Geteilte Träume
Martina Bernsdorf
Die Handlung spielt im Anschluß an "Indiskretion"
I
Ein eisiger Wind pfiff über die Hügel, er trug Eiskristalle und aufgewirbelte Schneeflocken aus den Tannenzweigen mit sich. Kira Nerys legte den Kopf in den Nacken und musterte mit zusammengekniffenen Augen den Himmel. Dicke, graue Wolken türmten sich auf und bargen das Versprechen auf noch mehr Schnee.
Obwohl sich der Tag noch lange nicht dem Ende zuneigte, trug der Himmel bereits die Farben der Dämmerung. Kira schüttelte die Schneeflocken von ihren Schultern und zog den Tricorder aus ihrer Jackentasche.
Es war, als wolle die Anzeige sie verspotten, dieser Wald beherbergte eine Menge Leben, die Werte der Person herauszufiltern die sie suchte würde nicht gelingen.
Warum war sie hier? Sie versuchte eine Antwort darauf zu finden, während sie über die dünne, verharschte Schneedecke schritt. Ihre Stiefelsohlen knirschten, und der Widerstandskämpfer in ihr, der für immer ein Teil von ihr sein würde, verfluchte dieses Geräusch.
Sie wollte nicht, das man sie hörte, auch wenn die Zeiten vorbei waren, wo hinter jeder Ecke eine cardassianische Patrouille lauern konnte.
Doch Kälte und Einsamkeit erinnerten sie an die Zeit der Besatzung. Der Winter war immer ein Feind gewesen, ein Verräter durch die Fußspuren, die man im Schnee hinterließ, ein Mörder mit der Kälte und dem Hunger, der mit ihm ins Land zog.
Es war seltsam, daß diese Erinnerungen so deutlich in ihren Herzen brannten, gerade auf dieser Suche hätte sie nicht gedacht, sich an den Haß auf die Cardassianer so gut zu erinnern.
Einst hätte sie alles gegeben, um den Mann sterben zu sehen, den sie nun retten wollte. Sein Todesröcheln wäre Musik in ihren Ohren gewesen, sein Tod eine Befreiung.
Doch ihr Haß auf ihn war widerwillig Verachtung gewichen und dann mit Abschluß des Friedensvertrag war daraus Verständnis geworden und schließlich sogar Freundschaft.
Jedoch eine Freundschaft, die immer den Schatten des einstigen Hasses in sich barg. Wie eine wilde Blume, die ihre Dornen gut verbarg, bis man versuchte, sie zu pflücken.
Sie hatte sich eingeredet, daß es ihre Pflicht sei, Dukat zu suchen - aber war es das wirklich?
Es war für das bajoranische Militär ein peinliches Versagen, daß man den Gul mitten aus dem Festlichkeiten zum Jahrestag des Friedensvertrages zwischen Bajor und Cardassia entführt hatte. Sein Verschwinden konnte eine neue Krise auslösen, der Friedensvertrag war immer gefährdet.
Kira konnte das sehr gut verstehen, es gab viele Bajoraner, die mit dem Grauen der Besatzungszeit noch nicht gebrochen hatten. Sie selbst war lange Zeit nicht fähig gewesen, den Haß aus ihren Herzen zu bannen.
Aber dieser Friedensvertrag hatte Bajor viel gekostet, hatte sie persönlich viel gekostet! Für den Traum vom Frieden und dem gegenseitigen Verständnis war Bareil gestorben und für ihn wollte sie diesen Traum leben.
Da sie sich sehr gut in die Lage der Entführer versetzen konnte, hatten ihre Instinkte sie in diesen Wald geführt. Sie hätte sich auch den allgemeinen Suchtrupps anschließen können, aber sie bezweifelte das dieser Trupp Erfolg haben würde. Ihre Chancen lagen besser, wenn sie allein vorging.
Ein durchdringendes Heulen ließ sie erstarren, sie kannte diesen melancholisch wirkenden Laut. Die Dämmerung war nahe und die scheuen Bewohner dieses Waldes, erwachten.
Die Nachtwölfe waren schon immer einsame Wanderer gewesen, die meisten Bajoraner glaubten sogar, sie würden gar nicht existieren und verwiesen sie in das Reich der Legenden und Geschichten.
Kira wußte es besser, ihre Wege hatten sich mehr als einmal gekreuzt.
Der klagende Laut war ein Geräusch, das in ihrem Herzen weiter sang, es war wie ein Teil von ihr.
Sie legte ihre Hand auf das kalte Metall ihres Phasers, auch wenn sie vertraut mit den Nachtwölfen war, kannte sie genug Geschichten davon, wie sie achtlose Wanderer mit in die andere Welt nahmen.
Schattengänger zwischen den Welten des Lebens und des Todes oder reißende Bestien, mit denen man kleine Kinder erschreckte, es gab so viele unterschiedliche Legenden und Geschichten.
Kiras suchender Blick huschte über das Unterholz, dort wo die Dunkelheit den trüben Wintertag bereits vertrieben hatte. Fluoreszierende Augen, von der Farbe geschmolzenen Kupfers, starrten ihr entgegen.
So als sei ihr Blickkontakt ein Zeichen gewesen, bewegte sich der Nachtwolf und glitt geschmeidig aus dem Schutz der Bäume. Es war ein kapitaler Wolf, dessen schwarzer Pelz von einigen dunkelgrauen Arealen aufgehellt wurde. Der längere Streifen schneeweißen Pelzes, der den Rückenkamm des Wolfes säumte, ging in einen buschigen Schwanz über.
Kiras Hand war um das kalte Metall des Phasers geschlungen, aber es war ihr bewußt, daß wenn der Wolf sie jetzt angriff, sie unmöglich die Waffe schnell genug ziehen konnte, um ihn noch abzuwehren.
Sie starrte in die Augen des Raubtieres und erinnerte sich mit messerscharfer Klarheit an das Erlebnis vor Jahren, als sie das einmalige Geschenk erhalten hatte, die Empfindungen dieser Wölfe zu teilen.
Die daraus resultierende Einsicht, daß alles Leben auf Bajor eine Verbindung zueinander hatte, war oft der einzige Trost in den langen Jahren des Widerstandes gewesen.
