Streetlife
by Barby H.a.barbina@planet-interkom.de
Julie machte den Videorekorder an und schob
die Kassette in den Rekorder. Auf der Hülle stand "Ostseetour `93".
Kurz nachdem sie auf den Playknopf gedrückt hatte, erschienen die
Kellys auf dem Bildschirm mit "last tree". Der junge Patrick stand
am Bühnenrand und sang gefühlvoll die ersten Strophen. Julie lehnt
sich in der Couch zurück und begann zu träumen. Auch sie hatte diese
wundervolle Zeit einst miterlebt.
Plötlich klingelte das Telefon:
"Hallo?"
"Hey, Julie, was geht?"
Julie lächelte. Ihre beste
Freundin Cecylia war am Apparat.
"Ich sehe mir gerade ein Video
von den Kellys an, seit langer Zeit mal wieder. Ich habe doch immer
so tierisch viel zu tun, daß ich gewöhnlich für so etwas keine Zeit
habe. Aber heute muß ich so gut wie nichts lernen, und auch sonst
habe ich nichts zu tun, da dachte ich mir, nutze ich die Zeit doch
einfach und schaue mir mal wieder ein Kellyvideo an."
"Ach so,
Kellys schaust du. Und welches Video?"
"Von der Ostseetour `93.
Es ist immer schön, sich so ein Video anzusehen, aus der alten
Zeit."
"Hast du sie auch mitlerlebt? Ich höre so viel darüber,
aber ich kann mir nie richtig vorstellen, was an dieser Zeit so
besonders gewesen ist. Willst du mir nicht mal etwas davon
erzählen?"
"Okay, also hör zu: ich erzähle dir von meinem ersten
Kelly Konzert, durch welches ich Fan wurde:
Es war ein heißer
Sommertag. Fast den ganzen Nachmittag hatte ich am Strand verbracht,
wo wenigstens ein kühler Wind wehte, und die Hitze etwas
erträglicher machte. Schon als ich am Vormittag einkaufen war, ist
mir das Plakat aufgefallen, welches verkündete, daß die Kelly Family
heute ab Nachmittag drei Konzerte geben würde. Ich hatte damals
keine Ahnung, wer die Kelly Family überhaupt war. Ich hatte zwar
vorher schon etwas in Zeitschriften über sie gesehen, aber nie
darauf geachtet, und gelesen hatte ich die Artikel auch nie.
Zumindest habe ich an diesem Nachmittag nichts weiter zu tun gehabt,
und ich dachte, daß ich doch mal hingehen und mir den Laden
anschauen könnte. Das habe ich dann auch gemacht. Als ich zu dem
Marktplatz kam, auf dem sie ihre Bühne aufgebaut hatte, standen ein
paar Zuschauer bereits davor. Ich stellte mich dazu, und bald kamen
die Kellys auf die Bühne. Ich mußte erst zweimal hinschauen, denn
die Kellys hatten schon damals ihren eigenen Stil. Von der Kleidung
und auch von der Musik, die sie machten. Es war so... ungewöhnlich.
Sie waren mit keiner Band zu vergleichen, die ich kannte. Ihre Songs
gefielen mir nach einer Weile sehr gut. Aber ich wollte dir ja von
den Kellys erzählen. Es war damals alles anders. Damals gab es noch
keine Hysterie und kein Gedränge, man konnte ganz normal stehen,
ohne halb zerquetscht zu werden, und niemand schrie, wenn Patrick im
Vordergrund stand. Manchmal kamen einige der Familie von der Bühne
runter zu den Fans, und tanzten mit ihnen. Es gab damals nicht
diesen crassen Unterschied, zwischen Star und Fan. Es waren einfach
alle nur Menschen, die zusammen Spaß hatten. Einmal vergaß Patrick
seinen Text, und als er ganz rot wurde, halfen ihm die Fans weiter.
Die Kellys selbst waren zu der Zeit ganz anders. Was nicht heißen
soll, daß sie sich nun komplett veränder haben, ich meine nur, daß
sie sich den Fans gegenüber anders gaben, als sie es jetzt
tun."
"Und wieso?"
"Weil sie es konnten."
"Und in wie fern
waren sie anders?"
"Naja, Pat zum Beispiel. Er war damals immer
so föhlich."
"Das ist er doch jetzt auch."
"Ja klar. Aber
nicht immer. Früher, da war er viel öfter fröhlich, ich meine
wirklich föhlich, nicht nur auf der Bühne, weil er eine gute Show
abgeben will. Er war auch irgendwie ausgeglichener, und wirkte nicht
so verkrampft, wie jetzt manchmal.Verstehe das jetzt nicht irgendwie
falsch, es war nur einfach sehr schön! Er hatte immer so ein breites
Grinsen und rote Wangen, und war nicht so blaß, wie heute manchmal.
Er hatte dieses wundervolle Leuchten in seinen Augen, was heute so
gut wie erloschen ist. Und seine Ausstrahlung, sie war einfach...
wenn man Patrick lachen sah, dann vergaß man all seinen Sorgen, und
man mußte selbst lächeln. Er konnte alle fröhlich machen. Und er war
immer sehr aufgeschlossen anderen Leuten gegenüber, er schien für
viele sehr freundlich und wahrmherzig."
"Denkst du, daß er sich
so verändert hat?"
"Nein, das denke ich nicht. Ich denke, er ist
immer noch der selbe wie vorher ist, aber in seinem Job und den Fans
gegenüber hat er gelernt, sich anders zu verhalten. Aber ab und zu
macht es mich sehr traurig, wenn ich ihn auf der Bühne weinen sehe.
Ich hoffe immer, daß es ihm gut geht, denn für mich ist er etwas
besonderes. So eine Art heller Stern in einem riesigen, dunklen
Universum."
