Euthanasie
`Der «Teuro» nervt die Deutschen
Von Robert Mayer, Frankfurt
Wer erwartet hatte, die Deutschen würden rasch über den Verlust ihrer geliebten D-Mark hinwegkommen, sieht sich getäuscht. Der Ansturm auf das neue Euro-Bargeld in den ersten Januartagen liess diesen Eindruck vielerorts aufkommen. Von «Europhorie» war die Rede. Knapp ein halbes Jahr später ist sie aus dem hiesigen Vokabular gestrichen, an ihre Stelle der «Teuro» getreten.
Über vier Fünftel aller Deutschen sind der Ansicht, der Euro habe viele Waren und Dienste verteuert. Darunter leidet das Ansehen der neuen Währung: Nur noch 34 Prozent der Befragten begrüssen sie, 39 Prozent lehnen sie ab. Diese Ergebnisse stammen aus der monatlichen Umfrage der «Financial Times Deutschland» von Anfang Mai. Die Popularität des Euro ist damit auf den tiefsten Wert seit November 2001 gesunken. Laut einer kürzlich in der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» veröffentlichten Befragung wünschen sich gar 54 Prozent die D-Mark zurück.
Die wieder wachsende Euro-Skepsis unter den Deutschen sorgt in der Bundesregierung für Nervosität. Sie fürchtet, bei der anstehenden Bundestagswahl für den Missmut der Wähler über die vermeintliche «Euro-Abzocke» büssen zu müssen.
Des Ministers Zorn
Mitte Mai räumte Finanzminister Hans Eichel ein, dass die Währungsumstellung für die Konsumenten teurer gewesen sei als von der Regierung erwartet. Im gleichen Atemzug nahm er sich die Gastronomie und einen Teil der Dienstleister vor, die mit Preiserhöhungen «ziemlich hingelangt» hätten. Des Ministers Zorn entlud sich vor allem über einen Eisverkäufer in der Nähe von Eichels Wohnung, der den Preis für eine Kugel von 1.50 DM auf 1 Euro, mithin um rund 30 Prozent, erhöht habe. Doch Deutschlands oberster Kassenwart hatte ein probates Gegenmittel zur Hand: Er kaufe nicht dort, «wo ich mich betupft fühle», liess er wissen. «Und wenn wir das alle so machen, dann wird sich das auch wieder einpendeln.»
Damit landete Eichel einen Volltreffer in der Boulevardpresse. Seither überbietet sie sich darin, Beispiele versteckter Verteuerungen ans Licht zu bringen.
Zu den Gescholtenen gehört auch die evangelische Kirchgemeinde Velbert in Nordrhein-Westfalen, welche die Gebühren für die Grabpflege auf dem Friedhof im Zuge der Euro-Umstellung um 36 Prozent erhöhte. Der Einzelhandel freilich tobt. «So geht es nicht, dass der Brandstifter auf andere zeigt», wetterte ihr Verbandssprecher und verwies auf die zu Jahresbeginn angehobene Ökosteuer sowie auf höhere Abgaben für Versicherungen und Zigaretten.
Die heftige Reaktion der Einzelhändler auf Eichels versteckten Boykottaufruf erklärt sich auch damit, dass viele mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie sehen sich nämlich ohnehin schon einem «Käuferstreik» ausgesetzt: Im ersten Quartal 2002 ging der deutsche Einzelhandelsumsatz um 2,3 Prozent zurück. Beobachter machen dafür nicht nur rückläufige Realeinkommen und die hohe Arbeitslosigkeit verantwortlich, sondern auch das diffuse Gefühl der Konsumenten, der Euro zerrinne viel rascher in ihren Händen als die D-Mark. Dieses Vorurteil lässt sich täglich bei gewissen «fühlbaren» Preisen von neuem bestätigen: der Cappuccino, der Frisör, die Tomaten - alles kostet mehr. Dass gleichzeitig wesentlich grössere Haushaltposten, wie etwa die Mieten, praktisch ohne Zuschläge in Euro umgerechnet wurden, registrieren die Leute dagegen kaum. Entsprechend ungläubig entnahmen sie am Freitag den Medien, dass die deutsche Mai-Teuerung auf 1,2 (Vormonat: 1,6) Prozent gefallen ist.
Wahlkampf mit dem teuren Euro
Die Politiker ihrerseits haben mit dem «Teuro»
ein neues Wahlkampfthema entdeckt. Verbraucherschutzministerin
Renate Künast etwa veranstaltet am kommenden Freitag einen
«Anti-Teuro-Gipfel» mit Vertretern von Handel und
Gastronomie - «damit es schnell wieder faire Preise gibt»
-, und laut Kanzlerkandidat Edmund Stoiber soll sich künftig
das Parlament regelmässig mit den Euro-Preisen befassen.