Fünfter Tag

by Alice   hypercolor99@hotmail.com

 

Ich erwachte und sass plötzlich auf mit einem Schrei: "Hör' damit endlich auf!!!" Ich blickte herum, entdeckte im Zimmer aber nur Paddy, der neben dem Bett in einem Sessel sass, und sichtlich überrascht war.
"Womit?" fragte er schliesslich.
"Mich durch Starren aufzuwecken!" erklärte ich. "Ich hasse es, mein Ex-Freund tat das ständig. Recht ätzend, wenn man lieber schlafen würde. Wie jetzt."
"Ich habe dich nicht angestarrt."
"Ach wirklich?! Nicht nur hast du mich angestarrt, sondern lügst du jetzt auch. Hat dir deine Mutti nicht beigebracht, dass es unhöflich ist zu starren?"
"Nein. Im Laufe der ungefähr fünf kurzen Jahren, während deren wir beide noch, beziehungsweise schon, am Leben waren, ist meine geliebte und geehrte Mutter für dich vielleicht unverständlicherweise nicht dazu gekommen, mir die anscheinend von grosser Wichtigkeit handelnde Tatsache klarzustellen, dass es gemäss mancher, wie zum Beispiel dir, unhöflich ist, anderen Leuten während des Schlafes oder sonst in allgemeinem anzustarren." sagte Paddy langsam, in einem monotonen, leblosen Ton. Ich konnte ihm aber nicht mehr folgen. Meine Gedanken kursierten mehr um das Problem, dass ich schreckliche Kopfschmerzen hatte, und dafür noch keine befriedigende Erklärung gefunden hatte.
"Wa-as? Fünf Jahren… wovon redest du? Mann, könntest du nicht kürzere Sätze formulieren? Ich hab' Kopfschmerzen…"
"Für dein Intelligenz-Mangel kann ich nichts…" erwiderte Paddy, und zuckte mit den Ascheln.
"Intelligenz-Mangel nennst du es also? Weisst du, wie komisch es dir auch immer vorkommen mag, muss ich dir den sensationellen Nachricht verraten, dass wir anscheinend in bestimmten oder auch nicht ganz so bestimmten Bereichen unseres Wortschatzes ziemlich unterschiedliche Begriffe von einiger Ausdrücke zu haben scheinen, wobei ich erwähnen muss, das das Vorkommnis, das du mit dem Ausdruck "Intelligenz-Mangel" beschreibst, bei mir eher, nein, nicht eher, sondern AUSSCHLIESSLICH als "Kopfschmerzen" bekannt ist!" sagte ich, und war verdammt stolz auf meinen Marathon-Satz. Paddy blickte nur genervt auf mich, und sagte:
"Ist doch wurscht. Andrea, ich muss mit dir reden."
"Das tust du seit 10 Minuten - seit dem Zeitpunkt, als du mich durch Starren aufgeweckt hast, erinnerst du dich noch?!"
"Mensch, lass mich ausreden, es ist was ernstes…"
"Dann besprechen wir's lieber ein anderes Mal, ich bin gerade nicht ganz fähig dazu, ernste Gespräche zu führen… Hey!" Paddy hatte sein Hand auf meinem Mund getan, und hielt es zu.
"Ich bezweifele, dass du überhaupt irgendwann dazu fähig bist. Ich fühle mich genauso schlecht wie du, das nennt man Katzenjammer." sagte Paddy. "Aber die Sache muss geklärt werden - die traurige Situation ist, dass ich heute morgen in diesem Zimmer, wo ich vorher noch nie war, aufgewacht bin, mit dir in einem Bett, und kann mich für mein Leben nicht erinnern, wie es dazu kam. Das finde ich ziemlich beunruhigend, ne? Ich würde mich riesig freuen, wenn du bestätigen könntest, dass wir nichts unüberlegtes getan haben - sonst haben wir ein Problem, ein grosses Problem… also… sag mir BITTE, dass du dich erinnerst…"
"Ich erinnere mich." sagte ich anständig.
"Echt?!" fragte Paddy, plötzlich grinsend, voller Erleichterung. Gott, bin ich gemein. Ich musste ihm aber gestehen:
"Nein. Du hast mich nur gebeten, das zu sagen…"
Ich erwartete schon den bekannten strengen Blick, aber er kam nicht. Stattdessen schaute mich Pad mit solchen hilflosen Augen an, dass er mir fast leid tat. Ich versuchte diesmal mich richtig zu erinnern, doch es ging nur sehr langsam. Ich war in meinem Gedanken verloren, und hörte nur aus der Ferne Paddys Stimme:
"Komm, zieh dich an, wir müssen zum Frauenarzt…"
Plötzlich wurde mir alles klar, und ich rief erleichtert:
"Wir SIND bereits angezogen!!! Das ist es! Wieso würden wir uns wieder anziehen, nachdem wir uns ausgezogen haben, nur um danach in Abendkleidung zu schlafen?!"
"Wir haben uns also nicht ausgezogen…" seufzte Paddy. "Phew. Mann. Gottseidank."
"Ich würde sowieso NIE mit dir schlafen!"
"Ist doch scheissegal, du kommst bei mir ja auch nicht in Frage!" erwiderte er, und wir verliessen den Raum, beide mit der Nase hoch, und machten uns auf den Weg zu unserem eigenen Zimmern. Ich dachte nach, und langsam fiel mir alles über den vorigen Abend wieder ein - Mein Gott, was wir da alles angestellt hatten!"



