Rowdytum und Fremdenfeindlichkeit
Rechtsradikale Jugendliche; Steine werfend; Ausländerinnen verprügelnd; Asylantenheime anzündend; solche Bilder und Berichte scheinen auch bei uns die Erinnerung wach zu rufen, daß es politisch "rechts" denkende und handelnde Menschen in den verschiedensten Altersstufen gibt.
Streetwork und Arbeit mit rechtsradikalen Jugendlichen?
Diese Frage stellte sich das Grazer Streetwork-Team schon seit einiger Zeit. In den Medien wurde ein eher dramatisches Ansteigen von Gewaltaktionen sogenannter Rechtsradikaler aufgezeigt. Obwohl wir als StraßensozialarbeiterInnen die dargestellte Dramatik nicht beobachten konnten, erfuhren wir von einzelnen Gewaltaktionen angeblich "rechter" Jugendlicher. Daher haben wir uns mit dieser Thematik bzw. dieser gesellschaftlichen Entwicklung beschäftigen müssen.
Die Skepsis bezüglich der Möglichkeit, mit zwei verfeindeten Jugendgruppierungen zu arbeiten, stand im Gegensatz zur Einschätzung, daß wir uns diesem "Rechtsdruck" nicht verschließen könnten. Aufgrund unseres Anspruches nach "professioneller Jugendarbeit", ergab sich die Notwendigkeit, unsere Vorurteile abzubauen und fachliches Wissen sowie die Kenntnis von verschiedensten Handlungsansätzen in der Arbeit mit "rechten" Jugendlichen an deren Stelle zu setzen.
Dieser Artikel ist eine kurze Zusammenfassung der daraus entstandenen Überlegungen. Grundlage dieses umfangreichen Arbeitspapieres waren umfassende Studien entsprechender Fachliteratur, Beschäftigung mit verschiedensten Handlungsansätzen, Exkursionen zu mit ähnlicher Klientel arbeitenden Projekten sowie eine Feld-Umfeld-Analyse verschiedener Stadtteile in Graz (Streetwork-Graz: Streetwork und Rechtsradikalismus. Überlegungen zu Streetwork im sogenannten "rechten Bereich". Graz 1993).
Einige Erkenntnisse dieser eingehenden Beschäftigung mit dem Thema "Rechtsradikalismus" sollen hier aufgezählt werden.
Rechtsextreme Orientierungen sind kein jugendspezifisches Problem, sondern reichen weit in die Gesellschaft hinein. Deshalb soll hier nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß es nicht zielführend ist, "die Jugend zum Patienten zu machen, wenn das System krank ist" (Berliner Graffiti-Spruch). Dem Phänomen Rechtsradikalismus können wir nicht dadurch begegnen, daß wir Jugendliche als Sündenböcke für gesellschaftliche Entwicklungen behandeln.
Öffentliche Skandalisierung jugendlicher Orientierungsmuster und Verhaltensweisen stellen keine konstruktive Lösungsmöglichkeit des Problems dar. Dabei werden "gesellschaftliche Problemlagen umdefiniert zum Problemfall Jugend, jugendliche Reaktionen auf ihre Lebenslagen umdefiniert zu Ursachen" (Krafeld, F.J. (Hrsg.): Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen. Steintor, Bremen 1992).
Die Konfrontation mit Rechtsextremismus ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe und erfordert politisches Handeln. Das Fehlen von "Universalheilmitteln" und "Patentrezepten" verlangt nicht nur von PolitikerInnen eine fortwährende Auseinandersetzung mit dem Thema. Es ist uns ein besonderes Anliegen darauf hinzuweisen, daß politisches Handeln und politische Entscheidungen maßgeblich zur Entwicklung radikalisierter Denkmuster beitragen können. So können mangelhafte Infrastrukturen etwa im kommunalen Wohnbau "jugendlichen Vandalismus" bedingen / begünstigen.
Pädagogische und sozialarbeiterische Ansätze können als wichtiger Teilbereich in der Konfrontation mit radikalen Tendenzen angesehen werden. Sie sind als alleiniger Lösungsansatz jedoch schlichtweg überfordert!
Die wirksame Konfrontation mit dem Phänomen der Radikalisierung darf sich nicht auf einzelne Bevölkerungsgruppen und -schichten (z.B. Jugendliche) beschränken.
Streetwork-Graz praktiziert den allgemeinen, breiten Streetwork-Ansatz. Das bedeutet, wir arbeiten in unterschiedlichen Problembereichen mit einzelnen Jugendlichen und Gruppen, die sozial, kulturell und finanziell benachteiligt sind.
In den letzten Jahren hat sich international eine "neue" Jugendkultur breitgemacht, die in den Medien als die "Rechtsradikale" bezeichnet wird, obwohl es sich eigentlich um verschiedene Jugendkulturen (Skinheads, Hooligans, Streetgangs usw.) handelt.
