Marianne

„Was sollen wir am Nachmittag machen?“, fragte der kleine Joey mit aufgeregter Stimme und schaute dabei seine Geschwister freudestrahlend an. „Am besten spielen wir Verstecken, weil uns das allen doch am meisten Spass macht, oder?“ schlug der etwas ältere Jimmy vor, welcher mit Joey immer die wildesten Spässe ausheckte. Die Sonne ging langsam unter, als der schon etwas ältere Vater seine Kinder zum Essen rief. Die Grossfamilie setzte sich um den Tisch und wartete auf Mama, doch sie kam nicht. „Papa“, fragte der 4-Jährige Patrick, der immer alles genau wissen wollte, „wo ist denn Mum?“...Das Gesicht des Mannes verfinsterte sich. „Ich, ich...ach...wir essen jetzt zuerst alle fertig, und danach setzten wir uns ins Wohnzimmer. Mum und ich müssen Euch etwas sagen...

 

„Ich bin Eure Mutter und möchte Euch grossziehen...ich liebe Euch über alles, meine Kinder und möchte nur das Beste für Euch. Doch leider kann ich nicht mehr sehr lange Eure Mutter sein, weil...“ sie hielt inne, sprach dann aber weiter, „weil mich die Engel forttragen werden, an einen Ort weit weg von hier, von wo aus ich Euch immer beschützen kann.“ “Aber“, sprach Patrick, „wo ist dieser Ort? Was ist los, von was redest Du überhaupt? Du wirst doch immer hier sein, hier bei uns...“ Die sensible Barby verstand sofort, was die Mutter mit ihren Worten ausdrücken wollte, nahm ihren kleinen Bruder in den Arm und sagte nur leise zu ihm: „Ich erkläre es Dir nachher, es wird alles gut...“. Alle wussten Bescheid, die Mutter sagte den Kindern schon vor 4 Monaten, dass sie an Krebs leidet, doch hatten sie immer alle die Hoffnung, die Krankheit würde vorübergehen. Alle wussten Bescheid, alle ausser Patrick und Maite, die beiden waren einfach noch zu klein...Nun war also der Zeitpunkt gekommen, wo es diesen kleinen Hoffnungsschimmer nicht mehr gab. Die jüngeren sowie die älteren Geschwister waren alle betrübt, sassen lange bei der Mutter und weinten gemeinsam mit ihr...Barby erklärte Patrick alles, und es schien, als würde jetzt sogar die erst 2-Jährige Maite alles verstehen...

 

„Neeeeeeein, das darf nicht sein, das kann nicht sein, ich will, das Mum hier bleibt, bitte!!!“ Patrick, der nun endlich kapierte, konnte fast nicht schlafen, und wachte am nächsten Morgen schweissgebadet auf! „Was ist los, Paddy?“, fragte die Mutter ganz fürsorglich, als sie langsam und kraftlos in Patricks Zimmer lief. „Mama, Du darfst nicht gehen, ich will, das Du da bleibst!“ Die Mutter setzte sich zu ihm ans Bett...Patrick liefen die Tränen herunter, er hielt seine Mum fest, als wolle er verhindern, das die Engel kommen und sie mitnehmen...Er war erst 4 Jahre alt, und doch traf es ihn am allermeisten, als seine Mutter für immer ging...

 

 

2. Kapitel

 

Das alles war Ende 1981, Anfang 1982. Mein Name ist Alina, und heute bin ich 26 Jahre alt. Was ich mit dieser Familie, von der ich gerade erzählte, zu tun habe? Nun, das ist eine komplizierte Geschichte...Damals, wir schrieben das Jahr 1979, war ich gerade mal 4 Jahre alt und lebte mit meinem Onkel in einem kleinen Dorf in Spanien. Es gefiel mir dort gut, doch ich sehnte mich so sehr nach Eltern, da meine eigenen kurz nach meiner Geburt bei einem Unfall ums Leben kamen...Mein Onkel übernahm die Verantwortung über mich und war bereit, das Beste für mich zu tun...Doch wie es das Schicksal wollte, nahm ihm eines Tages ein Unfall auf dem Feld, wo er jeden Tag arbeitete, das Leben. Ich war verzweifelt, hatte ja niemanden mehr...und da lief ich weinend zu dieser Familie, von der ich fast alle kannte, da ich immer mit ihnen spielte...Mutter Barbara und Vater Dan liebten Kinder und hatten solches Mitleid mit mir, das sie sofort bereit waren, mich aufzunehmen. Bei so vielen Kindern, meinten sie, komme es auf eines mehr oder weniger nicht mehr drauf an...

 

Ich hatte auch sehr an Mutter Barbara gehangen, weil sie für mich eine Ersatzmutter war, doch ich konnte es von allen am besten verkraften, als sie uns verliess. Ich sah der Familie Kelly die Trauer an. Auch ihr Benehmen wurde anders, sie waren sehr ruhig geworden und machten ein Jahr lang keine Musik mehr, die sie doch immer so liebten...

