Annas Geschichte

      Nr. 2
       
       

       

      Davids Geheimnis

      „David Brandner, hätten sie wohl auch die Güte dem Unterricht zu folgen?“ David Brandner blickte auf und sah den Biologielehrer, der vor ihm stand mit schläfrigem Blick an. „Entschuldigung, was bitte?“ „Würden sie mir die Freude machen, David, uns auch mit Ihrer geistigen Anwesenheit zu erfreuen?“ „Klar, sicher.“ David stützte den Kopf auf die Hände und gähnte. „Dann können wir ja beruhigt fortfahren.“ Herr Klein drehte sich um und wandte sich wieder dem Tafelbild „Vererbung“ zu. David folgte der restlichen Stunde an diesem Freitag morgen mit gemäßigter Aufmerksamkeit.
      „Hey Brandner!“ David drehte sich um. Er blieb auf dem Gang stehen. Sein Jahrgangskamerad Florian stand neben ihm. „Wenn ich etwas erwähnen dürfte...du siehst furchtbar aus.“ Er grinste. David sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Ach, komm, zieh Leine!“ „War ja nicht so gemeint! Aber es gibt da einen Zustand, der nennt sich Schlaf. In den solltest du gelegentlich mal übergehen!“, sagte Florian. „Willst du mir jetzt gute Ratschläge geben oder...?“ „Nein, was ich dich eigentlich fragen wollte...“, begann Florian. „Du willst Geld.“, mutmaßte David mit hochgezogenen Augenbrauen. Florian ließ David ein positives Lächeln zuteil werden. „Ja, weißt du, du hast doch immer Kohle. Hätte ich so einen spendablen Vater wie du - “ „Mach mal halblang.“, unterbrach David seinen Kumpel. „Mein Vater und großzügig. Das kannst du vergleichen mit Feuer und Wasser. Aber egal. Wieviel brauchst du diesmal?“ „Ein zwanziger tut’s schon.“ „Ach, wie freundlich.“ David holte sein Portemonnaie hervor und zog einen Zwanzigmarkschein heraus. „Danke!“ Florian griff nach dem Geld, doch David zog den Schein zurück. „Wofür...?“ „Ich hab Katja versprochen sie heute auszuführen.“ „Aha, kein Geld, aber vor den Mädels den Dicken machen oder wie?“ David schüttelte den Kopf und reichte seinem Freund das Geld. „Danke David.“ „Deine Gesamtschulden belaufen sich jetzt auf genau 124, 60 DM.“ „Hui, soviel?“ Florian rieb sich die Stirn. „Du kriegst es wieder.“ „Klar, in ewig und drei Tage.“ David nickte weniger zuversichtlich. „Was ist denn eigentlich mit dir los? Wie gesagt, du siehst nicht gerade gut aus -“ „Hatten wir das Thema nicht schon mal?“ fragte David genervt. „Ja, ja, aber warum haust du dich so spät in die Falle? Oder hast du etwa solange für Geschichte gelernt?“ David wandte Florian langsam seinen Kopf zu. „Oder hast du das etwa...?“ David  stemmte die Hände in die Hüften. „Vergessen, scheiße!“ David rieb sich die Augen. „Wie konnte ich das nur verschwitzen?“ „Vielleicht weil du ständig den ganzen Schultag verpennst?“ „Spar dir deine tollen Sprüche, ja?“ Florian warf die Hände in die Luft. „Ich hab nichts gesagt. Also, noch mal danke für die Kohle.“ Er drehte sich um und ging den Gang in entgegengesetzter Richtung herunter. David blieb ratlos stehen. Inzwischen hatte es längst geklingelt, er hatte Mathe. Und danach war Geschichte.
      In Davids Kopf hatte sich ein großes Vakuum gebildet. Er saß vor seiner Geschichtsarbeit und malte kleine Männchen auf sein DIN - A4 Blatt. Er hatte keine Ahnung, was der Lehrer von ihm wollte. Er verstand ja noch nicht mal die Fragen, wie sollte er da denn die richtigen Antworten herausfinden. Er sah sich im Klassenraum um. Die anderen schrieben eifrig, nur eh hatte noch nichts auf dem Papier außer seinem Namen und dem Datum des Tages. Er sah auf seine Rolex. Noch 10 Minuten. Es hatte alles keinen Zweck. David stand auf, nahm seine Zettel und gab sie dem Geschichtslehrer, Herrn Reichmann. Der warf einen kurzen Blick darauf und sah dann David an. „Was hat das zu bedeuten?“ David zuckte mit den Schultern und verließ den Klassenraum. Er ging den langen Gang  hinunter, bis er zum Jungenklo kam. Er riß die Tür auf und trat ein. Er ging zu den Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel darüber. Er zupfte an seinen blondierten Haarfransen herum, unter denen schon der schwarze Ansatz hervorlugte. Seine braunen Augen hatten etwas an Glanz verloren in den letzten Wochen, seine Haut ließ ebenfalls ziemlich blaß anmuten. Er drehte den Wasserhahn auf und schleuderte sich das kalte Wasser ins Gesicht. Er sah sich wieder an. Das Wasser tropfte von seiner Nase, von seinem geöffneten Mund. Er mußte an Geschichte denken. Das wurde eine dicke fette sechs. „Fuck.“, entfuhr es ihm. „Fuck.“ Wütend trat er gegen den Mülleimer, der unter den Waschbecken stand. Da hörte er eine Klospülung rauschen. Er verharrte einen Moment, dann sah er hinter sich jemanden im Spiegel. „Alles klar bei dir?“ David drehte sich um und musterte den Typen. Richtig, Mark Stern aus seinem Chemie LK und aus dem Deutsch Grundkurs. „Sicher.“, erwiderte David. „Ich hab nur gerade meinen Geschichtstest versemmelt.“ „Oh. Das tut mir leid.“ Mark ging zum Waschbecken und wusch sich die Hände. Er korrigierte noch schnell eine seiner braunen Haarsträhnen und sah sich in die blauen Augen. Dann drehte er sich um und lehnte sich an das Porzellanwaschbecken. „So schlimm?“ David nickte. „Meine 9 Punkte kann ich vergessen.“ „Dafür bist du in Chemie ein Genie. Das reimt sich sogar.“ Mark lächelte. „Das solltest du einschicken, damit räumst du sämtliche Gedichtpreise ab.“, zischte David gereizt. „OK, sorry. Ich muß jetzt sowieso gehen.“ Mit diesen Worten verließ Mark die Örtlichkeit. David und sein Ärger blieben alleine zurück.
      David stützte sich in seinem Bett auf und sah auf den Wecker. Dieser zeigte kurz nach 23 Uhr. Er stand auf und ging durch sein Zimmer zur Tür. Er öffnete sie und lauschte. Kein Geräusch ließ sich aus dem geräumigen Einfamilienhaus hören. Leise schloß er die Tür und ging zu seinem Schreibtisch. Er schloß eine der Schubladen auf und holte eine Packung Zigaretten heraus. Dann nahm er seine Jacke von einem Sessel und zog sie über. Er warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel, bevor er das Zimmerfenster an der Südseite öffnete und sich hinausschwang. Er konnte leicht an einigen Säulen und Pfosten hinabklettern. Auf dem Grasboden angekommen, steckte er sich eine der West - Zigaretten an. Dann ging er in Richtung Straße.
      Es war Sonntag abend. David lehnte sich gegen eine Hauswand. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß es schon kurz nach halb eins war. Er begann, nervös auf dem Bürgersteig herumzuwandern. Ständig fuhren Autos an der viel befahrenen Straße vorbei. Einige Meter weiter rechts standen einige leicht bekleidete Damen, denen man ansah, daß die Kälte ihnen zu schaffen machte. David ließ seinen Blick über den sternklaren Himmel schweifen. Durch ein leicht quietschendes Geräusch wurde er aufgeschreckt. Er zog an seiner Zigarette, warf sie daraufhin auf den Boden und ging zu dem roten Kombi, der an der Straße angehalten hatte. David lehnte sich zum geöffneten Beifahrerfenster herunter. Er sah sich den Mann auf dem Fahrersitz prüfend an. Er schätzte ihn auf Mitte vierzig. Der Ring an dem dafür bestimmten Finger verriet den Ehemann. „Wieviel?“, fragte der Fahrer mit leicht nervös - rauchiger Stimme. „Hundert, mit allem drum und dran.“, erwiderte David mit kühler Geschäftsmiene. Der Mann überlegte kurz, dann folgte das „OK.“ David öffnete die Beifahrertür und ließ sich auf den Polstersessel sinken. Er konnte die Häuserwände an sich vorbei schwimmen sehen, als sie die Straße entlang fuhren.
      Gnadenlos klingelte um kurz vor sieben der Wecker. David öffnete die Augen und tastete nach dem Gerät. Mit einem gezielten Schlag setzte er den Zeitanzeiger außer Gefecht. Er setzte sich auf. Ihm kam es vor, als hätte er nur einige Minuten geschlafen. Viel mehr war es auch nicht gewesen, vielleicht vier Stunden. Er warf einen Blick auf den Nachttisch. Er öffnete die Schublade und nahm fünf Hundertmarkscheine heraus, die darauf warteten, im Schreibtisch eingeschlossen zu werden. „David!“, hörte der Achtzehnjährige von unten seine Mutter rufen. „Ich komme ja gleich!“, rief David zurück, stand auf und verstaute das Geld in seinem Schreibtisch. Er streckte sich. Mal wieder war eine Nacht zuende gegangen, ein neuer Schultag stand ihm bevor. Er nahm seine zusammengeknüllten Anziehsachen aus seinem Kleiderschrank und zog sich an. Im Bad traf er anschließend seinen jüngeren Bruder Alexander. „Weg.“, sagte David herrisch und wedelte mit der Hand. „Ich geh ja schon.“, brummte der Sechszehnjährige zurück und verließ das Badezimmer. David stieß mit dem Fuß die Tür zu und wand sich wie sooft seinem Spiegelbild zu, das nicht gerade attraktiv anmuten ließ. Die schwarzen Ringe unter seinen Augen waren noch dunkler geworden und seine Haut sah aus, als würde sie jeden Moment in sich zusammenfallen. David hielt seinen Kopf unter das kalte Wasser. Er dachte noch einmal an letzte Nacht. Eigentlich war nichts besonderes passiert. Er drehte den Wasserhahn ab und trocknete sich in einem Frotteehandtuch das nasse Gesicht. Er fuhr sich durch die feuchten Haarsträhnen. Dann verließ er das Bad, um mit seiner Familie zu frühstücken.
      Am Eßzimmertisch saßen schon seine Mutter, sein Vater und sein Bruder. Er nahm neben seinem Erzeuger Platz. Wie jeden morgen war der wieder in einen schwarzen Anzug mit passender Krawatte gekleidet, um wie immer seiner Arbeit als Manager einer ortsansässigen Computerfirma nachzugehen. Er warf einen Blick über die Zeitung auf seinen ältesten Sohn. „Du solltest früher ins Bett gehen.“, bemerkte er in seinem üblich scharfen Ton. „Ja, Massa.“, murmelte David. „Wolltest du etwas sagen?“, fragte sein Vater mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Nein.“ David schüttelte den Kopf und schenkte sich selbst eine Tasse Kaffee ein. „Dein Vater hat recht.“, sagte seine Mutter in ihrer Funktion als unterstützende Ehefrau. „Du brauchst viel Schlaf.“ Sie stand vom Tisch auf, um neuen Kaffee zu holen. David sah ihr nach. Perfekte Hausfrau. Er stürzte seinen Kaffee hinunter, um möglichst schnell von der Familienidylle zu verschwinden.
      Auf dem Weg zur Schule überlegte David, ob heute mal wieder eine Arbeit anstand, die er zufällig vergessen hatte. Nein, heute hatte er wohl Glück. Er griff reflexartig in seine Jackentasche, um festzustellen, daß er keine Zigaretten mehr hatte. Alles suchen und kramen half nichts, seine Hände förderten nichts zutage außer ein bißchen Müll. Er sah sich um. Braunschweig war so groß, aber kein einziger Zigarettenautomat in der Nähe. Und hinter der nächsten Ecke war schon das Schulgebäude. David mußte es also wohl oder übel etwas ohne seine Kippen aushalten.
      In der Raucherecke war um kurz vor halb acht noch nicht viel los, also bestand noch keine Hoffnung für David auf eine geschnorrte Zigarette. Nervös scharrte David auf dem sandigen Pflaster. Nach einer endlosen Viertelstunde konnte David endlich Florian und somit auch einige Glimmstengel anradeln sehen. „Hey Florian!“, rief David. „Hast du mal ‘ne Kippe für mich?“ David atmete auf, als er Florians zustimmendes Nicken sah. Er ging ihm entgegen und erhielt sein nötige Ration Nikotin in Form einer Zigarette der Marke West - ohne. Beide begaben sich in die Raucherecke. David setzte sich auf eine Holzbank. „Ist heute irgendwas? Von wegen Arbeiten?“ Florian schüttelte den Kopf. „Aber ich würde trotzdem aufpassen. Heute ist die vorletzte Stunde vor der Bioarbeit.“ David nickte. Er sah von weitem einen Typen, der ihm bekannt vorkam. Als dieser näherkam, erkannte David, daß es Mark Stern war. Der grüßte ihn, als er an der Raucherecke vorbeiging. David sah ihm nach, ebenso Florian. „Kennst du den?“, wollte der wissen. David nickte wieder. „Hm. Ach, ich wollte dir noch von gestern abend erzählen.“ „Tu, was du nicht lassen kannst.“, war Davids Kommentar. „Ich sag dir, Katja ist echt scharf.“, schwärmte Florian. „Total gut drauf und voll locker, in jeder Beziehung.“ Florian grinste. „Verschon mich mit den Details.“ David hustete. „OK, aber ich wollte noch sagen: Miriam, du weißt schon, Miriam Waidmann, die Tochter von der Bio_Waidmann, die ist ganz heiß auf dich, hat Katja gesagt.“ „Überaus interessant.“, meinte David teilnahmslos. „Was ist denn los mit dir? Du bist doch sonst immer der, der von den ganzen Weibern umlagert wird. Und das hat dich bisher doch nicht so gestört.“ Florian sah David fragend an. „Ich hab einfach nicht den Nerv dazu, im Moment, alles klar?“ David trat seine Zigarette aus. „Ich hab gleich Deutsch und deshalb gehe ich jetzt.“ Er ließ seinen Freund in der Raucherecke stehen.
