Erinnerungen

by Jihong   jihong.lin@web.de

 

Patricia schaute zu Kathy, die auf einem Stuhl saß. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet und sie bewegte sich nicht. Dann wanderte ihr Blick auf Jimmy. Er schaute aus dem Fenster und schien ebenfalls versteinert zu sein. Dann sah sie Angelo an, der neben ihr saß. Er schaute auf ein Bett, auf das Bett. Das Bett war ein Krankenbett in einem Krankenhaus. In dem Bett lag er, der von ihnen allen geliebter Bruder: Paddy.
Patricia schaute ihn nachdenklich an. Er war krank, verletzt. Vor zwei Tagen hatte er einen Autounfall. Er ist aus dem Auto geschleudert worden: großen Blutverlust wegen einer stark blutenden Platzwunde am Kopf, Rippenbrüche, Schürfwunden und nun bewegte er sich nicht mehr. Er schläft, nein er schläft nicht! Er kann nicht zwei Tage durchschlafen ohne sich zu bewegen: Er liegt im Koma. Niemand weiß, was zu tun ist. Es ist immer jemand im Krankenhaus, um bei ihm zu sein. Aber niemand kann daran glauben, dass er bald wieder aufwacht!

Plötzlich ging die Tür auf. Jimmy, Kathy und Patricia wenden den Kopf zur Tür. Joey, Barby, John und Maite betreten das Zimmer und setzten sich zu den anderen. Alle schauen sich gegenseitig an, bis auf Angelo. Er starrte immer noch geistesabwesend auf Paddy, der reglos und scheinbar tot da lag. Stille. Niemand sagte auch nur ein Wort.
Dann erhob sich John, ging au Angelo zu und setzte sich neben den Jungen. Es herrschte wieder Schweigen. Dann erhob sich John´s Stimme und alle schreckten auf: "Angelo, wir sind alle von der Situation geschockt! Wir müssen das genau so durchmachen wie du auch! Du musst das verstehen! Bitte, du musst nach Hause! Leg dich endlich schlafen! Mit deinen 14 Jahren brauchst du noch Schlaf! Du sitzt jetzt schon seit 2 Tagen unbeweglich hier und redest kein Wort. So geht das nicht wieter!"
Angelo sprach, ohne den Blick auch nur von Paddy abzulassen: "Weißt du, was Paddy mir bedeutet hat? Er war mehr als nur ein großer Bruder für mich! Ich konnte mit ihm über alles reden! Er hat mich immer ernst genommen, mich nicht wie ein kleines Kind behandelt! Ich weiß, dass er mich geliebt hat! Und ich liebe ihn auch! Aber jetzt wird er mir nie wieder sagen können, wie gerne er mich hat! Er wird mir nie wieder Ratschläge geben können! Nie wieder! Gebt doch zu, dass er sterben wird!"
Johnny musste schlucken. Was der Kleine schon alles verstand! Patricia bemerkte, dass John die Worte fehlten. Also meinte sie: "Angelo, Paddy wird es schon schaffen! Er wird wieder aufwachen! Dann wird alles wieder gut!" Sie war sich eigentlich nicht sicher. Aber sie konnte doch einem Jungen nicht sagen, dass sein über alles geliebter Bruder vielleicht sterben wird. Sie konnte es selbst auch nicht aussprechen, weil sie Patrick, wie alle anderen auch, sehr liebte.
"Er war immer so ein süßer Kerl!", Barby schaute ihren kleinen Bruder ins Gesicht, "Er war immer so lieb und natürlich gewesen. Auch der große Erfolg hat ihn nicht abheben lassen. Er ist immer der nette Junge geblieben, den ich so liebe! Er ist einfach so süß! Schon als Baby war er unglaublich süß!" "Ja, das stimmt!", Kathy versuchte etwas zu lächeln, "Ich erinnere mich noch genau an seine Geburt!" "Los, erzähl!", Maite schaute ihre große Schwester fragend an.