 

1983 aber entschlossen sie sich, weiterzumachen. Sie wollten stark sein und ihre Mutter sagte doch, das sie nicht aufhören dürfen. Also sangen sie weiter...für ihre Mutter.

Fast unerwartet kam 1994 der grosse Erfolg. Jeder kannte die Kelly Family, jeder wollte sie sehen, auch jeder wollte in der 1. Reihe stehen...bis es zu viele wurden, und eine regelrechte Hysterie ausbrach. Anfangs war es für die Geschwister total aufregend zu sehen, wie sehr sie umschwärmt wurden...sie genossen diese Zeit...Doch nach einer Weile wurde es allen zu viel...1998 waren manche von ihnen am Ende. Patrick hatte Nervenzusammenbrüche, Barbarina zog sich immer mehr in sich zurück, Jimmy machte eine lange Pause,...und auch den anderen Geschwistern ging es nicht immer blendend, doch sie liessen sich nichts anmerken...Die Fans wollten die Kellys immer lächeln sehen, immer...

 

 

3. Kapitel

 

Ich war auch ein Teil dieser Familie, doch von allen hatte ich es am einfachsten, da mich die Fans nicht kannten. Klar, sie konnten ja nicht wissen, das ich früher bei den Kellys lebte, mit ihnen gross wurde. Ich stand immer im Publikum oder hinter der Bühne, während die Kellys Konzerte gaben, und ich fand das ok so...

Es mag seltsam klingen, aber 1999 fing ich an zu beten. Ich fing an, mir tiefe Gedanken zu machen. Mann, die Kellys konnten nicht mehr lachen!!! Und das Lachen eines Menschen ist das Wertvollste, was es gibt. Die Fans meinten immer, die Kellys seien glücklich. Doch ich sah ihnen doch an, das es ein gekünsteltes Lächeln war, und es schmerzte mich sehr, das mit ansehen zu müssen...Ich wollte etwas tun...und was blieb mir schon anderes übrig, als zu beten???

 

Jeden Abend also sass ich in meinem Bett und betete...ich betete nicht zu Gott, nein,...sondern zu Mama, zu Mama Kelly. Es verging ein ganzes Jahr, als ich, während dem Beten, plötzlich hochschreckte. Ich hörte eine Stimme! Es war...eine sehr zärtliche, feinfühlige Stimme...Ich glaubte nicht daran, und dachte, das ich wohl langsam durchdrehe. Also knipste ich das Licht an, und ging in die Küche, um etwas zu trinken...

 

Als ich gerade wieder am Einschlafen war, war diese Stimme wieder da! Doch diesmal wollte ich nicht mehr aufstehen, ich war zu müde, und lauschte der Stimme, auch wenn ich mir sicher war, langsam zu spinnen...“Alina, bitte passe auf meine Kinder auf. Ihre Herzen zerbrechen sonst.“ Jetzt war ich wieder hellwach und schweissgebadet!!! Es war die Stimme von Mama Kelly...von wem denn sonst??? Ich konnte das fast nicht glauben, und erzählte dies, es war der 14. Februar 2000, den Kellys. Sie konnten das nicht so richtig glauben. „Ach, hör auf, Alina. Du willst uns doch nur aufmuntern. Wir vermissen Mama, und wir kommen mit dem Erfolg langsam nicht mehr klar. Und Du willst verhindern, das es uns schlecht geht. Dies ist wirklich total lieb von Dir, doch das, was Du uns gesagt hast, ist nicht wahr. Mama kann nicht mit Dir sprechen. Nicht mit Dir, und nicht mit uns...schon lange nicht mehr...“, kam es aus Patricks Mund, und alle schwiegen...

 

Ich war verzweifelt!!! Ich hatte ein Jahr lang gebetet. Ich glaubte nie daran, das mich Barbara hören würde...doch nun hörte ICH SIE. Was sollte ich bloss machen??? Ich wartete erstmals ab, und betete Abend für Abend weiter...“Alina“, war da eines Abends wieder die Stimme von Mama Kelly, „Du bist die Einzige, die mich hören kann. Meine Kinder können mich nicht hören, da sie zu traurig sind und nicht mehr an Wunder glauben, doch Du kannst es, und ich bin glücklich darüber. Du darfst nicht aufgeben, hörst Du mich??? Die anderen glauben Dir nicht, das ich mit Dir spreche, doch wenn Du ihnen immer wieder erzählst, das es wahr ist, und sie daran glauben, erst dann kann ich ihnen das sagen, was ich schon lange wollte...“ Ich war durcheinander, und konnte die ganze Nacht nicht mehr schlafen...

 

 

4. Kapitel

 

Mittlerweile schrieben wir den Frühling 2001, Konzerte in Holland und Belgien waren angesagt. Jeden Abend standen sie, mittlerweile nur noch zu sechst, auf der Bühne, und gaben ihr Bestes. Sie wussten alle, das es ihre letzte Tour sein würde, und bemühten sich deshalb um so mehr für ein Lächeln...ein Lächeln, welches nicht mehr von Herzen kam...