Das Wissen um diese Bindung zu Bajor, zu allem Leben darauf und vielleicht sogar zu den unsichtbaren Welten, war etwas, das ihr kein Cardassianer hätte nehmen können.
Der Nachtwolf gab ein knurrte leise und zeigte seine schneeweißen Raubtierzähne.
Ein Krieger kann zum Opfer werden, selbst den Weg der Beute gehen....
Trotz dieser Worte, die ihre Erinnerung streiften und sie daran erinnerten, daß sie weit davon entfernt war, die Nachtwölfe zu verstehen, nahm sie die Hand vom Phaser. In den Tiefen dieser kupferfarbenen Augen glomm eine Intelligenz, die in ihrer Fremdartigkeit erschreckend wirkte.
Der Wolf wandte sich mit einer kraftvollen Bewegung ab und trottete ohne Eile in eine Richtung, ehe er stehenblieb und den mächtigen Schädel drehte, so als wolle er fragen, ob sie noch eine deutlicher Einladung benötigte um ihn zu folgen.
Kiras Beine setzten sich schon in Bewegung, noch ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte.
Sie folgte dem Nachtwolf, sich sicher, daß er sie an einen Ort
führen würde, der ihr auf die eine oder andere Weise vorbestimmt
war.
II
Welch eine Ironie", dachte Dukat und versuchte auf seinen Zehenspitzen zu balancieren, damit sein Gewicht nicht gänzlich an den Handgelenken hing.
Er hatte die ganzen Jahre der Besatzungszeit mit den Anschlägen der Terroristen gelebt und war nie verletzt worden. Nie hatte jemand dem Präfekten von Bajor und Kommandanten von Terok Nor ein Haar krümmen können.
Ein erneuter Schlag mit der dünnen, biegsamen Weidenrute ließ Dukat fast das Gleichgewicht verlieren, als der Schmerz wie eine Feuerzunge über seinen Rücken leckte.
Das Lachen und die Beifallsbekundungen der Bajoraner dröhnten in seinen Ohren. Er biß sich auf die Lippe, als ein erneuter Schlag seinen nackten Rücken traf.
Nie würde er Schwäche vor den Bajoranern zeigen, sollte ihnen ihr Lachen im Halse steckenbleiben. Sie würden es nicht erleben, daß er um Gnade flehte.
"Wie würde es wohl dem Zentralkommando gefallen, wenn wir den führenden Kopf, den sie als Repräsentanten zu den Feierlichkeiten des Friedensvertrages geschickt haben, zurücksenden?" In der Stimme des Bajoraners tropfte Hohn. "Natürlich nur seinen Kopf?"
Dukat drehte sich unter dem Gelächter der Bajoraner soweit es ging, trotzdem konnte er seinen Peiniger nicht sehen. "Mein Tod würde das Ende des Friedens bedeuten, aber nur zu, kleiner Terrorist - ich bin sicher deine Todesqualen werden viel länger andauern als meine, und mit dir wird auch deine Welt sterben!" Dukats Stimme klang kraftvoll, und er war stolz darauf, daß kein Schmerz und kein Zittern in ihr klang.
Das Gelächter der Terroristen verklang, da sich nun Furcht in ihr Denken schlich. Dukat hoffte, daß sie nie erfuhren, daß es viele auf Cardassia gab, die sein Ableben überaus begrüßen würden. Seine Machtposition hatte gelitten, seine Frau, die immer ihren nicht unbeträchtlichen Einfluß für sein politisches Weiterkommen eingesetzt hätte, verzieh ihm nicht, daß er mit einem Bastard, zudem einer halben Bajoranerin zu ihr zurückgekehrt war.
Das Zentralkommando hatte nichts dagegen gehabt, daß sich die Soldaten während der Besatzungszeit mit bajoranischen Frauen vergnügten.
Doch die ungeschriebenen Gesetze seines Volkes hätten von ihm verlangt, das Kind, das er mit einer Bajoranerin hatte zu töten, anstatt Ziyal in seine Familie aufzunehmen.
Er war damit für viele ehemalige Kampfgefährten zum Verräter geworden, sein Tod wäre kein Kriegsgrund, aber das mußten die Mitglieder des Kreis nicht wissen.
Es war bedauerlich, er war bereit gewesen, den Frieden zu leben und
jetzt sollte er wohl für die Wunden, die die Besatzungszeit geschlagen
hatten sterben, ohne Sinn- und ohne daß diese Rache ein einziges
Leben zurückbrachte.
* * * * *
Der Wind riß ihren Atem in kleinen, weißen Wölkchen von ihren Lippen. Kira war dem Nachtwolf gefolgt, getrieben von einem Vertrauen, das sie nicht bestimmen konnte.
Sie fühlte einfach, daß der Wolf ihr geschickt worden war, von dem mysteriösen Vedek, der die Wölfe begleitete, oder gar von den Propheten selbst.
Das dunkle Fell des Nachtwolfes hob sich kaum noch vom Zwielicht der hereinbrechenden Nacht ab. Einzig der weiße Fellstreifen leuchtete noch auf und erinnerte Kira an den fahlen Schein des Mondes.
Sie blickte auf, der Himmel war von dichten Wolken verhangen, der Mond würde heute Nacht nicht sein mattes Licht schenken. Im Dunkel konnte sie niemanden finden, und wenn sie sich verirrte oder gar in der eisigen Nacht erfror, wäre damit niemanden geholfen.
Kira kämpfte mit sich, ob sie ihren Instinkten folgen sollte, die sie dem Wolf hinterhertrieben, oder ob sie auf ihren Verstand hören sollte, der ihr eindringlich riet, die Suche nach Dukat auf den nächsten Tag zu verschieben.
Wenn sie sich beeilte, würde sie ihr Shuttle noch erreichen, ehe die Nacht vollends hereinbrach.
Der Wolf legte den Kopf in den Nacken und heulte, ehe er seinen langsamen Trott beschleunigte und im Unterholz verschwand.
Kira verharrte an der Stelle, wo der Wolf eben noch gestanden hatte. In der dünnen Schneeschicht waren deutlich Fußspuren zu sehen, neben den Pfotenabdrücken des Nachtwolfes.
