Das Telefon klingelt
Winter 1997
Das Telefon klingelte. Jimmy hob ab.
"Kelly?"
Am anderen Ende hörte man gar nichts.
Jimmy legte ärgerlich den Hörer auf. Jetzt hatten die Fans sogar schon seine Adresse in Irland herausgefunden! Genügte es ihnen denn nicht, die anderen in Deutschland zu belästigen? Mussten sie auch noch bei ihm, der doch gegangen war, anrufen? Und dann nicht einmal etwas sagen. Ganz falsche Biester, das.
Jimmy seufzte tief durch, dann strich er sich durch seine seit einem Monat stoppelkurzen Haare und machte es sich auf dem Sofa bequem, um den Text für seinen nächsten Film zu lernen ; eine kitschige Liebesgeschichte von so einer Art Shakespeare, ziemlich kompliziert das Ganze. Da würde er sich jetzt reinvertiefen.
Nach zwei Minuten klingelte das Telefon wieder. Wütend sprang Jimmy auf und griff nach dem Hörer.
"Kelly?"
Nichts.
"Ach... du mich doch auch!" knurrte Jimmy und schlug den Hörer zurück auf die Gabel. Doch dann erstarrte er. Vielleicht war das jemand aus seiner Familie gewesen. Vielleicht ging es um etwas Wichtiges. Vielleicht war die Verbindung zwischen Deutschland und Irland schlecht.
Er rief sofort in Gymnich an. Er bekam Paddy an die Strippe, und die Verbindung war einwandfrei. Im Hintergrund hörte er Barby und Maite keifen, und Joey trällerte ein Lied. Paddy erzählte ihm dies und das. Er fragte nicht, ob Jimmy denn gar nicht mehr zurückkommen wolle. Er kannte die Antwort.
Am nächsten Tag schlug der mysteriöse Anrufer wieder zu. Und am nächsten Tag wieder. Und wieder. Es war so sicher wie das Amen in der Kirche. Jimmy war verzweifelt. Wenn derjenige doch nur wenigstens etwas sagen würde! Jimmy wollte es nicht zugeben - vor wem denn auch? -, doch das machte ihn richtig krank. "So sag‘ doch etwas!" flehte er den Anonymen das nächste Mal sogar an. Am anderen Ende der Leitung hörte er ein nervöses Schnauben. Dann wurde aufgelegt.
Der irische Regen platschte gegen die Scheiben, doch trotzdem ging Jimmy in den nächsten Laden, um sich eine Fangschaltung zu kaufen. Er war allein im Regen. Er nahm keinen Schirm mit. Wenn Kathy hier wäre, hätte sie dafür gesorgt, dass er... doch sie war nicht hier. Die Tropfen fielen in Jimmys Gesicht, in seinen Kragen. Er musste fürchterlich aussehen. Ein Auto fuhr zu nahe am Gehsteig und spritzte ihn ganz nass. Überall tropfte es. Jimmy sah sein Spiegelbild in einer Pfütze und schimpfte wie ein Rohrspatz.
Die Fangschaltung konnte er schon am nächsten Tag anschließen. Der geheimnisvolle Anrufer war zur Stelle. Unauffällig schaltete Jimmy die Fangschaltung ein. Der Anruf war lange genug, um die Nummer festzustellen. Es war eine Nummer aus Köln.
Jimmy rief gleich zurück, doch niemand hob ab. Er rief in Schloss Gymnich an und bekam Paddy ans Telefon. Hatte der Telefondienst oder was? Paddy erzählte ihm dies und das. Joey hatte sich bei einem neuen Marathon angemeldet. Maite hatte ein neues Lied geschrieben. Ach, und Angelo und Patricia wohnten jetzt zusammen in Köln.
In Köln??
Jimmy wurde nervös. Konnten sie denn die heimlichen Anrufer sein? Nein, das war nicht möglich. Das war einfach nicht möglich.
Er war so verwirrt, dass er in die Küche ging und sich an den Tisch setzte. Zum ersten Mal fiel ihm auf, wie still es in der Wohnung war. Er stellte das Radio an. Ein Lied der Kelly Family erklang: An Angel. Jimmy schaltete das Radio aus.
Am nächsten Tag kam ein großes Päckchen für Jimmy. AN JIMMY KELLY PERSÖNLICH stand darauf. Normalerweise wäre das Teil im nächsten Papierkorb gelandet. Doch Jimmy hatte gleich so ein Gefühl. Er riss das Papier auf, total ungeduldig. Eine Videokassette fiel heraus und ein Zettel. In Druckschrift war geschrieben: ERINNERST DU DICH NOCH?
Kein Absender. Keine Anrede. Er legte das Video in den Recorder.
Es war der Videoclip An Angel. Jimmy sah Paddy singen. Er sah den kleinen Angelo singen. Er sah Patricia und Barby tanzen. Er sah die ganze Familie zusammen singen, eine Einheit. Er sah sich selbst mit langen Haa-ren singen, und es war ihm so, als wolle seine Stimme ihm etwas sagen. Und zwar nicht Sooomeetiiimes, I wish I were an aaaaaangeel, oh nein, nein, das nicht. Seine Stimme sagte ihm: Ich habe keine LUST, dieses langweilige Shakespeare-Gedudel auswendigzulernen. Ich habe keine LUST, allein durch den Regen zu laufen.
Ich habe keine LUST, am Telefon zu sitzen und auf eine Stimme zu warten, die nie ertönt, da ich doch genau weiß, wessen Stimme es ist.
Am nächsten Tag klingelte in einer kleinen Wohnung in Köln das Telefon. Und als Patricia und Angelo abhoben, hörten sie nichts am anderen Ende.
(Anmerkung der Autorin: Ich weiß, dass die Kellys 1997 noch nicht in Schloss Gymnich gewohnt haben. Aber ich wollte den Gegensatz Kelly-Schloss / Jimmys Wohnung deutlich zeigen. Hoffe, niemand ist mir deswegen böse.)
©by Doro