      „Was also eure heutige Aufgabe sein soll...“ Herr Kroll, von Beruf Deutschlehrer, setzte sich auf das Lehrerpult. „Schreibt ein Gedicht.“ Unwilliges Murren schlug ihm entgegen. „Ja, ja, ich weiß, nicht gerade eure Lieblingsbeschäftigung, aber besser als Grammatik oder?“ „Und worüber soll das Gedicht sein?“, richtete sich eine Frage an ihn. „Worüber ihr wollt. Alles ist erlaubt.“ „Und wie lang?“ „Ist auch euch überlassen, aber schreibt mir keinen Schwachsinn, geballt in einem oder zwei Worten, OK?“ „OK.“ Es klingelte. David stand auf und wollte den Raum verlassen, als Mark ihn ansprach. „Tolle Aufgabe, was?“ „Hm? Ja, toll.“ „Vielleicht nehme ich das Chemiegenie - Gedicht.“ Mark grinste ihn freundlich an. „Mach doch, wenn’s dir Spaß macht.“ David ging aus dem Raum, aber Mark war er noch nicht los geworden. „Bist du heute abend auch im ‘Rodeo’?“ „Wo bin ich?“, wollte David wissen. „Der neue Laden in der Weststadt.“, erklärte Mark. „Mal sehen, glaube nicht.“ David beschleunigte seinen Gang, um seinen Verfolger endlich loszuwerden. Mark verstand den Wink, drehte sich um und ging seines Weges.
      „Sag mal, weißt du was von einem neuen Laden in der Weststadt?“ David sah Florian an, der in Bio neben ihm saß. „Das wollte ich dir ja vorhin noch erzählen, aber du warst so schnell weg.“ „Könnten die Herren wohl auch mal zuhören?“ Frau Meyer, ihre Lehrerin sah sie an. „Entschuldigung.“, sagte Florian. „Also was?“ „Ja, das ‘Rodeo’.“ Florian hatte seinen Blick bei der Lehrerin, die mit dem Unterricht fortfuhr. „Der ganze Jahrgang redet davon.“ „Das habe ich gemerkt.“, sagte David. „Und, wie ist es?“ „Ich weiß nicht, ich war noch nicht da, aber ich wollte heute mal vorbeischauen. Bist du dabei?“, wollte sein Nachbar wissen. „Mal sehen, ob ich’s schaffe.“ „Ach, komm schon, heute ist doch nicht viel zu tun, so wie ich das sehe.“ „Ich muß für Deutsch so’n Gedicht schreiben.“, meinte David. „Na und? Im GK reißt du dir doch sonst auch kein Bein aus, oder.“ „Wie ich schon sagte, mal sehen, ob ich es hinkriege.“ „Ich ruf dich an.“, raunte Florian.
      „Kann ich heute abend mit Florian weg?“ fragte David beim Familienmittagessen. „Wie war das mit dem Schlafen?“, fragte seine Mutter. „Morgen ist Schule.“ „Ja, wir wollen auch nur mal kurz so ‘ne neue Disco anschauen.“, erklärte David. „Was sind denn das für Sitten?“, wollte sein Vater wissen. „Mitten in der Woche in die Disco?“ „Ich geh doch sonst auch nicht.“ „Ist das ein Grund?“ „Ach, kommt schon.“ David sah seine Eltern abwechselnd an. „Um 24 Uhr bist du wieder Zuhause.“, bestimmte sein Vater. „Alles klar.“, sagte David. „Nimmst du mich mit?“, fragte Alexander. „Dich? Spinnst du?“ David sah seinen Bruder von oben herab an. „Warte bis du achtzehn bist.“ „Ach, halt’s Maul.“, grummelte Alex. „Alexander!“, kam auch gleich die Ermahnung von seinem Vater. „Ist doch wahr.“ „Morgen kommen Kochs zum Essen.“, lenkte Margot Brandner ab. „Diese Spießer?“, fragte David. „Rede nicht so von unseren Bekannten.“, sagte seine Mutter. „OK.“ David hatte keine Lust, sich mit ein paar genervten Bemerkungen die Erlaubnis für den Abend zu verderben.
      Um kurz nach neun klingelte Florian an der Haustür der Brandners. Margot Brandner öffnete. „Ach, Florian, David ist sofort fertig. David!“, rief sie ins Haus hinein. „Ja!“ Ihr Sohn kam die Treppe herunter gerannt. „Geht’s los?“, fragte Florian. „Abfahrt.“ David schob sich an Florian vorbei aus dem Haus. „Aber denk daran, um 24 Uhr bist du wieder hier!“ „Ja, mein Gott. Komm.“ David wartete, bis Florian die Tür seines Polos geöffnet hatte, dann konnte es losgehen.
      Das ‘Rodeo’ war ein Disco von mäßiger Größe, dafür war die Musik um so lauter. Es war nicht ganz so verqualmt wie das Jolly. Auch in Gemütlichkeit wurde es vom Rodeo übertroffen. David und Florian hatten sich einen Sitzplatz mit Blick auf die Tanzfläche gesichert, die aus zwei Ebenen bestand. Im Moment tanzten eine Menge vorwiegend junger Leute zu einem Lied von Janet Jackson. Alles in allem gefiel es David ganz gut. Als er seinem Blick mal wieder über die Tanzenden schweifen ließ, entdeckte er Mark Stern darunter. Sie liefen sich wirklich dauernd über den Weg. Auch Mark hatte David gesehen. Deswegen begab er sich angestrengt keuchend von der Tanzfläche. „Hi.“, begrüßte er seinen Bekannten. David nickte nur, um seine Stimme zu schonen. „Wir laufen uns wirklich dauernd über den Weg.“, rief Mark in angemessener Lautstärke. Was du nicht sagst. David zündete sich eine Zigarette an und sah Mark erwartungsvoll an. Dann hielt er die West - Packung hoch, doch Mark schüttelte den Kopf. „Nichtraucher.“, brüllte der als Erklärung. Auch das noch. Langweiler. „Wie gefällt’s dir hier?“, fragte Mark. „Ganz gut.“, schrie David gezwungen und hustete. „Na gut, wie ich sehe, nerve ich dich, also geh ich mal wieder.“ Mark verschwand wieder in der Menge. Wer es eilig hat, den soll man nicht aufhalten, dachte sich David. Florian stieß ihn an. „Was will der eigentlich dauernd von dir?“ David zuckte mit den Schultern. „Ich geh mal kurz an die frische Luft.“ Er stand auf und bahnte sich einen Weg durch die Leute nach draußen.
      Er fror doch erbärmlich ohne seine schützende Jacke. Zitternd trat David von einem Fuß auf den anderen. Auch eine weitere Zigarette brachte nicht die erhoffte Wärme. Er konnte noch das Wummern der Bässe aus der Disco hören, als er auf dem Parkplatz stand. Er sah zwei Scheinwerfer näherkommen. Er verharrte auf seinem Platz, bis der Wagen neben ihm verlangsamte und schließlich zum Stehen kam. Ein Typ mittleren Alters lehnte sich aus dem Fenster. „Na, Kleiner, kannst du dich noch an mich erinnern?“ „Nicht, daß ich wüßte.“ David nahm einen Zug von seiner West. „Wir hatten vorletzte Nacht das Vergnügen.“ „Ach? Wen interessiert das?“ „Nicht gleich so spröde. Wie wär’s denn...?“ Der Typ setzte ein gieriges Grinsen auf. „Heute nicht. Zieh Leine.“ David ging ein paar Schritte, doch der Wagen fuhr weiter neben ihm her. „Ach, komm schon! Ich leg auch noch was drauf.“ „Such dir’n anderen, OK?“, sagte David genervt. „Ich will keinen anderen. Hab dich nicht so.“ Der Kerl ließ nicht locker. „Ey.“ David blieb stehen. „Nein heißt auch bei mir nein. Wenn du was willst, dann komm morgen wieder. Du weißt, wo du mich findest.“ „Ich nehm dich beim Wort. Trotzdem schade.“ Damit beschleunigte der Typ seinen Wagen und fuhr davon. David sah ihm nach. Nannte man das vielleicht Berufsrisiko? Er trat seine Zigarette aus und drehte sich um. Dabei stieß er fast mit Mark zusammen. „Oh, entschuldige.“ „Sag mal, verfolgst du mich oder was?“, wollte David ziemlich genervt wissen. „Nein, ich wollte nur -“ „Ach, mir doch egal.“ David ging auf die Disco zu. „Was wollte dieser Typ?“, rief Mark ihm hinterher, doch David antwortete nicht. Er konnte niemanden gebrauchen, der ihm hinterherschnüffelte.
      Am nächsten Morgen in der Schule war David ausgeschlafener als sonst. Kein Wunder, bei drei Stunden mehr Schlaf. Aber er war leicht verstimmt ob des Vorfalls vom letzten Abend. Doch er hatte ja eigentlich andere Sorgen, zumal der Geschichtslehrer angekündigt hatte, den Test heute zurückzugeben. Er war bekannt für schnelles Korrigieren. Und David wußte, etwas anderes als eine sechs würde es nicht sein, konnte es nicht sein, das baute einen doch auf. Also saß David relativ teilnahmslos da, als Herr Reichmann die Arbeiten mit entsprechenden Kommentaren zurückgab. „Julia, wirklich außergewöhnlich, diese Arbeit hat meinen Eindruck von ihnen doch noch gefestigt.“ David sah im Augenwinkel, daß Herr Reichmann neben seinem Tisch stand. „David hat in diesem Test den Vogel abgeschossen. Wie ist es ihnen bloß gelungen, keine einzige der Frage zu beantworten und somit keinen einzigen Punkt zu erreichen?“ David sah ihn an. „Aha, du weißt es anscheinend selber nicht. Hier, hänge dir das übers Bett, als Mahnung.“ Herr Reichmann ließ die Arbeit auf Davids Tisch sinken. Auf den Zetteln stand nur in roter Tinte ein „Warum?“ und die Punkte, nämlich null Komma null. „Kein einziger Punkt?“, fragte Julia Friedrichs, die neben ihm saß. „Ach, sei still ja?“ David sah sie entnervt an. „Ja, ja, ist ja gut.“ Julia richtete ihren Blick zur Tafel, während David seine Arbeit in seinem Rucksack verstaute. Als es dann bald darauf klingelte, stand David auf, nahm seine Sachen und verließ den Raum.
      „So, habe ich jetzt alle Gedichte?“, fragte Herr Kroll. „Ja? Gut, dann werde ich mal ein paar von den Ergebnissen vorlesen.“ Herr Kroll blätterte die Zettel durch. „Wollen wir mal sehen...Felix Schmidt, mal sehen, was sie zu Papier gebrachte haben.“ Er räusperte sich und begann vorzulesen. „Das Leben ist wie ein Bleistift. Zu oft gespitzt, ist es bald vorbei.“ „Das verstehe ich nicht.“, sagte ein Mädchen aus den hinteren Reihen. „Dann fragen wir doch Felix, was es damit auf sich hat. Felix?“ „Naja, da kann sich ja jeder seine eigene Lehre draus ziehen.“, meinte der Angesprochene. „Auch gut. Gar nicht schlecht für den Anfang, Felix.“, lobte der Deutschlehrer. „Sehen wir weiter...David Brandner, na mal sehen.“ Herr Kroll ließ kurz seinen Blick über das Geschriebene gleiten, dann las er vor: „Ein Augenblick der Wärme vertreibt die Kälte, die ihm Körper ruht. Doch die Seele friert weiter zu, bis sie eines Tages auseinanderfällt.“ Herr Kroll blickte seinen Schüler an. „Wieder recht kurz, aber was für eine Aussage. Was wollten sie damit sagen, David?“ „Es bedeutet das, was da steht.“, erwiderte der Angesprochene, ohne das Augenpaar aus der Reihe hinter sich zu bemerken, das ihn mit Blicken durchbohrte. „Auch nett. Ein bißchen melancholisch, aber das ist gar nicht mal schlecht. Oh, Hier haben wir einen anonymen Schreiber oder Schreiberin. ‘Braune Augen, die ihren Schimmer verloren haben, sehen mich an. Sind sie leer oder verstecken sie etwas? Hinter dem kalten Blick muß etwas liegen, daß ihn so verkommen ließ.’ Oh je, heute haben sie’s aber mit der Traurigkeit.“ Herr Kroll schüttelte den Kopf. David saß ganz ruhig da und drehte sich langsam um, um in die blauen Augen Mark Sterns zu sehen, die ihn musterten. David war der erste, der den langen Blick brach und sich wieder umdrehte. „Also, will derjenige sich melden, der das hier geschrieben hat?“ Der Lehrer wedelte mit dem Zettel in der Luft herum. „Keiner? Auch gut. Das ist nicht schlecht, nicht schlecht. Wir sollten uns alle Fragen, wem die braunen Augen gehören, und was ihnen den Schimmer genommen hat. Vielleicht fühlt sich jemand angesprochen.“ Davids Augen richteten sich auf den Lehrer. „Gut, fahren wir fort.“ Den Rest der Stunde verbrachte David mit einem merkwürdigen Gefühl in seinem Körper.
      Auch nach der Stunde fühlte sich David äußerst unwohl. Für ihn war klar, wer das Gedicht geschrieben hatte, mit den braunen Augen und auch, an wen es gerichtet war. Er hatte das Gefühl, ein für allemal etwas klarstellen zu müssen. Deshalb ging er in der großen Pause auf die Suche nach einem gewissen jungen Mann. Er sah sich genau in der Pausenhalle um, die mit schwatzenden Schülern gefüllt war. Es brauchte eine ganze Weile, bis er Mark ausfindig gemacht hatte, aber dann steuerte er zielsicher auf ihn zu. „Komm mit, ich will mit dir reden.“, unterbrach er ihn im Gespräch mit zwei anderen Typen, die er nicht kannte. Etwas überrascht folgte Mark David aufs Jungenklo. „Sag mal, die Aktion mit dem Gedicht war ja wohl das letzte.“, sagte David, als sie angekommen waren. „Was meinst du?“, fragte Mark unwissend. „Ach hör doch auf mich zu verarschen!“, rief David ungehalten. „Du weißt genau, was ich meine, der ganze braune Augen und ihre Probleme Scheiß!“ „OK, OK, beruhig dich!“ Mark sah sich um. „Ja, ich hab das Gedicht geschrieben! Mußt es ja nicht auf dich beziehen.“ „Nein wirklich? Wen meintest du denn dann damit?“, wollte David wissen. „Hör mal, ich weiß auch nicht, warum ich das geschrieben habe.“ „Tolle Entschuldigung.“ „Ja man, ich mach mir einfach meine Gedanken.“, erklärte Mark. „Jeden Tag, wenn ich dich sehe siehst du noch fertiger aus als am Vortag. Und dann dieser komische Typ gestern vor’m Rodeo -“ „Ey, ich sagte schon, daß das meine Sache ist oder?“, sagte David. „Das geht dich gar nichts an. Halt dich einfach in Zukunft aus meinem Leben raus, OK?“ Einen Moment schwiegen sie. „OK.“, sagte Mark leise und nickte. „Tut mir leid.“ David sah ihn kurz an und verließ dann hastig den Raum.
