Vertrauen

Story von Inge Koberski

Das fahle Licht zweier Monde war die einzige Beleuchtung in der düsteren Mannschaftsunterkunft der Eliteschule des Obsidianischen Ordens auf Orias IV. An dem einzigen Tisch zwischen sechs schmalen Pritschen hockte Elim Garak auf einem unbequemen Schemel und war der Meinung, daß diese triste Atmosphäre haargenau seiner Stimmung entsprach.

Er starrte auf die grauen Wände und überdachte seine Situation. Es hatte alles so vierlversprechend begonnen, damals, zu Hause, auf Cardassia Prime. Freudestrahlend hatte er seiner Mutter die Nachricht überbracht: Nach zwei endlos erscheinenden Jahren auf der Militärakademie war er als einer von zwölf Auserwählten zur "Ausbildung für besondere Aufgaben" des Obsidianischen Ordens zugelassen worden. Enabran Tain selbst hatte ihn für diese Laufbahn vorgeschlagen. Wie hart hatte er für dieses Privileg gekämpft, hatte alle persönlichen Belange für dieses eine Ziel aufgegeben. Mila hatte ihn sanft bei den Schultern gefaßt und ihn ernst und traurig angesehen: "Dann gehst Du also wieder fort, mein Sohn." "Aber Mutter, das haben wir doch alles schon besprochen, es ist die Erfüllung aller meiner Träume! Ich werde an seiner Seite sein, ich werde alles dafür tun, seinen Vorstellungen gerecht zu werden, ich werde..."

Sein ganzes Leben lang würde er sich an den sanften Druck ihrer Hände erinnern und auch an ihre Worte, denen sie mit einem tiefen Blick in seine Augen Bedeutung verliehen hatte: "Bitte, Elim, bewahre Dir ein Stück Deiner Seele, wenn Du in seiner Hand bist, vergiß Liebe und Mitgefühl nicht, höre auf deine innere Stimme...und denk ab und zu an mich." Garak hatte Milas Hände in die seinen genommen und in aller Eile ein paar beschwichtigende Worte gemurmelt, die seine Ungeduld nur schlecht verbergen konnten.

Nun erinnerte er sich wehmütig an den hastigen Abschied und wünschte sich heimlich, Mila wäre da, um ihm zur Seite zu stehen. Wütend und hilflos schlug er mit der Faust gegen die Wand; er war erst 18 Jahre alt, stand am Beginn einer glänzenden Karriere innerhalb des Ordens und hatte sich in eine schier unauflösbare Situation verstrickt. Alles stand auf dem Spiel: seine Loyalität, seine Freundschaft, seine Integrität.

"Maastrik Parsatlar", "Die durch den Staub kriechen", so nannte man in Militärkreisen die jungen Absolventen der Eliteschule des Obsidianischen Ordens. Schon zu Beginn seiner Ausbildung auf Orias IV war Garak klar, was damit gemeint war. Es war nicht nur die tägliche körperliche Schinderei in der erstickenden Hitze der Übungsplätze, nicht nur die überaus kärglichen Mahlzeiten, oder der verächtliche Tonfall, den die Offiziere den Neuankömmlingen gegenüber anschlugen. Es war vielmehr eine unterschwellige Bedrohung der persönlichen Integrität, die Garak zu fürchten begann. Tag für Tag fanden Befragungen und Instruktionen statt, hochmoderne Psycho-Scanner enthüllten auch die verborgensten Geheimnisse der Seele, und unbeteiligt wirkende Bürokraten füllten sorgsam die Personaldateien mit jedem noch so unscheinbaren Detail.

Elim fühlte sich entblößt, schutzlos und zutiefst erniedrigt, entfernter denn je von der elitären Geheimdienstlaufbahn, die er erwartet hatte.

In dieser Situation war er für das zaghafte Freundschaftsangebot seines Zimmergenossen Ikat Navrul nur zu empfänglich gewesen. Zu Anfang hatte sich ihre Beziehung auf gelegentliche knappe Bemerkungen zum Tagesablauf beschränkt, doch im Laufe der Zeit war daraus gegenseitige Anteilnahme geworden. Schließlich vertraute jeder dem anderen seine persönlichen Ängste, Sorgen und Hoffnungen an, Elim und Ikat wurden Freunde.

Vor noch nicht einmal 24 Stunden kündigte sich dann die Katastrophe an. Schwarz vor Staub und erschöpft von einem langen Nachmittag auf dem Übungsplatz betraten sie das gemeinsame Quartier.