"Das hört sich schön an. Aber was ist mit den anderen
Kellys, wie waren sie in der Zeit?"
"Die meisten waren damals so,
wie sie heute auch sind. Über Angelo kann man das nicht sagen, denn
er hat sich in den letzten Jahren generell verändert - sehr positiv,
übrigens -, er ist einfach viel erwachsener geworden. Barby war
diejenige, die sich am meisten verändert hatte. Sie hatte immer so
viel Power und hat so wunderschön getantzt. Aber langsam wird sie
wieder so, wie sie früher war. Und das ist einfach so schön, ich
freue mich so sehr darüber. Die einzige Person, die sich wirklich
total verändert hat, ist Maite. Sie war vor einigen Jahren sehr
natürlich und lieb, und nun... nun, wenn du mich fragst, ihr ist der
Starrummel etwas zu Kopf gestiegen. Kathy ist die alte geblieben,
und Patricia... naja, sie sah früher nicht so gestreßt aus, wie
heute. Aber wenn man eben so erfolgreich ist, dann hat man auch viel
zu tun, und wenn man ein so berühmter Star sein will, dann muß man
auch Opfer bringen, was die Kellys sicherlich reichlich getan haben,
denn es war immer ihr größter Traum, so berühmt zu werden, und ich
denke mir, daß sie froh sind, es geschafft zu haben!"
"Glaube ich
auch. Denkst du, die Kellys fanden diese Zeit besser, als die
jetzige?"
Julie dachte nach: "Nein, das glaube ich nicht.
Natürlich war die Hysterie damals nicht so crass, und wahrscheinlich
macht sie das am meisten traurig, daß viele Fans so durchgeknallt
sind. Es sind nicht alle, es gibt sehr, sehr viele, die die Kellys
ohne Hysterie lieben, aus Rücksichtnahme vor ihnen. Aber diese Fans
fallen eben nicht auf, es fallen nur diejenigen auf, die kreischen
und die Kellys belagern."
"Das würde mir nicht gefallen, wenn ich
so leben müßte."
"Haha, na klar, mir auch nicht, aber wir sind
auch keine Stars, es ist nicht unser Job, mit so etwas zu leben.
Trotzdem finde ich, daß es bei den Kellys viel extremer ist, als bei
anderen Bands, und ich fände es besser, wenn die Hysterie wenigstens
etwas zurück gehen würde. Ich meine, du mußt dir das mal vorstellen,
andauernd schreit jemand nach Patrick oder Angelo... wieso denn
bloß, die wissen doch selbst, wie sie heißen! Immer dieses
Gekreische in den Ohren, ich glaube, nach einer Weile würde ich voll
den Wutanfall kriegen, wenn jemand dauernd nach mir rufen würde, und
mir in die Ohren kreischen. Das würden meine Nerven nicht lange
mitmachen! Wie auch immer, in dieser Streettime hatten sie
wahrscheinlich viel Spaß, aber es war auch kein leichtes Leben für
sie. Sie haben damals auch sehr viel gearbeitet. Ich bin der
Meinung, wenn es eine Band gibt, die den Erfolg wirklich verdient
hat, dann sind es die Kellys."
"Aber wieso reden so viele Fans
über diese Zeit, ich verstehe das nicht."
"Weil sie für die Fans
sehr schön war. Weißt du was, auf meinem ersten Konzert... da mußte
ich weinen, weil ich so glücklich war. Ich habe mich niemehr so
glücklich gefühlt, wie damals. Ihre Musik und die Wärme, die sie
ausstrahlten, waren so wunderschön... einfach unbeschreiblich. Und
dieses Gefühl fühlt man heute auf ihren Konzerten immer noch, aber
man kann es nicht so genießen, wie damals, denn irgend jemand neben
dir kreischt dir immer ins Ohr. Außerdem war man den Kellys damals
näher, viel näher. Heute ist es unmöglich, an sie ranzukommen.
Deshalb vermissen viele Fans diese Zeit, und reden darüber, weil sie
einfach etwas war, was es niemehr geben wird. Diese Zeit ist vorbei,
aber sie war etwas besonderes. Und alle waren wie eine große
Familie, heute bekriegen sich die Fans gegenseitig, das ist ja echt
grauenvoll! Das, was Streetlife so besonders machte, war die
Atmosphäre. Denn die Kellys geben heute immer noch ihr bestes, und
sie geben uns so viel, durch ihre wundervolle Musik. Sie dringt tief
in unsere Herzen ein und macht uns fröhlich ( oder tottraurig, wenn
Patrick Songs wie Calling heaven singt oder One more song, und dann
fühlt man sich hilflos, weil man nichts für ihn tun kann, obwohl man
es so gerne würde ), und wir vergessen unsere Sorgen."
"Ja, weißt
du, was, die Musik von den Kellys ist Magie. Sie zieht dich in einen
Bann und läßt dich nicht mehr los, sie verzaubert dich."
"Genau!
Die Kellys sind nicht nur irgendeine Band, sie haben den "magic
touch", weil ihre Musik aus ihren Herzen kommt."
Plötzlich meinte
Cecylia: "Oh Gott, Julie, es sind zwei Stunden
vergangen!"
"Unmöglich!"
"Ich muß nun aufhören, sonst bekomme
ich end den Ärger mit meiner Mutter, wenn ich schon wieder so viel
telefoniere!"
"Schon klar. Also dann, bis morgen!"
Als ihre
Freundin den Hörer aufgelegt hatte, schaltet Julie auch den
Videorekorder aus. Sie verräumte das Video in ihrem Schrank und
machte sich auf den Weg in die Küche. Es war bereits sehr spät und
sie hatte tierischen Hunger.
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