Gefühle eines Träumers

by Janine   Janine.Zehe@t-online.de

 

 

Gedankenverloren saß John auf dem Beifahrersitz des Tourbusses, den sie gerade erstanden hatten. Ein noch schnelleres Modell, noch komfortabler. John gefiel der Rummel schon, auch wenn es ihn manchmal langweilte. Er hatte nichts mehr zu tun. Zeit für seine Fotografie oder einen schönen Sonnenuntergang hatte er auch nicht mehr. Er warf einen weiteren langen Blick aus dem Fenster. Es begann bereits zu dunkeln.

John kam mit seinen Geschwistern im noblen Hotel der nächsten Konzertstadt an. Die Fans waren natürlich versammelt und begrüßten die Kellys mit Autogrammwünschen, Geschrei und einem Blitzlichtgewitter. Patrick war sehr ärgerlich über sie. "Hör auf, durch sie wohnen wir in einem Schloss!" warf John schroff ein.
Er hatte die Ansichten seines Vaters, der ihm das größte Vorbild war. Er genoss all den Luxus, das Schloss, die ewige Freundlichkeit seiner Crew, die er so behandeln durfte, wie er gelaunt war, all das feine Geschirr, die Preisverleihungen, den Champagner.
Aber manchmal schlich sich ein Gefühl in sein Herz, das er oft zu verdrängen suchte. Es berührte ihn dann, wenn ein paar Fans wie in alter guter Zeit tanzten und sangen. Es berührte ihn, wenn er ein Mädchen, welches einen Brief mit den Worten "Streetlife back" abgab, leise weinen sah. Dann dachte er an die fröhliche Zeit in Spanien zurück, in der es möglich war, mit aller Welt zu reden und zu lachen.
Das war jetzt kaum noch möglich. Die Kellys hatten ja so viel zu tun. Und dann waren da die Fans, vor denen keine privaten Gefühle erlaubt waren. Sie hatten diese Leute auch nicht zu interessieren. Da war John sehr hart. Auch wurde er durch Absperrungen von dieser normalen Welt ferngehalten. Sie war ja zu gefährlich geworden.
All das stimmte John manchmal sehr traurig. Es ließ ihn auch träumen. Er verwarf jedoch diese Dinge schnell, weil Emotionen und träume im harten Geschäft nicht erlaubt sind.

John war nachdenklich seinen Geschwistern in ihre Etage gefolgt. Jetzt saß er allein in seinem Zimmer und packte seinen Koffer aus. Dort war eine kleine Trommel von Barby zu finden. Was soll die denn hier? Dachte er genervt. Nach kurzer Zeit jedoch konnte er nicht widerstehen und schlug einen spanischen Rhythmus, wie es ihn ein Freund in guter Zeit gelehrt hatte. Das half ihm ein wenig.
Wieder war er gereizt und aggressiv. Ein Fan hatte sich beklagt, beim Konzert der letzten Openair-Tour wäre die Akustik schlecht, schier unerträglich gewesen. Früher war er es, der für die Akustik auf Kelly-Konzerten verantwortlich war. Er konnte es einfach nicht ertragen, dass ach so fachkundigen Menschen Fehler passierten, die den Fans auffielen. Er wollte doch nur, dass sie das Konzert genossen, also auch die Akustik. Er nahm sich fest vor, den folgenden Abend darauf zu achten. Und dann.... Wenn sich Fans früher beklagt hatten, dann hatte er wenigstens die Verantwortung und konnte versuchen, etwas zu ändern. Jetzt hatte er darüber nicht mehr zu verfügen und wenn er die Techniker darauf hinwies, konnte er sich nur Höflichkeiten anhören und geändert wurde nichts. Deswegen drohte er oft mit Entlassung und konnte seiner Agression keinen anderen Ausdruck verleihen. Viele Menschen verschrien ihn deshalb schon als die Arroganz der Kellys. Oft hatte er das Gefühl, dass ihn keiner mochte, wurde er auch tagtäglich von Fanliebe überschüttet. Er war froh, dass Maite bei ihm war, ihn hielt und immer für ihn da war.

