Children of Kosovo

by Mirjam   baerbern@bluewin.ch

 

 

Es war schon spät, als Patrick Kelly zu Bett ging. Gerade vorhin hatte er sich noch die Nachrichten im Fernsehen angesehen und wieder hatte man furchtbare Bilder vom Krieg in Kosovo gezeigt. Besonders die Kinder taten Patrick leid. Früher hatte er noch über den Sinn von Krieg nachgedacht, doch das tat er nun nicht mehr, da er die Antwort wohl nie finden würde.
Unter den Fans gab es ja seit einiger Zeit auch so etwas wie Krieg und Patrick fand es unnötig, in seiner Freizeit über die Fans nachzudenken. Aber diesmal liessen ihn die Bilder nicht in Ruhe, die er gesehen hatte.
Er lag angezogen auf seinem Bett und dachte nach, wie er helfen könnte. Automatisch hielt er dabei seine Gitarre in der Hand und zupfte leise herum. Plötzlich fiel ihm die Melodie von "The last tree..." ein und er dachte an die Zeit, als sie dieses Lied geschrieben hatten.

Damals waren sie eigentlich immer glücklich gewesen, was man von heute nicht behaupten konnte. Ja, die Zeiten hatten sich geändert, dachte Patrick. Sie hatten dieses Lied geschrieben, weil sie sich schon immer mit der Natur verbunden gefühlt hatten.
Auch als nach dem Erfolg von "An Angel" die Zeitungen schrieben, dass sie den Rhein mit Abwasser verschmutzen. Öfters hatte Patrick sagen wollen: - Hört auf unser Lied. Lieder lügen nicht! Doch er sagte nichts, da er wusste, dass die Leute ihm nicht glauben würden.
Die meisten dachten wohl eher, sie würden die Lieder so schreiben, dass es viel Geld brachte. Aber solche Lieder konnte man nicht mit Herz singen und das taten sie, fand Patrick.

Patrick zupfte weiter an der Melodie und summte dabei leise mit. Nach und nach veränderte er die Melodie und ein neues Lied entstand. Er hatte noch keinen Text oder genaue Instrumenteneinteilung, aber die Melodie hatte er. Patrick zupfte alles noch einmal, damit er nichts vergass. Ihm fiel ein, dass Angelo vielleicht auch ein paar gute Ideen hätte und deshalb stand er auf und ging mit seiner Gitarre zu Angelo.

Patrick klopfte vorsichtig an die Tür seines Bruders. Nach einer Weile hörte er, wie Angelo kam, um die Tür aufzumachen. Verwundert sah er Patrick ins Gesicht. - "Was machst du denn hier?", fragte er überrascht. - "Ich brauch deine Hilfe!", erwiderte Patrick knapp und drängte sich an Angelo vorbei ins Zimmer.
Einen Moment schwiegen die beiden Brüder. Dann sagte Patrick rau: "Ich war lange nicht mehr hier." Angelo nickte, doch er schwieg weiterhin.
Nun begann Patrick zu erklären. Er erzählte von seinen Gedanken an früher und von der Idee, den Kindern in Kosovo zu helfen. - "Wir könnten Geld spenden.", warf Angelo ein. Aber Patrick schüttelte den Kopf. - "Warum Geld spenden, wo man sowieso nie sicher sein kann, dass an den richtigen kommt. Ich dachte eher an ein Lied." Dabei griff er in seine Saiten und Angelo hörte ihm gespannt zu. Mit der Zeit trommelte Angelo mit seinen Fingern mit und die Brüder harmonierten zusammen wie früher.
Sie verstanden sich ohne Worte. Jeder wusste, was der andere dachte. Patrick, der am Anfang eine sanfte Melodie gespielt hatte, griff nun kräftiger in die Saiten und auch Angelo steigerte sein Trommeln.
Angelo und Patrick endeten beide gleichzeitig. Konzentriert arbeiteten sie nun an Text und weiter an der Melodie. Nach einer Weile schlug Patrick vor, ins Studio zu gehen und kurz darauf huschten sie durch die stillen Gänge von Gymnich.

Erst im Studio fingen sie mit der Arbeit wieder an. Sie arbeiteten fast die ganze Nacht durch. Ein ständiges aufnehmen, Text ändern, Instrumente ausprobieren, wieder aufnehmen und anhören. Niemand merkte, dass da ein neuer Song entstand.

Irgendwann im Morgengrauen schlief Patrick am Mischpult ein. Angelo war schon früher an seinem Schlagzeug eingeschlafen. Patrick hatte seinem kleinen Bruder eine Weile lang zugeguckt, wie Angelo vor sich hinschnarchte. Dabei lag ein zärtliches Lächeln auf seinem Gesicht. Kurz darauf übermannte auch ihn der Schlaf.

