Plattform für eine provisorische Opposition

Das Ziel einer revolutionären Aktion auf dem Gebiet der Kultur kann es nicht sein, das Leben wiederzugeben oder zu erklären, sondern es zu erweitern. Überall muß das Unglück zurückgeschlagen werden Die Revolution läßt sich nicht in der Frage erfassen, welche Produktionsstufe die Schwerindustrie jetzt erreicht hat und wer sie beherrschen wird. Zusammen mit der Ausbeutung des Menschen müssen die Leidenschaften, die Kompensationen und die Gewohnheiten sterben, die Produkte der Ausbeutung waren. Es müssen neue, in Zusammenhang mit den heutigen Möglichkeiten stehende Begierden definiert werden. Schon heute im heftigsten Grad des Kampfes zwischen der gegenwärtigen Gesellschaft und den Kräften, die sie zerstören werden, müssen die ersten Elemente einer höheren Umwelt Konstruktion und neue Verhaltensbedingungen gefunden werden; sowohl als Experiment wie auch als Propagandamittel, Alles übrige gehört der Vergangenheit an und ist ihr von Nutzen.

Jetzt muß eine organisierte kollektive Arbeit unternommen werden, die eine einheitliche Anwendung aller Umwälzungsmittel des alltäglichen Lebens anstrebt. Das heißt, daß wir zuerst die gegenseitige Abhängigkeit dieser Mittel in der Perspektive einer größeren Herrschaft über die Natur und einer größeren Freiheit erkennen müssen. Wir müssen neue Stimmungen konstruieren, die zugleich Produkt und Werkzeug neuer Verhaltensweisen sind.

Dafür müssen anfangs die heute vorhandenen alltäglichen Verhaltensweisen und die Kulturformen empirisch angewandt werden, indem man ihnen jeden eigenen Wert aberkennt. Das Kriterium selbst der Neuheit, der formalen Erfindung hat im traditionellen Rahmen einer Kunst seinen Sinn verloren, d. h. im Rahmen eines unzureichenden fragmentarischen Mittels, dessen partielle Erneuerungen von vornherein überholt - und folglich unmöglich geworden sind. Wir sollten die moderne Kultur nicht ablehnen, sondern in unseren Besitz bringen, um sie zu verneinen. Es kann keinen revolutionären Intellektuellen geben, wenn er die kulturelle Revolution nicht anerkennt, die vor uns steht. Ein schöpferischer Intellektueller kann nicht dadurch revolutionär sein, daß er einfach die Politik einer Partei unterstützt, sei es sogar mit neuartigen Mitteln, sondern dadurch, daß er neben den Parteien auf die notwendige Veränderung des gesamten kulturellen Überbaus hinarbeitet. Gleichfalls bestimmt in letzter Instanz weder die soziale Herkunft noch die an geeignete Kultur - der gemeinsame Ausgangspunkt für Kritik und Kreation - sondern die Rolle innerhalb der Produktion der historisch bürgerlichen Formen der Kultur die Eigenschaft eines bürgerlichen Intellektuellen. Wenn die bürgerliche Literaturkritik Autoren lobt, die auf politischer Ebene revolutionäre Meinungen haben, sollten diese danach suchen, welche Fehler sie begangen haben.

Die Vereinigung mehrerer experimenteller Tendenzen zu einer revolutionären Front in der Kultur, die auf dem Ende 1956 in Alba in Italien veranstalteten Kongreß begonnen hat, setzt voraus, daß wir drei wichtige Faktoren nicht außer acht lassen wollen.

Zunächst muß eine völlige Übereinstimmung zwischen den Personen und Gruppen, die an dieser gemeinsamen Aktion teilnehmen, verlangt werden und diese Übereinstimmung darf nicht erleichtert werden, indem man Unklarheiten über einige Konsequenzen dieser Aktion zuläßt. Fernhalten muß man die Witzbolde oder Karrieremacher, die ahnungslos genug sind, um auf einem solchen Weg vorankommen zu wollen.

Zweitens muß man daran erinnern, daß schon oft, wenn auch jedes wirklich experimentelle Verhalten benutzbar ist, eine mißbräuchliche Anwendung dieses Wortes versucht hat, eine künstlerische Aktion innerhalb einer aktuellen, d. h. schon vorher von anderen erfundenen Struktur zu rechtfertigen. Dem einzig gültigen experimentellen Schritt liegt eine genaue Kritik der bestehenden Verhältnisse und deren überlegte Aufhebung zugrunde. Es muß ein für allemal deutlich gesagt werden, daß man das unmöglich eine Schöpfung nennen kann, was nur eine persönliche Ausdrucksform im Rahmen von Mitteln ist, die von anderen geschaffen worden sind. Schaffen heißt nicht, Gegenstände und Formen anordnen, sondern neue Gesetze dieser Anordnung erfinden. Schließlich müssen wir die Sektiererei unter uns liquidieren, die der Aktionseinheit mit möglichen Verbündeten zu bestimmten Zielen entgegen steht und die Unterwanderung paralleler Organisationen verhindert Zwischen 1952 und 1955 hat sich die Lettristische Internationale nach einigen notwendigen Säuberungen ständig zu einer Art absoluten Strenge hin entwickelt, die zu einer gleichsam absoluten Isolierung und Wirkungslosigkeit führte und auf die Dauer eine gewisse Immobilität und einen Verfall des kritischen und erfinderischen Geistes förderte, Wir müssen dieses sektiererische Verhalten endgültig zugunsten von wirklichen Aktionen überwinden. Nach diesem einzigen Kriterium sollten wir uns Genossen anschliessen oder sie verlassen. Natürlich soll das nicht bedeuten, daß es zu keinem Bruch mehr kommen darf, wozu man uns allgemein auffordert. Im Gegenteil meinen wir, daß wir unseren Bruch mit den Gewohnheiten und den Personen noch weiter treiben müssen.

Wir müssen kollektiv unser Programm definieren und es diszipliniert und mit allen Mitteln - auch den künstlerischen - verwirklichen.

Nächstes Kapitel: Auf dem Weg zu einer Situationistischen Internationale

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