Zwei Stunden dauerte es, meinen Kopf wieder klar zu kriegen. Zwei Stunden dauerte es, bevor ich mich unter Menschen traute. Aber irgendwann musste ich es doch tun, schliesslich war ich schon sehr hungrig. Also ging ich runter zum Esszimmer, wo ich Jimmy fand. Er redete gerade mit einem süssen Jungen, der ungefähr 20 Jahre alt aussah. Ich begrüsste den beiden:
"Guten Morgen!"
"Ah, hallo Andrea!" sagte Jimmy, und lächelte. "Komm, ich muss dich vorstellen - Josh, das ist unsere kleine Engländerin, die Andrea. Andrea, das ist Josh, ebenfalls aus England."
"Freut mich." sagte ich, und Josh grinste und begrüsste mich mit einem "Hi!". Ich war eigentlich ziemlich neugierig, wer er war und was er hier machte, war aber auch viel zu faul und müde, um mich zu erkundigen. Ich griff lieber nach den Corn Flakes, und machte einen Kaffee. Währenddessen erklärte Jimmy Josh alles mögliche über die Kellys - und, was ich ziemlich ätzend fand, über MICH:
"Na ja, und die Andrea ist seit vier Tagen hier, hat sich aber schon gut eingelebt, gestern Nacht schlief sie zum Beispiel mit einem meiner Brüder…" Ich schrie auf, liess die Corn Flakes und das Kaffee zum Boden fallen, und brüllte los:
"WAS SAGST DU DA, DU VERFLIXTES ARSCHLOCH?!?! Wie wagst du dich sowas zu behaupten?!?! Das ist einfach nicht wahr!!! Und es geht dir sowieso nichts an, mit wem ich schlafe, okay?! Wenn ich jede Nacht Sexorgien halte, ist das meine Sache! Aber eins kann ich dir sagen, ich würde NIEMALS mit einem deiner Brüder schlafen, eher würde ich Quasimodo heiraten!!!" Jimmy und Josh guckten mich erschrocken an.
"Du hast mich nicht ausreden lassen, meine liebste Andrea. Ich wollte sagen: gestern schlief sie mit einem meiner Brüder in einem Zimmer…"
Ich murrte laut und gafährlich.
"Den Ausdruck 'veflixtes Arschloch' finde ich trotzdem passend." kam Paddys Stimme von hinter mir. Ich drehte mich schnell um, und errötete.
"Könnte schon sein." gab Jimmy zu, und die beiden fingen an zu lachen. Josh und ich waren still. Nach einigen Minuten meinte Paddy:
"Wie wär's damit, die Scherben aufzuräumen, du kleines Nervenbündel?"
Ich blickte nach unten, wo die Reste meines Frühstücks lagen, und schluckte.
"It's okay, die Tasse war ja nicht wertvoll." meinte Jimmy, irgendwie ironisch. "Total neu, aus dem 17ten Jahrhundert oder so."
Ich schluckte nochmal.
"Muss ich das bezahlen?" fragte ich besorgt.
"Nein, solange du deine Stimme unter 120 Decibel hälst." kam die Antwort von neben mir - es war Kathy, deren verschlafenes Gesicht nichts gutes bedeuten könnte. "Ich würde mich freuen, wenn ihr nicht so viel rumschreien würdet, ich habe Kopfschmerzen… Luke hat die ganze Nacht durchgeweint, ich bin völlig am Ende, nächstes Mal seid ihr dran mit dem Babysitten!" meinte sie schläfrig, und setzte sich am Tisch.
"Tschuldigung…" sagte ich. Jimmy ergriff dann wieder das Wort:
"Also, Andrea & Josh, ich hoffe, ihr werdet gut zusammenarbeiten können!"
Wir beide blickten erschrocken aufeinander: "WAS?!" fragte ich. "Zusammenarbeit? Wovon redest du?"
"Ich soll mit IHR zusammenarbeiten?! Sie ist doch total hysterisch!" meinte Josh im gleichen Moment. Jimmy lachte nur, und sagte:
"Ja, ihr werdet zusammen arbeiten. Andrea organisiert die Sachen, Josh kann deutsch - ihr seid ein Superteam!"
"Aber… aber… das hat mir nie jemand gesagt - ich bin nicht der Typ für Teamwork!" jammerte ich entsetzt. "Aber hey, warte mal - heisst das, dass ich nicht mehr zu meinem Deutschstunden muss?"
"Ja." sprach Jimmy, genau als Paddy "Nein." sagte.
"Ein wenig deutsch musst du einfach lernen, du bist ja in Deutschland!" erklärte Paddy.
"Ach, lass sie lieber." meinte Jimmy.
Wir blickten alle auf Kathy, die nur leise murmelte:
"Also mir ist es wurscht, ob sie deutsch lernt oder nicht, lass sie entscheiden…"
"Yipeeeeee!!!" rief ich überglücklich.