 

Die Situation wurde immer verstrickter. Einige Geschwister zerstritten sich, und nichts war mehr so wie früher. Ich trichterte ihnen immer wieder ein, Mama Kelly gehe es gut, und ich habe mit ihr geredet, doch es schien mir niemand zu glauben, bis etwas geschah, was mich überglücklich machte...

 

Per Zufall waren an diesem Abend alle 9 Kellys plus Papa Dan, im Schloss. Wir sassen um den grossen, runden Tisch herum und waren relativ ausgelassen, da die Geschwister eingesehen hatten, das es nichts brachte, sich zu verstreiten. Auf einmal ergriff Jimmy das Wort: „Hört mir mal kurz zu. Alina gehört schon lange zu unserer Familie. Sie ist eine liebevolle Schwester für uns, und wir sind ihr für alles, was sie schon für uns getan hat, dankbar. Wenn wir auf Tour sind, kocht sie für uns, wenn wir im Schloss sind, hilft sie bei den Hausarbeiten. Und in letzter Zeit versuchte sie auch immer, uns aufzumuntern. Sie erzählte uns von Mama, die sich Sorgen macht, und möchte, das wir glücklich sind. Also ich denke, wir sollten Alina langsam Glauben schenken“ „Jim, ich weiss nicht so recht“, kam es aus Joeys Mund. „Ja, aber was ist, wenn das, was uns Alina seit Monaten erzählt, wirklich stimmt? Ich meine, sie wird uns doch bestimmt nicht die ganze Zeit anlügen, das würde sie nie tun.“ Ich sass ganz steif auf meinem Stuhl, und wusste nicht, was sagen...Ich war einerseits sehr überrascht, auch ängstlich und unsicher, auf der anderen Seite aber überglücklich...“Jimmy?“ flüsterte ich ihm beim Verlassen des Tisches ins Ohr. „Ja, was ist denn?“ „Danke.“ „Für was Danke?“ „Du wirst sehen...“

 

Ich fiel richtig erleichtert ins Bett. Endlich hatte mir, auch wenn es nur jemand war, Glauben geschenkt!!! Endlich...

Am Nächsten Morgen frühstückten wir alle gemeinsam, so wie es nun öfters sein würde, da die Kellys ja beschlossen hatten, nie wieder grosse Konzerte zu gehen. Sie genossen ihre Freizeit, und wollten in einigen Monaten in kleinen Pubs auftreten. Das würde ihnen viel Spass machen, da dort keine Hysterie stattfinden, und die Menschen auf ihre MUSIK achten würden...

 

 

5. Kapitel

 

„Kinder, macht Euch keine Sorgen, ich bin immer bei Euch.“ „Wer war das?“, kam es schon fast ängstlich aus Barbys Mund. „Kinder, es ist schön, das Ihr mich endlich hören könnt.“ Barby ging ein Licht auf. Auch Joey und all die anderen Geschwister schienen endlich zu verstehen. „Ich wusste es...“ flüsterte Patrick...

„Kinder, endlich habt Ihr Alina Glauben geschenkt, denn nur so kann ich mit Euch sprechen. Alina ist nicht irgendein Mensch, sie ist Euer Schutzengel. Als ich von der schrecklichen Nachricht erfuhr, das ich Krebs habe, betete ich jeden Abend für einen Schutzengel, der Euch immer aufmuntern kann, wenn es Euch schlecht geht...“ Oh...mir blieb die Kinnlade unten, denn davon hatte ich nun auch nichts gewusst. Ich war doch auch eine ganz normale Schwester der Kellys, auch wenn ich nicht mit ihnen verwandt war. Aber ein Schutzengel??? Konnte das sein? Mama Kelly schien meine Gedanken lesen zu können, und sprach weiter: „Ja Alina, Du bist der Schutzengel, und nur durch Dich kann ich Deinen Geschwistern etwas sagen, was ich schon lange wollte“...“Was denn?“, fragte Patrick sehr vorsichtig. „Bitte, gebt nicht auf! Lasst Euch durch die Fans nicht fertig machten, lebt Euer Leben...und noch etwas...KEEP ON SMILING...“ Die Worte der Mutter wurden immer leiser...Und auf dem Gesicht der Geschwister, und auch von Papa Dan, breitete sich ein Lächeln aus...ein wahres Lächeln...das erste RICHTIGE Lächeln seit vielen Jahren...

Den Kellys fiel ein Stein vom Herzen, ein Stein, den sie lange mit sich rumschleppen mussten. Nun wussten sie alle, das sie wieder auf Tour gehen würden, alle zusammen, und sich nicht von den Fans einengen lassen würden...Sie würden das tun, was sie wollen...denn jetzt hatten sie ihre Lebensfreude und IHR Lächeln zurück...und das konnte ihnen niemand mehr nehmen...




By Marianne, 7. Oktober 2001