Kira folgte der Wolfsspur mit den Augen, die sich aber noch einigen Metern verlor. Es war, als habe der Wald den Wolf verschluckt.
Sie ging in die Hocke und betrachtete die Abdrücke im Schnee, sie
führten deutlich sichtbar weiter über den sanft geschwungenen
Hügel.
* * * * * *
Was machen wir mit dem Kerl?" Der Reiz, einen Cardassianer zu schlagen, hatte sich schnell abgenützt, nachdem er so wenig Reaktion darauf gezeigt hatte.
Es waren Mitglieder des Kreis, einer radikalen Splittergruppe von Bajoranern, die sich aus all jenen zusammensetzten, die sich mit der neuen Situation nicht arrangieren konnten.
Die Ausgestoßenen, diejenigen, die den Krieg zu lange im Herzen getragen hatten, die nicht aufhören konnten zu hassen.
Hinter Dukats Entführung steckte kein ausgeklügelter Plan, nur der Wunsch, einen Cardassianer für all das zu bestrafen. Jemanden, den man all die Jahre gehaßt hatte, dessen Tod zu lange Bestandteil ihrer Träume gewesen war.
"Töten wir ihn und verscharren seine Leiche." Die Stimme des Bajoraners trieb einen eisigen Schauder über Dukats Rücken. Die Kälte zeigte langsam ihre Wirkung, sein nackter Oberkörper fühlte sich taub an, aber die Kälte in der Stimme des Bajoraners ließ ihn noch mehr erstarren.
Mit diesen Leuten würde man nicht verhandeln können, sie hatten
keine Pläne und Ziele, es sei denn, man sah in Dukats Tod ein Ziel.
* * * * *
Die Mauern waren unter der Last der Jahre zerfallen, der Wald hatte begonnen, dieses Land, das ihm einst abgetrotzt worden war, zurückzufordern. Zähes Buschwerk hatte seine Wurzeln über die Steine geschlungen, Moos und Flechten zogen sich über das, was von diesem Ort übrig geblieben war.
Einst mußte es ein mächtiges Gebäude gewesen sein, nun gab es nur noch die Spuren von Mauerwerk und einigen Dachbalken, die wie anklagende, rauchgeschwärzte Finger in den Himmel deuteten.
Kira schlich, in den Schatten der Dämmerung gehüllt, näher, ihre Hand lag auf dem Phaser.
Sie erklomm geschickt die rutschigen Mauerreste, von einer erhöhten Position aus würde sie einen Vorteil haben. Sie konnte nun einen Blick in den einstigen Innenhof werfen.
Dort unten brannte ein Lagerfeuer, neben dem zwei Bajoraner kauerten, um sich zu wärmen, die restlichen drei standen in einem Halbkreis um ihr Opfer.
Sie hatten einen Strick über einen noch vorhandenen Dachbalken geworfen und Dukat an den Armen hochgezogen. Selbst bei diesen schlechten Lichtverhältnissen konnte man die blutigen Striemen auf seinem Rücken erkennen.
Kira biß die Zähne zusammen, in ihrem Herzen brannte ein stummer Zwiespalt der Gefühle.
Ein Teil von ihr wollte alles tun, um Dukat zu retten, selbst wenn es bedeutete, gegen ihr eigenes Volk zu kämpfen. Ein anderer Teil von ihr, tiefer verborgen und weit zurückgedrängt, fragte sich, ob sie das Recht hatte einzugreifen.
Jeder dieser Bajoraner hatte sicherlich mannigfaltige Gründe, die Cardassianer zu hassen, vielleicht sogar diesen speziellen Mann.
Als Präfekt von Bajor hatte Dukat eine Menge Schuld auf seine Schultern geladen.
An ihre Ohren drang das melancholische Heulen der Nachtwölfe, so
als forderten sie von Kira, sich endlich zu entscheiden.
III
Dukat glaubte nicht an irgendwelche Götter. Der Glaube der Bajoraner war für ihn als junger Offizier ein Ziel seines Spottes gewesen, als Gul hatte er gelernt, diesen Glauben zu fürchten - schöpften die Bajoraner doch eine Kraft aus ihm, die sie zu unglaublichen Taten trieb. Weit über alle Vernunft hinaus, über jede Wahrscheinlichkeit.
Doch hilflos von diesem Balken hängend, wünschte Dukat, er hätte nur einen Bruchteil dieses Glaubens.
Er hatte erlebt, wie die vermeintlich Schwachen eine Stärke aus dem Glauben gezogen hatten, den sogar er respektieren und still bewundern mußte.
Die Terroristen waren still geworden, man schnitt seine Fesseln ab und begnügte sich damit, seine Hände zusammenzubinden. Dukat saß in einer Ecke des zerfallenen Hauses, dort wo die Mauer ein wenig Schutz vor der Kälte bot.
Die Gesichter der Bajoraner waren nur verschwommene Schatten in der Dämmerung, einzig die Augen jedes einzelnen schienen in einem inneren Feuer zu glühen.
Seine Augen hafteten an dem Phaser, der auf ihn gerichtet war. Was für einen Sinn würde sein Tod haben? Er war immer bereit gewesen, für Cardassia sein Leben zu geben, doch nicht auf diese Weise.
Sein Blick richtete sich auf die gegenüberliegende Mauer, und sein Herz setzte einen einzigen, schmerzhaften Schlag lang aus, als er die Gestalt auf der Mauer sitzen sah.
Es war nur ein dunkler Schatten auf der Mauer, aber er schien Dukat seltsam vertraut zu sein. Konnte er sich erlauben zu hoffen? Etwas in seinem Gesicht mußte ihn verraten haben, denn der Bajoraner mit der Waffe wirbelte herum.
Ein Phaserstrahl zuckte von der erhöhten Mauer und traf den Bajoraner in die Brust. Er wurde zu Boden geschleudert und blieb leblos liegen, aber seine Brust hob und senkte sich noch.
"Ich würde vorschlagen, daß jeder seine Hände dort läßt, wo ich sie sehen kann!" Diese vertraut melodische Stimme zauberte ein Lächeln auf Dukats Lippen.