Ikat versuchte, Elims niedergeschlagene Stimmung zu bessern: "Kopf hoch, Freund, Du bist Tains persönlicher Favorit, Dich darf nichts erschüttern. Warte nur ab, bald wirst Du uns alle kommandieren. Laß Dich durch das bißchen Staub nicht unterkriegen, Du bist der geborene Überflieger."

Elim lächelte schief und wischte sich mit der Hand über die Stirn: "Na, zum Fliegen reicht´s heute nicht mehr. Mir würde schon eine Hydro-Dusche genügen, um ´das bißchen Staub` aus den Schuppen zu spülen."

Auf dem Weg zum Waschraum entledigte sich Garak seiner Uniform und hinterließ dabei eine beträchtliche Staubwolke.

Mit zwei langen Schritten war Navrul bei ihm: "Warte, hast Du noch einen Augenblick Zeit für mich? Es ist wichtig!"

Elim entging der drängende Unterton in der Stimme seines Freundes nicht. Er bezähmte seinen Unmut, legte schützend einen Arm um Ikats Schultern und setzte sich mit ihm auf eine der niedrigen Kojen. "Weißt Du, es gibt nichts im Universum, das eine cardassianische Freundschaft nicht bewältigen kann.", versicherte er in Abwandlung eines überlieferten Grundsatzes ihres Volkes.

Ikat erwiderte sein Lächeln: "Hoffen wir´s, ich bin da in eine wirklich üble Geschichte hineingeraten."

Garak wartete geduldig, bis sein Freund den Mut gefunden hatte, fortzufahren. "Ich weiß, ich hatte dort nichts zu suchen." Ikat hob, wie um Verzeihung bittend, die Hände, "Es war natürlich reine Neugier, das es so enden würde, hätte ich nie gedacht."

"Anwärter Navrul, wenn Du jetzt nicht sofort mit der Sprache herausrückst, werden wir einen Verhörraum aufsuchen müssen!" Garak hatte ihn am Kragen gepackt und grinste breit.

"Schon gut, also, folgendes: Ich hatte in der Nähe des Labors zu tun. Da ich von einem geheimen Projekt im Bereich metagenetischer Waffen gehört hatte, verschaffte ich mir dort Einlaß..."

"Wie bitte, nun mal langsam!" Garak glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.

"Hör zu", befahl sein Freund und fuhr fort: "Wie du weißt, werden wir ständig dazu angehalten, auf jede nur erdenkliche Weise Informationen zu sammeln."

"Oh ja, und Du bist der Beste in unserem Jahrgang!"

"Eben. Ich besaß jedenfalls den Zugangscode zum Labor, umging die Alarmanlagen, entnahm den Behälter mit metagenetischen Substanz und wollte ihn in den Analyse-Projektor geben, als er mir herunterfiel."

"Sag das noch einmal!"

"Er fiel herunter."

"Das ist nicht dein Ernst!"

"Elim, das ist kein Scherz, die Subtanz ist verloren: der Behälter fiel zu Boden, zerschellte, und der Inhalt verpuffte in Sekundenbruchteilen."

"Dann, dann...bist Du todkrank, nein, eigentlich müßtest Du längst tot sein!"

"Nun, anscheinend ist mir nichts passiert, es fehlt lediglich der Behälter mit der metagenetischen Substanz."

"Lediglich...Man wird dich degradieren, man wird Dich aus dem Orden ausschließen, man wird..."

"Und genau das müssen wir verhindern! Du mußt mir helfen, Du mußt mir ein Alibi verschaffen, so daß mir niemand etwas nachweisen kann. Wir werden sagen, wir hätten den Abend gemeinsam verbracht, man wird Dir glauben, denn Du bist Enabran Tains Schützling!"

In dieser Nacht fand Garak keinen Schlaf, immer wieder ging er die Optionen für den nächsten Tag durch. Am Morgen sollte bereits das erste Verhör zu dieser Sache stattfinden, Enabran Tain persönlich würde es durchführen - und nur die beiden Freunde waren vorgeladen.

Noch einmal bearbeitete er die Wand mit seiner Faust, doch auch diesmal änderte das nichts an seiner Situation.

Er hatte genau zwei Möglickeiten: Entweder würde er morgen die Karriere, ja, vielleicht sogar das Leben, seines Freundes retten, sich so für immer dessen Zuneigung und Loyalität sicher sein und dabei seinen Mentor und Vorgesetzten Enabran Tain hintergehen, oder er würde Ikat verraten, sein Leben zerstören, sich dadurch jedoch als vertrauenswürdiger, pflichtbewußter Offiziersanwärter erweisen, was wiederum seiner eigenen Laufbahn im Obsidianischen Orden nur zum Vorteil gereichen konnte.