      In dieser Nacht war es besonders kalt, außerdem regnerisch, als David auf dem Bürgersteig entlang ging. Er mußte an den Schultag denken. Warum machte sich dieser Stern solche Gedanken um ihn? Bestimmt war er einfach neugierig und wollte schnüffeln, damit er was zum Tratschen hatte. Endlich kam David an „seiner“ Hauswand an. Er lehnte sich an sie, wie fast jeden Abend. Er sah die Autos vorbeifahren. Ob der Typ von gestern wiederkommen würde? Der war David schon fast zu aufdringlich. Aber eigentlich war einer wie der andere. Klar, bei einigen fiel es leichter, doch bei David verlief eh alles mechanisch. Er fröstelte und schlang die Jacke enger um sich. Mit großer Aufmerksamkeit betrachtete er ein Auto, daß die Geschwindigkeit drosselte. Er stieß sich von der Wand ab, um zu sehen, was für ein Kerl das war. Durch die verregnete Scheibe konnte er kaum etwas erkennen, bis sie heruntergekurbelt wurde. Das Gesicht des Typen konnte er kaum erkennen. „David? Sind sie das?“ Mit einem Schrecken starrte David in das Gesicht, das kurz von einem blassen Schimmer des Mondlichts, das durch einige Wolken fiel, beleuchtet wurde. Er machte langsam ein paar Schritte zurück. Es war tatsächlich Herr Reichmann, sein Geschichtslehrer. Jetzt stieg er auch noch aus dem Wagen. „David? Warten sie kurz!“ David drehte sich um und beschleunigte seine Schritte. „Warten sie doch.“ Er schaffte es nicht zu entkommen. Herr Reichmann stand vor ihm. „Dachte ich mir doch, daß sie das sind.“, sagte er mit freundlicher Stimme. „Als ich hier vorbeifuhr, kamen sie mir gleich bekannt vor. Normalerweise mache ich das nicht, aber wenn sich einer meiner Schüler in diesem Viertel herumtreibt...Was tun sie hier?“ „Am besten vergessen sie, daß sie mich hier gesehen haben und fahren nach Hause.“ David wollte seinen Weg fortsetzen, seine Schritte wurden von seinem schnellen Herzschlag wackeliger. „Zuerst sollten sie mir sagen, was sie hier tun.“ „Ich bin einfach ein wenig herumgegangen.“, log David. „Sie müssen mir nichts vormachen.“ Herr Reichmann beobachtete eine von den wenig bekleideten Damen, die gerade in ein Auto einstieg. „Hier wandert man nicht einfach so herum.“ David zählte systematisch die Regentropfen, die vor seine Füße fielen. „Wollen sie nicht mit mir kommen?“ David sah seinen Lehrer fragend an. „Nicht was sie denken. Vielleicht wollen sie mit jemandem reden.“ „Ich will mit niemanden reden. Ich komme ganz gut klar.“, sagte David mit feindseligem Blick. „Ich will ihnen doch nur helfen.“ „Wenn ich Hilfe brauche, dann bitte ich um welche.“, meinte David. „Warum wollen sich nur alle in mein Leben einmischen?“ Wütend trat er in eine Pfütze. „Es geht niemanden etwas an.“ „OK. Sie haben recht. Wenn sie nicht wollen...“ Herr Reichmann wandte sich um. „Aber versprechen sie mir auf sich aufzupassen.“ „Bis jetzt hat alles ganz gut geklappt.“ Herr Reichmann sah ihn noch an, dann drehte er sich endgültig um und fuhr wieder davon. David sah seinem Wagen nach. Und was jetzt? Das würde sicher nicht ohne Folgen bleiben. Wahrscheinlich würde Reichmann gleich morgen seinem Vater Bescheid geben. Das konnte David wirklich nicht gebrauchen. „Hey!“ Schnell sah David sich um. Er hatte nicht bemerkt, daß ein Auto neben ihm gehalten hatte. Diesmal war es tatsächlich der Mann vom Parkplatz gestern. „Spring rein.“ David zögerte. „Was ist nun?“ Er würde sich von niemandem reinreden lassen. Fest entschlossen öffnete er die Autotür und nahm Platz. „Na also.“, sagte der Macker zufrieden. Und schon brausten sie los.
      Am nächsten Morgen wäre David am liebsten im Bett geblieben. Er hatte tierische Kopfschmerzen. Der gestrige Abend war nicht gerade erbaulich gewesen. Und außerdem hatte er heute auch noch Geschichte. Wenn er nicht hinging, entging er vielleicht Herrn Reichmanns strafenden Blicken. Allerdings würde Herr Reichmann dann wahrscheinlich erst recht mißtrauisch werden. Irgendwie kam es David vor, als würde sein sorgfältig aufgebautes Kartenhaus langsam in sich zusammenfallen. Es hatte alles so gut funktioniert. Und auf einmal dann dieser Hagelsturm von Leuten, die meinten, ihm helfen zu müssen. Wer hatte denn hier Probleme?
      Gesenkten Blickes lauschte David den Worten seines Geschichtslehrers, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Dieser Röntgenblick war furchtbar. Nicht, daß er sich vielleicht schämte, nein, ihn nervten alle hier. Er wollte nur alleine sein. Oder zumindest sollten alle hier einen Maulkorb verpaßt kriegen. Gab es denn nicht genug Probleme in deren Leben? Zu Davids Überraschung wurde er nicht von Herrn Reichmann aufgehalten, als er nach der Stunde den Raum verließ. Dafür lief er Mark Stern über den Weg. Der sah ihn aber auch nur mit seinen blauen Augen an, ging aber dann vorbei. Eine gewisse Ruhe breitete sich wieder in David aus. Es ging ja doch. Auf dem Weg zum Bioraum wurde er langsamer. Heute war doch irgendwas... War es möglich...? Er hatte schon wieder einen Test vergessen, diesmal allerdings Bio. Aber er wollte nicht wieder null Punkte riskieren. Einfach abhauen konnte er auch nicht. Er konnte aber eine kleine Magenverstimmung vortäuschen, um die ganze Stunde auf dem Klo zu verbringen. Schließlich sagte ihm irgendwer alle fünf Minuten, wie beschissen er aussah, mit den dunklen Ringen unter den Augen und der blassen Haut. Das war wirklich eine gute Idee. Also ging er beruhigt weiter zu seinem Fachraum. Dort angekommen, liefen schon alle ganz nervös durcheinander. Als Frau Waidmann kam, setzte David eine Leidensmiene auf und ging auf sie zu. „Frau Waidmann, mir geht es ganz furchtbar.“ Frau Waidmann musterte ihn. „Du siehst wirklich nicht besonders gut aus.“ „Ich habe schreckliche Magenschmerzen.“ „Dann solltest du wohl besser nach Hause gehen.“, meinte Frau Waidmann besorgt. „Ich gehe am besten mal ins Krankenzimmer.“, schlug David hingegen vor. „OK, wenn du meinst. Soll jemand mitkommen?“, wollte seine Lehrerin wissen. „Nein, nein, schon gut. Kann ich nachschreiben?“ „Mach dir darüber mal keine Gedanken.“ Frau Waidmann lächelte ihn zuversichtlich an. „Danke schön.“ David setzte ein gespielt gequältes Lächeln auf und verließ im gekrümmten Gang den Raum.
      Selbstzufrieden zündete sich David eine Zigarette an, als er in einer Toilettenkabine saß. Dieses Weib glaubte ja wirklich alles. Plötzlich hörte er die Klotür auf - und zugehen. Zwei Stimmen wurden laut. David warf seine Zigarette auf den Boden und war ganz still. „Verdammt, ich mach nie wieder solche Übungen bei Frau Klaus!“ „Halt endlich deine Hand unter kaltes Wasser.“ Das war Mark Sterns Stimme gewesen. „Das hätte ich schon längst getan, aber die Wasserleitung in der Turnhalle muß ja gerade heute einen Hauwech haben.“ Die Stimme kannte David nicht. Er hörte das Wasser rauschen. „Aber jetzt erzähl mal weiter, Mark. Du warst bei der Deutschstunde.“ „Also...ich glaube echt, daß David Brandner Probleme hat.“ David wurde hellhörig. Dieser Idiot! Warum mußte er jedem erzählen, wie schlecht es doch um den armen David stand. Am liebsten wäre David hinaus gestürmt und hätte Mark mit einer gezielten Rechten niedergestreckt. „Probleme welcher Art denn?“ „Ich habe mich mal mit seiner Familie und so weiter befaßt.“, hörte er Mark sagen. „Weißt du, normalerweise mache ich sowas nicht, aber -“  „Ja, ja, mach mir nichts vor, red mal weiter.“ „Also, sein Vater ist wohl ein ziemlich großer Fisch. Aber von Holger weiß ich, daß er nicht soviel springen läßt für seine Kinder.“ Was erlaubte sich dieser Mark eigentlich? Das wurde ja immer interessanter! „Aber David hat immer Kohle. Und guck dir seine Klamotten mal an, immer vom feinsten.“ „Na, was denkst du, wo er das Geld her hat? Glaubst du, er raubt jede Nacht ‘ne Bank aus und sieht deshalb so fertig aus?“ „Blödsinn.“, wehrte Mark ab. „Aber wie dann?“ „Das muß ich eben herausfinden. Aber das wird schwer, weil David nicht so gut auf mich zu sprechen ist.“ „Berechtigt, würde ich sagen. Ich fände es auch nicht toll, wenn jemand in meinem Leben herumstöbern würde.“ Endlich mal vernünftige Ansichten. „Ich muß es wissen. Wenn er Probleme hat, braucht er doch Hilfe oder?“ „Ich denke, er kommt ganz gut zurecht. Sonst würde er sicher was sagen.“ „Das glaube ich eben nicht. Er würde es niemandem sagen.“ „Und wenn? Es ist nicht deine Sache.“ Schweigen. „Ich muß es rausfinden. Sonst werde ich noch wahnsinnig. Ist deine Hand wieder OK?“ „Ja, ja, ich werde sie einfach verbinden. Und du solltest dich um deine Angelegenheiten kümmern.“ Das Wasserrauschen endete. Die Tür klappte wieder auf und zu. Damit verschwanden auch die Stimmen. So war das also. Er war ein mutmaßlicher Bankräuber. Mit Problemen reif für den Seelenklempner. Wie konnte er diesen Mark nur loswerden? Unter anderen Umständen vielleicht...Er brauchte aber niemanden, der sein Leben durcheinanderschmiß. Vielleicht mußte er einfach etwas mehr schlafen und so tun, als wäre alles in Ordnung. Es war schließlich auch alles in Ordnung. Probleme machte nur dieser Mark. Was machte sein Leben bloß so interessant für ihn? War er vielleicht so etwas wie eine Möchtegern - Mutter Theresa in männlicher Ausführung. Dabei gab es doch so viele Leute, die David kannte, die wirklich ernsthafte Probleme und somit Hilfe wirklich nötig hatten. Bestimmt wurde er Mark niemals los, bevor der nicht wußte, was los war. Was würde er wohl machen, wenn er es wüßte? Eigentlich war ja nichts los, aber für einen außenstehenden. Wäre seine Reaktion wie die von Reichmann, durfte es eigentlich keine Probleme mehr geben, dann hätte er seine Ruhe. Aber sollte er es drauf anlegen? Er würde sowieso einfach so weitermachen wie bisher. Das mußte er schließlich.
