Calling Heaven

by Ena   ena.sunshine@t-online.de

 

Ich sah es ihm einfach an. Wie ich da, versteckt hinter den Boxen, direkt am Rande des Backstage Bereichs stand sah ich ihm einfach an, das es ihm scheiße ging. Immer wieder sah er während des Konzerts zu mir rüber. Sein Blick war ein einziger Hilferuf, so als ob er in meinem Anblick die Kraft suchte, das Konzert durchzustehen. Zumindest bis zur Pause. Ich würde schon mit Patricia reden. So konnte sie ihn nun wirklich nicht auf der Bühne, vor einem Millionenpublikum stehen lassen. Heute war wirklich nicht viel schauspielerisches Können hinter seinem Lächeln. Ich hatte schon in den ersten Zehn Minuten mitbekommen, wie ein Mädchen in der ersten Reihe zu ihrer Freundin sagte, das Paddy heute wirklich tierisch schlecht drauf war. So konnte das nichts werden! Nun, ich muss sagen, ich verstand ihn. Es war von Anfang an eine Schnapsidee gewesen, den Todestag seiner Mutter mit den Fans zu teilen und ein Konzert zu geben. Ich hab ihm von Anfang an gesagt "Paddy, das schaffst du nicht, lass es, bitte mach dich nicht noch mehr kaputt!" Aber er hat mich immer nur mit seiner "starken Fassade", aus ernsten dunklen Augen angeguckt und gesagt, das die Fans zumindest eine Chance verdient hätten, das sie nach der langen Treuephase ohne die Familie wirklich etwas Vertrauen und Entgegenkommen verdient hatten. Ich habe nur den Kopf geschüttelt. Ich bewunderte seine Stärke, und, wirklich, ich fand den Entschluss klasse und bewundernswert, aber ich hatte Angst um ihn! Ich liebe Pad nunmal wie meinen eigenen Bruder, und ich wußte, das er damit nicht klar käme.
Er stand da wie ein Häufchen elend. Bei "Life is hard enough" und "An Angel" liefen mir Tränen die Wangen runter, so verzweifelt war ich. Am liebsten wäre ich auf der Stelle auf die Bühne gesprungen und hätte ihn darunter geholt! Er sah wieder zu mir rüber, warf mir nur einen verstehenden Blick zu versuchte weiterhin, krampfhaft zu lächeln. Ich musste mich abwenden. Ich konnte ihn so nicht sehen. Nichts kostete mich mehr Kraft, als ihn so leiden zu sehen. Ich weinte hemmungslos und warf immer wieder besorgte Blicke ins Publikum. Paddys Blick war auf mir liegen geblieben, ich glaube, er merkt einfach alles. Und im Zwielicht der Bühne, wie er da nur knapp 15 Meter von mir entfernt stand und ich ihm näher als die Fans war, sah ich, das auch er weinte.
Ich sah hektisch auf die Uhr. Auf der Bühne lief gerade "Nanana" und in wenigen Minuten würde die Pause, die erlösende Pause endlich beginnen. Jimmy hörte auf zu singen und nervös sah ich wieder zur Bühne hin. Mich traf fast der Schlag. Paddy ging an den Bühnenrand und sah offen in die Menge. "Es...ich...nun, es ist nun...heute ist...der Todestag meiner Mutter, und ich...möchte gerne mit euch zusammen...kurz...ich möchte ihr danken! Mama, ich liebe dich!...Dir zu Ehren singe ich heute...jetzt...Calling Heaven, und ich hoffe, das du es hören kannst!" Ich konnte es nicht fassen. Ich kannte Pad so nicht! Seine Augen schwammen in Tränen, aber er tat sich das trotzdem an! Leicht den Kopf schüttelnd sah ich zu Kira rüber, die etwas im Hintergrund stand und verwunderten Blickkontakt zu Angelo hielt. Sie verstand ihn genausowenig wie ich.
