Drogen
Blocher nicht mit
Haider vergleichbar.
Wahlsieger Blocher will in den Bundesrat
Der Rammbock
21.10.2003 -- Tages-Anzeiger Online
Ein Vergleich Christoph Blochers und der SVP mit dem österreichischen
Populisten Jörg Haider und der FPÖ oder Italiens Premier
Silvio Berlusconi und dessen «Forza Italia» sei nicht
statthaft. Das heben mehrere europäische Zeitungen hervor.
So verwerflich die fremdenfeindlichen Kampagnen der SVP auch seien, so unseriös ihre Forderungen nach Steuersenkungen und so teilweise verlogen ihre Argumente gegen einen EU-Beitritt: «Blocher ist in seinem Gefährdungspotenzial für die Demokratie nicht mit Haider zu vergleichen und schon gar nicht mit Berlusconi», schreibt die deutsche «tageszeitung» am Dienstag.
Die anderen Parteien wären klug beraten, ihn durch Wahl in die Regierung endlich einmal in konkrete Verantwortung zu nehmen. Es gebe einige Gemeinsamkeiten zwischen Blocher und Haider, jedoch auch viele Unterschiede findet auch die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Auch Blocher fische manchmal im braunen Teich, sei aber kein Rechtsradikaler. «Als Ein-Thema-Partei hätte die SVP längst das Schicksal von Haiders Freiheitlichen in Österreich ereilt - nämlich der Absturz.» Blocher habe gewonnen, weil er sich als der bessere Bürgerliche präsentiert habe.
Die Schweizer Bevölkerung dürfe jedoch nicht im Zweifel darüber gelassen werden, dass jede Umarmung der weit rechts stehenden Parteien zu Lasten ihres internationalen Ansehens und ihres Platzes in der Welt gehe, mahnt «The Independent» aus London. «Insbesondere stellt sich für uns die Frage, ob die Schweiz noch ein geeigneter Gastgeber für Uno-Organisationen.» (grü/sda)
Tages-Anzeiger vom 20.10.2003
Die SVP überflügelt
mit einem Wähleranteil von 27,7 Prozent alle anderen Parteien.
Jetzt will sie mit Christoph Blocher in den Bundesrat - oder notfalls
gar aus der Regierung austreten.
Von Annetta Bundi, Bern
Die SVP hat gestern einen historischen Wahlsieg errungen. Dank der Erfolge in der Romandie sowie in den Kantonen Aargau, Basel-Landschaft, Luzern, Schwyz, Solothurn und St. Gallen ist sie im Nationalrat neuerdings mit 55 Sitzen vertreten; das sind 11 mehr als vor vier Jahren.
Mit einem Wähleranteil von 27,7 Prozent ist es der SVP zudem gelungen, alle anderen Parteien klar hinter sich zu lassen. Ein ähnlicher Triumph ist zuletzt 1943 den Sozialdemokraten gelungen, denen das Parlament in der Folge den ersten Bundesratssitz zugestanden hat. Auf Grund des «epochalen Ergebnisses» verlangt die SVP nun einen zweiten Sitz im Bundesrat. Mehr noch: In ultimativem Ton hat Parteipräsident Ueli Maurer die Parlamentarier gestern dazu aufgefordert, Christoph Blocher in den Bundesrat zu hieven. Die politische Situation des Landes sei so ernst, «dass nur der beste Politiker» für die notwendigen Reformen gut genug sei. Sollte Blocher nicht gewählt werden, will sich die SVP aus der Regierung zurückziehen und eine Initiative zur Volkswahl des Bundesrates lancieren.
Offen ist, ob der amtierende SVP-Bundesrat Samuel Schmid diese
Strategie mittragen wird. Am Samstag ist er von der Parteileitung
informiert worden. Es seien aber «keinerlei Abmachungen»
getroffen worden, heisst es aus Schmids Departement. Mit seiner
Kandidatur möchte Blocher dem «Zwitterszustand»
der SVP - die mal als Regierungs- und mal als Oppositionspartei
auftritt - ein Ende bereiten. Die Partei stehe an einem Scheidepunkt,
sagt er im TA-Interview. «Wir sind bereit, unsere Rolle
als Oppositionspartei zu verlassen. Die grossen Probleme lassen
sich nur lösen, wenn die konstruktiven Kräfte eng zusammenarbeiten.»
