Annette von Droste-Hülshoff

(1797-1848)


Am Turme
 

Ich steh' auf hohem Balkone am Turm,
umstrichen vom schreienden Stare,
und lass' gleich einer Mänade den Sturm
mir wühlen im flatternden Haare;
o wilder Geselle, o toller Fant,
ich möchte dich kräftig umschlingen,
und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
auf Tod und Leben dann ringen!

Und drunten seh' ich am Strand, so frisch
wie spielende Doggen, die Wellen
sich tummeln rings mit Geklaff und Gezisch
und glänzende Flocken schnellen.
O, springen möcht' ich hinein alsbald
recht in die tobende Meute
und jagen durch den korallenen Wald
das Walroß, die lustige Beute!

Und drüben seh' ich ein Wimpel wehn
so keck wie eine Standarte,
seh' auf und nieder den Kiel sich drehn
von meiner luftigen Warte;
o, sitzen möcht' ich im kämpfenden Schiff,
das Steuerruder ergreifen
und zischend über das brandende Riff
wie eine Seemöve streifen.

Wär' ich ein Jäger auf freier Flur,
ein Stück nur von einem Soldaten,
wär' ich ein Mann doch mindestens nur,
so würde der Himmel mir raten;
nun muß ich sitzen so fein und klar
gleich einem artigen Kinde
und darf nur heimlich lösen mein Haar
und lassen es flattern im Winde!
 
 

Am letzten Tag des Jahres (Silvester)
 

Das Jahr geht um,
der Faden rollt sich sausend ab.
Ein Stündchen noch, das letzte heut,
Und stäubend rieselt in sein Grab,
was einstens war lebendge Zeit.
Ich harre stumm.

's ist tiefe Nacht!
Ob wohl ein Auge offen noch?
In diesen Mauern rüttelt dein
Verinnen, Zeit! Mir schaudert, doch
Es will die letzte Stunde sein
Einsam durchwacht,

Gesehen all,
Was ich begangen und gedacht.
Was mir aus Haupt und Herzen stieg,
Das steht nun eine ernste Wacht
Am Himmelstor, O halber Sieg!
O schwerer Fall!

Wie reißt der Wind
Am Fensterkreuze! Ja, es will
Auf Sturmesfittichen das Jahr
Zerstäuben, nicht ein Schatten still
Verhauchen unterm Sternenklar.
Du Sündenkind,

War nicht ein hohl
Und heimlich Sausen jeder Tag
In deiner wüsten Brust Verlies,
Wo langsam Stein an Stein zerbrach,
wenn es den kalten Odem stieß
Vom starren Pol?

Mein Lämpchen will
Verlöschen, und begierig saugt
Der Docht den letzten Tropfen Öl.
Ist so mein Leben auch verraucht?
Eröffnet sich des Grabes Höhl
Mir schwarz und still?

Wohl in dem Kreis,
Den dieses Jahres Lauf umzieht,
Mein Leben bricht. Ich wußt es lang!
Und dennoch hat dies Herz geglüht
In eitler Leidenschaften Drang!
Mir brüht der Schweiß

Der tiefsten Angst
Auf Stirn und Hand. - Wie? dämmert feucht
Ein Stern dort durch die Wolken nicht?
Wär es der Liebe Stern vielleicht,
Dir zürnend mit dem trüben Licht,
Daß du so bangst?

Horch, welch Gesumm?
Und wieder? Sterbemelodie!
Die Glocke regt den ehrnen Mund.
O Herr, ich falle auf das Knie:
Sei gnädig meiner letzten Stund!
Das Jahr ist um!
 
 

An Levin Schücking
 

Kein Wort, und wär es scharf wie Stahles Klinge,
Soll trennen, was in tausend Fäden eins,
So mächtig kein Gedanke, daß er dringe
Vergällend in den Becher reinen Weins;
Das Leben ist so kurz, das Glück so selten,
So großes Kleinod, einmal sein statt gelten!

Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
Auf feindlich starre Pole gleich erhöht,
So wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze
Herrscht, König über alle, der Magnet,
Nicht fragt er, ob ihn Fels und Strom gefährde,
Ein Strahl fährt mitten er durchs Herz der Erde.

Blick in mein Auge - ist es nicht das deine,
Ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich?
Du lächelst - und dein Lächeln ist das meine,
An gleicher Lust und gleichem Sinnen reich;
Worüber alle Lippen freundlich scherzen,
Wir fühlen heil'ger es im eignen Herzen.

Pollux und Kastor - wechselnd Glühn und Bleichen,
Des einen Licht geraubt dem andern nur,
Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. -
So reiche mir die Hand, mein Dioskur!
Und mag erneuern sich die holde Mythe,
Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte.
 
 

Das Haus in der Heide
 

Wie lauscht, vom Abendschein umzuckt,
die strohgedeckte Hütte,
recht wie im Nest der Vogel duckt,
aus dunkler Föhren Mitte.

Am Fensterloche streckt das Haupt
die weißgestirnte Sterke,
bläst in den Abendduft und schnaubt
und stößt ans Holzgewerke.

Seitab ein Gärtchen, dornumhegt,
mit reinlichem Gelände,
wo matt ihr Haupt die Glocke trägt,
aufrecht die Sonnenwende.

Und drinnen kniet ein stilles Kind,
das scheint den Grund zu jäten,
nun pflückt sie eine Lilie lind
und wandelt längs den Beeten.

Am Horizonte Hirten, die
im Heidekraut sich strecken
und mit des Aves Melodie
träumende Lüfte wecken.

Und von der Tenne ab und an
schallt es wie Hammerschläge,
der Hobel rauscht, es fällt der Span,
und langsam knarrt die Säge.

Da hebt der Abendstern gemach
sich aus den Föhrenzweigen,
und grade ob der Hütte Dach
scheint er sich mild zu neigen.

Es ist ein Bild, wie still und heiß
es alte Meister hegten,
kunstvolle Mönche, und mit Fleiß
es auf den Goldgrund legten:

Der Zimmermann - die Hirten gleich
mit ihrem frommen Liede,
die Jungfrau mit dem Lilienzweig,
und rings der Gottesfriede.

Des Sternes wunderlich Geleucht
aus zarten Wolkenfloren -
Ist etwa hier im Stall vielleicht
Christkindlein heut geboren?
 
