Drogen

Vernebelte Drogenpolitik
FACTS 50/2001, 13.12.01
Fachleute kritisieren, dass Drogenabhängige vermehrt mit Ersatzstoff stillgestellt anstatt zum Ausstieg motiviert zu werden. Unter Beschuss steht das Methadonprogramm.

Von Urs Zurlinden

Arbeitslunch am Rande des ordentlichen Sessionsprogramms in Bern. Gegen 20 Bundespolitiker beider Räte trafen sich am Dienstag voriger Woche im Hotel «Bern». Die Parlamentarier-Gruppe für Drogenfragen wollte sich noch kurz vor der Beratung im Ständerat über die Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG) orientieren lassen. Fragen gabs einzig zum Haschisch. «Politisch gehts nur um den Hanf», fasst ein Teilnehmer die Stimmung zusammen. «Die viel relevanteren Punkte der bundesrätlichen Drogen-politik sind kein Thema.»

Die Politik des Bundes für die harten Drogen, vor zehn Jahren auf die vier Säulen 1. Prävention, 2. Therapie, 3. Schadenverminderung und 4. Repression gestellt, droht vom schweren Duft getrockneter Hanfblüten eingenebelt zu werden.

Tatsache ist aber: Die Zahl der Junkies, Fixer, Süchtigen verharrt unverändert auf hohem Niveau. Nach wie vor sind rund 30'000 Menschen in der Schweiz von harten Drogen abhängig. Die Sucht ist stärker als die Politik. Jetzt erheben Leute von der Drogenfront happige Vorwürfe. Severin Salizzoni etwa, der Drogenbeauftragte von Pro Juventute in Zürich, kritisiert: «Die Sucht wird nur noch verwaltet.» Drogentherapie diene dazu, schrieb Bundesrätin Ruth Dreifuss in einer Broschüre des Bundesamts für Gesundheit, «möglichst vielen Abhängigen möglichst effizient zu helfen, den Drogenkonsum aufzugeben und aus der Sucht auszusteigen.»

Die Fakten können solche Versprechen nicht einlösen. Anstatt die Abhängigen zum Ausstieg aus der Sucht zu motivieren, wird ihnen ein breiter Mix staatlicher Ersatzprogramme angeboten. Allen voran das Methadon-Programm. Die Zahl der Methadon-Konsumenten ist in den Neunzigerjahren sprunghaft angestiegen und erreichte im vergangenen Jahr mit über 18'000 Methadon-Behandlungen einen neuen Rekord. Die Substitutionsangebote hätten sich «explosionsartig» entwickelt, sagt Peter Burkhard, Leiter des Vereins «Die Alternative» im zürcherischen Ottenbach: «Für die Angebotspalette der Substitutionsprogramme ist kein Bedarf nachgewiesen.»

Für Walter Meury, Leiter der Suchthilfe Basel, ist Methadon der zentrale Punkt: «Breitflächig wird Methadon abgegeben. Aber die psychosoziale Betreuung und die Motivation für den Ausstieg fehlen.» All die Substitutionsprogramme mit Methadon und kontrollierter Heroinabgabe verursachten beim Abhängigen «eine Laisser-faire-Stimmung», bestätigt Wolfgang Huber, Leiter des «Aebi-Huus» im bernischen Leubringen. Die Konsequenz: «Das Verharren in der Abhängigkeit dauert wesentlich länger.»

Und: Stationäre Therapieeinrichtungen wie das Aebi-Huus, die sich über Monate um eine Drogenabstinenz für ihre Klienten bemühen, sind nicht mehr gefragt. Seit fünf Jahren kommt es, das belegt die Statistik der Rehabilitationsplätze, reihenweise zu Schliessungen solcher Einrichtungen. Jüngstes Beispiel ist die «Obere Au» in Langenbruck: Diese Therapiestation des Vereins Suchthilfe Basel musste Anfang November dichtmachen. Die Formel ist einfach: keine Patienten, kein Geld.

Geld c für Drögeler? Eine Langzeittherapie in einer stationären Einrichtung, die bis zur Suchtfreiheit gut und gerne eineinhalb Jahre dauert, kostet viel. Entschliesst sich ein Abhängiger zu diesem Schritt, bedingt dies einen Kostenvorschuss der Wohnsitzgemeinde. Die Gemeinden haben die Rechnung schnell gemacht: Eine abstinenzorientierte Therapie in einer stationären Einrichtung kostet die Steuerzahler rund 6000 Franken im Monat. Methadon hingegen bezahlen die Krankenkassen. Bei Methadonbezügern müssen die Gemeinden höchstens für die Existenzsicherung aufkommen, 1700 Franken im Monat. Differenz zwischen Therapie und Methadon: 4300 Franken.