Die Musik setzte ein und Pad begann zu singen. "I'm waiting for my Visit, they fill this Room with Flowers and all, put on their biggest Smile, but only for a While" Ich konnte in seinem Blick lesen! Er fühlte sich tagein tagaus so. Er setzte sein schönstes Lächeln auf, sobald Fans oder Kameras in der Nähe waren, aber dabei hatte er oft so traurige Augen, das es einen Eingeweihten gar nicht wunderte, dass das Lächeln verschwand, sobald die Tür zu ging. ".....wouldn't have to die, my family wouldn't cry" Seine Augen schwammen in Tränen. Er litt, das sah man nun allzu deutlich. Im Publikumsraum wurde es still, und ich liebte die Fans mit einem Mal dafür, das sie wenigstens dieses eine Mal Rücksicht nahmen. ".... it's getting closer, so I'm waiting for someone to come, come and take my soel where't belongs, but no one's coming...no one....so I'm Calling Heaven now..." Er weinte und warf mir einen weiteren Blick zu. Ich konnte nicht zu ihm, und wenn ich noch so gerne wollte. Ich weinte ebenfalls. Den Refrain summte ich leise mit, wie um mich selbst zu beruhigen. Dieses Lied löste in mir sowieso immer die tiefesten Schmerzen, Ängste und Gefühle aus. Wie oft hatte ich es aufgelegt, wenn ich einfach nur weinen wollte und nicht konnte? Wie oft hatte Paddy es gesummt, wenn ich in seinen Armen lag und weinte und er mir so gut es ging Trost spendete? Dann geschah etwas auf der Bühne, was meine Befürchtungen bestätigte. Bei "I try to find the Answers..." fand Paddy den Einstieg nicht, seine Stimme erstarb für einige Sekunden. Er wischte sich über die Wangen und schluchzte unterdrückt. Doch als ich innerlich nur noch am Beten war, er solle damit aufhören und bitte bitte das Lied beenden, die Bühne verlassen und aufhören, sich zu quälen, setzte er wieder ein, allerdings das ganze Lied durch mit verheulter Stimme, am ganzen Körper zitternd und von Weinkrämpfen geschüttelt. Ich konnte mich wirklich nicht mehr beherrschen. Ich ließ alles raus, wie immer, wenn er sang. Paddy sah mich an und musste noch mehr schlucken. Genausowenig wie ich ihn kann er mich leiden sehen. Also zwang ich mich, mich zu beherrschen. Den nächsten Refrain sang ich mit, so gut es mit meinen Tränen nunmal ging und versuchte ihm so beizustehen. Dann beendete er das Lied endlich, nur noch mit einem Flüstern und einer zittrigen Stimme, wie ich sie noch nie bei ihm gehört hatte. Er sah alt aus in diesem Moment, alt und ausgepowert. Kein Wunder, so fertig wie er war!
Paddy sah noch einmal in die Menge und auch ich wand meinen Blick ins Publikum. Erstaunt nahm ich die Stille zur Kenntnis, genauso wie die Fans, die sich gegenseitig in den Armen lagen und mitweinten. Mein Blick schweifte wieder ab zu ihm. Er lächelte leicht. "Ich danke euch!" sagte er mit erstickter Stimme und verließ die Bühne noch vor seinen Geschwistern.
Das war der Moment, wo ich losrannte. Ich spurtete an Kira, die immer noch wie gelähmt hinter ihrem Pfeiler stand vorbei in Richtung Kabine, ich wollte nur noch zu ihm. Noch vor ihm stand ich in der Umkleide und als die Tür dann aufging und er mich sah, blieb er stehen. Er schluckte. "Danke!" sagte er, bevor er in meine Arme fiel und endlich endlich alles rausließ. Er weinte, wimmerte, schluchzte, heulte und zitterte, und mir ging es nicht besser. Ich drückte ihn an mich und wiegte ihn sanft in meinen Armen. "Danke das du da bist!" wisperte er, während er unkontrolliert schluchzte. Ich zwang mich, zu sprechen. "Ach Paddy!" murmelte ich. "Ich werde immer für dich da sein, das weißt du! Wofür hast du deine beste Freundin denn sonst?" Er wandte sich aus meinen Armen und sah mich an. Sein verletzliches Gesicht, mit all den Tränenspuren und Kummerfältchen hing direkt vor mir, er schaute mich lange aus kummervollen Augen an. Dann lächelte er plötzlich und strich mir eine Strähne aus dem verheulten Gesicht. "Ich weiß! Ich weiß! Und ich bin froh dich zu haben! Ich hab dich lieb!" sagte er und umarmte mich wieder. An seiner Schulter lächelte ich. "Ich dich auch!" dachte ich mit dem Gedanken daran, das ich es wieder einmal geschafft hatte. Es ging ihm besser, das fühlte ich. Und das war das einzige, was von Bedeutung für mich war.


© Ena