      Mal wieder ein Abend wie jeder andere. Diesmal allerdings kein Regen, das machte das Warten einfacher. Dreihundert Mark hatte David schon zusammen. Das Geschäft lohnte sich wirklich. Zufrieden zündete er sich eine Zigarette an. „Hast du mal Feuer?“ David blickte auf. Vor ihm stand ein junger Mann, vielleicht drei, vier Jahre älter als er. „Klar.“ David zündete dem Typen seine Kippe an. „Ruhiger Abend heute.“, meinte der Typ und hielt David seine Zigarette hin. „Hier, daß macht munter.“ David zögerte und nahm dann den Glimmstengel entgegen, der einen merkwürdigen Geruch ausströmte. Er zog daran und mußte husten. „Was ist das denn?“, fragte er hustend. „’N bißchen Gras.“, erwiderte der Typ. „Das macht die Sache irgendwie leichter.“ David zuckte mit den Achseln. „Behalt ruhig.“, meinte der Mann, als David ihm seinen Joint wiedergeben wollte. „Ich hab noch’n paar davon.“ Sie betrachteten die Autos die vorbeifuhren. „Wie lange bist du schon dabei?“, fragte der Kerl. „Fast ein Jahr.“ „Wie alt bist du?“ „Achtzehn.“ David zog an der Zigarette. „So jung und schon so down?“, wollte der Typ wissen. „Wenn du es so bezeichnen willst.“ „Ich brauch einfach das Geld.“, meinte der Typ mit den glänzenden Augen. „Das Gras hier hilft mir ‘n bißchen, wenn ich keinen Stoff habe.“ „Koks oder was?“, fragte David. Der Typ nickte. „Du hast nicht zufällig was?“ David schüttelte den Kopf. „Und...vielleicht ‘n bißchen Kohle?“ David sah ihn an. „Ach, so läuft das. Nee du, das verdien dir mal selber.“ „Nicht gleich so unfreundlich. Ich will ja nicht viel. Du kriegst es auch wieder...“, meinte der Kerl. „Ich sagte nein, OK?“ „Nein, nicht OK!“ Der Typ packte ihn. „Wenn du keinen Ärger willst, dann gibst du mir am besten die Kohle.“ „Niemals.“ David sah den irren Blick in den Augen des Typen, aber er ließ sich nicht einschüchtern. Da bekam er auch schon den ersten Schlag in den Magen. Er schnappte nach Luft. Dann schlug ihn der Typ zu Boden. Etwas verschwommen nahm David war, wie der Kerl in seiner Tasche nach dem Geld wühlte und es schließlich fand. „Hey, laß ihn in Ruhe!“ hörte David jemanden rufen. Er sah, wie der Typ jemanden anblickte und dann davonlief. „Ey, bleib stehen!“ Kurz darauf sah er das Gesicht von Mark Stern über sich. Das machte ihn wieder klar. „Was willst du denn hier?“, rief er, so gut es ging. „Ich bin zufällig hier -“ „Bißchen viele Zufälle!“ David setzte sich auf. „Alles klar bei dir?“ „Wieso spionierst du mir nach?“, rief David. „Ich -“ „Spar dir deine Erklärungen! Zufällig habe ich dein Gespräch heute in der vierten mitbekommen. Weißt du, auf dem Klo.“ Mark sah ertappt drein. „Mir ist es schleierhaft, wie du drauf gekommen bist, mich hier zu suchen.“ „Hab ich nicht. Ich war bei einem Kumpel, auf dem Rückweg bin ich an deinem Haus vorbeigefahren mit dem Rad.“, erklärte Mark. „Da bist du gerade aus dem Fenster geklettert.“ „Warum bist du nicht einfach weitergefahren?“, fragte David. „Du solltest doch aufhören, mich zu nerven.“ „Ja, ich weiß, aber ich mußte wissen, was los ist.“ „Hast du keinen anderen, dem du auf den Wecker gehen kannst?“ David hielt sich den Bauch, der noch etwas schmerzte. „Nein.“ „Und warum nicht?“ „Du kommst jetzt erst mal mit zu mir, klar?“ Mark zog ihn hoch, aber David riß sich los. „Ich komme gut alleine zurecht.“ „Das habe ich ja gerade gesehen.“ David starrte Mark mit funkelnden Augen an. „Du gibst ja doch keine Ruhe.“ „Stimmt.“ „Aber dann läßt du mich in Ruhe?“, fragte David. „Das sehen wir dann, komm jetzt.“
      Leise schloß Mark die Haustür auf. Er deutete David an, ruhig zu sein, als sie das Haus betraten. David sah sich um. Er konnte im Dunklen wenig von der Einrichtung erkennen und konnte nur hoffen, nicht zu stolpern. Er folgte Mark über eine Treppe in den ersten Stock. Dort befand sich Marks Zimmer, das sie jetzt betraten. „Setz dich am besten auf das Bett.“ Mark machte Licht ein. Es brannte in Davids Augen. Als er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte, sah er sich in dem kleinen Zimmer um. Gut, für einige Minuten konnte er sich hier niederlassen. Er nahm auf dem Bett Platz und beobachtete Mark, der sich ihm gegenüber in einen Sessel fallen ließ. „Und? Jetzt erzähl mal.“ „Was soll ich schon groß erzählen?“ „Ach, komm schon.“ Mark sah ihn fragend an. „Du weißt doch genau, was ich meine. Warum du dich da herumtreibst. Wieso du jeden Morgen so fertig aussiehst.“ „OK, OK. Aber dann gibst du Ruhe.“ David holte tief Luft, was Schmerzen in seinem Magen verursachte. „Du hast doch sicher schon mitgekriegt, warum ich da stehe, fast jeden abend, schließlich bist du mir gefolgt.“ „Du tust dasselbe wie die Nutten, die da rumstehen.“, sagte Mark trocken. „Siehst du. Du weißt es schon.“ „Aber wieso denn? Nimmst du Drogen? Brauchst du das Geld?“, fragte Mark. David hob die Schultern. „Eigentlich...nicht.“ „Also wieso?“ „Wieso ich meinen Arsch verkaufe...gute Frage.“ David überlegte. „Vielleicht versuche ich ein bißchen Aufmerksamkeit zu bekommen.“ „Reicht es da nicht, ein bißchen Geschirr zu zerschmeißen oder sowas?“, wollte Mark wissen. „Nein, ich glaube nicht, daß das bei meinen Eltern zieht.“ „Ich könnte das nie. Mich da hinstellen. Diese ganzen Typen...“ „Es ist nur wichtig, daß es sich nicht hier abspielt.“ David legte eine Hand auf seine Brust. „Alles im Kopf. Und, OK, zwischen den Beinen. Es ist nicht so schwer, wie du denkst.“ „Doch, ich denke, das ist es schon.“, meinte Mark. „Wenn man dir ‘richtigen’ sexuellen Veranlagungen hat, ist es noch etwas einfacher, wenn du verstehst.“„ Egal. Ich könnte es nicht.“ „Meinst du, daß es einen abstumpft?“, wollte David wissen. „Ja, vielleicht tut es das, aber das ist nicht wichtig.“ „Wieso? Ist die Liebe für dich gar nicht wichtig?“, fragte Mark schockiert. „Ich glaube nicht so recht daran.“ „Ich schon.“, meinte Mark. Einen Moment schwiegen sie. „Du wolltest doch wissen, wieso ich dich nicht zufrieden lasse oder?“ David horchte auf. „Ich dachte, es wäre dir vielleicht schon aufgefallen.“ Mark sah David in die Augen. „Ich...Seit ich dich das erste Mal gesehen habe, liebe ich dich.“ David klappte die Kinnlade herunter. „Was?“ „Du hast es doch gehört.“ Mark sah an die Zimmerdecke. „Ich konnte dich nicht ihn Ruhe lassen, weil es mir weh getan hat, dich so fertig zu sehen.“ Wieder schwiegen sie sich an. David starrte so vor sich hin. Das erklärte natürlich alles. „Nun, jetzt wo ich alles weiß und du alles weißt,“, brach Mark die Stille. „Gibt es natürlich keinen Grund mehr, daß ich dich weiter belästige.“ „Hm?“ David sah ihn an. „Naja, weißt du, ich nerve dich doch sowieso nur.“ „Das war doch nur, weil ich dachte, du willst mich ausspionieren und dann alles herumtratschen.“ „Das würde ich nicht tun. Das ich jemandem erzählt habe, daß ich mir Sorgen mache, heißt nicht, daß ich auch erzählen würde, was mit dir los ist. Dafür bist du mir zu wichtig.“ „Ich finde, wenn wir schon soviel voneinander wissen, besteht auch kein Grund, sich aus dem Weg zu gehen.“ Marks Augen bekamen einen freudigen Schimmer. „Meinst du das ernst?“ David nickte. „Aber ich sollte jetzt gehen, es ist schon kurz vor zwei. Du bist sicher müde.“ „So wach wie jetzt in diesem Moment war ich noch nie in meinem ganzen Leben.“, erwiderte Mark. „Egal, ich sollte jetzt wirklich gehen. Wir sehen uns ja noch.“ David stand auf. „Ich bring dich noch runter.“
      Die beiden schlichen leise die Treppe hinunter. Mark öffnete David die Tür. „Bevor du gehst...versprich mir eins, ja?“ „Was soll ich dir versprechen?“, fragte David. „Daß du nie wieder da hingehst und dich an die Straße stellst, OK?“ David sah Mark in die Augen. „Versprochen?“ „Versprochen.“ Mark lächelte. Er beugte sich vor. Seine Lippen berührten flüchtig Davids Gesicht. „Ach, tut mir leid, daß war dumm.“, entschuldigte er sich aber gleich darauf. „Ach, schon gut.“, meinte David überrascht. „Mach’s gut.“ Mark schloß die Haustür. Einen Moment lang blieb David stehen. Dann ging er, mit einem Lächeln, das über sein Gesicht huschte, nach Hause.
      Seufzend ließ David sich in die Kissen sinken. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Was für ein Tag. Er hatte jemandem, den er kaum kannte, versprochen, etwas aufzugeben, was in den letzten Monaten so elementar für ihn geworden war. Er hätte es sonst niemand anderem versprochen. Er drehte sich auf die Seite und schloß die Augen. Irgendwie schön, mit dem Gefühl einzuschlafen, daß es jemanden gab, der ihn liebte. Wirklich liebte.
      Am folgenden Morgen erwachte David mit einem seltsamen Gefühl. Er mußte erst noch einmal registrieren, was gestern alles passiert war. Da war dieser Typ, der ihm dreihundert Mark geklaut hatte. Dann war da Mark gewesen. Der hatte ihn ausgefragt. Und außerdem erzählt, daß er ihn liebte. David lächelte und streckte sich. Es war Donnerstag. Morgen begann das Wochenende. An diesem Morgen war David also ziemlich positiv gestimmt. Sogar sein Bruder wurde mal nicht von ihm aus dem Bad vertrieben. Am Frühstückstisch lauschte er gespannt den Familienneuigkeiten. Sein Vater war heute mal auswärts unterwegs und würde erst spät wiederkommen. Seine Mutter hatte den üblichen Hausfrauenkram vor sich, waschen, bügeln und kochen. Alex schrieb heute einen Aufsatz. Nichts besonderes eben.
      Um kurz nach halb acht machte sich David auf den Schulweg. Er dachte über Mark nach. Nach seinem Liebesgeständnis sah er ihn mit etwas anderen Augen. Er war aber auch wirklich ein Blindgänger gewesen, nicht zu merken, was los war.
      In der Raucherecke standen schon ziemlich viele Schüler, da es recht spät war für Davids Verhältnisse. Florian hatte ihn schon erwartet. „Na, alles klar bei dir?“ „Ja. Alles locker.“, meinte David und grinste freundlich. „Nanu, heute so gut drauf?“, wunderte sich sein Kumpel. „Ja, ich habe mal ausnahmsweise geschlafen!“ „Nein, wirklich!“ Florian schlug David freundschaftlich auf die Schulter. David schaute sich um. Da sah er auch schon Mark, der gerade auf dem Schulgelände eingetroffen war. Er hob einen Moment den Kopf, lächelte, als er David sah und senkte den Blick wieder. „Läßt der dich jetzt wieder in Ruhe oder wie?“ Florian sah David schief an. „Ist doch nicht so wichtig oder?“ David sah Mark nach. Sie hatten sicher noch einiges zu reden, vielleicht weniger schwerwiegendes als gestern. Aber jetzt stand ihm erst mal ein langer Schultag bevor.
      „Hey David!“ Er sah sich um und erblickte Mark, der ihm auf dem Gang gefolgt war. „Hallo, na wie geht’s?“ fragte. „Ganz gut.“, erwiderte David. Sie gingen einen Moment lang nebeneinander her. „Und, was hast du heute so vor?“ „Wie, am Abend?“ „Ja, ich meine, wenn du noch nichts bestimmtes vorhast,“, begann Mark. „Dann könntest du ja mal bei mir vorbeischauen.“ „Ja, das müßte ich eigentlich hinkriegen. Mein Vater kommt heute eh erst spät wieder und meine Mutter, die muß ja eigentlich von nichts wissen.“, meinte Mark. „Schließlich bin ich es gewöhnt aus dem Fenster zu klettern.“ Mark lächelte. Ein bißchen. „Ja gut, dann komm doch einfach vorbei. So gegen 21 Uhr?“ „Geht klar.“ David nickt zustimmend. „OK, ich muß jetzt, bis dann!“ Mark lief schnell den Gang herunter um pünktlich zur nächsten Stunde zu erscheinen.
      Punkt 21 Uhr stand David bei Mark auf der Matte. Wieder gingen sie die Treppe hinauf, diesmal aber im Hellen, schließlich waren Marks Eltern noch wach. In Marks Zimmer ließ sich David auf das Bett fallen. „Da bin ich.“ „Ja, da bist du.“ Mark setzte sich wieder auf den Sessel und kuschelte sich tief in ihn. „Also, über was wollen wir reden?“ „Ach, das ist schon mal gar kein guter Anfang für ein Gespräch.“, meinte Mark. „Das muß spontan kommen.“ „Wo wir schon ein Thema hätten.“, witzelte David. „Die Spontaneität beim gepflegten Gespräch.“ „Nee, ich glaube, das lassen wir bleiben.“, wehrte Mark ab. „Sag mal, wissen deine Eltern eigentlich, was mit dir los ist?“, wollte David wissen. „Diese Schwulengeschichte?“ Mark setzte sich aufrecht hin. „Ja, seit etwa...einem Jahr wissen sie’s.“ „OK, übliche Psychiaterfrage: Wie haben sie reagiert?“ „Besser als ich erwartet hatte.“, erwiderte Mark. „Klar, zuerst gab’s mächtig Krach und so weiter, aber nach ein paar Monaten hatten sie es einigermaßen verdaut. Wir reden zwar nicht dauernd darüber, aber tabu ist es nicht mehr.“ „Das finde ich cool.“, meinte David. „Und du? Du hast gestern sowas angedeutet. Mit den ‘sexuellen Veranlagungen’, wenn ich mich recht erinnere.“ Mark sah ihn interessiert an. „Naja, so genau habe ich mich da noch nicht festgelegt. Das klingt zwar unlogisch nach meiner ganzen Vorgeschichte, aber es ist so.“ Mark sah etwas ernüchtert drein. David sah das und fügte hinzu: „Aber ich würde eher zum anderen Ufer tendieren.“ „Weißt du, ich hatte mir ja keine Hoffnungen gemacht, OK, das schon, aber so richtig gedacht, den kriege ich, nö.“, sagte Mark. „Ich will dir damit ich nicht so auf den Wecker gehen.“ „Tust du nicht.“, meinte David. „Ich finde das alles sehr interessant. Schließlich ist es das erste Mal, das jemand mir seine Liebe gestanden hat.“ „Naja...“ Marks Gesicht bekam einen leichten rötlichen Schimmer. „Ich mußte es dir gestern einfach sagen.“ „Ist doch auch OK.“ Eine längere Pause folgte. „Naja, jetzt haben wir uns ja psychologisch ganz gut ausgesprochen. Wie wär’s mit etwas Heiterem?“, schlug Mark nach einer Weile vor. „Ich habe gerade von einem Kumpel ein paar Videos geliehen. Wollen wir eins sehen?“ „OK, wir können ja später irgendwann weiterreden.“, stimmte David zu.