"Und ich schlage vor, Sie lassen Ihre Waffe fallen, Major." Ein weiterer Schatten löste sich von dem Mauerwerk das ihn so gut verborgen gehalten hatte.
Kira verfluchte sich selbst, der Mann, der in dieser abgelegenen Ecke gekauert hatte - bislang nur ein Beobachter der Vorgänge - war ihr bekannt.
Seine Stimme hätte sie überall erkannt und sie mußte nicht in seine Richtung blicken, um zu wissen, daß sein Phaser auf sie gerichtet war.
"Jaro," Kira senkte die Waffe nicht. Der Mann lächelte, aber es war nur das Heben seiner Mundwinkel.
"Wie schön, daß Sie sich an mich erinnern, Major Kira. Ich habe Sie auch nicht vergessen."
Kira konnte sich lebhaft vorstellen, das Jaro oft an sie dachte, an die Person, die ihm seinen Ruhm genommen hatte, seine Träume von einem unabhängigen Bajor ohne Fremdeinflüße, und nicht zuletzt hatte ihn sein Putschversuch um sein Ministeramt gebracht.
"Lassen Sie die Waffe fallen." Seine Stimme war fast sanft. "Jetzt!"
Kira schüttelte kaum merklich den Kopf. "Ich könnte Ihre Leute töten, noch ehe sie die Chance haben, mich unschädlich zu machen!" Jaro lachte leise, aber es war ein kaltes Geräusch ohne eine Spur von Humor.
"Major, enttäuschen Sie mich nicht, Sie wissen, daß mir nicht ein Leben dort unten etwas bedeutet. Zumal ich ernsthaft bezweifle, daß Sie auf Bajoraner schießen können."
Kira wußte, Jaro log nicht, er war ein Fanatiker, seine Leute waren ihm egal. Um seine Ziele zu erreichen, würde er jeden einzelnen opfern, ohne darüber nachzudenken.
Kira wußte es so genau, weil sie selbst einmal diesen Weg beschritten hatte. Es hatte Zeiten in ihren Leben gegeben, in denen sie für Rache alles geopfert hätte.
Es war kein einfacher Kampf, den sie in ihren Inneren ausfocht, bis
sich ihre Finger öffneten, um die Waffe fallenzulassen.
* * * * *
Die Fackeln, die in der Erde steckten, erhellten den Ort und gaben ihm zusätzlich etwas unwirkliches. Die flackernden Schatten schienen eher Schemen eines Alptraums zu sein als Phänomene der Realität.
"Ich wünschte, wir hätten uns unter glücklicheren Umständen wiedergesehen, Major." Dukat konnte sich die Ironie in seinen Worten nicht verkneifen.
Kira beachtete ihn gar nicht, ihr Blick war auf Jaro gerichtet. Der ehemalige Minister war dünner und wirkte um Jahre älter als bei ihren letzen Zusammentreffen.
Der Haß hatte sich in seine Züge gefressen, in seinen Augen leuchtete ein unheilverkündendes Feuer.
"Noch ist nichts geschehen, das nicht vergessen werden könnte." Kira blickte von einem Gesicht zum anderen, doch überall las sie Ablehnung. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit schließlich allein auf Jaro.
"Sie sollten Gul Dukat und mich einfach gehen lassen."
Jaro fletschte die Zähen. "Niemals!"
"Welchen Sinn würde es machen, ihn zu töten, Jaro?" Kira drehte leicht die Hände, in einer Geste, die diese Sinnlosigkeit unterstrich.
"Sie leben schon wie eine Ratte! Versteckt in den Wäldern, ausgestoßen, was glauben Sie, wird geschehen, wenn Sie Dukat umbringen? Dann würden Cardassianer und Bajoraner Sie zusammen jagen!"
Der Anführer des Kreis schüttelte den Kopf. "Sie waren einst ein Widerstandskämpfer, Major! Was sind Sie jetzt? Eine Marionette der Sternenflotte und schlimmer noch, jemand, der uns an die Cardassianer verrät!"
Kira wußte, daß es sinnlos war, mit einen Fanatiker zu diskutieren, dennoch konnte sie diesen Vorwurf nicht auf sich beruhen lassen.
"Nein, Sie sind der Verräter, und das an Ihrem eigenen Volk, Jaro! Wir haben Frieden mit Cardassia geschlossen."
Der ältere Mann spuckte verächtlich aus. "Ich habe diesen Frieden nie akzeptiert, und ich werde nie vergessen, was die Cardassianer Bajor angetan haben."
Kira fixierte ihn mit einem Blick, dem sich nicht einmal dieser Mann entziehen konnte.
"Ebensowenig wie ich die Jahre im Untergrund vergessen werde, die Greuel, die ich mit eigenen Augen gesehen habe! Nie werde ich vergessen - aber unser Volk hat nur eine Zukunft, wenn wir lernen zu vergeben."
Jaro lachte hart. "Sie waren zu lange mit diesem Vedek zusammen, der den ersten Schritt zum Verrat getan hat. Denn nichts anderes als Verrat ist dieser Friedensvertrag."
In Kiras Augen glomm ein wütendes Feuer auf, wie konnte dieser Mann es wagen, Bareils Traum als Verrat zu bezeichnen? Sie ballte die Fäuste in einer stummen und trotzigen Geste.
Jaro lächelte wieder. "Sie sind im Grunde Ihres Herzens rachsüchtig und voller Haß, selbst wenn Sie es von sich weisen wollen. Wir werden sehen, wie weit Ihre Loyalität gegenüber diesem cardassianischen Abschaum geht."
Seine Faust traf Kira unvorbereitet am Kinn und ließ sie einen Schritt zurücktaumeln. Unwillkürlich ging sie in Verteidigungstellung, suchte mit einem Bein nach einem festen Stand und wartete auf den nächsten Schlag.
"Ein einziger Schlag gegen mich, Major, ein einziges Ausweichen, und mein Freund hier erschießt den Cardassianer." Jaro deutete auf den Mann, der seinen Phaser Dukat gegen die Stirn hielt.