 

Das Hirtenfeuer
 

Dunkel, dunkel im Moor,
über der Heide Nacht,
nur das rieselnde Rohr
neben der Mühle wacht,
und an des Rades Speichen
schwellende Tropfen schleichen.

Unke kauert im Sumpf,
Igel im Grase duckt,
in dem modernden Sumpf
schlafend die Kröte zuckt,
und am sandigen Hange
rollt sich fester die Schlange.

Was klimmt dort hinterm Ginster
und bildet lichte Scheiben?
Nun wirft es Funkenflinster,
die löschend niederstäuben;
nun wieder alles dunkel -
ich hör' des Stahles Picken,
ein Knistern, ein Gefunkel,
und auf die Flammen zücken.

Und Hirtenbuben hocken
im Kreis umher, sie strecken
die Hände, Torfes Brocken
seh ich die Lohe lecken;
da bricht ein starker Knabe
aus des Gestrüppes Windel
und schleiftet nach im Trabe
ein wüst Wacholderbündel.

Er läßt's am Feuer kippen -
hei, wie die Buben johlen
und mit den Fingern schnippen
die Funken-Girandolen!
Wie ihre Zipfelmützen
am Ohre lustig flattern,
und wie die Nadeln spritzen,
und wie die Äste knattern!

Die Flamme sinkt, sie hocken
aufs neu umher im Kreise,
und wieder fliegen Brocken,
und wieder schwelt es leise;
glührote Lichter streichen
an Haarbusch und Gesichte,
und schier Dämonen gleichen
die kleinen Heidewichte.

Der da, der Unbeschuhte,
was streckt er in das Dunkel
den Arm wie eine Rute,
im Kreise welche Gemunkel?
Sie spähn wie junge Geier
von ihrer Ginsterschütte:
ha, noch ein Hirtenfeuer,
recht an des Dammes Mitte!

Man sieht es eben steigen
und seine Schimmer breiten,
den wirren Funkenreigen
übern Wacholder gleiten;
die Buben flüstern leise,
sie räuspern ihre Kehlen,
und alte Heideweisen
verzittern durch die Schmehlen.

»Helo, helo!
Heloe, loe!
Komm du auf unsre Heide,
wo ich mein Schäflein weide,
komm, o komm in unser Bruch,
da gibt's der Blümelein genug! -
Helo, heloe!«

                                Die Knaben schweigen, lauschen nach dem Tann,
                                und leise durch den Ginster zieht's heran:
                                            Gegenstrophe.
 
 

Das Spiegelbild
 

Schaust du mich an aus dem Kristall
Mit deiner Augen Nebelball,
Kometen gleich, die im Verbleichen;
Mit Zügen, worin wunderlich
Zwei Seelen wie Spione sich
Umschleichen, ja, dann flüstre ich:
Phantom, du bist nicht meinesgleichen!

Bist nur entschlüpft der Träume Hut,
Zu eisen mir das warme Blut,
Die dunkle Locke mir zu blassen;
Und dennoch, dämmerndes Gesicht,
Drin seltsam spielt ein Doppellicht,
Trätest du vor, ich weiß es nicht,
Würd ich dich lieben oder hassen?

Zu deiner Stirne Herrscherthron,
Wo die Gedanken leisten Fron
Wie Knechte, würd ich schüchtern blicken;
Doch von des Auges kaltem Glast,
Voll toten Lichts, gebrochen fast,
Gespenstig, würd, ein scheuer Gast,
Weit, weit ich meinen Schemel rücken.

Und was den Mund umspielt so lind,
So weich und hülflos wie ein Kind,
Das möcht in treue Hut ich bergen;
Und wieder, wenn er höhnend spielt,
Wie von gespanntem Bogen zielt,
Wenn leis es durch die Züge wühlt,
Dann möcht ich fliehen wie vor Schergen.

Es ist gewiß, du bist nicht Ich,
Ein fremdes Dasein, dem ich mich
Wie Moses nahe, unbeschuhet,
Voll Kräfte, die mir nicht bewußt,
Voll fremden Leides, fremder Lust;
Gnade mir Gott, wenn in der Brust
Mir schlummernd deine Seele ruhet!

Und dennoch fühl ich, wie verwandt,
Zu deinen Schauern mich gebannt,
Und Liebe muß der Furcht sich einen.
Ja, trätest aus Kristalles Rund,
Phantom, du lebend auf den Grund,
Nur leise zittern würd ich, und
Mich dünkt - ich würde um dich weinen!
 
 

Der Brief aus der Heimat
 

Sie saß am Fensterrand im Morgenlicht
und starrte in das aufgeschlagne Buch;
die Zeilen zählte sie und wußt' es nicht,
ach weithin, weithin der Gedanken Flug!
Was sind so ängstlich ihre nächt'gen Träume?
Was scheint die Sonne durch so öde Räume?
- Auch heute kam kein Brief, auch heute nicht.

Seit Wochen weckte sie der Lampe Schein,
hat bebend an der Stiege sie gelauscht;
wenn plötzlich am Gemäuer knackt der Schrein,
ein Fensterladen auf im Winde rauscht, -
es kommt, es naht, die Sorgen sind geendet!
Sie hat gefragt, sie hat sich abgewendet
und schloß sich dann in ihre Kammer ein.

Kein Lebenszeichen von der liebsten Hand,
von jener, die sie sorglich hat gelenkt,
als sie zum erstenmal zum festen Stand
die zarten Kinderfüßchen hat gesenkt;
versprengter Tropfen von der Quelle Rande,
harrt sie vergebens in dem fremden Lande;
die Tage schleichen hin, die Woche schwand.

Was ihre rege Phantasie geweckt?
Ach, eine Leiche sah die Heimat schon,
seit sie den unbedachten Fuß gestreckt
auf fremden Grund und hörte fremden Ton;
sie küßte scheidend jung' und frische Wangen,
die jetzt von tiefer Grabesnacht umfangen;
ist's Wunder, daß sie tödlich aufgeschreckt?

In Träumen steigt das Krankenbett empor,
und Züge dämmern wie in halber Nacht;
wer ist's? - sie weiß es nicht und spannt das Ohr,
sie horcht mit ihrer ganzen Seele Macht;
dann fährt sie plötzlich auf im Windesrauschen
und glaubt dem matten Stöhnen noch zu lauschen
und kann erst spät begreifen, daß sie wacht.