      Als David zu seinem Fenster hinaufkletterte war es kurz nach eins. Mark und er hatten noch über eine Stunde gequatscht, nachdem sie sich einen Film reingezogen hatten. Mit müden Knochen schwang sich David zum Fenster herein. Und erstarrte. Er konnte in das Gesicht seines Vaters blicken. „Papa...ich dachte du wärst weg!“ „Das sehe ich wohl, das du das dachtest.“, zischte sein Vater in seinem strengsten Ton. „Wo warst du?“ „Bei einem Freund. Wir haben Videos geschaut.“ „Ach ja? Mach mir nichts vor.“, sagte sein Vater und machte das Licht in seinem Zimmer an. David blinzelte in die Helligkeit. „Warst du nicht vielleicht auch da wo du gestern abend und vorgestern abend warst?“ „Ich weiß nicht, was du meinst.“, sagte David mit klopfendem Herzen. „Lüg mich nicht an.“ Sein Vater packte in am Arm. „Ein Kollege von mir hat dich gesehen. In einem Viertel, wo sich nur Nutten rumtreiben. Was hattest du da zu suchen?“ „Ich -“ „Du brauchst gar nicht erst zu antworten, ich weiß es.“ Sein Vater warf ein Bündel Geldscheine auf dem Boden. „Oder kannst du mir erklären, wo das hier herkommt.“ „Wieso schnüffelst du in meinem Zimmer rum?“ David riß sich los. „Die Fragen stelle ich!“, rief sein Vater wütend. „Wieso, wenn du alles schon weißt.“ David funkelte ihn an. „Ich wollte hören, ob du wirklich so tief in der Gosse liegst wie ich denke.“ „Wenn du es wissen willst...“ David sah seinen Vater von oben herab an. „Ja, ich bin das, was du denkst.“ „Ein Stricher, wirklich unglaublich. Was denkst du dir eigentlich?“, schrie sein Vater in erhöhter Lautstärke. „Was soll ich schon denken! Das war dir doch sonst auch immer egal!“ „Werd mal nicht frech.“ Davids Vater drohte ihm mit dem Zeigefinger. „Was glaubst du denken meine Kollegen, wenn sie sehen, daß mein Sohn in diverse Autos einsteigt und sich durchvögeln läßt?“ David schnaubte. „Es war ja klar, daß du nur wieder daran denkst, was die Leute von dir halten. Aber mach dir keine Sorgen, sicher hatte ich auch schon mal das Vergnügen mit einem deiner lieben Kollegen.“ Sein Vater holte aus und gab ihm eine Ohrfeige. „Das war schon immer deine Art, mich zum Schweigen zu bringen.“, sagte David trocken. „Hör zu. Das hier wird deine letzte Nacht hier sein.“, sagte sein Vater mit schnellem Atem. „Ich will dich hier nicht mehr sehen. Du kannst wiederkommen, wenn ich es sage.“ „Du glaubst doch nicht, daß ich wiederkomme oder?“ „Um so besser. Nur um deine arme Mutter tut es mir leid.“ Davids Vater drehte sich um. „Morgen Mittag bist du hier verschwunden.“ Das waren seine letzten Worte, bevor er das Zimmer mit zuschlagender Tür verließ. „Was war denn los, Manfred?“, hörte David seine Mutter fragen. „Das erzähle ich dir, wenn du dich gesetzt hast.“ Das war sein Vater gewesen. David gab sich gar keine Mühe zu lauschen. Er stürmte schnell zu seiner Tür und drehte den Schlüssel im Schloß herum. Er verharrte kurz und überlegte. Was mußte er alles einpacken? Das alles kam etwas plötzlich, aber nach den letzten Tagen konnte ihn schon gar nichts mehr wundern. Die größte Frage war allerdings: Wo sollte er hin? Er hatte eigentlich keine Lust darauf zu Florian zu gehen. Der ging ihm nämlich langsam oder sicher gewaltig auf den Sender. Da blieb noch Mark. Aber den kannte er kaum, trotz allem, was sie voneinander wußten. Aber fragen konnte nicht schaden. Eine Nacht hatte er noch in seinem Zimmer. Doch jetzt hieß es packen und nicht wehmütig werden. David ging zum Fenster und hob die Geldscheine auf, die auf dem Fußboden lagen. Wenigstens hatte sein Vater das Geld liegenlassen Zur Not würde er sich davon auch eine Unterkunft bezahlen können. Schnell steckte er das Geld ein. Dann ging er zum Kleiderschrank und stopfte wahllos einige Dinge in eine Sporttasche. David wunderte sich, daß ihm eigentlich gar nicht soviel einfiel, was er mitnehmen wollte. Ein paar Anziehsachen, persönlich wichtige Dinge, das Geld. Das war’s. Er hatte wenig Lust dazu, noch eine Nacht hier zu verbringen. Zuhause war eben jetzt nicht mehr Zuhause. Von einer Sekunde auf die andere. Wie das Leben so spielt. David setzte sich auf sein Bett. Die Frage „Zum letzten Mal?“ geisterte in seinem Kopf herum. Naja, zum allerletzten Mal würde er hier sicher nicht sein. Irgendwie war es doch klar gewesen, daß sein Vater ihn rausschmeißen würde. Schließlich hatte er gewisse Dinge herausgefunden, von denen kein Vater begeistert gewesen wäre. David zuckte mit den Schultern und begab sich in die Waagerechte. Er sah sich in seinem Zimmer um. Ja, das würde er vielleicht vermissen. Er schloß die Augen.
      David wachte auf, als jemand wie wild an die Tür klopfte. „David! Mach die Tür auf.“, hörte er die Stimme seiner Mutter rufen. Blitzschnell war er hellwach. Er setzte sich auf. Jetzt hieß es schnell handeln. David stand auf, nahm seine Sporttasche und seinen Schulrucksack. „David! Mach sofort die Tür auf!“ Er öffnete das Fenster und warf die Sachen hinunter. Dann kletterte er, wie schon so oft, an der Hauswand herunter. Unten angekommen nahm er wieder seine Sachen, sah sich noch einmal um und verließ dann mit schnellen Schritten das Grundstück.
      Als er in der Schule ankam, war David ziemlich fertig, da die paar Sachen, die er mitgenommen hatte, doch ziemlich schwer waren. Er ließ sich auf die Bank in der Raucherecke fallen, kramte eine Zigarette hervor und zündete sie an. Er streckte die Beine von sich. Im Moment fühlte er sich noch nicht besonders heimatlos. Jetzt war noch alles wie immer. Da kam auch schon Florian. Er zeigte auf Davids Sachen. „Was hat das denn zu bedeuten?“, fragte er. „Willst du ausziehen?“ „So ähnlich.“, gab David ihm zur Antwort. „Aha, jetzt bin ich schon viel schlauer.“ Florian setzte sich neben ihn. „Ja, gut, mein Vater hat mich rausgeschmissen.“ Florian zog die Augenbrauen hoch. „Wieso das denn?“ „Kleine Differenzen, nicht so wichtig. Kann ich vielleicht bei dir pennen?“ David sah Florian an. „Also, ich glaube, das geht nicht. Es ist nicht wegen mir, aber meine Eltern sind etwas...“ „Spießig, verstehe schon.“ David setzte sich aufrecht hin. „Naja...kannst du nicht noch wen anders fragen?“ „Sicher.“ „OK.“, meinte Florian mit einem skeptischen Seitenblick. David starrte so vor sich hin. Da sah er ein bekanntes Gesicht. Mark Stern. Sollte er ihn jetzt fragen oder nicht? David legte den Kopf schief. Er kannte ihn ja eigentlich nicht besonders gut. Und dann gleich eine Unterkunft mit Halbpension, was immer... Aber fragen konnte man ja mal. Mark kam an der Raucherecke vorbei und David sprang auf. „Hey!“ Mark sah herüber. Sein Gesicht hellte sich auf. „Hi!“ David ging mit zügigen Schritten auf ihn zu. „Hallo, gut, daß du kommst.“ „Probleme?“, wollte Mark wissen, als er einen Blick auf Davids Tasche warf, die bei ihm über der Schulter hing. „Allerdings.“, gab David zurück. „Du, ich wollte dich was fragen...“ „Na, dann raus damit!“ Mark blickte ihn freundlich. „Also, die Sache ist die...Mein Vater hat mich gestern praktisch gestellt, weil er etwas herausgefunden hat, du weißt schon.“ Mark nickte. „Naja, und jetzt hat er ich rausgeworfen. Und da wollte ich mal fragen, ob -“ „Na klar, das wird schon gehen.“, unterbrach Mark ihn. David sah ihn fragend an. „Du wolltest doch wissen, ob du bei mir schlafen kannst oder?“ „Stimmt, aber woher -“ Wieder konnte er nicht zuende sprechen. „Na, was hättest du sonst wollen können? Ich werde mal meine Eltern fragen, aber ich denke, das geht.“ „Aber sie kennen mich gar nicht!“ „Nicht direkt.“, sagte Mark geheimnisvoll. „Wie jetzt?“ „Sie wissen, daß ich verliebt bin, aber nicht in wen, also kennen sie dich indirekt.“ David sah sich um. Anscheinend schien niemand gehört zu haben, was Mark gesagt hatte. „Und da meine Eltern eigentlich ganz gütig sind, seit einiger Zeit wieder, du verstehst...Komm einfach nach der Schule mit zu mir.“ „Wenn du meinst, daß das wirklich geht...“ „Klar, wir sehen uns.“ Mark drehte sich um und wollte gehen, doch David hielt ihn fest. „Hey, warte mal...Danke.“ Mark lächelte ihn an. „Schon OK.“ Dann ging er auf das Schulgebäude zu. David sah ihm nach und spürte kurz darauf eine Hand auf seiner Schulter. Es war Florian. „He, hast du den Typen mal gefragt? Ihr hockt anscheinend in letzter Zeit öfter zusammen.“, sagte er. „Naja, wir kennen uns nur flüchtig...Aus Deutsch und so weiter.“ „Und, was ist jetzt?“, fragte sein Kumpel. „Ja, ich denke ich habe eine Bleibe für die nächste Zeit. Hoffentlich.“ „Dann ist ja gut.“, sagte Florian, klopfte ihm auf die Schulter und wollte ebenfalls gehen, doch auch ihn hielt David zurück. „Du, einen Moment mal...Wo bleibt eigentlich mein Geld?“ Florian schien nach einer Antwort zu suchen. „Ja, weißt du, ich bin ein bißchen knapp bei Kasse...“ „Nichts neues also...“ „Nächste Woche kriegst du die Hälfte, OK?“ Florian lächelte ihn scheinheilig an. „Na gut, sonst mach ich Terror, hörst du?“ David machte ein grimmiges Gesicht. „OK, dann ciao.“ Florian hatte es auf einmal sehr eilig, in den Unterricht zu kommen.
      „Dein Vater war sehr sauer, hm?“ Mark warf einen Seitenblick auf David, der neben ihm ging. Sie beide waren gerade auf dem Weg zu Mark. „Naja, was würdest du denn sagen, wenn du in seiner Situation wärest? ‘Alles klar’ und ‘mach nur weiter’?“ „Nein, das nicht. Aber ich hätte dich nicht vor die Tür gesetzt. Man kann doch über alles reden.“ „Nicht mit meinem Vater.“ David blinzelte in die Sonne. Heute war ausnahmsweise mal gutes Wetter. „Ja, ich kenne ihn ja nicht.“ „Is wohl auch besser so.“ „Naja.“ Sie gingen schweigend weiter, bis sie bei Mark Zuhause angekommen waren. Mark schloß die Tür auf. „Seh ich vertrauenswürdig aus?“, fragte David skeptisch. Mark sah ihn. Er lächelte. „Auf jeden Fall total süß.“ Davids Gesicht bekam etwas Farbe. „Mama! Ich bin Zuhause!“ David trat ein. Das Haus war ihm ja mittlerweile bekannt. „Hallo Mark.“ David sah eine Frau aus einer Tür kommen, anscheinend aus der Küche. Es war Marks Mutter. „Ach...hallo.“ Sie kam auf David zu und gab ihm die Hand. „Das ist David.“, sagte Mark. „Dann hallo David.“ „Guten Tag.“, sagte David höflich und räusperte sich. „Ißt er mit uns?“, fragte Marks Mutter, ihrem Sohn zugewandt. „Ja. Außerdem hätte ich mal mit dir zu reden.“, sagte Mark und schob seine Mutter in Richtung Küche. „...Ja? Na, da bin ich ja mal gespannt.“ „Geh doch schon mal in mein Zimmer.“, rief Mark David zu. „OK.“, erwiderte David. Er wartete, bis die beiden in der Küche verschwunden waren, dann ging er die Treppe hoch. Er betrat Marks Zimmer. Er sah sich kurz um. So genau hatte er sich noch gar nicht umgeschaut. Er ging zum Bücherregal und studierte die Büchertitel, nahm hin und wieder eins heraus, um darin zu blättern. Marks CDs waren auch ganz interessant. Nach einer Weile setzte er sich auf das Bett. Er sah sich mehr oder weniger interessiert um und drehte an seiner Uhr. Als die Tür aufging, sprang David reflexartig auf. „Alles klar.“, wurde er von Mark beruhigt, der eintrat. Davids Gesicht bekam einen freudigen Schimmer. „Echt? Das finde ich ja toll!“ „Tja.“ Mark zuckte selbstzufrieden mit den Schultern. „Vielen Dank.“, sagte David. „Sag das meiner Mutter.“ Mark ließ sich auf seinen geliebten Sessel fallen, auch David setzte sich wieder. „Mach ich. Und dein Vater?“, wollte David noch skeptisch wissen. „Mal ganz nebenbei: Du hast jetzt ‘ne ziemliche Vaterallergie, was?“, mutmaßte Mark. „Ja, kein Wunder, oder?“, gab David zurück. „Also?“ „Meine Mutter wird ihn drauf vorbereiten. Das geht schon.“ Nach einer Weile fragte David: „Sag mal...was hast du ihr eigentlich erzählt?“ „Die Wahrheit natürlich nicht.“, meinte Mark beschwichtigend. „Weiß nicht. Irgendwas.“ „Irgendwas? Na, beruhigend.“ David ließ sich flach auf das Bett sinken. „Ich sagte doch: Ich mach das.“, Mark zog einen Schmollmund. „Wenn du willst, dann kannst du auch gehen.“ „Gehen? Wohin denn?“ David setzte sich wieder auf. „Ich bin dir ja dankbar, aber im Moment bin ich noch ein bißchen durch den Wind.“ Mark sah David gespannt an. „Ja...und jetzt?“ David zuckte mit den Schultern. „Dein Haus.“ „Ja, am besten zeige ich dir mal dein Zimmer, also unser Gästezimmer.“ Mark stand auf und streckte David die Hand entgegen. „Komm.“ David sah auf die Hand, dann in Marks Gesicht. Dann nahm er die Hand und ließ sich hochziehen. Er und Mark durchquerten den Flur und traten in einen kleinen Raum. Er war schlicht, aber nett eingerichtet. Ein Kleiderschrank, eine Kommode und ein Doppelbett standen in dem Zimmer. „Nett.“, bemerkte David. „Naja, fürs Schlafen wird’s reichen.“, meinte Mark und warf sich auf das weiche Polsterbett. „Und ich denke, hier wirst du Platz genug haben.