Blochers Kandidatur bringt FDP und CVP in Bedrängnis, denen
die SVP im Bundesrat bis anhin bloss als Juniorpartnerin gedient
hat. Jetzt werden die Rollen vertauscht: Die SVP drängt an
die Macht. Schwierig präsentiert sich die Situation für
die CVP. Denn die Christdemokraten haben 8 Sitze eingebüsst
und verfügen nur noch über einen Wähleranteil von
12,9 Prozent. Trotzdem sind sie im Bundesrat mit zwei Sitzen vertreten.
Aber auch die Freisinnigen, die 7 Sitze verloren haben, sind in
einer misslichen Lage: Ihre Wählerstärke ist auf 16
Prozent abgesackt.
SP und Grüne ebenfalls erfolgreich
Zu den Gewinnern gehören neben der SVP auch SP und Grüne. Die Sozialdemokraten haben 1 Mandat erobert und sind im Nationalrat neu mit 52 Sitzen vertreten. Mit der Baslerin Anita Fetz und der Bernerin Simonetta Sommaruga ziehen zudem zwei SP-Frauen in den Ständerat ein. Die Grünen haben 6 Sitze dazugewonnen und schicken nun 15 Vertreter nach Bern. Die Wahlbeteiligung betrug 46.5 Prozent.
Von Peter Blunschi, Mitarbeit: Harald Fritschi, Bettina
Mutter, Thomas Ley
Fürs Ausland ist klar: In der Schweiz ist der Teufel los. «Die Schweiz hat eine Politik aus Furcht und Hass gewählt», kommentiert die britische Zeitung «The Independent». Der «Corriere della Sera» schreibt: «Nun schauen Le Pen und Haider nach Zürich.» Blocher ante portas. Seit dem letzten SVP-Wahlsieg 1999 hat kein Schweizer Politereignis den europäischen Blätterwald so bewegt wie der mögliche Einzug des Anti-Europäers und «Rechtsaussen» in den Bundesrat.
Christoph Blocher, 63, der Milliardär aus Herrliberg, setzt nach über zehn Jahren Dominanz der Schweizer Politik zum Sprung in die Regierung an. Im Stil eines Zürcher Oberländer Napoleons hat sein Leutnant Ueli Maurer nach dem Wahltriumph den anderen Parteien das Ultimatum diktiert: «Blocher rein oder wir raus.»
Am Wahlsonntag ist die Schweizer Politlandschaft ins Rutschen geraten. Die SVP, vor zwölf Jahren noch mit Abstand kleinste Bundesratspartei, ist zur stärksten Kraft geworden, angetrieben von Christoph Blocher, dem Rammbock der Schweizer Politik. FDP und CVP, seit Gründung des Bundesstaats 1848 die dominierenden Parteien, sehen sich, zumindest im Nationalrat, auf eine Rolle als Mehrheitsbeschaffer der Pole SVP und SP zurückgestutzt. Die Zauberformel (2 SP, 2 FDP, 2 CVP, 1 SVP), eine Art politisches Kartellgesetz, wird ausgehebelt. Ein zweiter Sitz für die SVP im Bundesrat ist unvermeidbar. Mit der Idee, die immer unbequemere Opposition «einzubinden», wird den Wahlsiegern sang- und klanglos gewährt, was ihnen bislang vorenthalten wurde.
Bundesrat Christoph Blocher? Der Vollblut-Oppositionelle als Staatsmann, der sich ans Kollegialprinzip hält? Der sich und seine Partei durch die direkte Teilnahme an der Regierung neutralisieren lässt? Blocher spaltet das Land und erst recht die Parteien. SP-Parlamentarier nennen ihn «völlig teamunfähig», während sich im Lager der bürgerlichen Wahlverlierer die Stimmen mehren, die Blocher als «sehr offen» und «dossiersicher» rühmen. Er erfülle «die Minimalvoraussetzungen», sagt Ruedi Noser, neu gewählter FDP-Nationalrat aus dem Kanton Zürich, wo der Blocherismus begann und wo die SVP einen Nationalratssitz eingebüsst hat.
