Kernkraftproteste


ÖVP: Schüssel mit Temelin-Protest konfrontiert

Wels - Mit dem Temelin-Protest der ÖVP Oberösterreich wurde Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bei einer Parteiveranstaltung unter dem Motto "Treffpunkt Kanzler" in der Stadthalle in Wels Freitag Abend konfrontiert. In seiner Antwort trat er weiterhin für den Dialog mit Tschechien ein. Blockaden seien nicht das geeignete Mittel, betonte Schüssel.


Schüssel bei der Basis
Die Veranstaltung in Wels bildete den Auftakt zu weiteren derartigen in allen Bundesländern. Der Kanzler soll dabei mit Spitzenfunktionären der ÖVP in den Gemeinden und Bezirken zusammentreffen, um ihnen die politische Entwicklung auf Bundesebene aus seiner Sicht zu schildern sowie um zu hören, "wo der Basis der Partei der Schuh drückt".


Das Hauptthema der Oberösterreicher im Saal war klar spätestens nachdem ÖVP-Funktionäre aus dem grenznahen Mühlviertel große Transparente mit der Forderung nach einem Stopp von Temelin aufgehängt hatten und alle Besucher der Veranstaltung mit Aufklebern mit dem selben Motto versorgt hatten. ÖVP-Landesparteiobmann, Landeshauptmann Josef Pühringer bat in seiner Rede Schüssel um Unterstützung bei der Verwirklichung wichtiger Infrastrukturprojekte und dass die geplante Strukturreform nicht zur Ausdünnung des ländlichen Raumes führen dürfe.


Dann ging er aber fast zehn Minuten lang auf das umstrittene Atomkraftwerk Temelin ein. Er stellte fest, dass die Menschen an der Grenze nach den zahlreichen Pannen in Temelin Angst hätten und diese hätten die Politiker auch ernst zu nehmen. Die Oberösterreicher seien keine "Krawallbrüder" oder "Protesttouristen", sondern mit Sorgeerfüllt und wollten, dass diese Sorge ernst genommen werde. Er bat Schüssel, das Kraftwerk nicht leichtfertig auch auf europäischer Ebene zu akzeptieren, solange die Sicherheitsfragen nicht geklärt seien "und aus meiner Sicht wird das sehr, sehr schwer zu erreichen sein".


"Bin wie ihr"
Schüssel antwortete: "Ich bin so wie ihr gegen Atomkraftwerke an unserer Grenze". Aber in einer Demokratie und zwischen souveränen Staaten sei es nicht möglich, einem anderes etwas auf zu zwingen. Zumal es in Europa keine einheitlichen Standards für Atomkraftwerke gebe, für deren Einführung er übrigens eintrete. Bis dahin gebe es nur einen Weg: Den Dialog. Das sei mühsam, unbefriedigend und erfordere Zähigkeit, es gebe aber in der Demokratie dazu keine Alternative. Durch den Melker Prozess sei etwas in Bewegung gekommen, erstmals habe Tschechien unter anderem einen internationalen Sicherheits-Check und eine Umweltverträglichkeitsprüfung akzeptiert.


Blockaden seien hingegen kein taugliches Instrument, sie würden nur die Bürger beider Staaten treffen, nicht aber die Hardliner in Tschechien. Seinen Zuhörern sicherte er zu, sie könnten sich verlassen, dass er ihre Sorgen ernst nehme und ein Sprachrohr für sie sei und alles unternehmen werde, dass die Vernunft siege. Allerdings könne er nicht ankündigen, er werde garantieren oder erzwingen, dass Temelin zugesperrt werde - das könne niemand. "Reden, Dialog und Kämpfen" müsse die Parole sein, stellte Schüssel fest.


Im anschließenden persönlichen Gespräch überreichten ihm die Atomgegner seiner Partei, unter anderem der ÖVP-Landtagsabgeordnete Otto Gumpinger vom "Österreichisch-Tschechischen Anti Atom Komitee" eine Torte mit einem radioaktiven Symbol, das an Temelin erinnern sollte und baten ihn noch einmal ausdrücklich um Unterstützung ihrer Anliegen.

apa/jf



Deutschlands Atomausstieg bleibt umstritten

Vor den Parteizentralen von SPD und Grünen in Berlin wurde am Montag radioaktive Erde aus der Umgebung der Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield und La Hague deponiert. Mit dieser drastischen Aktion protestierte die Umweltschutzorganisation Greenpeace gegen den Atomkonsens, der am Abend im Kanzleramt unterzeichnet werden sollte. Was Umweltminister Jürgen Trittin als "historische Weichenstellung" feiert, ist in den Augen vieler Atomgegner "nur ein Placebo für die Bevölkerung".


Tatsächlich stellt das Papier, das Kanzler Schröder, Trittin, Wirtschaftsminister Müller und die Vorstandsvorsitzenden der Energieriesen E.ON, RWE, EnBW und HEW unterschrieben, einen mühsam ausgehandelten Kompromiss dar, mit dem die Atomindustrie besser leben kann als ihre Gegner.


Der Grund ist einfach: Die Regierung garantiert den störungsfreien Betrieb der 19 Kernkraftwerke bis zur Abschaltung. Die Konzerne können noch 2600 Milliarden Kilowattstunden Strom produzieren und entscheiden, wann sie welches Kraftwerk vom Netz nehmen. Ein Enddatum ist nicht fixiert. Das letzte AKW dürfte 2020 abgeschaltet werden.


Der Bestandsschutz und die vereinbarte Regellaufzeit von 32 Jahren pro Kraftwerk ab Inbetriebnahme ist den Atomgegnern der spitzeste Dorn im Auge. Damit werde noch einmal dieselbe Menge Atommüll produziert wie seit Einführung der Atomkraft, kritisiert Greenpeace.
Ungeklärt ist die Frage des Endlagers, das laut Vertrag der Staat zur Verfügung stellen muss. Die Erkundung des Salzstocks in Gorleben als möglicher Standort wird unterbrochen. Die Wiederaufarbeitung von Brennstäben wird aber schon ab 2005 verboten, womit die umstrittenen Castor-Transporte entfallen. Der Atommüll soll vorerst in 13 Zwischen- und fünf Interimslagern auf dem Gelände der Kraftwerke gelagert werden ­ diese müssen aber erst gebaut werden.


Die Atomindustrie, die auf Entschädigungsansprüche verzichtet, hält den Ausstieg weiter für falsch. RWE-Vorstandschef Gert Maichel gab aber zu: "Die Regierung hat uns den ungestörten Betrieb und die Entsorgung unserer Kraftwerke auf lange Sicht zugesichert. Für die Branche bedeutet dies das Ende unkalkulierbarer und großer wirtschaftlicher Risiken."


CDU und CSU kündigten an, sie würden den Ausstieg im Fall eines Machtwechsels rückgängig machen. Sie sehen Deutschlands Energiesicherheit und Rang als Hochtechnologie-Land gefährdet.

Stefan Galoppi

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