Josh war eigentlich gar nicht so schlimm. Wir fanden schnell ein gemeinsames Thema - zwei Engländer in Deutschland, da gab's viel zu besprechen. Und dann nach im Kelly-Haus…
"Also, was weisst du über sie?" fragte Josh.
"Über wen?" kam meine Gegenfrage.
"Na, die Kellys!"
Ich zuckte mit den Ascheln.
"Ich weiss ihre Namen, so ungefähr."
"Was für Musik spielen sie?"
"Keine Ahnung."
Josh starrte ungläubig.
"Aber du bist schon seit vier Tagen hier!"
"Na und?"
Josh schüttelte den Kopf.
"Ich hätte vom Internet einige mp3-s runtergeladen, aber meine Lautsprecher waren kaputt. Auf jeden Fall habe ich jede Menge Bilder und Berichte etc gefunden und ausgedruckt. Willst du sie mit mir anschauen?"
"Jo…" meinte ich. "Aber wieso Bilder, du siehst hier ja, wie sie aussehen!"
"Bilder aus alten Zeiten…" grinste Josh. "Oder willst du nicht wissen, wie dein nervender Paddy mit 16 aussah?"
DAS kling verlockend. "Doch." flüsterte ich beigeistert.
"Komm mit." sagte Josh, und zwinkerte.