“ David zögerte kurz, dann ließ er sich neben Mark fallen. „Hier könnte ich glatt einschlafen.“ Er schloß die Augen. „Aber doch jetzt nicht!“ Als David die Augen öffnete, sah er Marks Gesicht über sich. „Wollen wir uns heute Abend nicht ins Nachtleben stürzen?“ „Ich nicht.“, meinte David, rollte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf auf die Hand. „Aber du kannst dir ruhig einen wilden Abend machen.“ „Alleine? Das ist auch blöd.“ Mark legte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Na gut, wenn ich du wäre, hätte ich auch keinen Bock auf Abtanzen.“ „Aber das sollte dich nicht abhalten.“ „Nein. Sagte ich ja schon.“ „Aber du bist doch auch kein Mauerblümchen, oder?“, sagte David. „Es gibt bestimmt viele, die mit dir irgendwohin gehen würden, besonders am Freitag.“ „Was soll denn das jetzt?“ Mark sah David fragend an. „Ich kann mich auch gut anders beschäftigen. Zum Beispiel mit dir hierbleiben und einen Film gucken, was immer.“ „OK. Ist mir auch recht.“ „Wie gütig.“ Mark drehte sich auf den Bauch. „Am liebsten würde ich hier in dem großen Bett schlafen.“ Er machte eine Pause. „Das mache ich manchmal, wenn ich keinen Bock mehr auf mein Zimmer habe.“ „Ist ja auch gemütlich.“, stimmte David ihm zu. „Hm.“ Plötzlich hörten sie die Stimme von Marks Mutter von unten her rufen: „Mark! Kommt ihr Essen bitte?“ „Ja!“, rief Mark zurück und seufzte. „War gerade so schön bequem. Kommst du? Ich hoffe, du magst Nudelauflauf.“ Er stand auf. „Na klar.“, meinte David und folgte Mark nach unten ins Eßzimmer. Als sie eintraten wies Mark auf einen Platz am Eßzimmertisch. „Du sitzt da, wenn’s recht ist.“ „Ja, ja.“ Also nahm David Platz. Da kam auch schon Marks Mutter mit einer dampfenden und duftenden Keramikform mit Nudelauflauf ins Zimmer. „Ich hoffe, er ist was geworden. Ich habe mal ein neues Rezept ausprobiert.“ Sie stellte die Form auf einen Untersetzer. Sogleich machte sich Mark darüber her. „Oh. Verzeihung.“, sagte er nach einer Weile und grinste verlegen. Er nahm Davids Teller und häufte eine große Portion Auflauf darauf. „Nicht so viel!“, rief David. „Danke!“ „Zuerst der Gast.“, meinte Mark weiterhin grinsend.  Dann herrschte gefräßige Stille. „Schmeckt’s euch?“, fragte Marks Mutter. Die beiden Jungen nickten. „Ich find’s gut.“, sagte Mark. „Ich find’s auch gut.“, echote David. „Dann bin ich ja beruhigt.“ „Wann kommt Papa heute?“, fragte Mark und legte das Besteck beiseite. „So gegen sechs glaube ich.“, erwiderte seine Mutter.  „Was macht dein Vater eigentlich?“, wollte David wissen. „Betriebsarzt im VW.“, sagte Mark. „Und was habt ihr heute noch so vor?“, wurden die beiden gefragt. „Nichts mehr großes.“, meinte Mark. „David ist ein bißchen angeschlagen.“ Marks Mutter nickte mitfühlend. „Ruht euch aus. Wenn ihr wollt, könnt ihr morgen mit nach Hannover kommen.“ „Hannover?“ Mark sah seine Mutter fragend an. „Davon weiß ich ja gar nichts.“ „Doch, doch, Papa hat da was zu erledigen und ich seh mich ein wenig in den Geschäften um.“ „Wenn du Lust hast...“ Mark sah David an. „Sicher. Mal sehen, wie’s dann ist.“ Mark nickte verständnisvoll. „Bist du fertig?“, wollte er wissen. „Ja.“, erwiderte der Angesprochene knapp. „Gut, dann gehen wir hoch, ja Mama? Sollen wir was mit in die Küche nehmen?“ „Nein, nein, geht nur.“, winkte sie ab. „Gut, gehen wir.“ Die beiden Jungen standen auf, verließen das Eßzimmer und gingen wieder die Treppe hinauf. Mark steuerte zielsicher auf das Gästezimmer zu, um sich dort wieder auf das Bett fallen zu lassen. „Ach ja, satt und zufrieden.“ Er seufzte. David legte sich auf die andere Hälfte des Bettes und starrte an die Decke. „Du hast `ne tolle Familie.“, bemerkte er. „Du hast ja erst meine Mutter kennengelernt. Aber die ist echt in Ordnung.“, äußerte sich Mark. „Dein Vater nicht?“ „Doch, aber er ist noch ein wenig komisch wegen meines „Outings“. Wow, bin ich hipp.“, sagte Mark aufgrund seiner fachlichen Äußerung. „Wenigstens hat er dich nicht rausgeworfen.“ „Tut dir doch ziemlich leid oder?“ Mark drehte sich zu David um. „Eigentlich geht es. Aber ich verstehe nicht, warum mein Vater nicht wenigstens gefragt hat, wieso ich das alles gemacht habe. Das hat mich irgendwie enttäuscht.“ „Willst du noch mal mit ihm reden?“ David schüttelte den Kopf. „Im Moment ist das so ziemlich unmöglich. Der läßt mich sicher nicht mal ins Haus.“ „Gib ihm ein bißchen Zeit. Er wird schon merken, was er verloren hat.“, meinte Mark. „Da wäre ich mir gar nicht so sicher.“, sagte David wenig optimistisch. „Mach dir jetzt erst mal keine Gedanken.“ Mark fuhr mit der Hand durch Davids Haarfransen. David zuckte zurück. „‘Tschuldigung.“ Mark zog seine Hand zurück und legte sich wieder auf den Rücken. „Manchmal bin ich so.“ David sagte nichts. „Ich bemüh mich, OK?“ „Nein, nein, schon in Ordnung.“ „Doch, ich weiß, ich kann ganz schön nerven.“ „Hey, ich sagte, es ist in Ordnung.“ David stupste Mark an. „Sehr nett von dir.“ Mark sah David an. „Deine Augen glänzen total.“, bemerkte David. „Woher das wohl kommt.“ David brach den langen Blickkontakt ab, in dem er sich ebenfalls auf den Rücken neben Mark legte. „Ich will ja nicht sagen, daß diese Situation nicht unangenehm ist.“, sagte Mark. „Hm?“ David verstand nicht. „Dir fällt wohl immer irgendein Blödsinn ein, hm?“, sagte er deswegen. „Ja, manchmal sollte ich lieber meine Klappe halten.“, erwiderte Mark. David spürte, wie Marks Hand sich auf seine eigene legte. Er zog sie nicht weg. Statt dessen beobachtete er Mark mit klopfendem Herzen aus dem Augenwinkel. Der lag mit geschlossenen Augen ganz ruhig neben ihm. Also bemühte er sich, ebenfalls ruhiger zu werden und machte auch die Augen zu. David hörte Mark seufzen. Er drehte sich zu ihm. „Hm?“ „Schon OK. Weißt du, das habe ich mir die ganze Zeit gewünscht.“, sagte Mark. David jedoch fühlte sich immer noch nicht ganz wohl und zog deshalb seine Hand unter Marks weg. Mark sah David an. „Hab ich jetzt wieder was blödes gesagt?“ David schüttelte den Kopf. „Was dann?“ „Ich weiß nicht.“ Mark musterte David. „Hm.“ „Weißt du, ich bin das alles nicht so gewöhnt.“, sagte David als Entschuldigung.“ „Naja, was...was...Sex angeht, da bist du mir ja um einiges voraus.“ Mark schnaubte ein wenig enttäuscht und entrüstet. „Das ist doch was anderes als...als..:“ David stockte. „Als Liebe!“ Mark sagte nichts. „Oder dachtest du, mein „Job“ hätte viel mit Zärtlichkeit zu tun gehabt?“ „Nein, das nicht.“ „Siehste. Dann erwarte auch nicht von mir, daß ich mich auf einmal darauf einstellen kann. Ich habe ja auch nicht gesagt, daß ich das will.“ Mark schaute ernüchtert drein. „Na gut.“, sagte er gefaßt. „Ich lasse dich am besten doch in Ruhe. Entschuldige, daß ich dich belästigt habe.“ David wollte etwas sagen, doch da war Mark schon aus dem Zimmer gestürmt. Er war ratlos. Aber er wußte, daß er wohl etwas zu abweisend zu Mark gewesen war. Er hatte ja nur nett sein wollen. Nun, etwas mehr als nur „nett sein“ hatte er natürlich schon gewollt, aber immerhin war Mark der erste, der das versuchte. Jetzt war er sicher ziemlich fertig, aber David traute sich auch nicht zu ihm hinzugehen und sich zu entschuldigen. Wahrscheinlich war das alles doch wirklich zu ungewohnt für ihn. David schlug auf die Matratze. Er zog das Kissen zu sich und deponierte seinen Kopf darunter.
      David öffnete schläfrig die Augen. Es war dunkel. Idiot, warum auch, dachte David und befreite seinen Kopf von dem Kissen. Dann sah er auf seine Uhr. Es war sechs Uhr abends. Er war tatsächlich eingeschlafen. Bei der ganzen Aufregung war das ja kein Wunder. Er gähnte, setzte sich auf und streckte sich. David überlegte einen Moment. Richtig, er sollte mal mit Mark reden. Also stand er auf. Es war ihm ein wenig schwindlig, deshalb taumelte David eher als daß er ging. Er betrat den Flur und ging zielstrebig auf Marks Zimmer zu. Er klopfte kurz an die Tür und öffnete dann. Zu seiner Überraschung lag Mark auf seinem Bett und schlief ebenfalls. Dann war er wenigstens nicht so aufgebracht, wie er gedacht hatte. Als er vorsichtig die Tür wieder schließen wollte, um ihn nicht zu wecken, erreichte er genau das. „Hm?“, murmelte Mark noch ziemlich verschlafen. David trat nun doch ganz ein und setzte sich neben Mark auf das Bett. „Ach, du bist es.“, murmelte Mark weiter. „Was willst du?“ „Ich...wollte mich entschuldigen. Ich war vorhin echt fies zu dir. Es tut mir leid.“ „Du kannst ja nichts dafür, wenn du nicht genauso fühlst wie ich.“,  brummelte Mark und drehte sich um. „Das habe ich ja gar nicht gesagt. Weißt du, das ist was ganz neues für mich.“ „Hm-hm.“ „Sei nicht mehr böse, ja?“ „Ja, ja.“ „Willst du schlafen oder was?“ „Ach nee.“, grummelte Mark vor sich hin. „Aber das ist jetzt eh zu spät. Jetzt bin ich wach.“ Er setzte sich auf und wuschelte sich kräftig durch die Haare. „Und nun?“ „Wie spät ist es?“, wollte Mark wissen. „Kurz nach sechs glaube ich.“ „So früh noch? Aber mein Vater müßte jetzt da sein. Gehen wir mal runter.“ Mark machte Anstalten, das Bett zu verlassen. „Warte mal.“ David hielt ihn zurück. „Bist du jetzt noch sauer?“ Mark sah David an. „Ach, auf dich kann ich doch sowieso nicht lange böse sein.“ „OK. Danke.“ David zögerte, dann umarmte er Mark kurz und heftig. „Nicht erdrücken!“, rief Mark und lachte. „Oh, tut mir leid.“ „Schon klar, gehen wir oder was?“ David nickte. Die Zwei verließen das Zimmer und gingen die Treppe herunter. Im Wohnzimmer brannte Licht. Als sie um die Ecke gingen, sahen sie einen Mann auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzen, offensichtlich Marks Vater. „Hey Papa.“ Der Mann drehte sich um. „Oh, hallo. Das ist David?“ „Du weißt schon?“, fragte Mark verwundert. „Ja, Mama hat mir schon alles erzählt.“ „Und, ist das OK für dich?“ „Ja, ich denke, das kann ich erlauben.“, erwiderte sein Vater. „Danke, nett von dir.“, sagte Mark angenehm überrascht. „Hallo David.“ „Hallo.“ David gab Marks Vater die Hand. „Was guckst du?“, fragte Mark seinen Erzeuger. „Hallenfußball.“, gab der Angesprochene zurück. „Wird Zeit, daß die Saison wieder anfängt.“ „Gib’s auf, Rostock wird sowieso nicht Meister.“, meinte Mark grinsend. Sein Vater drohte mit dem Finger. „Na warte, Ungläubiger.“ „Nö, bin schon weg.“ Mark flitzte um die Ecke. David folgte ihm. „Gehen wir wieder hoch?“ Er nickte. Oben in Marks Zimmer legte sich Mark sofort wieder hin. „Vielleicht doch nicht so munter, wie ich dachte.“ „Dein Vater ist doch ziemlich nett.“ „Ja, das hat mich auch gewundert. Sonst war er immer komisch.“ „Vielleicht hat er sich langsam „daran“ gewöhnt.“ „Möglich.“, sagte Mark und streckte sich. „Was hast du gemacht vorhin?“ „Auch geschlafen.“, gab David zurück. „Aber du bist wenigstens nicht mehr müde.“, meinte Mark. „Stimmt. Ich habe sogar richtig Lust, was zu unternehmen.“ „Was? Das sagst du jetzt. Wir können morgen mit nach Hannover fahren.“, schlug Mark vor. „OK, ich hätte mir das ja auch schon vorhin überlegen können, mit dem unternehmen.“ „Ja.“, sagte Mark knapp, wieder mit etwas schläfriger Stimme. „Man könnte meinen, du wärst derjenige, der zuwenig Schlaf bekommen hat in den letzten Wochen.“ „Bin ich auch. Mußte ja dauernd an dich denken.“ „Ach, wegen mir schlaflose Nächte...“ „Irgendwelche Einwände?“, fragte Mark leicht gereizt. „Nein. Nein. Ich find’s ja ziemlich...hm...süß von dir.“ „Echt?“ Schon hörte sich Mark wieder etwas aufgeweckter an. „Ja, wirklich.“ „Na gut. Genehmigt.“ „Und was soll ich jetzt machen, wenn du hier pennst?“, wollte David wissen. „Weiß nicht, auch schlafen gehen?“ „Um halb sieben? Ich glaube es hackt!“ „Ich hab doch auch keine Ahnung.“, sagte Mark unruhig. „Dann...bleibe ich hier sitzen.“ „Tu, was du nicht lassen kannst.“ Da fiel David dann auch nichts mehr ein. Auch Mark war ruhig. Eine Weile saß David noch so, dann legte er sich neben Mark. Es war etwas eng, aber das störte ihn nicht besonders. „Mach dich nicht so breit hier.”, hörte er Mark murmeln. „Keine Sorge.” David bemühte sich dünn zu wirken. Als es ihm nicht gelang, drehte er sich auf die Seite. Jetzt hingen ihm Marks Haare fast ins Gesicht. Aber besser als vom Bett fallen. David schnupperte in der Luft herum. Mark roch ziemlich gut, das fiel ihm gerade zum ersten Mal auf. „Was is?”, wollte Mark wissen. „Nichts.”, gab David zurück. Er mochte den Geruch. „Ach, was soll’s.”, brummelte David, eher zu sich selbst als zu Mark. Daraufhin legte er seinen Arm um Mark. „Hm?”, machte sein Bettnachbar. „Hm.”, kam es von David zurück. David konnte nicht sehen, daß Mark zufrieden lächelte, aber er konnte es ahnen. Mark kuschelte sich noch ein wenig näher an David. Kurz darauf waren beide eingeschlafen.