Blocher ist nie um eine Idee verlegen, wenn es darum geht, anderen den Tarif durchzugeben. Als FDP-Bundesrat und Sozialminister Pascal Couchepin im Juni das Rentenalter 67 angekündigt hatte, traf er die Volkspartei unvorbereitet. Blocher ging zum Angriff über und nahm Moritz Leuenberger ins Visier, der wegen der Luftverkehrs-Verhandlungen mit Deutschland in Schräglage geraten war. Blocher, SVP-Fraktionschef Caspar Baader und Parteipräsident Ueli Maurer dehnten vor den Medien wortreich die Botschaft, die der Vordenker persönlich formulierte: «Der Bundesrat hat versagt.» Eine Lösung hatte die SVP nicht zu bieten.
Zwei Monate später machte Christoph Blocher ein neues Opfer aus, die angeschlagene CVP. Sie hatte sich am 23. August an einer Delegiertenversammlung in Genf als die Familienpartei präsentiert. Tage später debattierte die Sonderkommission für Sparmassnahmen über Kürzungen bei der Krippenfinanzierung. Dabei höhnte Blocher derart über die zögerlichen CVP-Leute, bis sie die familienfreundlichen Slogans vergassen: Sie enthielten sich der Stimme. Das Krippenbudget wurde vorerst um 80 Millionen gekürzt, die CVP-Nationalräte machten ihre Partei unglaubwürdig.
Gegen die Linke zog Blocher etwas später, am 2. Oktober, ins Feld. Der Nationalrat debattierte über Einsparungen beim Bundespersonal. Der SVP-Motor trat vor den Rat und rief in den Saal: «Es ist wie im Unternehmen. Je mehr Leute, desto mehr Leerlauf.» Abbau wirkt, sagte Blocher. «Jedes Mal nach solchen Aktionen», höhnte der Ems-Chef, «wird das Betriebsklima viel, viel besser.»
Provokation, Polemik, Populismus Rezepte, mit denen der begnadete Oppositionelle Blocher sich und seine Partei gross und stark gemacht hat. Seit dem Wahlsieg vom Sonntag muss man sich diesen Mann in der Konkordanzregierung vorstellen, und zwar unschweizerisch schnell. Maurers mit dem Recht des Siegers vorgetragenes Ultimatum versperrt den bisher gerne benutzten Ausweg, statt des offiziellen einen wilden Kandidaten zu wählen. Ein zweiter Samuel Schmid steht nicht bereit.
Blochers Kandidatur stellt die Systemfrage: Weiter mit der Konkordanz, dem Schweizer Regierungssystem der Einbindung aller politischen Kräfte? Oder Übergang zum System «Regierung und Opposition», wie es im Ausland gepflegt wird? Zur Debatte stehen drei Szenarien:
* Mitte links: Regierung ohne SVP, eventuell mit grüner
Beteiligung.
* Mitte rechts: Regierung mit zwei SVP-Vertretern, darunter Blocher.
* Weiter so, mit nur einem SVP-Vertreter und Blochers Partei in
der Opposition.
Das Vertrauen zwischen den Lagern links SP, rechts SVP, in der Mitte CVP und FDP wird kleiner, die Reibungsfläche grösser. Deshalb wird die Regierungszusammenarbeit auf verlässlichere schriftliche Grundlagen gestellt werden müssen. Die Gespräche über die «Legislaturziele», bisher folgenlose Plauderei unter den Zauberformel-Koalitionären, erhalten eine neue Verbindlichkeit.
Eine Mitte-links-Regierung, wie sie die Grünen fordern, ist nicht realistisch: FDP und CVP sind dazu nicht bereit. Es gibt keine bürgerlichen Partner. In beiden Parteien wurde weiter geschwächt, was vom linken Flügel übrig blieb, und die rechte Flanke gestärkt.
Wenig erbaulich sind auch die Aussichten auf ein Weiterbestehen der bisherigen Zauberformel mit Samuel Schmid als «halbem SVP-Bundesrat» (Blocher). Dies nicht nur, weil sie eine weit klarere Neuauflage der «Koalition der Vernunft» zwischen Sozialdemokraten und bürgerlicher Mitte erforderte. Blochers SVP würde ihre Drohung wahr machen und Fundamentalopposition betreiben. Obwohl sie in den letzten Jahren im Alleingang gegen die anderen Bundesratsparteien entscheidende Abstimmungen verloren hat: Uno-Beitritt, militärische Auslandeinsätze, Asylinitiative. Dafür gewinnt sie Wahlen. Die SVP könnte den Weisswein für den nächsten Wahltermin am 21. Oktober 2007 schon heute kalt stellen.