"Also in 1994 kam der Durchbruch," stellte Josh fest. "Mit dem Song 'An Angel'. Klingt… klingt…"
"…kitschig." beendete ich seinen Satz. "Hey, hier ist der Text dazu!"
Wir lasen die ersten Strophen aufgeregt.
"Ich glaube, ich kotze…" sagte ich. Josh lachte:
"Romantisch, auf jeden Fall. Haben wir noch andere Songtexte?"
Ich suchte die Papiermenge durch.
"Jo!" rief ich.
"Almost Heaven." las Josh. "Tja, wir bleiben bei der romantischen Linie."
"Cuando la fiesta… Mann, das ist auf spanisch!"
"Schau mal, der heisst 'Nanana'."
"Vielbedeutender Titel."
"Der Text ist aber gut - wer hat ihn geschrieben? Aha, Jimmy!"
"Und 'Thunder' klingt auch geil."
"Auch von Jimmy." bemerkte Josh.
"Mann, schon wieder 'Heaven'. Calling Heaven." sagte ich.
"Hey, über den Song habe ich schon was gelesen - angeblich ein Meisterwerk, der nur ein paar mal auf Konzerten gespielt wurde. Aber der Info kommt von einem Fan, also die 'Meisterwerk'-Meinung ist nicht hundertprozentig objektiv."
"Der Text ist… morbid…"
"Aber gut, das musst du zugeben." sagte Josh. "Ah, hier ist es: 'In diesem Song verarbeitet Paddy seine Gefühle über den Tod seiner Mutter im Jahre 1982.'"
"Was für ein blöder Satz - bedeutet sie, dass die Mutter 1982 gestorben ist, oder dass Paddy den Song 1982 geschrieben hat? Oder beides?"
"Paddy war 1982 erst 5 Jahre alt. Er ist kein Mozart. Mit 5 kann niemand solche Lieder schreiben."
"5 Jahre…? Langsam verstehe ich…"
"Was?"
"Ach nix." meinte ich, und versuchte mich zu erinnern, was mir Paddy am Morgen gesagt hatte.
"Die Kellys als Band gibt es schon seit 25 Jahren." lies Josh vor, und ich starrte:
"Eeeecht?! Aber da waren die noch nicht einmal geboren!"
"Die älteren schon… Es muss einige Fotos von der Zeit geben…" murmelte Josh. "Ach, hier!"
"Oh, da is die Mutter!" sagte ich. "Mit Baby im Arm - wer könnte das sein?!"
"Es gibt eine wichtigere Frage: wer sind diese schwarzhaarige Leuten da?" staunte Josh.
"Verstorbene ältere Gechwister? Babysitter aus Italien?" riet ich.
"Mensch, du bist sowas von morbid! Ich habe es! Danny, Paul und Caroline - und Joanna hiess die Mutter von diesen drei und Kathy. Oder war sie Jenny? Hier steht Jenny…"
"Halbgeschwister…"
Wir durchsuchten wieder die Papiermenge.
"Streetlife." lies ich auf einem Blatt. "Die waren Strassenmusiker… haben in einem Bus gewohnt… Maite hat gekocht… für 18 Leute… Brot gebacken im Bus… und dann… im Hausboot… hey, ich glaub' das nicht, das kann nicht sein…"
"Oh doch!" sagte Josh. "Hier steht es auch. Mit Fotos."
"Unglaublich… wie Hippies oder Penner…"
"Pass mal auf: 'Vom Bus zum Boot zum Schloss - die Wahnsinnskarriere der Familie Kelly.'" präsentierte Josh.
Inzwischen hatte ich eine Menge Fotos aus 1994 gefunden: "Hey, der Angelo war ganz süüüüüüüss!"
"Und die Maite war FETT." bemerkte Josh.
"Hey, hast du was gegen mollige Frauen?!" fragte ich gefährlich. "Du hast kein Recht…"
"Ich habe nur eine Tatsache festgestellt!"
"Na gut."
"Übrigens, wieso bist du so agressiv wegen molliger Frauen? Warst du auch mal richtig DICK, oder was?" erkundigte sich Josh, eindeutig provozierend.
"Ich war NIE dick, okay?! Ich kann's beweisen!"
"Ist schon gut. Wie alt bist du, übrigens?"
"Was denkst du?" fragte ich, und merkte sofort, dass ich einen grossen Fehler begangen hatte. Sowas darf man einem Mann nie fragen.
"Vom Aussehen her, 27. Vom Intellekt… so gegen 15."
Ich schrie auf, sprang auf ihn, und versuchte ihn zu erwürgen. Leider war er viel stärker als ich. Er hielt mich fest und grinste:
"Du bist voller Teenager-Trotz. Was ich übrigens supersüss finde."
Ich spuckte ihn ins Gesicht, und er liess mich los.
"Du… Lama…"
Ich lachte: "Du hast es verdient. Ich bin übrigens 19. Werde 20 in Herbst."
"Herzlichen Glückwunsch. Hat man dir schon gesagt, dass du genauso aussiehst wie Andrea Corr?"
Ich seufzte: "Und ob… lassen wir das, okay?"
"Deine Stimme ist auch wie ihre. Kannst du auch singen?"
Ich lächelte, und dachte an meinem gestrigen Auftritt…
"Ein bisschen…"




