Hoffnung
Sie liefen den Gang entlang, der die beiden Bahngleise miteinander verband. Die Wände waren aus gelbem Stein, der Boden aus Beton. Leuchtstangen erhellten die U-Bahnstation mit unpersönlichem, grellem Licht. Kalt pfiff der Wind an einem Eingang hinein, am anderen wieder heraus. Patricia zog den Kragen ihres gefütterten Mantels enger zusammen und war froh um ihre Handschuhe. Sie waren zu fünft: Jimmy, Barby, Maite, John und sie. Vor 10 Minuten noch hatten sie in ihrem Hotelzimmer gesessen und beschlossen es noch einmal zu versuchen. Es war bereits 2 Uhr morgens, es würden nicht allzu viele Teenie-Fans unterwegs sein, die um Autogramme und Fotos bitten würden, wenn sie in einem kleinen Bahnhof am Ortseingang ein paar Lieder singen würden. Nun lief sie mit ihrer alten Trommel in der Hand zitternd vor Kälte einfach nur weiter geradeaus. Plötzlich fasste sie Jimmy, der vor ihr gelaufen war, an der Hand und flüsterte: "Lass uns hier spielen!" Jimmy zuckte mit den Schultern und begann, seine Gitarre zu stimmen. Er kannte den Grund, wieso seine Schwester genau an dieser Stelle spielen wollte: An der gegenüberliegenden Wand saß jemand, die Knie angezogen, den Kopf gesenkt. Der zierlichen Figur zufolge war es eine Frau. Ihr Gesicht war unter einem verbeulten Hut aus hellem Leder verborgen. Sie war genau das Publikum, das sie von früher kannten und schätzten. Diese Menschen konnte man mit Musik noch beeindrucken. Sie begannen zu spielen. Patricia sang mit viel Gefühl und schaute die ganze Zeit zu der Frau hinüber, die keinerlei Reaktion zeigte. Aber Patricia war sich sicher, dass sie zuhörte. Nach einer knappen halben Stunde war das Konzert beendet und sie ging zur anderen Wand, um die Person anzusprechen. Als sie dann vor ihr stand fehlten ihr die Worte. Also stand sie einfach nur so da. Langsam erhob sich die Frau. Sie war größer als Patricia erwartet hatte, aber sie schien etwa in ihrem Alter zu sein. Immer noch war ihr Gesicht nicht zu erkennen. Doch mit einer schnellen Bewegung hob die Frau den Kopf und schaute ihr direkt in die Augen. Patricia erzitterte. Die Frau weinte. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter ohne das sie auch nur einen Muskel angestrengt hätte, doch in ihren warmen braunen Augen lag so viel Traurigkeit, Schmerz und Verzweiflung. So standen sie und schauten sich in die Augen. Tiefer als sie jemals wieder jemandem in die Augen schauen würden. Eine letzte Träne rollte über die Wange der Frau und tropfte auf ihren Mantel. Der Ausdruck der Verzweiflung blieb, doch ein kleines, wirklich kleines, Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Die Frau wandte sich ab und lief langsam den Gang entlang. Sie nahm sich den Hut vom Kopf und lange blonde Haare fielen ihr auf den Rücken. Die Schritte der Frau verhallten in der Nacht. © Lena |