      Am Samstag Morgen wachten David und Mark in derselben Stellung auf. Diesmal war es Mark, der als erster erwachte. Ihm wurde die Situation erst nach einem kurzen Moment klar. Er drehte sich vorsichtig um und flüsterte: „David. David.” „Hm?“, machte David verschlafen. „Geh lieber rüber, falls meine Mutter reinkommt.“ „...Wie spät...?“ David sah auf seine Uhr. Es war kurz nach sieben. „Was soll ich?“ „Rübergehen. Weißt schon.“ „Ja, ja.“ Leicht schwankend stand David auf und ging rüber ins Gästezimmer. Dort legte er sich auf das nicht halb so warme und gemütliche Bett. Dort schlief er wieder ein.
      Als David seine Augen wieder öffnete, war es schon fast halb zehn. Wollten sie nicht heute nach Hannover fahren? Mühsam rappelte er sich hoch. Dann ging er auch schon hinüber zu Marks Zimmer. Dort fand er außer Mark noch dessen Mutter vor. „Brauchst du sonst noch irgendwas?“, fragte sie ihren Sohn mit besorgter Stimme. „Nein, schon gut.“ „Wenn du willst kann ich auch hierbleiben.“ „Laß nur, ich habe ja David.“ Mark zeigte auf seinen Freund, der in der Tür stand. „Was hat er denn?“, fragte David an Marks Mutter gewandt. „Ein bißchen Fieber. Und Kopfschmerzen.“ „Auf einmal?“, fragte David verwundert. „Heute...gestern Abend ging es dir doch noch gut.“ „Ich weiß auch nicht.“ Mark zuckte schwach mit den Schultern. „Jetzt eben nicht mehr so.“ „Also, wir fahren dann jetzt. So gegen fünf werden wir wohl wieder da sein.“, sagte seine Mutter. „Im Notfall hast du ja die Handynummer.“ Mark nickte. „Viel Spaß.“ „Danke, dir gute Besserung.“ Marks Mutter ging hinaus und schloß die Tür. David setzte sich neben Mark auf das Bett. „Komm mir nicht zu nahe.“, empfahl Mark. „Wenn’s was ansteckendes ist, na, dann Prost Mahlzeit.“ „Wird schon nicht.“, meinte David. „Außerdem mögen mich sowieso die Viren nicht.“ „Auf deine Verantwortung.“ „Gut.“ „Tut mir leid, daß ich unseren Hannover – Trip jetzt versaut habe.“, entschuldigte sich Mark. „Oh ja, schäm dich, daß du krank geworden bist.“ „Tue ich.“, meinte Mark. „Ist aber echt doof für dich.“ „Ach was, ich bleibe gerne bei dir und spiele Krankenpfleger.“, winkte David ab. „Na, dann bin ich ja beruhigt.“, meinte Mark dazu und zog seine Decke etwas höher. „Ist dir kalt?“, fragte David. „Nö, es geht. Ich hoffe, du hast dich letzte Nacht nicht angesteckt.“, überlegte Mark. „Blödsinn.“ David schüttelte den Kopf. „Ich sagte schon: Ich in robust und widerstandsfähig wie’n Stein.“ „Toller Vergleich.“, warf Mark ein. „Na was?“ David zog an Marks Decke. „Willst du Musik hören oder ‘nen Film gucken?“, wollte Mark wissen. „Oder bin ich dir genug Unterhaltung?“ „Wird sich zeigen.“, erwiderte David. Eine Weile wußten beide nicht, was sie sagen sollten. „Wie hast du geschlafen, die erste Nacht hier?“, fragte Mark dann schließlich. „Ziemlich...gut.“, meinte David und lächelte ein wenig. „Ja, ich fand’s auch recht gemütlich.“, stimmte Mark zu. „Könnten wir bei Gelegenheit ja mal wiederholen.“ „Hm.“, David nickte unsicher. Wieder trat eine Pause ein. „Siehst du, jetzt langweilst du dich doch.“, sagte Mark. „Naja, Langeweile kann man das nicht nennen.“, argumentierte David. „Wir können uns natürlich die ganze Zeit darüber streiten, ob mir langweilig ist oder nicht, aber...“ „Nein, stimmt. Das sollten wir nicht tun.“, meinte Mark einsichtig. „Aber sag mir: Was nun?“ David seufzte. „Hm. Egal. Laß mich mit unter die Decke.“ Mark sah David kurz fragend an. Dann hob er die Decke und David schlüpfte darunter. So lagen sie dann nebeneinander. „Jetzt noch etwas Musik gefällig der Herr?“, fragte Mark. „Ja, OK.“, stimmte David zu. Mark nahm seine Fernbedienung. Er drückte ein paar Tasten, bis endlich leise Musik aus den Lautsprechern kam. „Was ist das?“, fragte David. „Michael learns to rock.“, antwortete Mark. „Die sind cool.“ „Kenn ich nicht.“, meinte David. „Dann lernst du sie jetzt kennen.“ Er lehnte seinen Kopf an Davids Schulter. „Das macht dir doch nichts aus?“ David schüttelte den Kopf. „Ich werde auch nicht allzu zudringlich, versprochen.“ David achtete gar nicht auf die letzte Bemerkung. Für ihn war die momentane Situation genug, aber keine „Belästigung“. „So angenehm war krank sein noch nie.“, meinte Mark. „Ich glaube, ich muß öfter mal Fieber haben.“ „Übertreib’s nicht.“, mahnte David freundlich. „Ich doch nicht.“, erwiderte Mark grinsend. „Und jetzt langweilen wir uns nicht mehr, wenn wir hier so nebeneinander liegen?“, fragte David nach einem Moment. „Also für mich reichts.“, erwiderte Mark. „Und wenn’s mir heute Abend wieder besser geht, dann können wir ja ins Rodeo gehen. Wenn du Lust hast.“ „Wenn deine Mutter dich in diesem Zustand wegläßt.“ „Wird sie schon.“, meinte Mark zuversichtlich. „Ich sagte ja auch, wenn’s mir besser geht.“ „Ja, heute Abend ist mir schon eher nach weggehen.“, stimmte David zu. „Und übermorgen ist wieder Schule.“ „Ja. So’n Dreck.“ „Montag ist noch der schlimmste Tag. Keine Motivation und hundemüde sowieso.“, sagte David. „Aber im Moment ist mir die Schule ziemlich egal.“ „Das sollte sie aber nicht. Wir machen doch bald ABI.“, wußte Mark. „Ja, ja, das ist mir auch klar. Bis dahin wird sich hoffentlich alles gerichtet haben.“, meinte David. „Schließlich habe ich jetzt wieder einen soliden und vor allen Dingen moralischen Lebenswandel. Hm.“ „Na, wenn du meinst. Du fängst dich schon wieder.“, sagte Mark dazu. „Sag mal, ich habe dir ja soviel von mir erzählt, aber von dir weiß ich noch fast gar nichts.“, meinte David. „Da gibt’s auch nicht so wahnsinnig viel zu berichten. Was willst du denn wissen?“, fragte Mark. „Na zum Beispiel ob du schon mal eine Beziehung hattest.“ „Mit Mädchen oder Typen?“ „Beides.“ „Ja, also vor ein paar Jahren, als ich noch nicht so wußte auf wen oder was ich stehe hatte ich schon mal was mit einem Mädchen. Sabrina hieß sie. Da war ich glaube ich 16.“, überlegte Mark. „Dann weißt du ja noch gar nicht so lange, daß du schwul bist.“ „Nö, das ist mir erst danach klar geworden. Ich meine, nachdem Sabrina und ich...du weißt schon. Naja.“ „Oh je, das arme Mädchen.“, sagte David mitfühlend. „Ach, sie meinte, sie hätte sich das schon gedacht. Ein bißchen sauer war sie schon, aber die große Liebe war’s für sie auch nicht.“ „Ach so. dann geht’s ja. Und weiter?“, wollte David gespannt wissen. „Naja, ich hab da auch mal so ‘nen Typen kennengelernt. Aber soviel ist da nicht gelaufen.“ „Was heißt ’nicht so viel‘?“ „Du willst es wohl ganz genau wissen. Ich bin noch Jungfrau, wenn du das meinst.“ „Hätte ich nicht gedacht.“ David sah Mark überrascht an. „Wirklich? Mache ich so einen Eindruck?“, wollte Mark verwundert wissen. „Nein, nein, ich dachte nur.“ „Ich war ja auch noch nie so richtig verliebt.“, gab Mark als Grund an. „So wie jetzt, meine ich.“ David räusperte sich. „Nun ja.“ „Das ist dir doch noch unangenehm, hm?“ „Falsches Wort. Ungewohnt, das trifft es besser.“, erklärte David. „Wieso? Waren noch keine Mädchen in dich verknallt?“, wollte Mark wissen. „Doch, das schon.“, erwiderte David. „Aber das ist was anderes.“ „Meinst du?“ „Klar. Das würde jeder sagen.“ „Ich dachte, Liebe und so wäre für dich total unwichtig.“, meinte Mark. „Dachte ich auch. Ich hab geglaubt, Liebe gäbe es nicht. Nicht so richtig, auf jeden Fall.“, erklärte David. „Tja, da hast du dich getäuscht.“, sagte Mark. „Anscheinend.“ Sie sahen sich an. Bevor die Situation zu „heiß“ wurde, fragte David: „Geht’s dir schon besser?“ „Ein bißchen.“, erwiderte Mark. „Komm, Fieber messen!“ „Aber ich -“ David stopfte Mark das Fieberthermometer regelrecht in den Mund. „Ruhig sein. Temperatur prüfen.“ Mark grummelte irgend etwas, aber David konnte ihn natürlich nicht verstehen. „Ich geh dir jetzt mal was zu trinken holen.“ David stand auf. „Dableiben!“ Mark spuckte das Thermometer aus. „Uäh, was soll das denn?“, fragte David mit krauser Stirn. „Na, du sollst nicht weggehen.“, begründete Mark. „Ich komme ja wieder. Wasser? Saft?“ „Wasser bitte.“ „Gut.“ David verließ den Raum und ging die Treppe hinunter. „Bring doch gleich noch irgendwas zum Knabbern mit, du findest das schon.“, rief ihm Mark noch hinterher. „Alles klar.“, sagte David so vor sich hin, ging in die Küche und startete „Unternehmen: Knabbersachensuche“.
      „Mama, können wir heute abend, also jetzt, noch weg oder...?“ Mark sah seine Mutter sehr freundlich und bittend an. „Aber du bist doch krank.“ Seine Mutter legte die Stirn in Falten. „Ach was, geht schon wieder. Ich hatte einen guten Pfleger.“, sagte Mark mit einem grinsenden Seitenblick auf David, der neben ihm stand. „Naja gut. Hauptsache, du bist am Montag wieder fit für die Schule.“, mahnte seine Mutter schließlich. „Danke Mam.“ Mark drückte ihr einen Kuß auf die Wange. „Wie spät ist es?“, fragte er dann David. „Kurz nach halb elf, wieso?“ „Ich überlege nur, wann wir los müssen.“ „Ist denn schon was los im Rodeo?“, fragte David skeptisch. „Eben, deshalb überlege ich ja.“, grübelte Mark weiter. „‘Ne Stunde haben wir noch, würde ich sagen!“ „Wie du meinst. Vielleicht treffen wir ja wen.“, meinte David. „Kann gut sein. Aber jetzt laß uns noch mal hochgehen, OK?“ „OK.“, stimmte David zu.
      Als David und Mark das Rodeo betraten, war es kurz nach zwölf. Es war schon ziemlich viel los für diese Zeit. Normalerweise ging es erst so gegen eins so richtig los, nicht wie im Jolly schon um neun. David und Mark konnten trotz des Betriebs noch einen Platz auf den Barhockern ergattern, die so hier und da außerhalb der Tanzfläche herumstanden. „Willst du was trinken?“, fragte Mark in Brüllton aufgrund der Lautstärke. David schüttelte nur den Kopf, um seine Stimme zu schonen. „Ich geh mir jetzt was holen. Halt mir den Platz frei.“ David nickte. Mark stand also auf und ging in Richtung Bar. David sah sich um. Im Moment konnte er noch keinen Bekannten entdecken. Auf einmal fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Blitzartig sah David sich um. Er atmete auf. „Florian!“, rief er erleichtert. „Hey David! Können wir mal kurz reden? Draußen?“, fragte ihn Florian sofort. David sah ihn kurz an. „OK.“ Er sah sich kurz um, wo Mark blieb. Als er ihn erblickte, gab er ihm ein Zeichen, so daß er Bescheid wußte. Etwas verwundert sah Mark den beiden hinterher, als sie die Disco wieder verließen.