An einem zweiten SVP-Sitz scheint zurzeit kein Weg vorbeizuführen. Der eleganteste und am wenigsten schmerzhafte wäre, wenn die FDP den Sitz von Kaspar Villiger an die SVP abtreten und dafür bei der nächsten Vakanz einen von der CVP erhalten würde. Doch beim Freisinn will man von einem solchen «Bauernopfer» nichts wissen. «Das kommt nicht in Frage, das wäre eine Kapitulationserklärung», sagt der Ausserrhoder Ständerat Hans-Rudolf Merz, ein Partei-Schwergewicht. Fraktionschef Fulvio Pelli selber ein Kandidat für die Villiger-Nachfolge hält eine solche Formel für «unbrauchbar».
Für die Freisinnigen steht fest: Will die SVP tatsächlich bei der Gesamterneuerungswahl am 10. Dezember einen zweiten Sitz erobern, muss die auf 14,4 Prozent Wähleranteil zurückgefallene CVP bluten. FDP-Generalsekretär Guido Schommer sagte schon am Wahlabend, man werde den Christlichen «keinen Liebesdienst erweisen». Andere formulieren noch deutlicher: Man könne von der CVP nicht erwarten, dass sie freiwillig einen Sitz räume, sagt Hans-Rudolf Merz. Also müsse man «Druck von aussen» ausüben. Im Klartext: Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.
Die angestrebte Lösung besteht darin, einen der beiden CVP-Bundesräte für einen freiwilligen Verzicht weich zu klopfen. Im Visier ist Volkswirtschaftsminister Joseph Deiss, der solide Schaffer. Noch macht die CVP keine Anstalten, einen ihrer beiden Sitze zu räumen. «Bei uns steht kein Bundesratsmitglied zur Disposition», betont Parteipräsident Philipp Stähelin, der selber angeschlagen ist. Auch der absolutistisch formulierte Anspruch von Christoph Blocher wird kritisiert. «Herr Blocher hat Wahrnehmungsprobleme», moniert die Sankt-Galler CVP-Nationalrätin Lucrezia Meier-Schatz. Kommt es also am 10. Dezember zum Showdown? Nicht Mais, sondern Krawall im Bundeshuus? «Wenn die Diskussionen mit der CVP zu nichts führen, werden wir sehen, was im Chaos passiert», orakelt FDP-Fraktionschef Fulvio Pelli. Wird Joseph Deiss am Ende gegen seinen Willen aus dem Amt gehebelt? FDP und SVP allein wären dazu nicht stark genug, es bräuchte Stimmen von der SP. Und die Abwahl eines amtierenden Bundesrates käme einem Tabubruch gleich.
Es bleiben sieben Wochen, in denen die Parteien hitzige Gespräche führen werden. Die Bürgerlichen wollen versuchen, untereinander feste Spielregeln für eine gemeinsame Politik zu vereinbaren. Damit soll ein Bundesrat Blocher berechenbar gemacht werden. Stichworte sind Bundesfinanzen, Sozialwerke, Wirtschaftswachstum, Asyl, Europa. Eine Annäherung ist in den meisten Punkten längst vollzogen, der Bürgerblock hat sich in Blochers Marschrichtung schon formiert. Die Ausnahme ist Europa: FDP und CVP wollen eine weitere Annäherung an die EU, die SVP sagt kategorisch Nein.
Ungemütlich sind solche Perspektiven für die SP. Ein geschlossener Bürgerblock würde ihr das Leben im Bundesrat schwer machen. Schon die abgelaufene Legislatur sei «schwierig und mühsam» gewesen, klagt Fraktionschefin Hildegard Fässler. Für die Zukunft sieht es noch düsterer aus. Die SP, eine der Wahlsiegerinnen, droht nachträglich zur Verliererin zu werden. Je geschlossener der Bürgerblock auftritt, desto eindeutiger vermag er die Linke in die Oppositionsrolle zu drängen.
Christoph Blochers Saat ist aufgegangen. Die europäische
Presse mag ihn lange in eine Ecke stellen mit Le Pen, Haider oder
Bossi. Was das Ausland sagt, hat ihn ohnehin nie interessiert.