Seit langem fühlte sie sich wieder so richtig wohl. Die Pause tat ihr gut. Lange zeit hatte sie über ihr bisheriges Leben nachgedacht. Es war so durcheinander gewürfelt und chaotisch. Es gab so viele Hoch und Tiefs. Die letzten Jahre waren für sie fast durchgehen ein einziges Tief, doch sie hatte sich erholt. Auch wenn sie noch nicht ganz so fit war wie sie es früher zu sein pflegte, war es schon ein wesentlicher Fortschritt.
Mit einem Lächeln im Gesicht trat sie ans Fenster. Der Wind blies durch die grüne Landschaft. Gerne war sie in Irland. Irland die grüne Insel schoß es ihr durch den Kopf. Grün eine so schöne Farbe. Viel schöner als dieses eintönige grau in grau in Großstädten oder den ewig langen Autobahnfahrten von Konzert zu Konzert. Ganz alleine war sie hier im Grünen. Sie hatte ihre Ruhe, die Ruhe die sie zum nachdenken brauchte. Die Ruhe die sie so gerne hatte um ihre Bilder zu malen. Ja in den letzten Wochen hatte sie viel gemalt.
Als sie so aus dem Fenster sah, fielen ihr zwei Kinder auf, die ausgelassen über die grünen Wiesen tollten. Ein Glücksgefühl überkam sie und spontan entschloss sie sich dafür auch auf die so schöne grüne Wiese zu gehen. Voller Freude und guter Laune zog sie sich eine Jacke über ihre neu geschneiderte Bluse und verließ das alte Haus. Wie ein kleines Kind hopste sie von einem Fuß auf den andern über den Weg in die Richtung in der sie die Kinder spielen sehen hatte. Ja sie waren noch hier. Sie fühlte sich plötzlich so als wäre sie ebenfalls ein so kleines Kind das von seiner Mutter zum spielen geschickt wurde. Zum Spielen mit ihren Freunden. Um einen schönen Tag voller Freude und Ausgelassenheit zu verbringen. Ein glückliches Kind, ja sie fühlte sich wie ein glückliches Kind. Und obwohl sie schon so erwachsen war, kam in ihr immer wieder das Kind zum Vorschein.
Als sie vor den Kindern stehen blieb wurde sie noch etwas kritisch von ihnen begutachtet, doch schon bald darauf hopsten sie zu dritt über die Wiese und waren ganz einfach nur glücklich. Ausgelassen tollten sie herum und lachten fröhlich. Sie fühlte sich wohl. Diese Kinder waren so unbefangen, wie auch sie es sein wollte. Gerne wäre sie wieder ein Kind gewesen. Keine Probleme kein so chaotisches Leben.
Doch schon bald sah sie wieder die Realität vor sich. Genau dann war sie wieder ganz klar als ihr Handy läutete. Es war ihr Bruder der ihr von den letzten tagen berichtete. Sie war froh nicht dabei gewesen zu sein. Es hörte sich stressig an. Die Tour lief und obwohl es nicht so viele Konzerte wie gewohnt waren klang ihr Bruder sehr müde und schwach. Gespannt lauschte sie den Erzählungen und schon bald bemerkte sie das es wohl sehr gut für sie war hier zu sein. Hier wo es noch so natürlich war und wo die Menschen noch freundlich und nett zueinander waren und nicht herrschsüchtig und arrogant. Sie redete noch etwas mit ihrem Bruder und als er ihr versprach sie bald zu besuchen legte sie auch schon wieder auf.
Er hatte nicht viel Zeit, doch heute störte es sie nicht. Sie hatte sich fest vorgenommen anders zu denken. Sie wollte immer nur das positive sehen und nicht wie bisher sich ins Negative hinein zu steigern. Sie wollte nie wieder so bedrückt und traurig sein. Nein gewiss nicht. Fröhlich, fröhlich wie diese Kinder mit denen sie wieder im Kreise tanzte wollte sie sein. Und sie wollte es nicht nur sein, sie war es auch.
Als sie wieder nach Hause kam setzte sie sich mit ihrer Staffelei vors Fenster. Rund um sie standen Kerzen die den kleinen Raum beleuchteten. Dicke Regentropfen prasselten aufs Fenster und der Wind pfiff durch den Kamin. Leise entspannende Musik schwebte durchs Zimmer.