Doch sieh, dort fliegt sie übern glatten Flur,
ihr aufgelöstes Haar umfließt sie rund,
und zitternd ruft sie mit des Weinens Spur:
»Ein Brief, ein Brief, die Mutter ist gesund!«
Und ihre Tränen stürzen wie zwei Quellen,
die übervoll aus ihren Ufern schwellen;
ach, eine Mutter hat man einmal nur!
 
 

Der Geierpfiff
 

»Nun still! - Du an den Dohnenschlag!
Du links in den gespaltnen Baum!
Und hier der faule Fetzer mag
sich lagern an der Klippe Saum:
da seht fein offen übers Land
die Kutsche ihr heran spazieren;
und Rieder dort, der Höllenbrand,
mag in den Steinbruch sich postieren!

Dann aufgepaßt mit Aug' und Ohr,
und bei dem ersten Räderhall
den Eulenschrei! und tritt hervor
die Fracht, dann wiederholt den Schall.
Doch, naht Gefahr - Patrouillen gehn, -
seht ihr die Landdragoner streifen,
dann dreimal, wie von Riffeshöhn,
laßt ihr den Lämmergeier pfeifen.

Nun, Rieder, noch ein Wort zu dir:
Mit Recht heißt du der Höllenbrand;
kein Stückchen - ich verbitt' es mir -
wie neulich mit der kalten Hand!«
Der Hauptmann spricht es; durch den Kreis
ein Rauschen geht und feines Schwirren,
als sie die Büchsen schultern leis
und in den Gurt die Messer klirren.

Seltsamer Troß! Hier Riesenbau
und hiebgespaltnes Angesicht,
und dort ein Bübchen wie 'ne Frau,
ein zierliches Spelunkenlicht;
der drüben an dem Scheitelhaar
so sachte streift den blanken Fänger,
schaut aus den blauen Augen gar
wie ein verarmter Minnesänger.

's ist lichter Tag! die Bande scheut
vor keiner Stunde - alles gleich;
es ist die rote Bande, weit
verschrie'n, gefürchtet in dem Reich;
das Knäbchen kauert unterm Stier
und betet, raschelt es im Walde,
und manches Weib verschließt die Tür,
schreit nur ein Kuckuck an der Halde.

Die Posten haben sich zerstreut,
und in die Hütte schlüpft der Troß -
Wildhüters Obdach zu der Zeit,
als jene Trümmer war ein Schloß;
wie Ritter vor der Ahnengruft
fühlt sich der Räuber stolz gehoben
am Schutte, dran ein gleicher Schuft
vor Jahren einst den Brand geschoben.

Und als der letzte Schritt verhallt,
der letzte Zweig zurückgerauscht,
da wird es einsam in dem Wald,
wo überm Ast die Sonne lauscht;
und als es drinnen noch geklirrt
und noch ein Weilchen sich geschoben,
da still es in der Hütte wird,
vom wilden Weingerank umwoben.

Der scheue Vogel setzt sich kühn
aufs Dach und wiegt sein glänzend Haupt,
und summend durch der Reben Grün
die wilde Biene Honig raubt;
nur leise, wie der Hauch im Tann,
wie Weste durch die Halme streifen,
hört drinnen leise, leise man
vorsichtig an den Messern schleifen. -

Ja, lieblich ist des Berges Maid
in ihrer festen Glieder Pracht,
in ihrer blanken Fröhlichkeit
und ihrer Zöpfe Rabennacht;
siehst du sie brechen durch's Genist
der Brombeerranken, frisch, gedrungen,
du denkst, die Zentifolie ist
vor Übermut vom Stiel gesprungen.

Nun steht sie still und schaut sich um -
all überall nur Baum an Baum;
ja, irre zieht im Walde um
des Berges Maid und glaubt es kaum;
noch zwei Minuten, wo sie sann,
pulsieren ließ die heißen Glieder -
behende wie ein Marder dann
schlüpft keck sie in den Steinbruch nieder.

Am Eingang steht ein Felsenblock,
wo das Geschiebe überhängt;
der Efeu schüttelt sein Gelock,
zur grünen Laube vorgedrängt,
da unterm Dache lagert sie,
behaglich lehnend an dem Steine,
und denkt: ich sitze wahrlich wie
ein Heil'genbildchen in dem Schreine!

Ihr ist so warm, der Zöpfe Paar
sie löset mit der runden Hand,
und nieder rauscht ihr schwarzes Haar
wie Rabenfittiches Gewand.
Ei, denkt sie, bin ich doch allein!
Auf springt das Spangenpaar am Mieder;
doch unbeweglich gleich dem Stein
steht hinterm Block der wilde Rieder.

Er sieht sie nicht, nur ihren Fuß,
der tändelnd schaukelt wie ein Schiff,
zuweilen treibt des Windes Gruß
auch eine Locke um das Riff;
doch ihres heißen Odems Zug,
Samumes Hauch, glaubt er zu fühlen,
verlorne Laute, wie im Flug
Lockvögel, um das Ohr ihm spielen.

So weich die Luft und badewarm,
berauschend Thymianes Duft,
sie lehnt sich, dehnt sich, ihren Arm,
den vollen, streckt sie aus der Kluft,
schließt dann ihr glänzend Augenpaar -
nicht schlafen, ruhn nur eine Stunde -
so dämmert sie, und die Gefahr
wächst von Sekunde zu Sekunde.

Nun alles still - sie hat gewacht -
doch hinterm Steine wird's belebt,
und seine Büchse sachte, sacht
der Rieder von der Schulter hebt,
lehnt an die Klippe ihren Lauf,
dann lockert er der Messer Klingen,
hebt nun den Fuß - was hält ihn auf?
Ein Schrei scheint aus der Luft zu dringen!

Ha, das Signal! - er ballt die Faust -
und wiederum des Geiers Pfiff
ihm schrillend in die Ohren saust -
noch zögert knirschend er am Riff -
zum drittenmal - und sein Gewehr
hat er gefaßt - hinan die Klippe!
daß bröckelnd Kies und Sand umher
nachkollern vor dem Steingerippe.

