Schon vor vielen Jahren wollte ich einmal so ganz auf mich gestellt in die Natur hinaus – vielleicht auch eine Art Mutprobe – doch ich habe es nicht mit genug Energie versucht und so blieb es beim Wunsch. Mit meiner Norwegenreise entdeckte ich den „Norden“ als sehr reizvoll, beeindruckend, mystisch, großartig, weitläufig, abwechslungsreich, urtümlich, wild, herausfordernd und menschenleer. Doch damals waren wir zu Dritt in meinem selbst ausgebauten Campingbus unterwegs und dieser war ein komfortabler „Reiseverschönerer“, doch wie fast alle „Vier-Rädler“ war auch dieser an die wenigen Straßen gebunden und schränkte (mich) ein. Das Versäumte versuchten wir durch viele tausend Kilometer einzuholen, doch die Schlauchen einen ungemein, geben (mir) aber kein so zufriedenes Gefühl am Abend.
Letzten Sommer durfte ich eine „Ritualnacht für Männer“ erleben und mein Naturbedürfnis wurde durch den „Eisenhans“, aus den Grimms Märchen, wieder wachgerufen. Gedanken für den nächsten Urlaub kreisten um „Natur hautnah“, zuerst noch mit etwas Skepsis und Unbehagen, aber allmählich war mir immer klarer, daß es eine Solo-Wildniswanderung werden soll.
Die ersten Überlegungen und Planungen berücksichtigten noch ein Fahrrad. Je länger ich mich jedoch mit der Tourenplanung beschäftigte, desto mehr schränkte mich auch das Fahrrad ein.
Die Gegend des „Tatortes“ war mir sofort klar, es wurde noch einige Zeit zwischen Irland und Schottland abgewogen und ich besorgte mir dann zwei Bildbände zur Entscheidungsfindung. Ich empfand die schottischen Hochlandbilder noch karger und uriger und war dann froh, daß ich mich auch dadurch nach Schottland hingezogen fühlte, und zwar zu Fuß. „Highlander“ hat uns damals zum ersten Mal nach Schottland geführt. Doch dies war nicht meine Inspiration zur dieser Tour. Der Kultfilm „Local Hero“ um das Fischerdorf Pennan mit der Musik von Mark Knopfler (Dire Straits) schon viel eher.
Schottland könnte so ähnlich wie Norwegen sein und viele beeindruckende Bilder locken mich schon lange dort hin. Meine körperliche Leistungsfähigkeit habe ich aberduzendmal beim Bergsteigen kennengelernt, ich kenne meine Grenzen von dort recht genau, und ich zehre noch heute von allen Extremtouren oder den unerwarteten, gemeisterten Schwierigkeiten. In vielen Jahren habe ich meine Ausrüstung präzisiert und optimiert, eben auf den Bergbereich bezogen. Für die Hochlandtour sind da natürlich andere Schwerpunkte gesetzt und das heißt für mich, daß die Ausrüstung erweitert werden muß. Die in den Alpen ausreichend vorhandenen Hütten mit Versorgung fehlen in der Hochlandwildnis und so kommt das Zelten mit allem drum und dran noch hinzu. Die schottischen Wetterverhältnisse erfordern zudem ein sehr gutes Zelt mit sehr dichtem Moskitonetz und auch sorgfältigen Nässeschutz bei der Kleidung, zumal ich in der Wildnis möglicherweise mehrere Tage ohne baulichen Schutz bin. Von den relativ milden Tälern wird man auch über die doch schon recht kühlen Höhenlagen getäuscht, der Polarkreis läßt eben schon grüßen.
Viele Berichte über Schottland bestätigen mein Vorhaben. Die einen erkundeten Schottland zuerst mit dem Auto, dann wurde vielen schnell klar, daß man dieses Land besser zu Fuß bereist, daß es hinter den Bergen in den unzähligen Tälern noch viel mehr gibt, das ein Autofahrer nie zu sehen bekommt. Die, die noch ein mal Zeit hatten, kamen dann wieder, zu Fuß. Ganz Wenige kamen dann sogar noch ein mal allein und suchten ihren eigenen Weg in ihrem eigenen Tempo. Und das ließ mich nicht mehr los – ich werde davon noch eine Menge erzählen.