Kira ließ ihre Zungenspitze über ihre Lippe gleiten, sie schmeckte Blut. Jaro wollte also ein Spiel. Daß er sich mit seinem Verhalten nicht die Spur von den Cardassianern unterschied, die er so sehr haßte, war eine Ironie, die ihm wohl nie bewußt werden würde.
Sie gab ihre Verteidigungshaltung auf und stellte sich mit gesenkten Fäusten vor Jaro, ihr Kinn in einer trotzigen, herausfordernden Geste nach vorne gereckt.
Jaros Faust traf sie erneut und Kira wich keinen Zentimeter aus, sie fand sich mit dröhnendem Schädel auf dem Boden wieder. Ihre Hand wischte das Blut von ihren Lippen, ehe sie wieder aufstand und Jaro den selben Trotz bot.
Dukat ballte die Fäuste und spannte die Muskeln, aber das Seil, mit dem seine Hände gefesselt waren, blieb unerbittlich straff. Er beobachtete das grausame Spiel und fragte sich, warum Kira dies alles ertrug.
Ihr mußte doch bewußt sein, das er ohnehin ein toter Mann war. Warum steckte sie Schlag um Schlag ein?
So stur wie sie war, blieb sie nicht einmal auf dem Boden liegen, sondern kämpfte sich immer wieder auf die Beine.
"Bringen Sie den Mistkerl endlich um, Kira! Der Kreis wird mich ohnehin töten."
Kira blickte in Dukats hellblaue Augen, darin war keinerlei Furcht zu lesen, sondern Stolz, und es war erstaunlich, daß er offensichtlich auf sie stolz war.
"Halten Sie die Klappe, Dukat. Ihre Worte sind nicht sonderlich hilfreich."
Ihre Aufmerksamkeit wurde wieder von Jaro beansprucht, dessen Augen sich im Haß, der auch ihr galt, verdunkelten.
Diesmal war der Schlag so hart, daß Kiras Bewußtsein sich von diesem Ort verabschiedete, noch ehe ihr Körper ganz zu Boden gestürzt war.
Jaro blickte haßerfüllt auf die Bajoranerin herab, er holte mit dem Bein aus, um die bewußtlose Frau zu treten, aber einer seiner Leute zog ihm am Arm zurück.
"Es reicht," erklärte er schroff, von Kiras Haltung beeindruckt. Jaro funkelte den Mann an, ehe er sich freiriß.
"Sieht so Ihre Zukunft für Bajor aus, Jaro?" Dukat klang sanft und fast ein wenig traurig. "Ist das Ihr Utopia? Wo Bajoraner gegeneinander kämpfen? Wo Bajoraner einander foltern?"
Der Tritt, den Jaro Kira zugedacht hatte, traf nun den Gul, aber er
nahm ihn gerne auf sich.
IV
Dukat zog die bewußtlose Bajoranerin zu sich heran, sich des Blickes, den ihm der Wachposten dabei zuwarf, nur zu bewußt. Ihm war vollkommen egal, was dieser Mann dachte.
Er lehnte sich gegen die Mauer, die Kälte tat seinem geschundenen Rücken gut, er zog Kira in eine halb sitzende Position, so daß er ihren Oberkörper in seinen Armen halten konnten, soweit dies seine Handfessel zuließ, und ihr Kopf an seiner Brust ruhte.
Der ironische Gedanke blitzte ihn ihm auf, daß sie im wachen Zustand dies nie zugelassen hatte, oder er diese Annäherung mit dem Verlust einigen seiner Zähne bezahlt hätte.
Aber er wollte diese Frau nicht einfach auf dem Boden liegen lassen. Warum hatte sie das getan? Sie hätte Jaro umbringen sollen, anstatt Rücksicht auf sein Leben zu nehmen.
Er wischte sanft das Blut von ihren Lippen und ließ seine Finger über ihre Wange gleiten. So weich.... Warum waren die Bajoraner äußerlich so verletzlich?
Er hatte es immer als Schwäche angesehen, als genetischen Defekt, seine Schuppen und harten Knorpelplatten schützten seinen Körper viel besser.
In seinem jugendlichen Stolz hatte er gedacht, allein die körperliche Überlegenheit wäre ein Zeichen dafür, daß Cardassianer dazu geschaffen waren, andere Rassen zu beherrschen.
Erst als er Tora Naprem kennengelernt hatte, war dieser Stolz verschwunden und hatte einem anderen Gefühl Platz gemacht. Der Verwunderung über die Stärke, die in den Seelen dieser Bajoraner wohnte.
Naprem, Dukat blickte zum Himmel auf, die dicken Wolken hatten sich verzogen und der Mond spendete ein wenig Licht. Es war die Ironie seines Lebens, daß er gerade jemanden einer Rasse, die sein Feind war, mehr als sein Leben geliebt hatte.
Seine Finger wanderten durch Kiras Haar, er hatte schon immer wissen wollen, ob es sich ebenso anfühlte wie das Naprems, das fast dieselbe Farbe gehabt hatte.
Das Heulen der Wölfe, das bedrohlich nahe klang, riß ihn aus diesen Gedanken an seine verlorene Liebe. Wie als Antwort auf das klagende Geräusch, bewegte sich Kira, ohne jedoch aus den Tiefen ihrer Bewußtlosigkeit aufzutauchen.
Doch ihre Augen bewegten sich unter den Lidern, ein Zucken durchlief ihr Gesicht. Es war, als würde sie selbst im Unterbewußtsein ständig einen Kampf ausfechten.
Dukat wiegte sie in seinen Armen, sich nicht sicher, ob er damit die Dämonen, mit denen sie rang, vertreiben konnte, doch diese Bewegung war tröstlich, nicht nur für Kira.
Die Welt leuchtete in allen Farben des Spektrums, jede Pflanze, jeder Busch, selbst der Boden glühte in den verschiedensten Auren.
Jedes Leben, jeder Teil von Bajor war mit filigranen Lichtgespinsten verbunden, alles war ein einziges großes Webmuster des Lebens, und auch der Tod hatte seinen festen Platz darin.
Sie teilte die Gemeinschaft der anderen Nachtwölfe, die sich auf einer Ebene miteinander verständigten, die weit über das hinausging was Humanoide verstehen konnten.