Und auch das Mädchen fährt empor:
»Ei, ist so locker das Gestein?«
Und langsam, gähnend tritt hervor
sie aus dem falschen Heil'genschrein,
hebt ihrer Augen feuchtes Glühn,
will nach dem Sonnenstande schauen,
da sieht sie einen Geier ziehn
mit einem Lamm in seinen Klauen.

Und schnell gefaßt, der Wildnis Kind,
tritt sie entgegen seinem Flug:
der kam daher, wo Menschen sind,
das ist der Bergesmaid genug.
Doch still! war das nicht Stimmenton
und Räderknarren? Still! sie lauscht -
und wirklich, durch die Nadeln schon
die schwere Kutsche ächzt und rauscht.

»He, Mädchen!« ruft es aus dem Schlag,
mit feinem Knix tritt sie heran,
»zeig uns zum Dorf die Wege nach,
wir fuhren irre in dem Tann!« -
»Herr,« spricht sie lachend, »nehmt mich auf,
auch ich bin irr' und führ' euch doch.« -
»Nun wohl, du schmuckes Kind, steig auf,
nur frisch hinauf, du zögerst noch?«

»Herr, was ich weiß, ist nur gering,
doch führt es euch zu Menschen hin,
und das ist schon ein köstlich Ding
im Wald, mit Räuberhorden drin;
seht, einen Weih am Bergeskamm
sah steigen ich aus jenen Gründen,
der in den Fängen trug ein Lamm;
dort muß sich eine Herde finden.« -

Am Abend steht des Forstes Held
und flucht die Steine warm und kalt;
der Wechsler freut sich, daß sein Geld
er klug gesteuert durch den Wald,
und nur die gute, franke Maid
nicht ahnet in der Träume Walten,
daß über sie so gnädig heut
der Himmel seinen Schild gehalten.
 
 

Der Knabe im Moor
 

O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritt ein Quellchen springt,
Wenn es aus der Spalte zischt und singt!-
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn der Röhrich knistert im Hauche!

Fest hält die Fiebel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind-
Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.

Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnenlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!

Voran, voran! Nur immer im Lauf,
Voran, als woll es ihn holen!
Vor seinem Fuße brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen,
Wie eine gespenstische Melodei;
Das ist der Geigemann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitsheller gestohlen!

Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
"Ho, ho, meine arme Seele!"
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär nicht Schutzengel in seiner Näh,
Seine bleichen Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwele.

Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhr war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide.
 
 

Der Weiher
 

Er liegt so still im Morgenlicht,
so friedlich, wie ein fromm Gewissen;
wenn Weste seinen Spiegel küssen,
des Ufers Blume fühlt es nicht;
Libellen zittern über ihn,
blaugoldne Stäbchen und Karmin,
und auf des Sonnenbildes Glanz
die Wasserspinne führt den Tanz;
Schwertlilienkranz am Ufer steht
und horcht des Schilfes Schlummerliede;
ein lindes Säuseln kommt und geht,
als flüstr' es: Friede! Friede! Friede!

Stille, er schläft! stille, stille!
Libelle, reg' die Schwingen sacht,
daß nicht das Goldgewebe schrille,
und, Ufergrün, hab' gute Wacht,
kein Kieselchen laß niederfallen.
Er schläft auf seinem Wolkenflaum,
und über ihn läßt säuselnd wallen
das Laubgewölb der alte Baum;
hoch oben, wo die Sonne glüht,
wieget der Vogel seine Flügel,
und wie ein schlüpfend Fischlein zieht
sein Schatten durch des Teiches Spiegel.
Stille, stille! er hat sich geregt,
ein fallend Reis hat ihn bewegt,
das grad zum Nest der Hänfling trug;
su, su! breit', Ast, dein grünes Tuch -
su, su! nun schläft er fest genug.
 
 

Der sterbende General
 

Er lag im dichtverhängten Saal,
wo grau der Sonnenstrahl sich brach,
auf seinem Schmerzensbette lag
der alte kranke General.
Genüber ihm am Spiegel hing
Echarpe, Orden, Feldherrnstab.
Still war die Luft, am Fenster ging
langsam die Schildwach auf und ab.

Wie der verwitterte Soldat
so stumm die letzte Fehde kämpft!
Zwölf Stunden, seit zuletzt gedämpft
um »Wasser« er, um »Wasser« bat.
An seinem Kissen beugten zwei,
des einen Auge rotgeweint,
des andern düster, fest und treu,
ein Diener und ein alter Freund.

»Tritt seitwärts,« sprach der eine, »laß
ihn seines Standes Ehre sehn! -
Den Vorhang weg, daß flatternd wehn
die Bänder an dem Spiegelglas!«
Der Kranke schlug die Augen auf,
man sah wohl, daß er ihn verstand,
ein Blick, ein leuchtender, und drauf
hat er sich düster abgewandt.

»Denkst du, mein alter Kamerad,
der jubelnden Viktoria?
Wie flogen unsre Banner da
durch der gemähten Feinde Saat!
Denkst du an unsers Prinzen Wort:
'Man sieht es gleich, hier stand der Wart!'
Schnell, Konrad, nehmt die Decke fort,
sein Odem wird so kurz und hart!«

Der Obrist lauscht, er murmelt sacht:
»Verkümmert wie ein welkes Blatt!
Das Dutzend Friedensjahre hat
zum Kapuziner ihn gemacht. -
Wart! Wart! du hast so frisch und licht
so oft dem Tode dich gestellt,
die Furcht, ich weiß es, kennst du nicht,
so stirb auch freudig wie ein Held!

Stirb, wie ein Leue, adelig,
in seiner Brust das Bleigeschoß,
o stirb nicht, wie ein zahnlos Roß,
das zappelt vor des Henkers Stich! -
- Ha, seinem Auge kehrt der Strahl! -
Stirb, alter Freund, stirb wie ein Mann!«
Der Kranke zuckt, zuckt noch einmal,
und »Wasser, Wasser« stöhnt er dann.