Jugendliche, die sich durch ihr Aussehen und Auftreten zu diesen Kulturen zugehörig zeigen, gibt es auch in Graz. Ihr politischer Anspruch im rechten Bereich tätig zu sein, ist jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Auf keinen Fall kann ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Gruppenzugehörigkeit sowie Art und Ausprägung des politischen Denkens hergestellt werden. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe hängt in erster Linie von persönlicher Sympathie und Anziehung und von der Attraktivität der Gruppenstrukturen ab.
Wir halten es für illegitim, die Problemlagen Jugendlicher an deren politischen Gesinnung festzumachen. Jugendliche müssen unseres Erachtens als Individuen mit ihren persönlichen Erlebnis- und Bezugswelten gesehen werden. Daher gelten für die Arbeit mit "rechten" Jugendlichen die gleichen Handlungsmodelle wie für alle anderen Gruppen von Jugendlichen auch. Diese Handlungsmodelle sind von Franz Josef Krafeld (ebd.) detailliert dargestellt worden.
Streetwork versucht jene Jugendlichen zu erreichen, für die diese Methode das passende Angebot darstellt, unabhängig von der politischen Ideologie, die sie vertreten. Damit werden auch als "rechts" oder "rechtsradikal" bezeichnete Jugendliche nicht ausgegrenzt.
Der Grundansatz dieser Methode liegt in der akzeptierenden Haltung und im Beziehungsaspekt.
Die Jugendlichen sollen das Gefühl vermittelt bekommen, unabhängig von ihren Wert- und Verhaltensmustern so angenommen zu werden, wie sie sind, als Menschen ernst genommen zu werden. Akzeptanz bedeutet jedoch nicht, daß auch jene Verhaltensweisen Jugendlicher unkritisch akzeptiert werden, die den ethischen und weltanschaulichen Überzeugungen der Streetworker zuwiderlaufen.
Demnach führen diese Differenzen oft zu Auseinandersetzungen und Konfrontationen, denen die Streetworker nicht aus dem Weg gehen. Die Erwartungshaltung, daß Jugendliche aufgrund dieser Gespräche ihr Weltbild verändern, kann dabei nicht im Mittelpunkt stehen. Die Vorstellung, daß der Kontakt zu Streetwork auffälliges Verhalten verhindert, ist zumindest kurz- bis mittelfristig unrealistisch, längerfristig jedoch sehr wohl möglich. Ziel der Arbeit von Streetwork ist es, gemeinsam mit Jugendlichen an einer Stabilisierung bzw. Verbesserung ihrer individuellen Lebenssituation sowie ihrer Lebenszusammenhänge zu arbeiten.
Einstellungen junger Menschen werden häufig durch diffuse, subjektiv jedoch als real wahrgenommene Ängste (Überfremdungs- und Isolationsängste, physische Bedrohung) mitbestimmt. Wir bemühen uns, diese zunächst oft unverständlich erscheinenden Ängste ernst zu nehmen. Gleiches gilt auch für die Ebene der Wünsche und Bedürfnisse unserer KlientInnen.
Man kann sagen, daß die Akzeptanz von Gewalt zur Zeit eher im Zunehmen begriffen ist, und die Hemmschwelle für Gewaltanwendung (vor allem unter Kindern und Jugendlichen) sinkt.
In den analysierten Stadtteilen gehören Gewalterfahrungen zum Alltag Heranwachsender. Gewalt im allgemeinen ist jedoch kein Indiz für zugrundeliegenden Rechtsradikalismus, sondern eher als Folge von Lebensbedingungen anzusehen, die aufgrund ihrer Erlebnis- und Beziehungsarmut als extrem unbefriedigend wahrgenommen werden (Pilz, in: Horak, Reiter, Stocker (Hrsg.): Ein Spiel dauert länger als 90 Minuten. Fußball und Gewalt in Europa. Junius, Hamburg 1988).
Mit pädagogischer Arbeit kann hier kaum mehr als Schadensverminderung erreicht werden. Notwendig wären längerfristige - aufeinander abgestimmte politische und pädagogische - Konzepte, die es jungen Menschen ermöglichen, von der Erwachsenenwelt akzeptiert, unkontrolliert, kreativ und legal ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen.
"Akzeptierende Jugendarbeit ist primär Beziehungsarbeit, die sich im Prozeß wachsender Vertrautheit und Akzeptanz entfaltet" (Krafeld ebd.). Der Aufbau und das Aufrechterhalten einer Vertrauensbasis ist somit das Kernstück der Arbeit mit allen Jugendlichen. Dadurch wird das gemeinsame Arbeiten an einer Verbesserung der individuellen Lebenssituation der jungen Menschen erst ermöglicht. Für die Arbeit des Kleinteams in der Wielandgasse gelten weiterhin die Zielgruppenkriterien des breiten Streetworkansatzes, also der sozialen, kulturellen und materiellen Benachteiligung von Jugendlichen und Jugendgruppen.
Dieser Ansatz wird auch den Kontakt mit Jugendlichen bzw. Jugendgruppen von Skinheads, Hooligans und deklariert Rechts-Denkenden einschließen.
Kontakt:
Streetwork Graz
Orpheumgasse 8
A-8020 Graz
Tel. 0043/316/972238.