Das Rudel zog seinen Kreis enger um diesen halbverfallenen Ort. Geschmeidige, kraftvolle Muskeln spannten sich, als sie auf die Mauer sprang.
Die Bajoraner waren ein Teil des Netzwerkes, ein Teil dieses Planeten.
Sie hatten den Weg des Krieges gewählt, und damit konnten sie auch zu Opfern werden, selbst zur Beute.
Der Tod war fester Bestandteil des Gewebes, aus dem alles gesponnen war.
Der Tod war nur eine andere Ebene, und die Nachtwölfe waren Wanderer zwischen diesen Welten.
Kira schlug die Augen auf, als die Schreie begannen.
Dukat zuckte zusammen, gemeinsam lauschten sie dem Knurren und Heulen der Wölfe und den Angst- und Schmerzensschreien dazwischen. Der Wachposten rannte um die Mauerecke, die ihn von seinen Gefährten trennte.
Phaseremissionen zischten und übertönten nur kurz die Laute der Wölfe. Kira befreite sich aus Dukats Armen und kämpfte sich auf die Beine.
"Wir sollten eine Waffe suchen," Dukats flüsterte, er wußte nicht was die Wölfe anlocken konnte, aber er wollte nicht, daß es seine Stimme war.
Kira hörte gar nicht auf ihn, sie lauschte mit leicht geneigten Kopf. "Bleiben Sie hier, Dukat."
Der Cardassianer hob einen geschuppten Augenwulst. "Sind Sie von allen guten Geistern verlassen, Kira?", zischte er leise, aber bestimmt.
"Die Nachtwölfe werden mir nichts tun." Kira fragte sich, woher sie diese Gewißheit nahm.
Dukat schnaubte verächtlich. "Es sind Wölfe, ich glaube kaum, daß sie zwischen Freund und Feind unterscheiden."
Er hob die Hände ehe sie einen Einwand hervorbringen konnte. "Kommen Sie mir nicht mit den Legenden und Geschichten über die Nachtwölfe, ich kenne diese abergläubischen Märchen alle. Ich würde ungern Captain Sisko erklären wollen, daß sein erster Offizier freiwillig in den Rachen eines Nachtwolfes gewandert ist."
Kira schüttelte den Kopf und nagelte Dukat mit ihren Blick fest. In ihren nachtschwarzen Augen glühte ein wildes Feuer, das Dukat fragen ließ, ob er sich nicht täuschte. Vielleicht wußte sie sehr genau, was sie tat.
"Es sind Legenden und Geschichten meines Volkes, Dukat." So als
würde dies alles erklären, ging sie weiter und verschwand hinter
der Mauerecke, und vielleicht erklärten ihre Worte wirklich alles.
* * * * *
Die toten Bajoraner am Boden, in ihrem Blut, welches im Licht des Mondes fast schwarz wirkte, waren Seltsamerweise nicht erschreckend.
Es war, als sei dies der vorbestimmte Weg dieser Leute gewesen, und vielleicht traf dies sogar zu.
Nachtwölfe strichen wie lebendig gewordene Schatten durch die Ruinenlandschaft.
Jaro lag auf dem Rücken, ein kapitaler Wolf mit dunkelgrauem Pelz hatte seine Vorderpfoten auf seiner Brust liegen, bei jeder Bewegung des Mannes öffnete er die Lefzen und gab ein tiefes Grollen von sich.
Der Anblick der langen Reißzähne ließ Jaro die Augen schließen, er wollte diesem Tod nicht in die Augen blicken.
Kira schritt mit traumwandlerisch anmutender Sicherheit zwischen den Nachtwölfen hindurch.
Die hünenhafte Gestalt des Vedeks, der sich nun ein wenig aus den Schatten löste, mit denen er verknüpft zu sein schien, überraschte sie nicht.
Sein Gesicht lag im Dunkel, und hin und wieder hatte Kira den Eindruck, das Mondlicht durch ihn hindurchscheinen zu sehen.
"Es ist viel Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal begegnet sind, Vedek."
Das Lächeln des Vedeks war mehr zu fühlen, als wirklich zu sehen. "Zeit ist auf meiner Wanderschaft unbedeutend, mein Kind. Ich bin ein Wanderer zwischen den Welten von Leben und Tod, der Wirklichkeit und des Traumes, der Zukunft und der Vergangenheit."
Der Vedek trat näher und blickte voll Mitleid auf Jaro hinab, der zitternd unter dem Wolf lag, unfähig, sich zu befreien.
"Was soll mit ihm geschehen?" Die Frage des Vedeks war sanft, aber verlangte bestimmend nach einer Antwort.
Kiras Zungenspitze fuhr über die aufgeschlagene Stelle an ihrem Mund. Sie erinnerte sich an den Haß in seinen Augen, als er sie geschlagen hatte.
Er würde nie den Weg des Hasses verlassen, und sie hatte gelernt daß man Feinde töteten mußte, wenn man die Möglichkeit dazu hatte. Eine bittere Lehre, aus bitteren Zeiten.
"Laßt ihn gehen!" Kira war selbst ein wenig überrascht über ihre Worte. Sie fragte sich, aus welchem Winkel ihrer Seele sie gekommen waren.
"Du läßt einen Feind am Leben?" Der Vedek klang nicht erstaunt, sondern sanft spöttisch.
"Tote können nichts mehr lernen, Vedek."
Diesmal war sein Lächeln ein Aufblitzen in der Dunkelheit. "Das ist ein weitverbreiteter Irrtum, mein Kind. Doch es ist besser, wenn man die Chance nützt, auf der Ebene der Lebenden zu lernen."
Der Nachtwolf, der auf Jaro gekauert hatte, trat mit einer lautlosen, geschmeidigen Bewegung zur Seite. Der ehemalige Minister blinzelte ungläubig, ehe er stolpernd auf die Füße kam und das Weite suchte.
"Er wird den Haß nie besiegen." Kiras Stimme klang endgültig. Der Vedek zog die Schatten um sich wie einen Mantel. "Vielleicht habe ich dasselbe einst von dir gedacht, mein Kind?"
Kira starrte den mysteriösen Vedek an. Was war er, ein Geist, eine Spiegelung der Propheten oder ein Wesen aus Fleisch und Blut?