Leer ist die Flasche. - »Wache dort,
he, Wache, du bist abgelöst!
Schau, wo ans Haus das Gitter stößt,
lauf, Wache, lauf zum Borne fort! -
's ist auch ein grauer Knasterbart,
und strauchelt wie ein Dromedar -
nur schnell, die Sohlen nicht gespart!
Was, alter Bursche, Tränen gar?«

»Mein Kommandant,« spricht der Ulan
grimmig verschämt, »ich dachte nach,
wie ich blessiert am Strauche lag,
der General mir nebenan,
und wie er mir die Flasche bot,
selbst dürstend in dem Sonnenbrand,
und sprach: 'Du hast die schlimmste Not,'
dran dacht ich nur, mein Kommandant!«

Der Kranke horcht, durch sein Gesicht
zieht ein verwittert Lächeln, dann
schaut fest den Veteran er an. -
Die Seele, der Viktorie nicht,
nicht Fürstenwort gelöst den Flug,
auf einem Tropfen Menschlichkeit
schwimmt mit dem letzten Atemzug
sie lächelnd in die Ewigkeit.
 
 

Die beschränkte Frau
 

Ein Krämer hatte eine Frau,
die war ihm schier zu sanft und milde,
ihr Haar zu licht, ihr Aug' zu blau,
zu gleich ihr Blick dem Mondenschilde;
wenn er sie sah so still und sacht
im Hause gleiten wie ein Schemen,
dann faßt' es ihn wie böse Macht,
er mußte sich zusammennehmen.

Vor allem macht' ihm Überdruß
ein Wort, das sie an alles knüpfte,
das freilich in der Rede Fluß
gedankenlos dem Mund entschlüpfte:
»In Gottes Namen,« sprach sie dann,
wenn schwere Prüfungsstunden kamen,
und wenn zu Weine ging ihr Mann,
dann sprach sie auch: »In Gottes Namen.«

Das schien ihm lächerlich und dumm,
mitunter frevelhaft vermessen;
oft schalt er, und sie weinte drum
und hat es immer doch vergessen.
Gewöhnung war es früher Zeit
und klösterlich verlebter Jugend;
so war es keine Sündlichkeit
und war auch eben keine Tugend.

Ein Sprichwort sagt: Wem gar nichts fehlt,
den ärgert an der Wand die Fliege;
so hat dies Wort ihn mehr gequält
als andre Hinterlist und Lüge.
Und sprach sie sanft: »Es paßte schlecht!«
durch Demut seinen Groll zu zähmen,
so schwur er, übel oder recht
werd' es ihn ärgern und beschämen.

Ein Blütenhag war seine Lust.
Einst sah die Frau ihn sinnend stehen
und ganz versunken, unbewußt,
so Zweig an Zweig vom Strauche drehen.
»In Gottes Namen!« rief sie, »Mann,
du ruinierst den ganzen Hagen!«
Der Gatte sah sie grimmig an,
fürwahr, fast hätt' er sie geschlagen.

Doch wer da Unglück sucht und Reu,
dem werden sie entgegen eilen;
der Handel ist ein zart Gebäu
und ruht gar sehr auf fremden Säulen:
Ein Freund falliert, ein Schuldner flieht,
ein Gläub'ger will sich nicht gedulden,
und eh ein halbes Jahr verzieht,
weiß unser Krämer sich in Schulden.

Die Gattin hat ihn oft gesehn
gedankenvoll im Sande waten,
am Kontobuche seufzend stehn,
und hat ihn endlich auch erraten;
sie öffnet heimlich ihren Schrein,
langt aus verborgner Fächer Grube,
dann, leise wie der Mondenschein,
schlüpft sie in ihres Mannes Stube.

Der saß, die schwere Stirn gestützt,
und rauchte fort am kalten Rohre:
»Karl!« drang ein scheues Flüstern itzt,
und wieder »Karl!« zu seinem Ohre;
sie stand vor ihm, wie Blut so rot,
als gält' es eine Schuld gestehen.
»Karl,« sprach sie, »wenn uns Unheil droht,
ist's denn unmöglich, ihm entgehen?«

Drauf reicht sie aus der Schürze dar
ein Säckchen, stramm und schwer zu tragen,
drin alles, was sie achtzehn Jahr
erspart am eigenen Behagen.
Er sah sie an mit raschem Blick
und zählte, zählte nun aufs neue,
dann sprach er seufzend: »Mein Geschick
ist zu verwirrt - dies langt wie Spreue!«

Sie bot ein Blatt und wandt' sich um,
erzitternd, glüh gleich der Granate;
es war ihr kleines Eigentum,
das Erbteil einer frommen Pate.
»Nein,« sprach der Mann, »das soll nicht sein!«
Und klopfte freundlich ihre Wangen.
Dann warf er einen Blick hinein
und sagte dumpf: »Schier möcht' es langen.«

Nun nahm sie aus der Schürze Grund
all ihre armen Herrlichkeiten,
Teelöffelchen, Dukaten rund,
was ihr geschenkt von Kindeszeiten.
Sie gab es mit so freud'gem Zug!
Doch war's, als ob ihr Mund sich regte,
als sie zuletzt aufs Kontobuch
der sel'gen Mutter Trauring legte.

»Fast langt es,« sprach gerührt der Mann,
»und dennoch kann es schmählich enden;
willst du dein Leben dann fortan,
geplündert, fristen mit den Händen?«
Sie sah ihn an, - nur Liebe weiß
an liebem Blicke so zu hangen -
»In Gottes Namen!« sprach sie leis,
und weinend hielt er sie umfangen.
 
 

Die junge Mutter
 

Im grün verhangnen duftigen Gemach,
auf weißen Kissen liegt die junge Mutter;
wie brennt die Stirn! sie hebt das Auge schwach
zum Bauer, wo die Nachtigall das Futter
den nackten Jungen reicht: »Mein armes Tier,«
so flüstert sie, »und bist du auch gefangen
gleich mir, wenn draußen Lenz und Sonne prangen,
so hast du deine Kleinen doch bei dir.«

Den Vorhang hebt die graue Wärterin
und legt den Finger mahnend auf die Lippen;
die Kranke dreht das schwere Auge hin,
gefällig will sie von dem Tranke nippen;
er mundet schon, und ihre bleiche Hand
faßt fester den Kristall, - o milde Labe! -
»Elisabeth, was macht mein kleiner Knabe?«
»Er schläft,« versetzt die Alte abgewandt.

