schon zu sehr mit der Ausführung seines Plans beschäftigt und hatte keine Muße für rhetorische Spielereien. Mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete sich der vermeintliche Gärtner von einem sehr nachdenklichen Senator.

Auf dem Weg zu seinem Quartier im Nebengebäude ging er in Gedanken noch einmal den Zeitplan durch, es würde nichts schiefgehen, dazu war er einfach zu professionell. Das hochgiftige Destillat, gewonnen aus den Blüten der Edosianischen Orchidee, war längst vorbereitet und in ein winziges Glasröhrchen abgefüllt worden. Eine sehr kleine Dosis genügte, und das Opfer war unrettbar verloren, außer einem Herzversagen würden keinerlei Symptome feststellbar sein. Das Gift hinterließ keinerlei Spuren im Körper, das hatten Versuche mit gefangenen Romulanern bewiesen.

Garaks Quartier diente in erster Linie als Zugang zu einem geheimen Labor, welches durch eine spezielle Tarnvorrichtung mit kompliziertem Zugangscode geschützt war. Es war gar nicht so einfach gewesen, die Ausrüstung nach ch’Rihan zu schmuggeln, Garak hatte keine Ahnung, mit welcher Ausrede es dem Obsidianischen Orden schließlich gelungen war, derartig verdächtige Gerätschaften als diplomatisches Zubehör auszugeben.

In seiner Unterkunft angekommen tauschte Garak zunächst die braune Uniform des Gärtners gegen die weiße der Hausdiener, so daß er sich später als Bediensteter unauffällig zu den Gästen im großen Saal begeben konnte. Dann öffnete er den Zugang zum Labor, nahm die Phiole an sich und verbarg sie mit einem Magnetstreifen an seinem Handgelenk. Elim Garak arbeitete ruhig und zielstrebig, kein Zwinkern der klaren Augen, kein Zucken der Mundwinkel verriet seine innere Anspannung: unmerklich war aus dem naiven, redseligen Gärtner der routinierte, gnadenlose Mörder geworden.

Kurze Zeit später betrat er mit einem Tablett voller Gläser mit bernsteinfarbenem Kanar den großen Saal der cardasssianischen Botschaft. Die meisten der zahlreichen Gäste waren bereits eingetroffen, die festlichen Roben der Würdenträger und die glänzenden Galauniformen der Angehörigen des Militärs beider Völker spiegelten sich in den schweren Leuchtern und Reliefs aus tabalanischem Glas, hier und da bekundete eine hochgezogene Braue die Verachtung der Romulaner für diese in ihren Augen überladene Dekoration. Selbstverständlich hatte man die Türrahmen mit Scannern versehen, so daß niemand außer den Sicherheitskräften eine Waffe trug. Bezeichnenderweise kam es den Romulanern nicht in den Sinn, biologische Scanner einzusetzen, Gift als Waffe zu verwenden war derart unehrenhaft, daß man keinen Gedanken an diese Möglichkeit verschwendet hatte.

Verbindlich murmelnd schob sich Garak durch das Gedränge, bot Kanar an und suchte die Nähe des Prokonsuls. Dieser wurde von einigen cardassianischen Offiziellen umringt, die ihre bereits geleerten Gläser auf Garaks Tablett stellten und sich fleißig mit Nachschub bedienten. Erst als nur noch ein volles Glas übrig war, wandte sich Elim Garak zu Morok um und sah ihm direkt ins Gesicht: "Lassen Sie sich diese Spezialität nicht entgehen, Prokonsul", sagte er lächelnd, "sie ist einmalig im Universum!"

"Garak! Welch’ eine erstaunliche Verwandlung!" Der Prokonsul lehnte sich zurück, um den Bediensteten besser betrachten zu können.

Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte es in Garaks Augen auf, dann hatte er sich wieder in der Gewalt: "Ach, Sie meinen die Uniform...nun, das Personal der Botschaft ist knapp bemessen, da muß man flexibel sein. Oh, verzeihen Sie bitte, das ist mir sehr unangenehm!" Mit einer flinken Handbewegung hatte er eines der Gläser auf seinem Tablett umgestoßen, es aber im selben Moment wieder aufgefangen und an seinen Platz gestellt. Diese winzige Ablenkung genügte ihm: Das Gift befand sich nun im letzten gefüllten Glas.

Garak sah, wie der Prokonsul zögerte: "Kanar ist nicht gerade ein Fest für den romulanischen Gaumen, doch Ihnen zuliebe..." Morok nahm das Getränk an sich und leerte das Glas in einem Zug.

Elim Garak lächelte ihn strahlend an: "Sehen Sie, es war doch gar nicht so schlimm."

Kopfschüttelnd wandte sich der Prokonsul ab, um heimlich das Gesicht zu verziehen, doch schon im nächsten Augenblick war er in ein Gespräch mit dem cardassianischen Botschafter vertieft, und es schien, als habe er den Vorfall vergessen.

Später in der Nacht, wenn das Gift zu wirken begann, sollte er sich an Garaks lächelndes Gesicht erinnern.

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Bei Sonnenaufgang stand Elim Garak im Garten der cardassianischen Botschaft und genoß die Stille. Nach und nach verflüchtigten sich die Schatten der Nacht, nicht mehr lange und die Sonne ch’Rihans würde das Blumenmeer in goldenes Licht tauchen. Es war Zeit zu gehen, doch er konnte die Augen nicht von dem Schauspiel abwenden, daß sich ihm bot.

Er war ein Gefährte des Todes, und dennoch erhob er sich jeden Tag vor dem Morgengrauen, um an dem Wunder teilzuhaben, das geschah, wenn die Natur zu neuem Leben erwachte. Sanft berührte er die zarten Blüten der Edosianischen Orchideen, dann wandte er sich ab und begab sich zum Transporter; eine neue Aufgabe erwartete ihn, und auch diesmal würde er nicht zögern, sie zu erfüllen.