Einmal Amerika und zurück

by Melli & Bea   kelly.welt@berlin.de

 

Maite lag weinend auf ihrem Bett. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt wie in diesem Moment, denn noch nie war sie so viele Kilometer von ihrer Familie getrennt gewesen. Sie hatte gewusst, dass es sicher nicht leicht werden würde, aber dass es so schwer werden würde, damit hatte sie im Leben nicht gerechnet.
Es war gerade erst eine Woche vergangen, doch ihr Heimweh war bereits so groß, dass sie am liebsten alles hingeschmissen und sich in den nächsten Flieger nach Köln gesetzt hätte. Aber Aufgeben, das gab es ja nie für einen Kelly, also redete sie sich immer wieder ein, sie würde die Zeit schon irgendwie überstehen. Im Grunde ging es ihr nicht schlecht und die Highschool war auch nicht das Problem. Ganz im Gegenteil, sie tauchte langsam in die Real-World ein, wie sie es nannte. Hier kannte sie niemand als Superstar, hier wurde sie nicht besser, aber auch nicht schlechter als alle anderen behandelt. Hier konnte sie einfach Mensch sein. Das war eine völlig neue Erfahrung für Maite, die ihr einerseits natürlich gefiel, die aber andererseits so gar nicht in ihr eigentliches Leben passte. Aber sie lernte relativ schnell, mit der neuen Situation umzugehen und sie war froh, dass sie am Anfang nicht die Flinte ins Korn geworfen hatte, sondern entschieden hatte, zu bleiben. Ihre Schulkameraden hatten sie herzlich aufgenommen, dafür war sie ihnen sehr dankbar. Und bereits einige Wochen später wurde sie mehrheitlich zum Klassensprecher gewählt, was sie ziemlich stolz machte.
Sie genoss ihre neuerlangte Freiheit, die sie zwar in gewissem Maße auch schon in Deutschland hatte, aber hier schien es ihr, als wäre sie noch ein Stückchen freier und noch ein Stückchen normaler.
Alles in allem ging es ihr prima, wenn sie nicht nur immer mal wieder das Heimweh geplagt hätte. Gut, sie hatte zwar mittlerweile gelernt, wie man einen Computer bediente, so dass sie täglich per Email im Kontakt mit ihren Geschwistern stand und am Wochenende leistete sie es sich auch, mal anzurufen, aber das war natürlich kein Vergleich dazu, sie vor sich zu haben. Und gerade weil Maite niemals allein gewesen war in ihrer Kindheit, fiel es ihr wahrscheinlich so schwer, sich abzunabeln. Aber sie wusste, jetzt oder nie. Also hatte sie sich kurzfristig entschlossen, nach Amerika zu gehen, um den Highschool-Abschluß nachzuholen.

Sie dachte zwar in der ersten Zeit noch häufiger an ihr "altes" Leben und ihre Familie, aber das ließ immer mehr nach. Natürlich vermisste sie ihre Geschwister immer mal wieder, aber das ging auch wieder vorbei.

***

Es war mittlerweile Dezember geworden und Maites Geburtstag stand vor der Tür. Es sollte der erste Geburtstag sein, den sie ohne ihre Familie verbrachte. Diese Vorstellung machte sie etwas traurig.
Sie hatte sich in Boston gut eingelebt und hatte auch viele nette Freunde gefunden, mit denen sie ihre Freizeit verbrachte, aber sie konnten ihre Familie natürlich nicht ersetzen. Sie hatte in der Highschool einen Koch- und Backkurs belegt, wobei sich nach einigen Stunden herausstellte, dass Maite so viel wusste, dass sich ihre Lehrerin überflüssig vorkam und Maite die Leitung der Küche überließ. Alle waren begeistert von ihren Kochkünsten, insbesondere aber die Jungs. Ob Spaghetti Napoli oder einen typisch deutschen Sauerbraten, spielte keine Rolle. Die Hauptsache war, es schmeckte. Und das tat es bei Maite immer.
Nun sollte aber ihr Geburtstag sein. Sie bekam mal wieder Sehnsucht nach Zuhause und beschloss, ihren Daddy anzurufen. Dan freute sich wahnsinnig über den Anruf seiner Jüngsten. Nebenbei erwähnte sie, dass sie planen würde, Silvester in Deutschland zu feiern. Sie wolle schließlich wissen, was ihr "Zuhause" so mache.

