MDZ 3 (10) März 1999
Ufa - Metropole der selbstbewußten Republik Baschkortostan:
Kommunistisch Bus fahren, islamisch beten
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Die zentrale Moschee in Ufa. Ihr gestiegenses Selbst- bewußtsein untermauern die Baschkiren auch mit einer Besinnung auf islamische Tradition. Foto: Packeiser |
Durch die Lenin-Straße im Zentrum fegt ein eisiger Wind, das Thermometer zeigt schon einige Tage lang unverändert minus 31 Grad. Es hat den Anschein, als ob die allermeisten Menschen, die sich in den kleinen Lebensmittelläden entlang der Hauptverkehrsstraße drängeln, überhaupt nicht vorhaben, irgend etwas einzukaufen, sondern nur mal eben einen Platz suchen, um sich ein wenig aufzuwärmen.
In Ufa, der Hauptstadt der Republik Baschkortostan, zwei Zeitzonen, 1500 Kilometer und auch heute noch mindestens 24 Stunden Zugfahrt östlich von Moskau, hat man sich damit abgefunden, daß die Winter hier ein wenig strenger ausfallen als im Westen Rußlands. Vielleicht ist deshalb das neueröffnete Eiscafe in der Innenstadt fast bis auf den letzten Platz besetzt, gerade so, als wäre draußen Hochsommer. Zudem hatten die Einwohner Ufas zum Jahreswechsel auch Grund genug zu feiern: Die Stadtverwaltung gratuliert ihren Bürgern auf großflächigen Plakaten nicht nur auf Russisch zum Neujahr, sondern auf Baschkirisch auch zum muslimischen Bairam-Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadan. Und dann gibt es auch noch ein ganz konkretes tagespolitisches Ereignis, auf das man anstoßen kann. Nachdem 1999 endlich Fahrpreise für die Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs in der Baschkiren-Hauptstadt eingeführt werden sollten, haben sich die Politiker am Ende dann doch nicht getraut, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Alle Passagiere fahren nun weiterhin kostenlos Bus und Straßenbahnen, ein Überbleibsel des auch in Ufa nie so ganz erreichten Kommunismus, das noch eine neue Galgenfrist bekommen hat.
425 Jahre sind es jetzt, daß die Russen kurz nach der Eroberung des Tatarenkhanats eine Festung an der Stelle gegründet hatten, wo der Fluß Ufa in die Belaja mündet - inmitten einer Region, in der das muslimische Volk der Baschkiren lebte. Die Nachfahren mongolischer Einwanderer aus der Zeit Dschingis Khans mit einer Sprache, die eng mit dem Türkischen verwandt ist, hatten sich zum Ende des 16. Jahrhunderts freiwillig dem Russischen Reich angeschlossen. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist aus der ehemaligen Festung eine Stadt geworden, die mit ihren Ölvorkommen in der Umgebung zum Zentrum der russischen Petrochemie wurde. Über eine Million Einwohner leben dort, und Ufa zählt zu den zehn größten Städten Rußlands. Dennoch strahlt Ufa einen weitgehend provinziellen und beschaulichen Charme aus. Die Festung hat man längst abgetragen, aber in Ufas Altstadt finden sich noch immer viele Straßen, die von alten Holzhäusern gesäumt sind. In einem dieser Häuser in Ufas Altstadt lebte Anfang des Jahrhunderts für kurze Zeit auch Wladimir Lenin -Grund genug zu Zeiten der Sowjetunion, die ganze Straße vorbildlich zu restaurieren und zu einem Museumskomplex zu machen.
Ufa liegt im hügeligen Voruralgebiet, vom eigentlichen Uralgebirge, der geographischen Grenze Europas zu Asien, noch weit über hundert Kilometer entfernt, ist heute aber dennoch eine jener russischen Städte, an denen zu erahnen ist, daß die beiden Kontinente hier schon allmählich ineinander übergehen. Das wird nicht so sehr an der nicht allzu originellen Architektur der Republikhauptstadt deutlich als vielmehr an ihren Einwohnern. Auch wenn heute etwas mehr als die Hälfte der Bürger Ufas ethnische Russen sind, fallen bei den übrigen, den Tataren und Baschkiren, deren mongolische Gesichtszüge oft deutlich ins Auge.
Wunsch nach Unabhängigkeit
Ähnlich wie die Nachbarn in der aufmüpfigen Republik Tatarstan hat man auch in Ufa die russische Trikolore weitgehend aus dem Stadtbild verbannt und statt dessen auf allen öffentlichen Gebäuden die baschkirische Nationalflagge gehißt. Baschkortosran hat sich in den neunziger Jahren von der russischen Zentrale eine ganze Reihe weitreichender Freiheiten genommen und wird heute in offiziellen Dokumenten als "souveräner Staat" bezeichnet. Damit einher geht ein Wiederbeleben der nationalen Kultur der Republik sowie des islamischen Glaubens. Wie in der ganzen Republik, so werden auch in Ufa selbst in letzter Zeit alte Moscheen wiederhergerichtet oder auch ganz neue gebaut.
Aushängeschild der Stadt und außerdem auch im Wappen der Republik zu sehen ist das monumentale Denkmal auf dem hohen Ufer der Belaja für den Volksdichter Salawat Julajew. Weithin sichtbar für alle, die sich vom Süden her der Stadt nähern, sitzt der Nationalheld auf seinem schwarzen, aufbäumenden Hengst. Als er sich zur Zeit Katharinas II. mit seinen Truppen dem Bauernaufstand Jemeljan Pugatschows angeschlossen hatte, hinterließ er damit im russischen Zarenreich einen so nachhaltigen Eindruck, daß es den Baschkiren lange Zeit bei hohen Strafen verboten war, ihre Kinder nach dem Aufrührer zu benennen.
Baschkirien ist außer für seinen bedeutendsten Sohn auch heute noch in erster Linie für Öl und für seinen Honig berühmt, hätte aber wohl mittelfristig außerdem durchaus das Potential dazu, zu einem Zentrum des Fremdenverkehrs zu werden. Im Osten der Republik locken die weitgehend menschenleeren Berge des Uralgebirges. Und südlich von Ufa gibt es zudem eine Reihe von Höhlen mit zum Teil einzigartigen vorhistorischen Malereien. Es gibt also durchaus einiges zu entdecken am östlichsten Ende Europas.
Karsten PACKEISER
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