"Der sieht hier total wie ein Mädchen aus. Und dann trägt er noch einen Schottenrock. Ist der NORMAL?!" fragte ich, und starrte ein altes Foto von Paddy an.
"Vielleicht ist er homo." sagte Josh.
"Unwahrscheinlich…" meinte ich.
"Ach ja, ich hatte schon vergessen, dass du mit ihm geschlafen hast…"
Diesmal wurde ich RICHTIG sauer. Diesmal versuchte ich ihn RICHTIG zu erwürgen. Diesmal war er immer noch viel stärker als ich. Huh.
"Wieviel mal wirst du mich heute noch angreifen, hä?" fragte er überlegen. Ich spuckte.
"Lama!"
"Elefant."
"Wildkatze."
"Flusspferd."
"Grosser schwarzer Käfer."
"Esel."




Josh hatte eine ganze Reihe Fotos von Maite rausgelegt, und versuchte gerade ihr Gewicht in verschiedenen Bilder zu vergleichen. Typischer Junge.
"Schau mal, hier hat sie abgenommen…"
"Na und?"
"Und wieder zugenommen. Essstörungen, eindeutig. Dass das niemand gleich gemerkt hat…"
"Sei nicht so klug. Es stand in alle aktuellen Interviews. Lesen kann ich auch."
"Das hätte ich nicht gedacht…"
Bevor ich wieder meiner Lama-Szene spielen konnte, öffnete sich die Tür, und dort stand… Maite. Schlank, blond, und überrascht. Sie blickte herum, entdeckte die Bilder, schrie auf ("Was… was… oh, mein Gott! Was für SCHEISS-Fotos!…"), und rannte weg. Ich nach ihr.




"Tschuldigung Barby…"
"Du hast gerade über meine Blumen getrampelt!" murrte Barby vorwurfsvoll.
"Tschuldi… weisst du vielleicht, wo die Maite ist?"
"Meine Corrs-CD hast du auch nicht zurückgegeben…"
"Ich hole sie gleich, aber ich muss jetzt die Maite finden…"
"SIE hat auch über meine Blumen getrampelt. Und SIE gibt auch nie meine CDs zurück."
"Ja, aber…"
"Ihr werdet gute Freundinnen sein." seufzte Barby filosophisch.
"NICHT MEHR WENN ICH IHR NICHT FINDE!!!" schrie ich.
"Oh - warum hast du das nicht gleich gesagt? Sie lief Richtung Pferdestall."
"Pferde? Oh, nein…"




Ich fand Maite, zum Glück ohne Pferd, und bereitete mich vor, eine lange, ausführliche Entschuldigung vorzuführen:
"Liebe Maite…"
"Pssst! Hör zu! Die Vögel zwitschern!"
Ich dachte schon, sie war verrückt geworden…
Maite lachte: "Guck nicht so blöd. Ich hab's nicht ernst gemeint… Wenn du willst, kann ich dir Unmengen von Fotos von meinen fetten Beinen zeigen…"
"Josh wäre mehr interesiert…"
"Dann mache ich ihm bald auch das Angebot."
Ich ging zurück auf Joshs Zimmer, wo er mir stolz eine Flasche Bailey's präsentierte…




ICH MAG JOSH! ICH MAG JOSH! ICH MAG JOSH! UND ICH MAG BAILEY'S! GEIL!




Wir lagen auf dem Boden, ich in Joshs Armen. Das ganze Zimmer war von Papier bedeckt. Dick. Als jemnd die Tür öffnen wollte, hatte er Schwierigkeiten. Dieser jemand war… Paddy. Er schaute herum - auf uns, auf die Blätter - und hob die Augenbrauen.
"Was ist denn HIER passiert?!"
"I wish I had your pair of wings…" murmelte ich, und lachte. Mensch, vielleicht hätten wir doch nicht ganz so viel Bailey's trinken sollen. Aber Josh hatte es extra aus England reingeschmuggelt, zusammen mit seinem Hash. Irish Cream. Mmmh.
"Mama… oh I miss you sometimes…" sang Josh, mit seiner frei erfundenen Melodie.
"Mama… can you hear me when I cry for you… ooooooooh, wie süüüüüüss…" sang ich, und lachte mich fast kaputt.
Paddy schaute uns ungläubig an, ohne Worte. Er begann irgendwie zu… ZITTERN (hä?!), ging aus dem Zimmer und schlug die Tür mit solcher Kraft zu, dass das ganze Schloss erschüttert wurde.
Wir lachten halt weiter.