"Also, es war schon spät in der Nacht, als Mutter meinte, dass es so weit war. Wie ihr wahrscheinlich schon wisst, hat es in dieser Nacht sehr gestürmt. Vater meinte zu mir, dass ich auf euch Kleinen aufpassen sollte. Wir waren ja damals in diesem kleinen Wohnwagen. Ich war also bei euch und hoffte, dass im Nebenzimmer alles glatt laufen würde. Zum Glück habt ihr da alle schon geschlafen, so dass ich nicht so viel zu tun hatte. Sogar Paul und Caroline haben schon geschlafen. Ich saß die ganze Zeit wach da. Ich war total aufgeregt gewesen, weil es das erste Mal war, wo ich eine Geburt so nah miterlebte. Bei den anderen waren unsere Eltern ja immer im Krankenhaus gewesen.
Nach Stunden kam dann Vater zu mir und meinte, ich könnte mir mal das Baby anschauen, wenn ich möchte. Also ging ich mit ihm in den Nebenraum. Dort lag Mom auf dem Bett und hatte ein kleines Bündel im Arm. Ich setzte mich neben sie und sie zeigte mir den Kleinen, den sie wie ein Schatz in ihren Armen hütete. Er war so klein gewesen. Ich fragte, ob es ein Mädchen oder ein Junge wäre. "Es ist ein kleiner, süßer Junge!", antworte Mutter , "Und wir denken, dass wir ihn Patrick nennen sollen. Er soll der Schutzpatron unserer Familie sein!" Sie lächelte mich liebevoll an und ich betrachtete mir meinen kleinen Bruder noch mal genauer an.

Am nächsten Morgen war vielleicht was los, als ihr alle erfahren habt, dass wieder ein neues Baby da war. Ich weiß noch genau, dass Barby gemeint hätte, Paddy wäre ein hässliches Baby und dass sie viel hübscher wäre." "Was?", Barby horchte auf, "Das habe ich gesagt? Wie kann ich nur so was gesagt haben?" "Ach Barby", John lächelte, "Du warst ja noch so klein! Ich glaube, du warst ziemlich eifersüchtig auf Patrick. Bevor er geboren wurde, warst du immer das kleinstes Kind in der Familie und Mom hatte sich sehr um dich gekümmert. Aber als dann Paddy kam, hatte sich alles nur um ihn gedreht! Da warst du ziemlich sauer!" "Wirklich?", Barby musste kichern.
"Also ich erinnere mich, dass Paddy immer ein sehr frecher Kerl war! Er hat immer irgendetwas angestellt. Als er mal acht war, hat er Angelo´s Teddybär geklaut und versteckt. Wir haben alle wie verrückt gesucht und Angelo hat die ganze Nacht über geheult. Das war vielleicht was! Keiner wusste, dass Paddy es war! Er hatte so scheinheilig getan und gemurmelt, Angelo sollte aufhören zu heulen, weil er schlafen möchte. Angelo hat dann die ganze Nacht durchgeschriehen und keiner von uns konnte schlafen. Dann hat Jimmy den Teddy in Paddy´s Bett gefunden. Er hatte die ganze Zeit den Bär bei sich im Bett gehabt. Jimmy war so sauer gewesen, weil er wegen dem Suchen nicht schlafen konnte und schlug Paddy so lange auf den Po, dass er wiederrum geschriehen hatte wie am Spieß. So konnten wir schon wieder nicht schlafen. Aber am Ende hat Paddy dann doch bei mir geschlafen. Wisst ihr das noch?"
"Oh, ja!", Angelo schaute zum ersten Mal wieder von Paddy auf, "Paddy hatte mir vorher erzählt, dass es ein Monster gibt, dass Teddybären frisst. Ich habe es ihm nicht geglaubt. Aber als mein Bär dann weg war, habe ich wirklich geglaubt, es wäre von einem Monter gefressen worden!" "Hey", Joey schaute Angelo an, "Das wusste ich ja noch gar nicht!"

Alle acht Geschwister schauten wieder auf Paddy, der immer noch reglos da lag. Angelo fragte wieder: "Meint ihr, er schafft es?" Seine Stimme klang wieder belegt. "Angelo", John legte seine Hand auf Angelos Schulter, "Paddy war schon immer ein starker Junge gewesen. Er wird es schon schaffen! Mutters Tod hatte ihn auch so fertig gemacht. Er konnte das mit seinen jungen Jahren einfach nicht verstehen. Er hatte geheult, aber er war mutig und tapfer. Er hat immer an sich selbst geglaubt! Er hat nie seinen Lebensmut verloren!" "Ja, schon, aber es ist was anderes, wenn man selbst verletzt ist! Wenn man selbst nicht mehr weiß, was passiert. Verstehst du, was ich meine? Er kann doch auch nichts tun, wenn er krank ist!", Angelo schaute wieder verzweifelt.