"Von allem ein wenig, mein Kind." Die Antwort auf ihren Gedanken ließ Kira erschauern.
"Werden wir von diesem Ort verlassen können ohne angegriffen zu werden, Vedek?"
"Diese Mauern bieten Schutz vor der Kälte der Nacht und mehr, ihr solltet den Tag abwarten."
Kira hatte den Eindruck, daß es ratsam war, diesem Vorschlag zu folgen.
Der Vedek zog sich in die Schatten zurück oder wurde vielleicht sogar ein Teil von ihnen.
Du hast viel gelernt, mein Kind, nun mußt du nur noch lernen, den Feind zu lieben...
"Jaro fliehen zu lassen war ein Fehler, Major." Dukats Stimme riß Kira aus den Gedanken, sie wandte sich zu dem Cardassianer um, der mit dem Rücken an einer Mauer stand und mit einem Holzknüppel in den Händen mißtrauisch die Wölfe beäugte.
Irgendwie hatte er sich seiner Handfesseln entledigt und etwas gefunden, das wenigstens die Illusion einer Waffe bot. Warum war er ihr gefolgt? Hätte er sie womöglich mit diesen Knüppel verteidigen wollen, falls die Nachtwölfe angegriffen hätten?
"Es war meine Entscheidung, Dukat." Der Cardassianer nickte und warf einen besorgten Blick auf die Leichen.
"Sollten wir nicht von hier verschwinden?" Kira schüttelte den Kopf und trat näher zu Dukat.
Der Cardassianer hob einen geschuppten Augenwulst. "Wer war der Vedek? Und habe ich wirklich durch ihn hindurchsehen können?"
Kira faßte Dukat am Ellenbogen und zog ihn mit sich in Richtung der geschütztesten Ecke der Ruine. "Ich glaube nicht, daß Sie das wirklich wissen wollen, Dukat."
Der Gul zuckte mit seinen Schultern, und ein kurzer Schmerz erinnerte
ihm unangenehm an die Striemen auf seinen Rücken. "Ich fürchte,
ich habe soeben mehr über bajoranischen Aberglauben gelernt,
als ich je wissen wollte!"
V
Dukat stieß einen weiteren Ast in die Glut des Lagerfeuers und beobachtete die Funken, die wie kleine Kometen aufflammten. Die Farbe der Glut glich Naprems Haar, wenn die Sonne darauf schien und es aufleuchten ließ.
Er hatte eine Decke gefunden und um seine Schultern geschlungen. Seine Uniformjacke war nicht mehr auffindbar, er war schon dankbar, daß die Mitglieder des Kreis ihm Stiefel und Hosen gelassen hatten.
Er blickte zu Kira, die gedankenverloren etwas abseits des Feuers stand, für seinen Geschmack viel zu nahe an einem Nachtwolf, der träge auf dem Boden lag.
Dukat ließ seine Augen über die Ruine wandern, überall konnte er die fluoreszierenden Augen der Raubtiere ausmachen, was ihm einen Schauder über den Rücken trieb.
Kira ging in die Hocke und streckte die Hand nach dem Nachtwolf aus. "Major." Dukats Stimme drückte seine Sorge deutlich aus. Doch sie ignorierte ihn, ihre Hand fuhr über den Rückenkamm des Tieres.
Der Pelz war dort länger und rauher, der Wolf gab ein Schnauben von sich, von dem Kira hoffte, daß er Behaglichkeit entsprach und nicht Überdruß.
Schattengänger, Wanderer zwischen den Welten, sie fragte sich, ob in dieser anderen Welt Bareil vielleicht denselben Wolf über das Fell gestrichen hatte.
Der Nachtwolf trottete weiter, um sich zu den anderen des Rudels zu gesellen und Kira stand allein im Dunkel und schlang die Arme um sich. Dukat trat hinter sie und wickelte sie mit in seine Decke ein.
"Woran denken Sie, Nerys?" Es war verwirrend, eigentlich hätte sie gedacht, daß solche Nähe zu einem Cardassianer sie abstoßen würde, statt dessen sehnte sie sich direkt nach einer tröstlichen Umarmung.
"An Bareil," erklärte sie knapp, mit einem Zittern in der Stimme.
Dukat nickte und umarmte sie vorsichtig, jederzeit damit rechnend, daß sie ihn von sich wegstieß. "Ich weiß, ich dachte an Naprem und es wird wohl nie aufhören, weh zu tun."
So standen sie eine Weile schweigend, ehe sich Dukat abrupt losmachte und zurück ans Feuer ging. "Tut mir leid," erklärte er knapp und fröstelte.
Kira runzelte irritiert die Stirn, er hatte sogar die Decke um ihre Schultern zurückgelassen. Sie trat näher an das Feuer heran, aber Dukat mied ihren Blick.
Dukat stieß einen weiteren Ast in die Flammen, mit einer heftigen Bewegung, die dem Aufruhr in seiner Seele entsprach.
"Ich bin nur ein Mann, Major, und Sie sind mehr als anziehend für mich, und das wissen Sie!" Dukat machte fast eine Anklage daraus, daß sein Körper unweigerlich auf Kira reagiert hatte.
Kira zog eine Augenbraue hoch, vor kurzer Zeit noch hätte sie dieses Geständnis von Dukat sehr wütend gemacht. Jetzt entlockte es ihr nur ein Lächeln, sie schwang die Decke um seine Schultern. "Wir wollen doch nicht, das Sie sich hier gewisse Körperteile abfrieren."
Dukat starrte sie mit soviel fassungslosem Erstaunen an, daß Kira lachen mußte. "Ich habe damit gerechnet, daß Sie mir mindestens einige Knochen brechen, Nerys."
Sie sah auf ihn herab, das Mondlicht warf Schatten auf sein Gesicht, es milderte die Schroffheit der Hautschuppen und ließ ihn fast sanft wirken.
Ein kleiner Teil von ihr fragte sich, was sie eigentlich tat, als sie sich herabbeugte und ihn auf seine kalten Lippen küßte. Doch diesen Teil konnte sie getrost in die hinteren Winkel ihrer Seele bannen.