Das Vogelgezwitscher weckte Angelo auf. Er sah zu seinem Bruder, der mit offenem Mund auf das Mischpult gelehnt schlief. Langsam stand er auf und ging zu Patrick hinüber. Er beugte sich über ihn und rüttelte sanft an den Schultern.
Verwirrt öffnete Patrick die Augen. - "Ich dachte, im Bett würde es sich vielleicht bequemer schlafen.", sagte Angelo. Patrick rieb sich seine verschlafenen Augen. - "Nein, nein.", entschied er, - "wir müssen den anderen unseren Song vorstellen!" Angelo grinste.
So war eben Patrick. Immer voller Energie wenn es im Musik ging. Da steckte er jede Müdigkeit, jede schlechte Laune weg und war voll dabei.

Die anderen Kellys schauten ziemlich verwundert, als Angelo und Patrick mit verwuschelten Haaren, zerknitterten Kleider und müden Augen am Frühstückstisch erschienen.
Mit kurzen Worten erklärten die Brüder, was sie die ganze Nacht gemacht hatten und schon waren alle Kellys im Studio, um sich die Sache anzuhören.
Nachdem das Band abgespielt war, schwiegen sie andächtig, bis Kathy die Stille unterbrach. - "Das ist ein sehr schönes Lied!" Patrick und Angelo freuten sich über das Lob und sagten, sie hätten gedacht, Kathy könnte die erste Strophe singen.

Zusammen komponierten sie weiter und gegen Nachmittag sah die Strophenverteilung folgendermassen aus: 1. Strophe Kathy, 2. Strophe Angelo, 3. Strophe Maite und 4. Strophe Patrick.
John schlug in einer Pause vor, sie könnten ja den Erlös der Single an die Kinder von Kosovo spenden und Patrick erklärte, dass er dieselbe Idee gehabt hatte.

In den Nachrichten wurden weiterhin schreckliche Bilder vom Krieg gezeigt, doch Patrick fühlte sich nun weniger schlecht dabei. Er hatte ein Lied geschrieben, es war nicht immer einfach, sowas zu komponieren.
Es brauchte Zeit und Geduld, doch diesmal würde er nichts daran verdienen. Keinen Pfennig ging an ihn oder an seine Geschwister. Diesmal bekamen es Kinder, die das Geld viel nötiger hatten als er.

Zwei Wochen, nach dem Patrick und Angelo den Song komponiert hatten, rief RTL im Schloss Gymnich an und fragte die Kellys, ob sie nicht einen Song für Kosovo machen könnten.
Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht sagte Patrick: - "Nee, das können wir nicht." - "Warum nicht?" Patrick grinste noch breiter: - "Nee, das geht wirklich nicht."
Die armen Leute von RTL wussten nicht mehr, was sie nun tun sollten. Gerade von dieser Familie hatten sie erwartet, dass sie das ohne zögern machen würden.
Da klärte Patrick die Fernsehleute auf, sie hätten bereits einen Song.

Nun ging es ins Studio, der Song wurde aufgenommen, das Cover bestimmt und Werbung gemacht.
Als die Kellys zum ersten Mal das Lied live sangen, kreischten die Fans wie immer.
Patrick sah die vielen Mädchen in der ersten Reihe, die sich die Lunge aus dem Leib schrien. Mädchen, die alles dafür geben würden, ihn nur einmal ein bisschen näher zu haben. Mädchen, die kein Respekt mehr vor ihm und seinem Privatleben hatten. Mädchen, die mit geschlossen Augen durchs Leben gingen, nur - ihren - Päääääääääddddddddyyyyyyy sahen und denen es wohl scheiss egal war, was mit anderen Menschen passierte.
Ja, sie nahmen nicht einmal Rücksicht auf ihn, obwohl sie behaupteten, dass sie ihn lieben.
Doch er, Patrick, hatte bewiesen, dass er trotz allem ein Herz für andere hatten. Für Kinder in der Not.

Doch war er nicht selbst ein junger Mann, der Hilfe brauchte?
Er half anderen Menschen, doch brauchte nicht er selbst Hilfe? Ein bisschen mehr Leben zurück?

Doch da wurde Patrick bewusst, dass er kein Geld brauchte, nein, das hatte er zu genüge. Er brauchte ein bisschen Respekt und Rücksicht vor ihm und seinem Privatleben, und das kann Patrick nicht mit Geld kaufen, denn dann hätte er das bestimmt getan.


© Mirjam