"Paddy, könntest du das nicht selber organisieren? Ich habe jetzt echt beide Hände voll… mit Sean, mit Luke…"
"Kathy, ich habe ehrlich gesagt keine Lust dazu." sagte Paddy leise.
"Wieso bist du so deprimiert? Und wieso willst du die beiden plötzlich so dringend aus dem Schloss werfen?"
"Ich erzähle es dir ein anderes Mal…"
"Wenn ich keinen guten Grund dafür kenne, bin ich auch nicht allzu interessiert daran, für dich das ganze zu organisieren…"
"Es HAT einen guten Grund."
Kathy seufzte: "Okay, okay. Ich mach' das schon. Wenn's dich glücklich macht. Mann, schau doch nicht so traurig… Wenn dir 'was bedrückt, kannst du's uns ruhig erzählen, hm?




Am Abend waren wir wieder einigermassen nüchtern. Wir gingen nach unten, wo die Familie gerade zu Abend ass. Wir wollten nicht stören, aber Kathy rief uns zu:
"Ähm, kann ich euch kurz sprechen?"
"Natürlich."
"Ich habe für euch schliesslich doch eine Wohnung gefunden, in Köln, in der Innenstadt. Einige bürokratische Sachen müssen noch geregelt werden, aber bis dann könnt ihr in der Hyatt wohnen, ich habe für euch schon Zimmer gebucht. Ihr könnt morgen dorthinfahren - also wäre es vielleicht eine gute Idee, eure Sachen zusammenzupacken, okay?"
"Okay!" sagte Josh, und lächelte.
"Okay." sagte ich, und lächelte nicht. "Aber wie… wieso…?"
"Du wolltest ja selber eine Wohnung, oder?" fragte Kathy (big smile, false smile).
"Ja… aber… du hast ja gesagt, du hättest keine Zeit… ich meine, ich fühle mich wohl hier, ihr braucht wegen mir keine… wenn ihr nicht wollt… oder… na ja…" Ich schaute herum. Maite zuckte mit den Ascheln, sie schien das ganze genausowenig zu verstehen wie ich. Die anderen wirkten auch ziemlich verblüfft. Ausser Paddy, der sein Glas fixierte.
Josh und ich setzten uns auf die Treppen.
"Ich habe das seltsame Gefühl, rausgeworfen zu sein…"
"Wieso denn? Sie folgen nur dem Vertrag. Was hast du denn erwartet, dass sie uns lassen hier in ihrem Privatwohnsitz zu leben? Sie sind doch Stars, sie brauchen auch ihre Privatsphere…"
"Josh, das ist Unsinn. Bis jetzt waren sie ja total scharf darauf, dass wir hier bleiben."
"Wie du meinst." sagte er, und zuckte mit den Ascheln.