Zufrieden nahm sie einen Pinsel zur Hand und wollte anfangen zu malen. Doch dann stockte sie und sah aus dem Fenster. Sie überlegte was sie denn überhaupt malen sollte. In den letzten Wochen hatte sie schon so viele Bilder gemalt das sie schon nicht mehr wusste welches Motiv sie als nächstes zu Papier bringen konnte. Doch dann fing sie ganz einfach an. Zarte Pinselstriche kamen zum Vorschein. So gekonnt als hätte sie noch nie etwas anders getan. Einer nach dem anderen. Ein roter, ein gelber, ein brauner und ein oranger. Je mehr sie mit gekonnten Schwüngen auf das Blatt malte um so besser konnte man die werdende Ballerina erkennen. Eine Tänzerin mit einem bunten Kleid. Diese bunten Farben drückten so viel Fröhlichkeit aus das sie nur noch mit so bunten und verschiedenen Farben weiter malte. Sogar auf den Haaren trug sie bunte Schleifen und Blumen. Ohne zu überlegen was sie als nächstes malen konnte machte sie einen Strich nach dem anderen. Sie wusste nicht was dabei heraus kommen würde, doch sie wusste das es aus ihrem Herzen kommen würde.
Ehe sie sich versehen konnte stellte sie fest das das Bild fertig war. Sie sah es kritisch an, doch es gab nichts zu kritisieren das sie auch schon bald feststellte und den Pinsel zu frieden zur Seite legte. Sie stand auf und ging einen Schritt zurück. Wieder betrachtete sie ihr Werk. Nachdenklich betrachtete sie es.
Es war eine Tänzerin mit einem Lächeln im Gesicht darauf. So bunt und fröhlich das es schon beinahe unmöglich schien. Rund um diese Tänzerin waren große helle Scheinwerfer. Sie zeigten nur auf sie. Ja diese Tänzerin war im Mittelpunkt des Geschehens. Mit ihren graziösen Bewegungen stand sie im Mittelpunkt. Einige Menschen standen um sie und klatschten Beifall. Und ein kleiner bunter Schmetterling tanzte mit ihr. Genauso leicht wie diese Tänzerin.
Als sie so ihr Aquarell betrachtete lächelte sie. Und in diesem Moment hatte sie etwas beschlossen. Ja sie war sich ihrer Sache ganz sicher.
Das Lied war zu Ende und Gekreische füllte die Halle. Sie sah in die roten Gesichter dieser Mädchen die schon Tage lang vor dem Konzert vor der Halle schliefen und stellte fest das sie ihr heute ganz egal waren. Sie würde es nicht stören wenn sie sie vielleicht ausbuhten. Nein das würde sie nicht stören, heute wollte sie es nur für sich und für die Leute die es gerne hatten tun. Keine Rücksicht auf diese fanatischen Leute wollte sie nehmen. Warum auch, nahm jemals eine von ihnen auf sie Rücksicht? Nein taten sie nicht und so fiel es ihr auch nicht schwer sie nicht zu beachten und ganz einfach das zu machen was sie wollte.
Nun stimmte ihr kleiner Bruder, der mit einer Trommel an den Bühnenrand kam sein Lied an. Voller Gefühl und Emotionen trug er es vor. Es bedeutete ihm so viel, genau soviel wie für sie jetzt dieser Moment bedeutete.
Sie sah noch einmal ins Publikum, atmete tief durch und ging langsam von ihrer Position. Mit kleinen etwas unsicheren Schritten kam sie immer weiter nach vorne, dann schloss sie die Augen. Fast schon schwerelos tanzte sie über die Bühne. Graziös und Elegant schwebte sie zu der sanften Melodie. Die Augen fest geschlossen glitt ein Lächeln über ihr Gesicht.
Sie wusste jeder würde auf sie sehen. Jeder, denn sie wusste das keiner gedacht hätte das sie tanzen würde. Sie spürte es wie alle Blicke auf sie gerichtet waren und doch verspürte sie nicht den Drang perfekt zu sein. Nein sie musste nicht perfekt sein, sie musste nur das tun was ihr Freude bereitete und nicht das was alle sehen wollten.
Die letzten Akkorde verklangen und sie öffnete die Augen. Ja sie war im Mittelpunkt. Alle Scheinwerfer und alle Blicke waren auf sie gerichtet. Jeder klatschte Beifall auch ihre Geschwister. Sie waren begeistert, jeder einzelne. Überglücklich ging sie mit einem Lächeln auf ihren Lippen wieder an ihre Position, stellte sich hin und die Show ging weiter. Nun waren wieder ihre Geschwister im Mittelpunkt, doch für kurze Zeit war auch sie es und sie genoss diesen Augenblick. Sie hatte das was sie wollte... Anerkennung...
© SandraH 12/1999