Nach etwa fünf Monaten Vorbereitung hatte ich zwei Monate vor der Tour die Ausrüstung bei fast 100%. Der Rucksack wog etwas mehr als 15 kg ohne Nahrung und Getränke und es gab ohne die Erfahrung einer eigenen Tour in Schottland keine sinnvollen bzw. bezahlbaren Einsparungen mehr. Die Briefwaage war auf allen Einkaufstouren mein ständiger Begleiter, jedoch hatte ich es aus meiner Sicht mit dem Sparen von Gewicht nicht übertrieben (auch wenn ich meinen Naßrasiererschaft inzwischen ausgebohrt habe). Von der Ausrüstung hängt sicherlich sehr viel ab, denn es wird schnell ungemütlich, wenn nur ein Teil nicht "paßt". Bei der Verpflegung war ich noch bis zum Tourbeginn am „basteln“, ein Eckpunkt stand jedoch fest, vier Tage Nahrung muß bei jedem Verlassen der Zivilisation im Rucksack sein. Aufgrund des Feuchtigkeitsreichtums Schottlands, sollte die Wassergewinnung aus Regen und Bächen kein nennenswertes Problem im Hochland werden. Trotzdem werde ich immer einen halben Liter Trinkwasser als eiserne Reserve mitführen. Das Rucksackgewicht wird sich so auf 19 bis 20 kg belaufen, das ist kaum mehr, wie ich auf alpinen Hochtouren gewohnt bin.
Als Literatur gebrauchte ich den Survival-Klassiger von Rüdiger Nehberg, das Buch Wildniswandern von Reinhard Kummer, das Outdoor-Magazin 2/99 (Schottland zu Fuß), diverses Kartenmaterial und unzählige Berichte aus dem Internet (siehe auch meine Links). Ebenfalls war das träumerische Durchschauen vieler Ausrüsterkataloge auch von großem Nutzen.
Es gab noch einen offenen Punkt: Meine Psyche. Halte ich es alleine durch, ohne Beistand, bei Sturm und Regen nachts in der Wildnis? Wie überstehe ich gesundheitliche Probleme bzw. Verletzungen? Eine endgültige Antwort werde ich nicht erhalten, ich werde es einfach probieren müssen. Dies ist wohl einer der Hauptgründe dieser Tour. Das Gebet wird mich unterstützen, mein Glaube ist eine weitere Triebfeder dafür. Einer angebotenen Begleitung für die Tour hatte ich bis zum Tourbeginn nicht zustimmen können, es würde eben einige Ziele der Tour in Frage stellen und es wäre nicht mehr „meine Tour“ – das klingt egoistisch, wie man es eben sieht. Es ist die Herausforderung, die mich mobilisiert, die in diesem Freiheitsstreben und dieser Unabhängigkeit steckt. Eine Pauschalreise mit VP zum Baden zu buchen wäre mir zur Zeit zuwider.
Im technischen Englisch bin ich zwar recht fit, jedoch bedarf es noch einer Auffrischung für den täglichen Bedarf.
Nachdem kinderlose Singles die Ferienzeit für den Urlaub meiden sollen, damit die Kollegen mit den schulpflichtigen Kindern, das sind in meinem Alter recht viele, die Ferienzeit auch nutzen können, heißt das für mich: zwischen Pfingstferien und Sommerferien Urlaub zu machen. Wenn man die schottischen Wetterdaten genauer betrachtet, sind es der Monat Mai und Juni, wo es die wenigsten Niederschläge gibt, also 23 Tage im Juni.
Das Gefühl, wenn die Reise beginnt, die Karten gekauft, das Material getestet und der Rucksack gepackt ist, dieses Gefühl, wenn ein Abenteuer bevorsteht und man sich innerlich von der gewohnten Welt verabschiedet, dieses Gefühl ist eines der Schönsten der Welt.
© Thomas Neher, Erstellt: Mai 1999, Letzte Änderung: 07.01.2002 | Home Schottland-Inhalt Top |