Der finanzielle Anreiz vor allem für kleinere Gemeinden ist offensichtlich: Methadon ist die billigere Politik. FACTS liegt über ein halbes Dutzend dokumentierter Fälle vor, wo Gemeinden auf rechtlichem Weg gezwungen werden mussten, Drogensüchtigen den Ausstieg zu finanzieren. Allerdings: Eine Vollkostenrechnung für Methadonbezüger, die in der Regel jahrelang auf die Ersatzdroge angewiesen sind, gibts nicht. «Im Methadonbereich gibts schlicht keine Qualitätskontrolle», sagt Salizzoni von Pro Juventute, «da kann jeder machen, was er will.»

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) im Departement von Ruth Dreifuss reagiert auf die Kritik der Drogenfachleute mit Verschleierung. Methadonbehandlungen waren ursprünglich klar als Bestandteile der dritten Säule (Schadenverminderung) deklariert. Nun gelten sie gemäss offiziellem Sprachgebrauch als Stütze der zweiten Säule (Therapie). «Etikettenschwindel», schimpfen Fachleute wie Salizzoni. Eine verlässliche Studie, dass mit Methadon stabilisierte Süchtige eher den Einstieg in den Ausstieg schaffen als Heroinabhängige, existiert nicht c was das BAG nicht daran hindert, Methadon als Erfolgslösung anzupreisen. Im aktuellen Bericht über die staatlich kontrollierte Heroinabgabe (Ende 2000: 1038 Patienten) werden Süchtige, die von Heroin auf Methadon wechseln, als «positive Austritte» gefeiert c gleich wie ein Übertritt in den Entzug.

Die beschönigende Begriffsverwirrung des Bundesgesundheitsamts übernehmen die Kantone unreflektiert. In Zürich, weiss Peter Burkhard, würden Methadonabhängige in die Kategorie «abstinent» eingeteilt, wenn sie keine zusätzlichen Drogen einnehmen. Wer Methadon nimmt, ist nämlich keineswegs vom Verlangen nach hartem Stoff befreit. Gemäss einer vor Jahresfrist abgeschlossenen Umfrage unter den Methadonbezügern in Basel gaben mehr als die Hälfte der Befragten zu Protokoll, nebenbei auch Heroin oder Kokain zu konsumieren. Der Kick bleibt unvergessen.

Im Oktober publizierte die Basler Regierung einen umfassenden Drogenbericht c de facto eine Bankrotterklärung für die liberale Drogenpolitik. Auszug: «Der Ausbau der niederschwelligen Drogenhilfe in den frühen Neunzigerjahren hat vor allem bei den nachfolgenden Generationen an Drogenabhängigen eine Einstellung befördert, die staatliche und private Hilfeleistungen als selbstverständlich voraussetzt. Mit einer gewissen Unverfrorenheit werden auch darüber hinausgehende Ansprüche angemeldet.» Zurück zur Repression, heisst deshalb die Losung für Polizeidirektor Jörg Schild: «Es gibt einen vermehrten Polizeieinsatz c es darf keine Szene geben.» Basels Gesundheitsdirektor Carlo Conti hingegen sieht keinen grundsätzlichen Handlungsbedarf: «Wir wollen an der Viersäulenpolitik festhalten.»

Das will auch Bundesbern. Der Ständerat hat soeben die gesetzliche Verankerung der zehnjährigen Drogenpolitik problemlos abgesegnet. Der zunehmenden Kritik der Fachleute zum Trotz: Im Mainstream von Bern gilt die Drogenpolitik nach wie vor als Bravourstück. Für Christine Beerli, FDP-Fraktionschefin und Präsidentin der ständerätlichen Gesundheitskommission, ist die Politik der vier Säulen ein «Erfolgsrezept». Ihr Thurgauer Ratskollege Philipp Stähelin, CVP-Präsident, weiss aus seiner Partei zu berichten, die aktuelle Drogenpolitik werde «rundum getragen». Der Sankt-Galler SP-Nationalrat Jost Gross spricht von einem «Vorzeigemodell c vorbildlich, wegweisend». Nur die SVP, die allerdings als Rezept gegen die Sucht stets nur auf Polizeigewalt setzte, stört den Lobgesang. «Gescheitert», bilanziert der Zürcher SVP-Nationalrat Toni Bortoluzzi, «das ist eine verfehlte Politik.»