Ich entschied mich schliesslich, Paddy zu fragen, was eigentlich los sei. Vielleicht sollte ich mich auch entschuldigen, wir waren ja nicht sehr nett zu ihm heute mittag, wenn ich mich richtig erinnerte…
"Herein."
"Hi." begann ich, unsicher.
"Was ist?!" fragte Paddy, irritiert.
"Äh, ich wollte nur fragen…"
"WAS fragen?" erkundigte er sich laut. Und unfreundlich, vor allem unfreundlich. So unfreundlich, dass ich nicht mehr so tun konnte, als hätte ich es nicht gemerkt.
"Du lässt mich nicht ausreden… Was zum Teufel ist los, hä? Wieso sprichst du so mit mir, als wäre ich nur Dreck unter deinen Füssen?!" fragte ich, diesmal lauter.
"Vielleicht weil du nur Dreck unter meinen Füssen bist? Oder gleichwertiges…"
Ich hatte keine Lust zu versuchen ihn zu erwürgen. Er hatte es ernst gemeint, ich fühlte mich schlecht.
"Was habe ich getan?" fragte ich leise.
"Denk mal nach, kleines…" knurrte er. "Andilein… du… Corr-Kopie…"
Es war nicht schwer zu merken, dass er verzweifelt versuchte, mich zu beleidigen. Aber gerade deshalb wurde die Beleidigung nicht angenommen. Mir fiel ein, dass ich mich eigentlich entschuldigen wollte:
"Tut mir leid, was wir dir gesagt haben…"
"Oho, jetzt kommt's raus! Es tut dir also leid. Oh ja, sooo ehrlich warst du noch nie, hm? Es tut dir so WAHNSINNIG leid. Ich kann's mir vorstellen. Es tut dir leid… UND SOLLTE ES AUCH!!!"
"Paddy, du solltest es nicht so ernst nehmen, ich meine, wir waren total besoffen…"
"Noch besser. Du fliegst hier ein aus England, um dich zu besaufen. Vorbildlich. Genau DAS macht man am besten. Wäre es zu viel verlangt, wenn ich dich bitte, so GANZ HÖFLICH, dich NICHT zu betrinken? Denn ich finde sowas ekelhaft."
"Und gestern Nacht warst du selbst sooo hundert pro nüchtern…" rutschte es mir raus.
"Das war auch nicht richtig, aber verdammt, das war auf eine PARTY! Am ABEND. Aber gleich am nächsten Tag… gehst du mit Josh auf seinem Zimmer, ihr betrinkt euch, fällt einander hin den Armen…"
"Ach, DAS ist dein Problem…"
"Nein, das ist NICHT mein Problem!" schrie Paddy, ausser sich. "Mein Problem ist, dass du und dein geliebter Mitarbeiter darüber Witze macht, worüber ihr absolut KEINE AHNUNG habt! Wenn ich über dich im verfickten Internet alles erfahren könnte, dann könnte ich mich wahrscheinlich auch über vieles lustig machen, gell? Ich würde sagen, es gibt in deinem Leben auch Sachen, die dir vielleicht wehtun. Oder nicht? Warst du immer grenzenlos happy? Und absolut cool? Hast du nie Gefühle gehabt? Könnte ich mir bei dir fast vorstellen!"
Ich konnte kein Wort herausbringen. Er anscheinend auch nicht mehr. Wir starrten einander an. Er nahm den Kopf in der Hand, ich lehnte mich an der Wand. Und ob ich Gefühle hatte, natürlich habe ich sie… ich bin kein herzloser Mensch oder was weiss ich, ich habe ja nicht gewollt… weshalb hätte ich gewollt, dass er sich so schlecht fühlt… es war nur… oh, GOTT…
"Ich habe echt nicht gewollt, dass es dir so wehtut, dass musst du mir einfach glauben…" murmelte ich, fast unvernehmlich.




"Josh?"
"Ja?"
"Lassen wir's."
"Was?"
"Du und ich… das war zu schnell…"
"Jaja, wir waren 'n bisschen besoffen… tschuldi…"
"Ist okay."
"Gut."
"Josh?"
"Ja?"
"Hast du mit Paddy gesprochen?"
"Ja."
"Und?"
"Ist in Ordnung. Wir bleiben."
"Echt?"
"Ja."
"Cool."




"Josh?"
"Ja?"
"Denkst du, er würde mit mir sprechen?"
"Mit dir, Lama? Wieso nicht? Er ist doch ein Tierfreund."
"Tiere können gemein sein."
"Tierfreunde auch. Tierfreunde können manchmal überempfindlich sein. Tiere wollen selten was böses…"
"Na ja… trotzdem…"




"Paddy?"
"Ja?"
"Tut mir leid."
"Kein Problem."
"Ich meine es ernst…"
"Ist okay. Lassen wir's."
"Peace?"
"Peace."
"Paddy?"
"Ja?"
"Darf ich dein Auto kurz haben?"
"NEIN!!!"
"Oh."
"Genau: 'oh'."
"Ich wollte nur ein bisschen üben… wie man auf der rechten Seite fährt…"
"Träum' weiter."



*T*H*E* *E*N*D*