      Draußen war die Musik immer noch laut genug zu hören. „Sag mal, was ist denn los bei dir Zuhause?“, fragte Florian besorgt, als sie den Parkplatz heruntergingen. „Was meinst du?“ David sah auf den nassen Asphalt unter sich. „Du hast ja erzählt, daß es bei euch ‘kleine Differenzen‘ gibt, aber warum genau du weg bist, hast du mir nicht gesagt.“ „Nun, weißt du, Zuhause hat’s mich nicht mehr so gehalten.“, erwiderte David. „Wie? Sag bloß, du bist freiwillig weg?“ Überrascht sah Florian seinen Kumpel an. „Hab ich ‘n Schild auf der Stirn auf dem steht „Frag mich aus!“ oder wie?“, wollte David wissen. „Naja, wie kannst du so einfach ausziehen?“, meinte Florian. „Geld hast du ja, das ist auch so eine Sache, aber -“ „Wie meinst du das?“, fragte David mißtrauisch. „Also, ziemlich viele Leute fragen sich, wie du dir das alles so leisten kannst.“ David blieb stehen. „Was soll denn das jetzt heißen?“ „Du erzählst doch immer, wie geizig dein Alter ist. Aber du hast doch trotzdem immer die besten Sachen und so weiter.“, begründete Florian sein Anliegen. „Ach, und was meinst du, woher das kommt?“, fragte David gereizt. „Ich denke erst mal gar nichts.“ „Nein? Dann hättest du doch nicht so ‘ne blöde Anspielung gemacht.“, meinte David sauer. „Das geht dich echt gar nichts an. Und den ‘vielen Leuten‘ erzähl doch was du willst.“ Mit diesen Worten machte David eine Kehrtwendung und ließ seinen Kumpel stehen.
      „Komm, wir gehen.“, rief David zu, als er Mark wiedergefunden hatte. „Wieso?“, wollte Mark wissen, doch David antwortete nicht sondern strebte schon wieder in Richtung Ausgang. Dort traf er wider auf Florian. „Hör mal David, du solltest das jetzt nicht falsch verstehen.“ Er hielt David am Arm fest. David riß sich los. „Halt bloß die Klappe.“, zischte er. Mark hatte die Szene beobachtet. „David, gehen wir.“ Er schob David an Florian vorbei aus der Tür. „Würdest du mir sagen, was da los war?“, wollte er dann wissen, als sie an der frischen Luft waren. „Ach, er wollte dies und das wissen und wieso und weshalb.“, erwiderte David und kickte eine Coladose weg, die vor ihm auf dem Boden lag. „Was wollte er wissen?“ „Woher ich mein Geld habe, man!“, schrie David Mark an. „Hey, mich mußt du bitte nicht anmachen, ja?“, sagte der daraufhin. „Ja. Ja. Entschuldige.“ David sah in den wolkenverhangenen Himmel. „Ich habe genug von diesen ganzen dämlichen Fragen wieso weshalb warum! Die Leute können mich doch einfach in Ruhe lassen!“ „Sie machen sich Sorgen um dich.“, vermutete Mark. „Sieht für mich nicht so aus.“ „Es wollen dir aber auch nicht alle was böses. Nimm doch mal mich!“ Mark breitete die Arme aus, sprang vor David und zog sein Showmastergrinsen. David mußte lächeln. „Ach du, du bist ja noch der Schlimmste!“ „Ja? Gut, dann habe ich ja meinen Ruf als Nervensäge erfolgreich verteidigt. Ich finde wir passen gut zusammen. ‘N Schwachsinniger und ‘ne Nervensäge.“ „Schwachsinnig! Na warte!“ Mark hatte alle Mühe, vor David wegzulaufen, der ihn über den halben Parkplatz scheuchte.
      „Na, Jungs, hattet ihr einen netten Abend?“ Marks Mutter goß allen beim Frühstück am Sonntag morgen Kaffee ein. „Wir waren nicht lange da.“, antwortete ihr Sohn. „War nicht so viel los.“ „Naja, ist auch besser, du schonst dich noch.“ „Es geht mir gut, Mama.“ „Das sah aber gestern Morgen noch anders aus.“, schaltete sich Herr Stern ins Gespräch ein. „Ja, ja, ich weiß. Heute Abend gehe ich früh ins Bett, Mami und Papi!“ Mark lächelte seine Eltern freundlich an. „Will ich auch meinen.“ Sein Vater widmete sich wieder seiner Zeitung. „David, willst du noch einen Toast?“, fragte Marks Mutter. „Nein danke, ich bin voll. Seit ich hier bin habe ich bestimmt ein - zwei Kilo zugenommen, bei dem guten Essen.“, erwiderte David. „Danke, nett von dir.“ „Können wir dann aufstehen, Mama?“, fragte Mark. „Ja, geht nur.“ „Hausaufgaben machen!“ David und Mark verzogen die Gesichter. „Ja, an die Arbeiten, Kinder.“, sagte Marks Vater noch.
      „Kinder! Bei dem hackts wohl.“ Mark ließ sein Englischbuch auf den Boden fallen. „Aber dein Dad ist wenigstens nicht so verklebt im Kopf wie meiner.“ David streckte sich auf dem Fußboden aus. „Wenn du das sagst.“ Mark legte sich neben David. „Also, Englisch, wie?“ David studierte das Englischbuch und merkte nicht, daß Mark ihn um so genauer studierte. Erst nach einer Weile sah er zur Seite. „Was?“ David sah ihn fragend an. „Hab ich Bretze irgendwo?“ Mark schüttelte den Kopf. „Ich guck dich nur an.“ „Hm.“ David versuchte sich wieder dem Buch zu widmen. Nach kurzer Zeit sah er Mark wieder an, der ihn immer noch anstarrte. „Sag mal, wie soll ich denn da arbeiten, hm?“ Mark hob die Schultern. „Ich weiß nicht.“ Marks Blick fixierte Davids Mund. David wurde unruhig. Mark kam näher. David konnte schon seinem Atem spüren, als plötzlich die Tür aufging und Mark zurückschreckte. Es war seine Mutter. „Entschuldigt die Störung, aber ich wollte fragen, ob es recht ist, wenn wir erst heute abend richtig essen?“ „Ja, ja, wir müssen jetzt arbeiten!“, sagte Mark genervt. „Bin ja auch schon weg. Aber: Anderer Ton, mein Sohn.“ Schon war seine Mutter wieder verschwunden. „Ich glaube, wir sollten jetzt Hausaufgaben machen.“, schlug David vor. „Ja, anscheinend sollten wir das.“ Mark seufzte. „Also Englisch.“
      „Oh man, muß deine Mutter immer so gut kochen, sag mal?“ David ließ sich auf Marks Bett sinken. „Ja, muß sie.“ Mark fiel wie ein Sandsack auf die andere Seite des Bettes. „Mußt du soviel essen?“ „Ja, Herr Schlaumeier!“, sagte David und knuffte Mark ein wenig. „Zufällig muß ich noch groß und stark werden.“ „Grr.“, knurrte Mark. Er tastete an der Wand herum. Auf einmal ging das Licht aus. „Stromausfall?“, fragte David unwissend. „Schon mal was von Lichtschalter gehört, Herr Besserwisser?“ Das Zimmer wurde jetzt nur noch vom Mond erhellte, der ausnahmsweise von einem klaren Himmel schien. Trotzdem konnte David noch einigermaßen gut sehen. Zumindest sah er, das Mark sich über ihn beugte. „Was hast du vor?“, fragte er mit klopfendem Herzen. Da küßte Mark ihn auch schon sanft auf den Mund. Eigentlich wollte David etwas sagen, ließ es aber dann doch bleiben. Er erwiderte Marks Küsse und strich ihm durch die Haare. „Was ist, wenn jemand reinkommt?“, fragte David dann aber doch. „Kommt keiner.“, sagte Mark und küßte David weiter. „OK.“ Nach einer Weile lagen sämtliche Kleidungstücke der beiden auf beiden Seiten neben dem Bett verteilt. Und, irgendwie, war das für David das erste Mal.
      Als David die Augen öffnete, war es bereits kurz vor sieben. Es dauerte eine Weile bis er sich erinnerte, was letzte Nacht passiert war. Er sah neben sich. Er lag nur noch alleine im Bett. Mark war anscheinend schon aufgestanden. Und das tat David jetzt auch. Er erhob sich und machte seinen Weg ins Badezimmer. Auch dort war Mark nicht. Er zuckte mit den Schultern, wusch sich dann und kämmte seine kurzen Haare durch. Dann zog er sich noch an und ging schließlich runter. Die Familie war schon zu Frühstück versammelt. Auch Mark saß am Tisch im Eßzimmer. „Guten Morgen.“, sagte David. Mark sah kurz auf, dann senkte er den Kopf wieder. „Guten Morgen.“, erwiderten Marks Eltern seinen Gruß. „Na, schweren Tag heute?“, fragte Frau Stern die beiden Jungen. „Es geht.“, antwortete Mark relativ leise. Das war es dann auch mit Konversation, der Rest des Essens wurde schweigend eingenommen. Dann machten sich David und Mark auf den Schulweg. Da Mark nach der Hälfte des Weges immer noch nichts gesagt hatte, begann David zu sprechen. „Hey, alles in Ordnung?“ „Hm?“ Mark sah David an. „Was?“ „Ob bei dir alles klar ist.“ „Bei mir? Ja. Sicher.“ „Wenn es wegen letzter Nacht ist...willst du darüber reden?“, wollte David vorsichtig wissen. „Ich weiß nicht so. Ich fühle mich komisch.“, erwiderte Mark. „Hey, ich habe dich vorige Nacht ja zu nichts gezwungen...“ „Nein, das ist es nicht.“ „Schlechtes Gewissen?“, fragte David. „Vielleicht.“ „Solltest du nicht haben. Es war ja nichts Böses.“ „Meinst du?“ Unsicher sah Mark David in die Augen. „Ja. Es gibt nichts, wofür du dich schämen müßtest.“ Mark lächelte. „Wenn du’s sagst.“
      David gähnte und sah auf seine Uhr. Noch fünf Minuten. Er brauchte endlich eine Zigarette. Doch diese paar Minuten mußte er Frau Waidmann auch noch ertragen. Als es dann schließlich klingelte, war er als erster draußen. Natürlich begab er sich schnurstracks in die Raucherecke. Als er kurze Zeit dort herumstand, sah er Mark, der in seine Richtung kam. Auch Florian war schon in Sicht. Doch David war nicht unbedingt scharf darauf, seinen neugierigen Kumpel zu sehen. Doch er wartete noch ab, bis Mark bei ihm war. „Na, wie geht’s?“ David nickte. „Medium. Und dir?“ „Wir haben Physik wiederbekommen.“ „Und?“, wollte David wissen. „13 schöne Punkte!“ Mark strahlte ihn an. „Hey, Glückwunsch.“ „David?“ Er sah sich um und erblickte den unerwünschten Florian. „Oh. Du.“ „Hey, können wir noch mal reden?“, fragte sein Freund. „Nö. Dazu habe ich keine Motivation.“, erwiderte David. „Sei doch nicht so komisch!“, forderte Florian ihn auf. „Was hast du mir eigentlich zu sagen!“ Die kleine Meinungsverschiedenheit hatte nun auch bei den anderen umstehenden RaucherInnen Interesse geweckt. Neugierig beobachteten sie David und Florian. „Ich mache mir ja bloß Sorgen!“ David verdrehte die Augen. „Wie du siehst legt David aber keinen Wert darauf!“, warf Mark ein. „Du solltest dich wohl ganz da raushalten!“, sagte Florian im Befehlston. „Hey, laß ihn gefälligst in Ruhe!“, drohte David. „Und mich auch!“ „Wieso, was hat der denn damit zu tun?“, wollte der gereizte Florian wissen. „‘Ne ganze Menge!“, antwortete Mark selber. David sah Florian noch einen Moment in die Augen. Dann faßte er nach Marks Hand. „Komm, wir gehen!“ Er warf Florian seine Zigarette vor die Füße und zog Mark mit sich. Die anderen SchülerInnen sahen ihnen merkwürdig, überrascht und sensationslüstern hinterher, als sie im Schulgebäude verschwanden. „Hey, warte mal!“ Mark blieb stehen. David ebenfalls. „Was?“ „Wolltest du das nicht ausdiskutieren?“ David warf einen Blick auf die Schülergruppen um sie herum, die eifrig ins Gespräch vertieft waren. „Nein, wollte ich nicht, OK?“ „Aber...“ Mark konnte schon nichts mehr sagen, da Davids Lippen seine trafen. David zog Mark zu sich heran. „Nichts aber, ja?“ Diesmal war es Mark, der die geschockten Blicke um sie herum betrachtete. „Dir ist wohl gar nichts heilig, was?“ Er mußte lachen. „Nein. Was sagst du, gehen wir?“ Mark überlegte kurz. „OK, Sport laß ich sausen.“ „Und auf Kunst bin ich auch nicht scharf.“, ergänzte David. „Womit wir uns einig wurden.“ Vielstimmiges Gemurmel wurde laut um die beiden, die ungefähr neunundneunzig Prozent der Aufmerksamkeit auf sich zogen. David und Mark drängten sich durch die Massen, um ihre Sachen zu holen. „Was seid ihr denn für schwule Idioten?“, stieß jemand Mark an. „Hast du was gesagt?“ David baute sich vor dem vorlauten Typen auf, der etwa zehn Zentimeter kleiner war als er. „Nein. Nein.“, sagte der auf einmal friedfertig. „Na also.“ Endlich konnten die beiden ihre Sachen nehmen und aus der Schule verschwinden.
      „Ich war nicht mehr hier, seit ich es dir versprochen habe.“ David und Mark schlenderten die Straßen entlang, an der David so viele Nächte gestanden hatte. „Warum sind wir überhaupt hier?“ „Na, um zu sehen, wie gut es ist, daß du aufgehört hast.“, meinte Mark und grinste seinen Freund an. „Weißt du, ich würde gerne bald ausziehen. Ich habe letztens einen Job gekriegt. Nichts großes, aber immerhin.“ „Wirklich? Finde ich gut.“, sagte David. „Und wenn ich erst mal studiere, dann habe ich sowieso eine Wohnung.“ Mark sah David an. „Hoffentlich mit dir zusammen?!“ „Soll das heißen, du willst, daß ich mit dir zusammen wohne?“ David schaute seinem Freund tief in die Augen. „Ja. Das soll es heißen.“ Mark blickte skeptisch drein, doch dann lächelte David. „Du, das finde ich eine tolle Idee.“, Marks Gesichtszüge entspannten sich. „Wow. War gar nicht so schwer.“ Sie setzten ihren Weg fort. Auf einmal war da ein Auto, das neben ihnen verlangsamte. Ein Mann streckte seinen Kopf aus dem geöffneten Fenster. „Na, wie wäre es denn? Für ‘nen Hunni?“ „Nein.“, sagte Mark und lächelte. „Der gehört jetzt mir! Und zwar gratis!“ Er nahm Davids Hand und die beiden begannen zu laufen. Sie liefen bis zur nächsten Straßenecke, wo sie keuchend innehielten, sich verliebt in die glänzenden Augen sahen und in einen Kuß versanken.
       

      Beendet am 02.05.98

      A.E.R.W.
       


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