Abgesehen davon klang Ikats Geschichte nicht in allen Punkten besonders glaubwürdig. Was wäre, wenn er die gefährliche Waffe entwendet hätte, was, wenn sie auf diese Weise Cardassias Feinden in die Hände fielen?

Garak fand all` diese Variationen gleichermaßen unerträglich, er konnte sich doch unmöglich zwischen seinem besten, nein, seinem einzigen Freund und dem verehrten Vater und Mentor zu entscheiden haben. Erschöpft und ausgelaugt fiel er gegen Morgen in einen unruhigen Dämmerschlaf, aus dem ihn nur wenig später der durchdringende Weckruf riß.

Das Verhör gestaltete sich nach Enabran Tains Richtlinien zunächst wie ein Gespräch unter Freunden, die betont lockere Atmosphäre wirkte auf alle Beteiligten nur um so bedrohlicher, denn man war sich darüber klar, wie schnell und gründlich sie ins genaue Gegenteil umschlagen konnte.

"Nun, Garak", begann der Leiter des Ordens, "berichten Sie. Was können Sie zur Aufklärung des soeben beschriebenen Vorfalls beitragen?"

Garak schüttelte den Kopf und versuchte, sich die innere Zerissenheit nicht anmerken zu lassen. Seine Augen suchten die seines Freundes und sahen darin verzweifeltes Flehen.

Dann blicke er in das Gesicht, das ihm alles bedeutete, Vertrauen, Loyalität und...Leben, und er traf seine Entscheidung.

"Es war Anwärter Navrul, er hat es mir selbst bestätigt. Er ist unerlaubter Weise ins Labor eingedrungen, hat die metagenetische Substanz entwendet und sie versehentlich vernichtet."

Elim Garak holte tief Luft und versuchte, dem durchdringenden Blick Enabran Tains standzuhalten. Er wagte nicht, sich auszumalen, was nun in seinem Freund Ikat vorging.

Die Spannung im Raum wurde beinah greifbar, während unglaublich lange Sekunden verstrichen.

Dann brachen Tain und Navrul in schallendes Gelächter aus.

"Oh, Elim, Du solltest Dein Gesicht sehen, welch´ eine gelungene Lehrstunde!"

Garak versteifte sich innerlich, er konnte nicht glauben, was er hörte. Doch der Leiter des Obsidianischen Ordens schlug ihm kameradschaftlich auf die Schulter: "Das war eine wichtige Lektion, mein Lieber, überlege selbst und zieh´ Deine Schlüsse daraus. Und nun verschwinde, ich glaube, Du brauchst etwas Zeit zum Nachdenken."

Garak riß sich zusammen und bewegte sich endlich. Langsam, ganz langsam drehte er sich zu Ikat Navrul um, er öffnete den Mund, brachte jedoch kein Wort heraus, als er dessen breites Grinsen sah. Schließlich stolperte er aus dem Raum.

Auf dem Gang begann er zu rennen, ballte die Fäuste und versuchte, der aufsteigenden Wut Herr zu werden. Garak lief an zahlreichen Wachen vorbei, niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Er biß die Zähne zusammen und steigerte sein Tempo. Schweiß strömte über sein Gesicht, doch er bemerkte es nicht. Schließlich erreichte er den Ausgang, die Türen öffneten sich automatisch und ließen ihn hindurch. Im Unterbewußtsein registrierte Garak, daß dies nur auf Anweisung Enabran Tains geschehen konnte, doch es bedeutete ihm nichts.

Orias brannte auf seiner Stirn, Staub verklebte seine Lungen, als Garak nach einem scheinbar endlosen Lauf durch die Wüste zu Boden fiel. Er trommelte mit den Fäusten auf den schwarzen Sand und rang mühsam um Beherrschung. Die ganze verdammte Geschichte war eine einzige Lüge; er hatte sich komplett zum Narren gemacht. Er hatte gegen die Regeln verstoßen und sich auf eine Freundschaft eingelassen, von der er nun wußte, daß sie eine Farce gewesen war. Er hatte sein Gewissen wieder und wieder geprüft, schweren Herzens die einzig akzpetable Entscheidung getroffen und Hohngelächter zur Antwort bekommen.

Verzweifelt erkannte er seinen Fehler.

Elim Garak würde nie wieder jemandem vertrauen.