Wie mag er zierlich liegen! - Kleines Ding! -
und selig lächelnd sinkt sie in die Kissen;
ob man den Schleier um die Wiege hing,
den Schleier, der am Erntefest zerrissen?
Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett,
daß alle Frauen höchlich es gepriesen.
Und eine Ranke ließ sie drüber sprießen.
»Was läutet man im Dom, Elisabeth?«

»Madame, wir haben heut' Mariatag.«
So hoch im Mond? sie kann sich nicht besinnen. -
Wie war es nur? - Doch ihr Gehirn ist schwach,
und leise suchend zieht sie aus den Linnen
ein Häubchen, in dem Strahle kümmerlich
läßt sie den Faden in die Nadel gleiten;
so ganz verborgen will sie es bereiten,
und leise, leise zieht sie Stich um Stich.

Da öffnet knarrend sich die Kammertür,
vorsicht'ge Schritte übern Teppich schleichen.
»Ich schlafe nicht, Rainer, komm her, komm hier!
Wann wird man endlich mir den Knaben reichen?«
Der Gatte blickt verstohlen himmelwärts,
küßt wie ein Hauch die kleinen weißen Hände:
»Geduld, Geduld, mein Liebchen, bis zum Ende!
Du bist noch gar zu leidend, gutes Herz.«

»Du duftest Weihrauch, Mann.« - »Ich war im Dom;
schlaf, Kind!« und wieder gleitet er von dannen.
Sie aber näht, und liebliches Phantom
spielt um ihr Aug' von Auen, Blumen, Tannen. -
Ach, wenn du wieder siehst die grüne Au,
siehst über einem kleinen Hügel schwanken
den Tannenzweig und Blumen drüber ranken,
dann tröste Gott dich, arme junge Frau!
 
 

Die tote Lerche
 

Ich stand an deines Landes Grenzen,
an deinem grünen Saatenwald,
und auf des ersten Strahles Glänzen
ist dein Gesang herabgewallt.
Der Sonne schwirrtest du entgegen,
wie eine Mücke nach dem Licht,
dein Lied war wie ein Blütenregen,
dein Flügelschlag wie ein Gedicht.

Da war es mir, als müsse ringen
ich selber nach dem jungen Tag,
als horch ich meinem eignen Singen
und meinem eignen Flügelschlag;
die Sonne sprühte glühe Funken,
in Flammen brannte mein Gesicht,
ich selber taumelte wie trunken,
wie eine Mücke nach dem Licht.

Da plötzlich sank und sank es nieder,
gleich toter Kohle in die Saat,
noch zucken sah ich kleine Glieder
und bin erschrocken dann genaht;
dein letztes Lied, es war verklungen,
du lagst, ein armer kalter Rest,
am Strahl verflattert und versungen
bei deinem halbgebauten Nest.

Ich möchte Tränen um dich weinen,
wie sie das Weh vom Herzen drängt,
denn auch mein Leben wird verscheinen,
ich fühl's, versungen und versengt;
dann du, mein Leib, ihr armen Reste!
dann nur ein Grab auf grüner Flur,
und nah nur, nah bei meinem Neste,
in meiner stillen Heimat nur!
 
 

Durchwachte Nacht
 

   Wie sank die Sonne glüh und schwer,
   Und aus versengter Welle dann
   Wie wirbelte der Nebel Heer
   Die sternenlose Nacht heran! -
   Ich höre ferne Schritte gehn -
   Die Uhr schlägt Zehn.

Noch ist nicht alles Leben eingenickt,
Der Schlafgemächer letzte Türen knarren;
Vorsichtig in der Rinne Bauch gedrückt,
Schlüpft noch der Iltis an des Giebels Sparren,
Die schlummertrunkne Färse murrend nickt,
Und fern im Stalle dröhnt des Rosses Scharren,
Sein müdes Schnauben, bis, vom Mohn getränkt,
Sich schlaff die regungslose Flanke senkt.

   Betäubend gleitet Fliederhauch
   Durch meines Fensters offnen Spalt,
   Und an der Scheibe grauem Rauch
   Der Zweige wimmelnd Neigen wallt.
   Matt bin ich, matt wie die Natur! -
   Elf schlägt die Uhr.

0 wunderliches Schlummerwachen, bist
Der zartren Nerve Fluch du oder Segen? -
's ist eine Nacht, vom Taue wach geküßt,
Das Dunkel fühl ich kühl wie feinen Regen
An meine Wangen gleiten, das Gerüst
Des Vorhangs scheint sich schaukelnd zu bewegen,
Und dort das Wappen an der Decke Gips
Schwimmt sachte mit dem Schlängeln des Polyps.

   Wie mir das Blut im Hirne zuckt!
   Am Söller geht Geknister um,
   Im Pulte raschelt es und ruckt,
   Als drehe sich der Schlüssel um.
   Und - horch! der Seiger hat gewacht!
   's ist Mitternacht.

War das ein Geisterlaut? So schwach und leicht
Wie kaum berührten Glases schwirrend Klingen,
Und wieder wie verhaltnes Weinen steigt
Ein langer Klageton aus den Syringen,
Gedämpfter, süßer nun, wie tränenfeucht
Und selig kämpft verschämter Liebe Ringen; -
O Nachtigall, das ist kein wacher Sang,
Ist nur im Traum gelöster Seele Drang.

   Da kollerts nieder vom Gestein!
   Des Turmes morsche Trümmer fällt,
   Das Käuzlein knackt und hustet drein;
   Ein jäher Windesodem schwellt
   Gezweig und Kronenschmuck des Hains; -
   Die Uhr schlägt Eins.

Und drunten das Gewölke rollt und klimmt;
Gleich einer Lampe aus dem Hünenmale
Hervor des Mondes Silbergondel schwimmt,
Verzitternd auf der Gasse blauem Stahle;
An jedem Fliederblatt ein Fünkchen glimmt,
Und hell gezeichnet von dem blassen Strahle
Legt auf mein Lager sich des Fensters Bild,
Vom schwanken Laubgewimmel überhüllt.

   Jetzt möcht ich schlafen, schlafen gleich,
   Entschlafen unterm Mondeshauch,
   Umspielt vom flüsternden Gezweig,
   Im Blute Funken, Funk im Strauch
   Und mir im Ohre Melodei; -
   Die Uhr schlägt Zwei.