Patricia schaute dem kleinsten von ihnen ins Gesicht: "Weißt du noch, als Maite, du und Paddy mal auf einen Baum ein Baumhaus gebaut habt? Du warst da 8, Maite war 10 und Patrick 12. Das Haus war sehr schön gewesen und ihr habt die ganze Zeit da oben gehockt. Dann hast du dich mit Paddy gestritten, weißt du das noch? Maite war auf deiner Seite. Sie war sowieso immer auf deiner Seite, wenn du dich mit Paddy gestritten hast. Auf jeden Fall habt ihr euch gestritten. Irgenwann habt ihr angefangen euch zu raufen. Du hast Paddy dann kräftig geschubst. Er verlor das Gleichgewicht und ist 3 Meter runter in einen Dornenbusch gefallen. Ich weiß noch genau, dass er geschriehen hat, wie verrückt. Wir sind dann alle gekommen und Jimmy und Joey haben ihm da raus geholt.
Er war überall zerkratzt, war voller Dornen und blutig. Außerdem hatte er innere Blutungen. Er stand völlig unter Schock, hat geheult und um sich geschlagen. Er wurde sofort von einem Rettungswagen abgeholt. Er wäre doch fast verblutet. Wir haben damals doch auch gedacht, er würde es nicht mehr schaffen. Er war doch so schwach gewesen und überhaupt nicht mehr ansprechbar. Die Ärzte haben auch geglaubt, dass er sterben würde. Aber er hat es doch geschafft. Ein paar Tage später konnte er doch schon wieder seine Augen öffnen und sich leicht bewegen. Dann konnte er doch wieder lächeln und bald wieder sprechen. Aber er war immer noch zu schwach um zu aufzustehen. Wir haben ihn dann noch zwei Wochen zu Hause gepflegt, bis es ihm wieder gut ging. Dann hat er doch wieder mit dir rumtobt und alles war wieder okay. Weißt du das noch?"

"Ja", Angelo schaute nachdenklich auf Paddy, "Das werde ich niemals vergessen. Ich hatte so große Angst um ihn. Aber ich habe jetzt auch so große Angst um ihn! Es war alles meine Schuld!" "Das darfst du nicht sagen!", Maite versuchte Angelo zu beruhigen, "Du kannst nichts dafür, dass er den Autounfall hatte!"
"Doch!", Angelo versuchte seine Tränen zu unterdrücken, "Ihr wisst es ja gar nicht! Ich war schuld! Paddy musste doch zu diesem Interview. Ich wollte aber, dass er mir bei meinem neuen Song hilft. Er hat gemeint, dass er keine Zeit hat, aber ich ließ nicht locker. Also hat er mir geholfen. Dann war er aber zu spät dran und ist wahrscheinlich gerast, um nicht zu spät zu kommen. Da muss es wohl passiert sein!"
Alle schwiegen. Kathy, John, Patricia, Jimmy, Joey, Barby und Maite starrten erschaut auf Angelo. Dann wendeten sich alle Blicke wie auf Komando auf Patrick. Schließlich blickte jeder wieder ins Leere. Man hörte kein Geräusch mehr, nichts.

Auf einmal murmelte jemand sehr leise unverständliches Zeug. Alle drehten den Kopf zu Paddy. Aus dieser Richtung kam es. Dann geschah das lang Erhoffte. Paddy schlug benommen die Augen auf. Angelo stürzte sich sofort auf ihn: "Paddy! Mein Paddy! Mein Bruder! Du bist endlich wieder da! Ich habe so lange gewartet! Jetzt bis du wieder da!" Er brach in Tränen aus und ließ seinen Bruder nicht mehr los. "Du hast mir so gefehlt!", heulte er und vergrub sein Gesicht in in Paddy´s Körper.
Paddy streichlte ihm leicht übers Haar. So leise und schwach, dass man es kaum verstand, flüsterte er: "Jetzt wird alles wieder gut!" Da wussten alle, dass Paddy nicht nur in ihren Erinnerunen weiterleben wird!


© Jihong