Zurück zu SI-Homepage


Vorschläge für ein Aktionsprogramm
[Raoul Vaneigem, 28. August 1961]

Internes Diskussionspapier (dreiseitiges, maschinengeschriebenes Manuskript in französisch, unsigniert, wahrscheinlich von Vaneigem verfaßt, gefunden im Archiv de Jong, Amsterdam)

[Übersetzt von Roberto Ohrt, Phantom Avantgarde
Eine Geschichte der Situationistischen Internationale und der modernen Kunst
. Edition Nautilus, Hamburg, 1990]
[Propositions pour un programme d’action]

 

 

I. DIE VERWEIGERUNG eines Reformismus und die Unmöglichkeit einer creatio ex nihilo begrenzen das Aktionsfeld der S.I. Es geht für sie darum, sich in der aktuellen Gesellschaft geeignete Stützpunkte zu verschaffen, um ihre zukünftigen Brückenköpfe zu sichern, ihr den Auftakt für eine Eroberung des feindlichen Gebiets zu verschaffen. Wir werden im weitesten Sinne des Wortes die Shopstewards der künstlerisch Schaffenden sein.

II. Projekte: 1. Haushaltsmesse Möglicherweise könnte uns von der Messeleitung ein Stand von 2000 qm zur Verfügung gestellt werden, in der Hoffnung, daß dort eine seriöse Kritik des Urbanismus und seiner jüngsten Verwirklichungen dargestellt wird. Wir schlagen als Thema das Schloß von Silling vor, konstruiert von D.A.F. de Sade, um dort 120 Tage der Fülle und des Lebens ohne tote Zeit verstreichen zu lassen. Vier Wände, ein Tor und ein solides Dach werden die unverzichtbare Isolierung gewährleisten. Das Innere wird als ein Labyrinth konzipiert, das von vielen Barrikaden durchschnitten werden kann. Bedingung ist, daß das Tor geschlossen bleibt, bis die Organisatoren oder ihre Schergen es einfach einrammen; den Kontakt mit der Außenwelt wird man mit aufstachelnden Flugblättern herstellen, die durch ungewöhnliche Mittel hinausgeschleudert werden. Alles wird (mit einem Beil) zerstört werden, gleich beim Eintritt der Inquisitoren. Die Manifestation muß um jeden Preis vermeiden, in einen studentischen Gag umzukippen. Daher ist es wichtig, die Ankündigungen zu planen.

a) vielleicht eine vertrauliche Einladung an einige sichere Persönlichkeiten senden. Der Text könnte enthalten: Henri Lefebvre und die S.I. laden Sie ein zu…

b) der Tag J — drei Flugblätter

1. ein erstes über die Konstruktion von Situationen, das Spiel, die Verweigerung gegen das Spektakel (gegen den Konsum, das käufliche Glück…)

2. zu überprüfen

3. ein politisches Flugblatt, das gegen die Sozialwohnungen gerichtet ist, das die Architekten wegen der Katastrophe von Clamart anklagt, das Elend des alltäglichen Lebens verurteilt…

c) Fertig im Umschlag wird ein Flugblatt im Ton des heroischen Widerstands lanciert. Es wird unseren Ausgangspunkt und unsere Zerstörungen erklären (prinzipielles Recht auf Zerstörung, Verweigerung des künstlerischen oder spektakulären Spiels, die Leere herstellen als letztes Heilmittel vor der Revolution, Politik der verbrannten Erde, die Ruine als gegenwärtig einzig annehmbare Konstruktion, das humane Erscheinungsbild des Urbanismus seiner inhumanen Realität zurückgeben, der Ruine, dem unbebauten Gelände). Zeitpunkt der möglichen Verwirklichung: März 1962.

2. Potlatch Bei den Forschungen über die Mittel, die Entwertung des künstlerischen Tauschwertes in der kapitalistischen Gesellschaft zu provozieren, sollte man in einem aufsehenerregenden Potlatch die Zerstörung von Gemälden ins Auge fassen, die Picasso, Jorn, Dubuffet, de Kooning… zu diesem Zweck zur Verfügung stellen würden (ein Brief, der ihnen das Interesse einer solchen Geste erklärt, wird ihnen zugestellt). Das Ganze begleitet von Flugblättern über unseren Standpunkt gegenüber der Kommerzialisierung der Kunst, beispielsweise mit Erklärungen der Art: »Die Situationisten leiten die Epoche ein, in der diese Bilder keinen Handelswert mehr haben werden« oder »Die S.I. allein verteidigt des künstlerische Schaffen« oder »Die Zerstörung und das künstlerische Schaffen sollten das Fassungsvermögen aller Börsen übersteigen und für jeden erreichbar sein«… Es geht insgesamt darum, die Künstler davon zu überzeugen, daß die S.I. ihren besten Teil verteidigt. Die S.I. wird sich ihrer einerseits als Geiseln, andererseits als Flüchtlinge aus dem feindlichen Lager versichern. Der Versuch wird fortgesetzt durch das Verfassen einiger Flugblätter, die während aller bedeutenden künstlerischen Ereignisse verteilt werden. Das Potlatch sollte gleichzeitig in München, London, Paris, Göteborg und Brüssel stattfinden.

3. Ein Projekt, sich der UNESCO zu bemächtigen —

4. Projekt, eine situationistische Basis zu errichten —

beides diskutieren und auf den Punkt bringen.

Außerdem ein Programm möglicher Aktionen aufstellen.


Zurück zu SI-Homepage