Es klopfte an seiner Tür und Joey trat ein, gefolgt von Kathy, die ihm den Zettel mit der Liedreihenfolge gab. "Wir wollen Looking for love mit reinnehmen, Johnny." "Schön. Ist Paddy einverstanden?" Kathy lächelte und sagte dann: "Er hat es vorgeschlagen. Es scheint ihm wieder gut zu gehen." Es freute John, der sich oft um Patrick sorgte. Er konnte es ihm aber nicht zeigen, er war ja der große Bruder und musste stark sein, wenn Patrick schwach war.
John wollte jetzt nicht nachdenken. Er ging in das kleine Bad und wusch sich die langen Haare. Sie hatten viel Zeit bis zum Auftritt Schließlich setzte er sich mit einem Handtuch um den Kopf in einen Sessel und las die Zeitung. Er sah die Schlagzeile "Kelly Family in unserer Stadt, brandneue Show, uralte Hits!".
Jäh schrak er auf. Er hatte von Kathy ja die Liedreihenfolge bekommen und musste sie noch studieren, bevor nachher die 3 Interviews auf dem Plan standen. Dabei sah er auch Patricks spontan eingefügtes Lied. Er wusste nicht mehr, wie Text und Akkorde waren Also legte er das Album "Wow" in seinen tragbaren CD-Player und lauschte dem Lied. Plötzlich schlug er den Rhythmus auf Barbys kleiner Trommel mit. Es tat ihm gut, er mochte das Lied sehr. Er hörte es ein zweites Mal, um den Text wieder in sein Gedächtnis zu rufen. Dabei lauschte er genau und hörte seine eigene Stimme im Hintergrund. Sie war klar, laut und markant. Er wunderte sich, woher er all die Kraft zum Singen gehabt hatte. Früher war er ausgeglichener. Er musste sich nicht zur Wehr setzen, nicht schreien und den Fans beweisen, was er konnte.
Wieder klopfte es. Wieder stand Joey in der Tür: "Hab vorhin über Pad ganz vergessen, dass ich mir ja deine geile Gitarre leihen wollte." "Schon wieder? Wo hast du denn deine?" "Na, im Backstage." John seufzte tief und gab seinem Bruder die Gitarre: "Aber nicht, dass wieder der Hals kaputt und drei Saiten gerissen sind!" "Nöö."
Wieder war John allein. Er übte das Lied abermals, dann saß es! Stolz verließ er das Zimmer, um zum Interview zu fahren, bei dem er nur von Patricia und Jimmy begleitet wurde. Die Beiden mussten ja erklären, warum sie so lang abwesend waren. Solche Interviews hatte John gar nicht gern. Er ging mit den Beiden nochmal durch, welche Erklärungen sie abgeben sollten. Vater hatte es ja lang mit ihnen besprochen.

Bald war das Interview vorüber. Alles war glatt gegangen. Die Reporter hatten übliche Fragen gestellt. Darüber war John erleichtert, Jimmy nicht. "Wieder so viele Lügen, verdammt!" "Das hat doch die Leute nicht zu interessieren, was ihr macht, oder? Ihr wisst, dass Vater viel auf Privatsphäre..." "Ja, ja."

Bald waren sie an der Halle, wo ihr Konzert stattfinden sollte. Die Fans machten Stimmung, wie immer. Sie standen vor der Halle, während drinnen der Soundcheck überwacht werden musste. Die Kellys probten ein paar Lieder und korrigierten noch viel daran. Draußen sangen die Fans vereinzelt mit. Das hörten die Kellys natürlich nicht.
Johns größte Sorge war jetzt, dass die Akustik in Ordnung war. Er prüfte genau, konzentrierte sich, sprach mit den Technikern alles genau ab. Dann verschwanden sie hinter die Bühne.

John saß mit einem mongoloiden Kind in einem Raum und lachte viel. Er hatte diese Kinder ja so gern. Sie sind so herzlich und ehrlich. Er sprach viel mit dem Kind, machte Fotos, strahlte über das ganze Gesicht. Es lenkte ihn ab...