Und immer heller wird der süße Klang,
Das liebe Lachen; es beginnt zu ziehen
Gleich Bildern von Daguerre die Deck entlang,
Die aufwärts steigen mit des Pfeiles Fliehen;
Mir ist, als seh ich lichter Locken Hang,
Gleich Feuerwürmern seh ich Augen glühen,
Dann werden feucht sie, werden blau und lind,
Und mir zu Füßen sitzt ein schönes Kind.

   Es sieht empor, so fromm gespannt,
   Die Seele strömend aus dem Blick;
   Nun hebt es gaukelnd seine Hand,
   Nun zieht es lachend sie zurück;
   Und - horch! des Hahnes erster Schrei!
   -Die Uhr schlägt Drei.

Wie bin ich aufgeschreckt, - 0 süßes Bild,
Du bist dahin, zerflossen mit dem Dunkel!
Die unerfreulich graue Dämmrung quillt,
Verloschen ist des Flieders Taugefunkel,
Verrostet steht des Mondes Silberschild,
Im Walde gleitet ängstliches Gemunkel,
Und meine Schwalbe an des Frieses Saum
Zirpt leise, leise auf im schweren Traum.

   Der Tauben Schwärme kreisen scheu,
   Wie trunken in des Hofes Rund,
   Und wieder gellt des Hahnes Schrei,
   Auf seiner Streue rückt der Hund,
   Und langsam knarrt des Stalles Tür -
   Die Uhr schlägt Vier

Da flammts im Osten auf, - 0 Morgenglut!
Sie steigt, sie steigt, und mit dem ersten Strahle
Strömt Wald und Heide vor Gesangesflut,
Das Leben quillt aus schäumendem Pokale,
Es klirrt die Sense, flattert Falkenbrut,
Tm nahen Forste schmettern Jagdsignale,
Und wie ein Gletscher sinkt der Träume Land
Zerrinnend in des Horizontes Brand.
 
 

Im Grase
 

Süße Ruh, süßer Taumel im Gras,
Von des Krautes Arome umhaucht,
Tiefe Flut, tief tief trunkne Flut,
Wenn die Wolk am Azure verraucht,
Wenn aufs müde, schwimmende Haupt
Süßes Lachen gaukelt herab,
Liebe Stimme säuselt und träuft
Wie die Lindenblüt auf ein Grab.

Wenn im Busen die Toten dann,
Jede Leiche sich streckt und regt,
Leise, leise den Odem zieht,
Die geschlossne Wimper bewegt,
Tote Lieb, tote Lust, tote Zeit,
All die Schätze, im Schutt verwühlt,
Sich berühren mit schüchternem Klang
Gleich den Glöckchen, vom Winde umspielt.

Stunden, flüchtiger ihr als der Kuß
Eines Strahls auf der trauernden See,
Als des ziehenden Vogels Lied,
Das mir nieder perlt aus der Höh,
Als des schillernden Käfers Blitz,
Wenn den Sonnenpfad er durcheilt,
Als der heiße Druck einer Hand,
Die zum letzten Male verweilt.

Dennoch, Himmel, immer mir nur
Dieses eine mir: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm zieht,
Nur für jeden kärglichen Strahl
Meinen farbig schillernden Saum,
Jeder warmen Hand meinen Druck
Und für jedes Glück meinen Traum.
 
 

Gethsemane
 

Als Christus lag im Hain Gethsemane
auf seinem Antlitz mit geschloss'nen Augen, -
die Lüfte schienen Seufzer nur zu saugen,
und eine Quelle murmelte ihr Weh,
des Mondes blasse Scheibe widerscheinend, -
das war die Stunde, wo ein Engel weinend
von Gottes Throne ward herabgesandt,
den bittern Leidenskelch in seiner Hand.

Und vor dem Heiland stieg das Kreuz empor;
daran sah seinen eignen Leib er hangen,
zerrissen, ausgespannt; wie Stricke drangen
die Sehnen an den Gliedern ihm hervor.
Die Nägel sah er ragen und die Krone
auf seinem Haupte, wo an jedem Dorn
ein Blutestropfen hing, und wie im Zorn
murrte der Donner mit verhaltnem Tone.
Ein Tröpfeln hört' er; und am Stamme leis
herniederglitt ein Flimmern qualverloren.
Da seufzte Christus, und aus allen Poren
drang ihm der Schweiß.

Und dunkel ward die Nacht, im grauen Meer
schwamm eine tote Sonne, kaum zu schauen
war noch des qualbewegten Hauptes Grauen,
im Todeskampfe schwankend hin und her.
Am Kreuzesfuße lagen drei Gestalten;
er sah sie grau wie Nebelwolken liegen,
er hörte ihres schweren Odems Fliegen,
vor Zittern rauschten ihrer Kleider Falten.
O welch ein Lieben war wie seines heiß?
Er kannte sie, er hat sie wohl erkannt;
das Menschenblut in seinen Adern stand,
und stärker quoll der Schweiß.

Die Sonnenleiche schwand, nur schwarzer Rauch,
in ihm versunken Kreuz und Seufzerhauch;
ein Schweigen, grauser als des Donners Toben,
schwamm durch des Äthers sternenleere Gassen;
kein Lebenshauch auf weiter Erde mehr,
ringsum ein Krater, ausgebrannt und leer,
und eine hohle Stimme rief von oben:
»Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verlassen!«
Da weinte Christus mit gebrochnem Munde:
»Herr, ist es möglich, so laß diese Stunde
an mir vorübergehn!«

Ein Blitz durchfuhr die Nacht; im Lichte schwamm
das Kreuz, o strahlend mit den Marterzeichen,
und Millionen Hände sah er reichen,
sich angstvoll klammernd um den blut'gen Stamm,
o Händ' und Händchen aus den fernsten Zonen!
Und um die Krone schwebten Millionen
noch ungeborner Seelen, Funken gleichend;
ein leiser Nebelhauch, dem Grund entschleichend,
stieg aus den Gräbern der Verstorbnen Flehn.
Da hob sich Christus in der Liebe Fülle,
und: »Vater, Vater,« rief er, »nicht mein Wille,
der deine mag geschehn!«

Still schwamm der Mond im Blau, ein Lilienstengel
stand vor dem Heiland im betauten Grün;
und aus dem Lilienkelche trat der Engel
und stärkte ihn.
 