Politisch begeben sich die ansonsten klar links angesiedelten Drogenfachleute mit ihrer Kritik in die Zwickmühle. «Das ist ein heikler Punkt», sagt Fachmann Ernst Haueter, Geschäftsführer vom Verein «Arche» in Zürich: «Gewisse Warnungen von der rechten Seite sind nicht von der Hand zu weisen.» Ernüchternd das Fazit von Severin Salizzoni: «Früher war die abstinenzorientierte Therapie erste Wahl, heute ist es die letzte Wahl. Die Viersäulenpolitik wird so zum Lippenbekenntnis.»

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Methadontherapie

Das ärztlich verschriebene Opiat Methadon hat gegenüber Heroin den Vorteil, dass die Süchtigen sozial stabilisiert werden. Sie können allenfalls einer Arbeit nachgehen. Die Folgen des Konsums von unreinem Heroin mit verschmutzten Spritzen wie Aids und Hepatitis bleiben aus.

Aber die Sucht bleibt. Und der Entzug ist sogar noch härter als beim Heroin: Ist ein Heroin-Entzug nach ein bis zwei Wochen durchgestanden, kann der Körper noch monatelang auf den Methadon-Entzug reagieren, vor allem mit Schlafstörungen, Schmerzen und fiebrigem Schüttelfrost. «Der Methadonentzug setzt langsamer ein und dauert länger als der Heroinentzug», sagt Professor Ambros Uchtenhagen vom Institut für Suchtforschung in Zürich, «die Intensität kann dieselbe sein».

Knauserige Gemeinden: 3 Fälle

Abgelehnt
Der 37-jährige Z. will eine Langzeittherapie antreten. Doch seine Wohnsitzgemeinde Maladers GR verweigert die Kostengutsprache. Ein halbes Jahr später reicht die Drogenberatungsstelle des Sozialamtes Graubünden ein zweites Gesuch ein, diesmal untermauert mit einem psychiatrischen und einem ärztlichen Zeugnis und einem Schreiben des Kantonsarztes. Wiederum lehnt die Gemeinde ab. Begründung: Z. sei offensichtlich gar nicht motiviert. Der Fall kommt vors Verwaltungsgericht. Das hält unmissverständlich fest: «Falls eine stationäre Drogenentziehungskur zweckmässig und zielbezogen ist, sind die hierfür erforderlichen Auslagen als Teil der Lebenshaltungskosten durch (....) das örtlich zuständige Gemeinwesen zu finanzieren.» Neun Monate nach seinem ersten Gesuch kann Z. die Therapie beginnen.

Verweigert
Die Aargauer Gemeinde Gränichen verweigert der Drogensüchtigen B. die Kostengutsprache für eine Langzeittherapie. «Die Heilungsaussichten seien sowieso sehr gering», ist dem Protokoll der Gemeinderatssitzung zu entnehmen. Zudem bestehe die Gefahr, dass Patienten in Langzeittherapien ihre Sucht verlagern: «Süchtig werden nach therapeutischen Hilfen kann dann zu einem bequemen Lebensinhalt werden.» Deshalb sei die «Methadonkur» weiterzuführen. Die Aarauer Drogenberatungsstelle «Drop-in» stellt ein Wiedererwägungsgesuch. Doch der Gränicher Gemeinderat bleibt bei seinem Nein: «Drogensüchtige haben keinen Anspruch auf derart teure Behandlungen zu Lasten der Gemeinde.» Der Fall kommt vors Bezirksamt Aarau, das Gränichen schliesslich zur Kostenübernahme verpflichtet.

Erfolglos
Der 34-jährige A. ist seit einigen Jahren drogenabhängig. Mehrere Entzugsversuche bleiben erfolglos. Nach Gesprächen mit seinen Eltern, seinem Psychiater und dem «Drop-in» Dübendorf kommt er zur Einsicht, dass ihm nur eine Langzeittherapie beim Ausstieg aus seiner Sucht helfen würde. Doch die Fürsorgebehörde seines Wohnortes Volketswil weigert sich, eine Therapie im von Pro Juventute geführten Zentrum «Cugnanello» in der Toscana zu übernehmen und emp-fiehlt c ausschliesslich aus Kostengründen c eine Klinik in der Schweiz. Der Bezirksrat Uster stützt den Entscheid, worauf A. an den Zürcher Regierungsrat gelangt. Der hält dann fest, die Gemeinde dürfe nicht allein auf den finanziellen Aspekt einer Therapie abstellen und die billigere Lösung finanzieren. Der Rekurs von A. wird schliesslich gutgeheissen.

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