Dukat zog sie an sich, während er den Kuß erwiderte. Kiras Hände wanderten über seinen nackten Oberkörper. Sie war nie einem Cardassianer so nahe gekommen, außer wenn sie ihn töten wollte.
Ihre Finger strichen über die weichen Stellen seiner Haut, und die rauhen Hautschuppen, der Kontrast der Empfindungen, war aufregend neu.
Ihre Lippen lösten sich voneinander, Dukats hellblaue Augen bargen eine Verletzlichkeit, die Kira nie bei ihm vermutet hätte.
"Bist du dir sicher, Nerys?"
Ihre Fingerspitzen erforschten die Struktur seines Gesichtes, um an dem Schwung seines Mundes zu verharren. "Nein, aber zählt das?"
Sie küßten sich wieder, seine Lippen waren nicht länger kalt. Er zog sie mit sich zu Boden. Kira hätte die Möglichkeit, je freiwillig mit einem Cardassianer zu schlafen, weit von sich gewiesen.
In ihrer Erinnerung flackerte das Bild von bajoranischen Frauen auf, die von Cardassianern roh mißbraucht worden waren. Aber Dukats Hände waren viel sanfter, als sie es bei einem Cardassianer je vermutet hätte.
Seine Lippen erforschten ihren Körper mit einer Zärtlichkeit,
die Kira verstehen ließ, warum es Tora Naprem zu ihm gezogen hatte
- trotz der Besatzungszeit, trotz seiner Stellung als Gul.
* * * * *
Der Vedek betrachtete das herabgebrannte Feuer, ehe er einige Zweige nachlegte. Sein Blick blieb mit einem leisen Lächeln an den beiden Personen hängen, die in die Decke gewickelt neben dem Feuer schliefen.
Kira lag auf der Seite, und Dukat schmiegte sich fast wie ein wärmender Mantel um sie. Sein Arm lag um ihre Schulter und ihre Hände waren noch immer ineinander verschränkt.
Sein Kopf ruhte an ihrem Nacken und sie atmeten sogar im Gleichklang.
Der Vedek nickte und begegnete dem Blick seiner Wolfsbrüder. "Hier hat es begonnen, und hier endet es, um einen neuen Anfang zu finden."
Er sah sich um, hier kannte er jeden Stein, hier hatten sich die ersten Widerstandskämpfer getroffen, als klar wurde, daß die Cardassianer nicht die Freunde waren, die zu sein sie behauptet hatten.
Hier hatten sich Cardassianer und Bajoraner das erste Mal mit Waffen gegenübergestanden, und hier war das erste Blut vergossen worden.
Hier ruhten die Wurzeln des Hasses und des Krieges, und hier endete es damit, daß zwei ehemalige Todfeinde sich liebten.
Im Haß lag kein Verzeihen - Verzeihen kann nur, wer liebt.
VI
Kira schlug die Augen auf. Was hatte sie geweckt? Nicht der Atem, der ihren Nacken streichelte. In der Erinnerung an die letzte Nacht lag ein wenig Erschrecken. Hatte sie tatsächlich mit Dukat geschlafen?
Sie befreite sich vorsichtig aus seiner Umarmung und schlüpfte rasch in ihre kalte Kleidung. Es war ein wenig bedauerlich, die Wärme seines Körpers nicht mehr auf der Haut zu spüren.
Kira sah sich um, die Nachtwälfe waren verschwunden, sie erklomm eine niedere Mauer. Der Sonnenaufgang kündete von einem kalten, klaren Wintertag.
Der Innenhof war verlassen, sie konnte keine Leichen entdecken. Die Erlebnisse der vergangenen Nacht schienen nicht stattgefunden zu haben. Kira verwunderte es nicht weiter, daß sie auch keine Pfotenabdrücke der Nachtwölfe im Schnee auszumachen vermochte.
Dafür konnte sie über dem Hügelkamm eine kleine Gruppe sehen, die auf die Ruine zuging. Wenn ihre Augen sie nicht trügten, waren es Bajoraner und Cardassianer, die gemeinsam einen Suchtrupp bildeten.
Kira war froh, aufgewacht zu sein, ehe der Suchtrupp sie in Dukats Arm finden konnte.
"Was siehst du?" Dukats Stimme schreckte sie aus diesem Gedanken auf, der ihr selbst ein wenig schäbig vorkam.
"Unsere Retter kommen." Sie sprang die niedrigen Mauer hinab und wich Dukats Umarmung aus. Er ließ die Hände sinken. "Was wird aus uns, Nerys?"
Kira blickte in seine hellblauen Augen, er war verheiratet und er war ein Cardassianer. Sein Leben war mit seiner Heimat verbunden, so wie ihres mit ihrer.
"Die letzte Nacht war ein Traum, Dukat." Sie sah wie sich Schmerz in seine Augen schlich.
"War es für dich ein Alptraum, Nerys?"
Kira blickte ihn an, ihr war bewußt, daß sie ihn mit einem einzigen Wort zerstören könnte.
Sie trat näher zu ihm und legte mit einem sanften Lächeln die Hände an seine Wangen. "Nein, es war ein sehr schöner, gemeinsamer Traum, Dukat."
Er forschte in ihren Augen nach einer Spur von Reue, nach einer Spur der Lüge - doch er fand nichts davon.
Er ergriff ihre Hand und küßte sie auf die Innenfläche. "Bist du sicher, Nerys?"
Kira lächelte, und ein schelmisches Funkeln schlich in ihre Augen.
"Nein, aber zählt das?" Dukat lachte und schüttelte den Kopf.
"Wir werden wohl nicht noch mal zusammen träumen?" Bedauern war in seiner Stimme zu hören.
Kira konnte dieses Bedauern verstehen und teilen es auch, aber ihre Welten waren zu verschieden. "Ich glaube nicht."
Dukat nickte und grinste schief. "Du hast aber nichts dagegen, wenn ich mich daran erinnere?"
Kira drückte seine Hand. "Wenn du wert auf die Unversehrtheit deiner Knochen legst, rate ich dir, es besser nicht zu vergessen."
Dukat lachte wieder und es war ein schönes Gefühl mit ihr
zusammen zu lachen.
Denn nur Liebe kann Haß besiegen....
Ende