15-10-2001 Neue Luzerner Zeitung


Ein Luzerner in Afghanistan

«Die Nervosität liess nie nach»

Der Luzerner Louis Palmer* fuhr mit dem Velo durch Afrika, flog mit dem Ultraleichtflieger über Südamerika. Eingebrannt aber haben sich ihm 18 Tage im Trümmerfeld Afghanistan.

«Als die afghanische Ärztin mit mir sprechen wollte, wurde mir mulmig zumute. Ich hatte bei der Einreise unterschrieben, nicht mit Frauen in Kontakt zu treten. Darauf steht die Scharia, und wer riskiert schon gerne sein Leben? Ich sprach dennoch mit ihr, und sie flehte mich um finanzielle Unterstützung für ihr Spital an, während die anderen Ärzte Schmiere standen. Ein Krankenhaus für 50 000 Menschen, in dem Ärzte seit sechs Monaten ohne Lohn ihr Bestes geben. Den Menschen zuliebe. Hätten sie mich im Gespräch mit ihr erwischt, wären ich und die Ärztin dran und das Spital sofort geschlossen gewesen. So untermauern die Taliban ihre Macht.»
Afghanistan, das ist ein rotes Tuch. Die Menschen dort - alle fanatisch. Ein Land, «in dem man gefressen wird», sobald man es als Ausländer betritt. - Vorbelastet mit derlei Gedanken wagte sich der 29-jährige Globetrotter in das Land, das seit 1996 unter der Herrschaft der «Koranschüler» ächzt. Was heisst wagte? Es wurde ihm gestattet, gar mit einem Luzerner Nummernschild am Wagen, einzureisen - am 18. Juni, für 18 Tage. Mit viel Glück und Vitamin B. Unter dem Künstlernamen Louis Palmer wird er in seiner Heimatstadt Luzern über Afghanistan berichten.*

Von Angst und Freundlichkeit
Louis Palmer wird anderes als das zu erzählen haben, was ihn einst abschreckte. Nicht nur, aber auch. Allzu Menschlisches, Freundschaftliches, viel Empörendes, denn «es gibt in diesem Land nichts zu beschönigen.» Heute, zwei Monate nach seiner Rückkehr aus Städten, die Trümmerfeldern gleichen, ahnt er um den schwierigen Alltag der Menschen dort. «Menschen, die aber letztendlich unschuldig sind.»
Heute, wo der langen Krisengeschichte Afghanistans ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden muss, traut er sich zu sagen: «Das Handeln der Amerikaner ist falsch. Das ist, als würde man versuchen, einer Hydra den Kopf abzuhacken. Sie haben keine andere Wahl, als sich auf die Nordallianz und den König zu verlassen, alles andere wird die Zivilbevölkerung nicht mittragen.» Obwohl die unter den Taliban leidet? «Nur wenig stehen wirklich hinter den Taliban. Aber - und das sagte mir ein befreundeter Muslim - niemals wird ein Muslim zusammen mit einem Ungläubigen gegen einen anderen Muslim vorgehen. Das geht nicht. Das ist eine Sache des Vertrauenkönnens, obwir das verstehen wollen oder nicht. Wir müssen es akzeptieren und damit umzugehen lernen.»

Kein Politisieren, nur berichten
Plötzlich stockt Louis Palmer. Politisieren, nein politisieren will er nicht. Nicht in seinem Diavortrag und nicht hier im Gespräch. «Es gibt so viele Meinungen zu diesen Dingen und niemand hat eine Lösung. Ich auch nicht. Ich kann nur einen Augenzeugenbericht über das Land abliefern.» Ein Aufruf soll dieser sein, hinzusehen, zu unterscheiden zwischen den Taliban und den Afghanen. Deshalb komme der Vortrag jetzt, in einem Augenblick, in dem wir alle nicht wissen, auf welche Bilder wir vertrauen können. «Ich habe dort 18 Tage Angst und Horror erlebt, aber auch riesige Gastfreundschaft», sagt Palmer. Mit Hilfe afghanischer Freunde und Freunden aus der UNO gelang es ihm, das Land von Ost nach West zu durchreisen. Es gelang ihm auch, hinter abgedunkelten Autoscheiben fünfzehn Diafilme zu verschiessen. Diese Bilder erzählen von Sittenpolizisten mit Peitschen, Frauen hinter Gittern aus Garn, von Regeln, die besser nicht verletzt werden. Sie zeigen Minenhunde und vom Druck zermürbte Hilfsorganisationen, das «Mittelalter, das hinter der Eisentür, die die Grenze zwischen Pakistan und Afghanistan markiert, beginnt». Und sie sprechen handkehrum von Menschen, die Palmer gerne zu sich nach Hause eingeladen hätten - allein, die Gesetze verbieten es, vonn deren Grosszügigkeit und Hilfsbereitschaft Gebrauch zu machen. «Weil sie die Wahrheit zeigen wollen», erklärt er deren Risikobereitschaft. Eine Wahrheit, deren scheinbare Unabänderlichkeit «mich tagelang kaum essen liess, denn meine Nervosität hörte nie auf. Das Risiko willkürlicher Repressionen kann man nicht vergessen. Da ging es mir so wie vielen Menschen dort.»

Ein Versprechen halten
«Die Ärztin flehte mich um Geld für das Spital an und ich habe ihr versprochen, mein Bestes zu versuchen. Als sie mir die Hand schütteln wollte, wurde es mir zu gefährlich. Ich verabschiedete mich höflich, blieb aber auf Distanz», blickt Louis Palmer zurück. Ein Teil der Einnahmen durch seine Afghanistan-Vorträge in Luzern und darüber hinaus sind nun dafür gedacht, dieses Versprechen zu halten.