 

Im Moose
 

Als jüngst die Nacht dem sonnenmüden Land
Der Dämmrung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.
Die dunklen Zweige nickten so vertraut,
An meiner Wange flüsterte das Kraut,
Unsichtbar duftete die Heiderose.

Und flimmern sah ich durch der Linde Raum
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächt'gen Glühwurm schien zu tragen,
Es sah so dämmernd wie ein Traumgesicht,
Doch wußte ich, es war der Heimat Licht,
In meiner eignen Kammer angeschlagen.

Ringsum so still, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach, so manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Fast war es mir, als sei ich schon entschlafen.

Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderspiel, der frischen Jahre Lauf,
Gesichter, die mir lange fremd geworden;
Vergeßne Töne summten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor,
Da stand die Welle, wie an Ufers Borden.

Dann, gleich dem Bronnen, der verrinnt im Schlund
Und drüben wieder sprudelt aus dem Grund,
So stand ich plötzlich in der Zukunft Lande;
Ich sah mich selber, gar gebückt und klein,
Geschwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen staub'ge Liebespfande.

Die Bilder meiner Lieben sah ich klar,
In einer Tracht, die jetzt veraltet war,
Mich sorgsam lösen aus verblichnen Hüllen,
Löckchen, vermorscht, zu Staub zerfallen schier,
Sah über die gefurchte Wange mir
Langsam herab die karge Träne quillen.

Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen standen, die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,
Und - horch, die Wachtel schlug! kühl strich der Hauch -
Und noch zuletzt sah ich, gleich einem Rauch,
Mich leise in der Erde Poren ziehen.

Ich fuhr empor und schüttelte mich dann,
Wie einer, der dem Scheintod erst entrann,
Und taumelte entlang die dunklen Hage,
Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sei wirklich meiner Schlummerlampe Schein
Oder das ew'ge Licht am Sarkophage.
 
 

Kinder am Ufer
 

"O sieh doch! siehst du nicht die Blumenwolke
Da drüben in dem tiefsten Weiherkolke?
das ist schön! hätt ich nur einen Stecken,
Schmalzweiße Kelch' mit dunkelroten Flecken,
Und jede Glocke ist frisiert so fein,
Wie unser wächsern Engelchen im Schrein.
Was meinst du, schneid ich einen Haselstab
Und wat' ein wenig in die Furt hinab?
Pah! Frösch' und Hechte können mich nicht schrecken -
Allein, ob nicht vielleicht der Wassermann
Dort in den langen Kräutern hocken kann?

Ich geh, ich gehe schon - ich gehe nicht -
Mich dünkt, ich sah am Grunde ein Gesicht -
Komm, laß uns lieber heim, die Sonne sticht!"
die Spatzen, o, die kleinen Brüderlein,
grau und minder sitzen sie im Sonnenschein,
warten, wo die Dornen aus den Hecken greifen,
bis die heubeladnen Wagen daran streifen,
tragen eifrig Halm um Halm im Schnabel fort,
zimmern ihr Geniste hoch am sichern Ort.

Für die Pferde vor den Wagen schwerbeladen
sind die kleinen Spatzen gute Kameraden.
Wenn der müde, alte Gaul den Kopf läßt hängen,
wenn die wunden Glieder schmerzen in den Strängen,
kommen schon die unverwüstlich muntern Spatzen
und ergötzen ihn mit Schimpfen und mit Schwatzen.

Und auch darum will ich noch die Spatzen preisen,
weil sie nicht im Herbst zum warmen Süden reisen.
In den grauen, in den weißen Wintertagen
kann sie selbst der grimme Hunger nicht verjagen.
Gebe Gott, daß Schnee und Wind sie nicht vermehren,
und daß bald die warmen Tage wiederkehren!
 
 

Mondesaufgang
 

An des Balkones Gitter lehnte ich
Und wartete, du mildes Licht, auf dich.
Hoch über mir, gleich trübem Eiskristalle,
Zerschmolzen schwamm des Firmamentes Halle;
Der See verschimmerte mit leisem Dehnen,
Zerfloßne Perlen oder Wolkentränen?
Es rieselte, es dämmerte um mich,
Ich wartete, du mildes Licht, auf dich.

Hoch stand ich, neben mir der Linden Kamm,
Tief unter mir Gezweige, Ast und Stamm;
Im Laube summte der Phalänen Reigen,
Die Feuerfliege sah ich glimmend steigen,
Und Blüten taumelten wie halb entschlafen;
Mir war, als treibe hier ein Herz zum Hafen,
Ein Herz, das übervoll von Glück und Leid
Und Bildern seliger Vergangenheit.

Das Dunkel stieg, die Schatten drangen ein -
Wo weilst du, weilst du denn, mein milder Schein? -
Sie drangen ein wie sündige Gedanken,
Des Firmamentes Woge schien zu schwanken,
Verzittert war der Feuerfliege Funken,
Längst die Phaläne an den Grund gesunken,
Nur Bergeshäupter standen hart und nah,
Ein düstrer Richterkreis, im Düster da.

Und Zweige zischelten an meinem Fuß
Wie Warnungsflüstern oder Todesgruß;
Ein Summen stieg im weiten Wassertale
Wie Volksgemurmel vor dem Tribunale;
Mir war, als müsse etwas Rechnung geben,
Als stehe zagend ein verlornes Leben,
Als stehe ein verkümmert Herz allein,
Einsam mit seiner Schuld und seiner Pein.

Da auf die Wellen sank ein Silberflor,
Und langsam stiegst du, frommes Licht, empor;
Der Alpen finstre Stirnen strichst du leise,
Und aus den Richtern wurden sanfte Greise;
Der Wellen Zucken war ein lächelnd Winken,
An jedem Zweige sah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimatlampe Schein.

0 Mond, du bist mir wie ein später Freund,
Der seine Jugend dem Verarmten eint,
Um seine sterbenden Erinnerungen
Des Lebens zarten Widerschein geschlungen,
Bist keine Sonne, die entzückt und blendet,
In Feuerströmen lebt, im Blute endet -
Bist, was dem kranken Sänger sein Gedicht,
Ein fremdes, aber o! ein mildes Licht.
 
 

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