Jetzt war der Tag ran, vor dem sie sich so gefürchtet hatte. Ihr Geburtstag. Ihre Gefühle waren gespalten. Einerseits freute sie sich, dass sie Geburtstag hatte und eine große Party mit ihren neuen Freunden machen würde, aber andererseits fehlte ihr gerade an diesem Tag ihr "normales" Leben, ihre Geschwister, ihr Vater, ihre Freunde und natürlich auch die Konzerte. In den letzten Jahren war an ihrem Geburtstag immer ein Konzert gewesen. Und sie fand diese Konzerte immer besonders schön, weil sie noch ein bisschen mehr im Mittelpunkt stand als gewöhnlich und noch mehr umjubelt wurde.
Als sie in der Schule ankam, wurde sie mit einer riesigen Geburtstagstorte empfangen, die ihr Back- und Kochkurs für sie gemacht hatte. Sie bestand aus 6 Lagen und Maite schätzte, sie hatte mindestens einen Durchmesser von einem und eine Höhe von 1 ½ Meter. Sie traute ihren Augen nicht. Sie war sprachlos. Als sie sich wieder gefasst hatte: "Leute, ihr seid wahnsinnig. Wer soll das alles essen?". "Du weißt doch, die Amis sind verrückt", grinste sie ihre Freundin an und reichte ihr ein Messer, um die Torte anzuschneiden. Sie freute sich wirklich über diese Überraschung, aber in ihrem Innersten dachte sie nur an ihre Familie.
Als sie den ersten Schnitt machen wollte, brüllte die ganze Clique: "Halt!". Verdattert drehte Maite sich um: "Was ist denn?". Als sie sich wieder der Torte zuwandte, bewegte diese sich plötzlich. Maite erschrak und fuhr ein Stück zurück. Ihre Mitschüler begannen lauthals zu lachen. Nun öffnete sich die Torte langsam und ihr älterer Bruder Paddy kam zum Vorschein. Maite dachte, sie wäre im falschen Film. Eigentlich hieß es, ihre Geschwister hätten an diesem Tag ein Konzert und daher könne keiner sie besuchen kommen. Und nun stand Paddy vor ihr und gratulierte ihr zum Geburtstag. Maite fiel ihm um den Hals. Das war das schönste Geschenk, dass man ihr machen konnte. Nachdem sich Paddy wieder von ihr befreit hatte, meinte er: "So Maite, und nun dreh’ dich mal um!". Und da kamen sie in die Aula hereinspaziert, ihre gesamte Familie. Sie konnte es kaum glauben. "Das darf doch nicht war sein", wiederholte sie immer wieder und sah ihre Geschwister ungläubig an. Paddy grinste sie an: "Tja Schwesterherz, so was nennt man Connections!". "Aber was ist mit eurem Konzert?", wollte Maite nun wissen. "Ach, das haben wir kurzerhand hierher verlegt. Wir wollten doch auch mal in Amerika touren, erinnerst du dich? Na ja, und nun fangen wir halt bei deinem Geburtstag an!", strahlte er sie an.
Ihre Geschwister hatten für Maite mit Hilfe ihrer Schulkameraden eine große Geburtstagsparty in der Aula organisiert. Das Ganze wurde durch ein Konzert ihrer Geschwister vollendet, so dass der Unterricht an diesem Tag für alle Schüler ausfiel und zu einem riesigen Event wurde.

***

Sechs Monate später...
Maite hatte ihren Abschluss in der Tasche. Sie überlegte, wie es nun weitergehen sollte. Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, zu studieren. Sie hatte sich auch schon an der Uni eingeschrieben, aber dann kam alles anders.
Eines Morgens wachte sie auf und hatte dieses komische Gefühl im Bauch. Sie wusste nicht, was es war, aber es sagte ihr, dass sie hier alles erreicht hatte, was sie wollte und das es nichts mehr gab, was sie noch hier hielt. Genauso kurzentschlossen, wie sie damals nach Amerika gekommen war, packte sie nun ihre Koffer und saß auch schon im Flieger Richtung "good old Germany". Erst jetzt wurde ihr so richtig bewusst, wie stark ihr Bedürfnis war, wieder auf der Bühne zu stehen, Musik zu machen, ihr altes Leben zu führen, die alte Maite Kelly zu sein. Aber sie war sich bewusst, dass sie nicht mehr so ganz die alte war. Sie hatte sich zwar äußerlich nicht geändert, aber ihr Bewusstsein hatte sich weiterentwickelt und sie hatte vor allem eines in Amerika gelernt:
Sie brauchte ihre Familie, aber sie wusste auch, dass sie in Zukunft im Stande sein würde, ihr eigenes Leben, unabhängig von der Familie, zu führen. Das hatte sie sich in den letzten Monaten selbst bewiesen...


© Melli & Bea