Dann begann das Konzert. Die Show verlief normal, bis es plötzlich auffällig viele Rückkopplungen gab. Viele Fans hielten sich die Ohren zu. Wieder was schiefgegangen!! Dachte John wütend. Er konnte sich nicht mehr kontrollieren.
Mit schweren, aggressiven Schritten bewegte er sich auf den vermeindlich besten Techniker zu: "Was is das?" "Es gibt ein paar Probleme, nichts Ernstes..." "Nichts Ernstes? Nichts Ernstes? Die Leute halten sich die Ohren zu, du Stümper! Die Akustik is die allergrößte scheiße! Total unfachmännisch aufgemacht, der ganze Müll hier!" Der Techniker wusste nicht, wie ihm geschah. John fuhr fort, er schrie jetzt: "Hab ich mir da was eingebrockt!!! Mann, was hab ich für Stümper eingestellt? Das macht jede Oma und jedes Kleinkind besser! Regel das, Alter, sonst fliegst du! Das hört auf, verstanden? Das wär ja..." Nun unterbrach er sich selbst, weil er den etwa dreijährigen Sohn eines Securitys sah. Der Kleine weinte, weil John ihn erschreckt hatte. "Nich wegen dir." Beschwichtigte John den kleinen sanft. "Papa geht nich von uns weg."
Plötzlich war John wieder ganz ruhig. Er wurde immer ruhig, wenn Kinder ins Spiel gebracht wurden. Der Techniker hatte keine Kinder, die John hätten milder stimmen können. Der Mann gab sich alle Mühe, den Fehler zu beheben. Dann konnte der Rest des Konzerts perfekt zu Ende gebracht werden.

Wieder war der älteste Kellybruder allein. Wieder dachte er nach. Eine Träne rann still über seine Wangen. Keiner bemerkte ihn dabei. Morgen würden sie wieder hier spielen. Ob dann alles glatt ginge? Er befürchtete eine neue Enttäuschung und weinte auf einmal heftiger. Früher hatte es so etwas doch auch nicht gegeben! Klar hatten die Kellys einige Stromausfälle. Klar versagte mal die eine oder andere Technik. Aber das war nie über ein ganzes Konzert gegangen und die Kellys hatten die Situation durch Späße oder Lieder mit den Fans retten können.
Plötzlich horchte John auf: Er hörte seinen kleinen Bruder Patrick Mama singen. Er saß im Nebenzimmer und begleitete sich selbst auf der Gitarre. John stimmte dies sehr traurig. Er wusste, dass es für Patrick hart war, wie er den Techniker behandelt hatte. Wieder plagte ihn das pure schlechte Gewissen und nun zuckten seine Schultern vom Weinen heftig. Er verkrampfte seine Hände in seinem Pullover und weinte völlig unkontrolliert.
Die Stimmen der Fans in den ersten Reihen hallten ihm im Kopf: "Das mit der Akustik kriegen die auch nich mehr hin." "Klingt ja furchtbar." "Typisch, Kellys! Wir sind denen scheiß egal." Diese Worte verletzten und berührten ihn sehr. Schließlich lauschte er noch 10 Min. Patrick und schlief dann ein.

Am nächsten Tag wachte John gerade noch zur rechten Zeit auf, um zu hören, wie Patricia und Angelo zu einem weiteren Interview fuhren. Er zog sich schnell an und ging zum Frühstück. Patrick saß mit gesenktem Kopf am Tisch. Er fragte ihn, was geschehen sei. Patrick erzählte ihm, dass wieder Krach auf dem Konzert gewesen sei. Die Securitys hätten sich gestritten und über John hergezogen. John verstand sie sogar.

Der Abend, kam, das Konzert war schon zur Hälfte vorbei. Es ging alles glatt, wie John es sich wünschte. Vielleicht bewirkte seine Macht doch etwas? Er war mit sich selbst nicht im Klaren. Einerseits verabscheute er den Lärm, den er selbst machte. Aber er spürte auch, dass er ihm half. Er verschaffte ihm Macht und Luxus. Aber war das alles? Es war ein innerer Kampf, den er überstehen musste....... Wäre Maite nicht........

Wieder saß John im Nightliner. Wieder ließ er das Konzert noch einmal an sich vorüberziehen. Er fühlte, dass es heute seit langem wieder gutgegangen war, das machte ihn froh. Maite saß neben ihm und küsste seine Hand. Sie sagte kein Wort, sie spürte nur, dass John grübelte. Also schwor sie, immer für ihn da zu sein.


(c) by Janine Zehe im Mai 2000

Ich verarbeite hier ein Erlebnis, dass ich auf einem Konzert hatte. Ich habe kein Wort von John verstanden, hörte ihn nur brüllen....


© Janine