Kräuterhexe

by Barby K.   BarbyK@gmx.de

 

Es war ein warmer Sommermorgen und die Sonne lachte in das Schlafzimmerfenster von Patricia Kelly. Sie war schon lange wach, genoss es aber, im weichen Bett zu liegen und die Sonne zu genießen. Sie wollte einfach nicht aufstehen, denn dann würden sie nur wieder ihre Geschwister nerven. In letzter zeit wollte sie lieber allein sein und es einfach genießen, auf der Welt zu sein. Sie dachte an ihre Mutter und lächelte sanft. Sie würden sich gut verstehen, da war Patricia sich sicher. Denn sie hatte viel mit ihrer Mutter gemeinsam. Und sie würde auch niemals die Schuld bei sich suchen, wenn etwas schlimmes passiert war, wie es zum Beispiel ihr Bruder Patrick immer tat.

Schließlich entschied sie sich doch dafür, endlich aufzustehen. Sie hatte auch etwas Hunger bekommen und hatte Lust auf ein schönes gesundes Frühstück. Sie liebte es, gesund zu Essen, und hatte fast alles in ihrem Kräutergarten selber angebaut. Es war mal wieder Zeit zu ernten, dachte sie sich und beschloss, gleich nach dem Frühstück in den Garten zu gehen. Sie setzte sich an den gedeckten Tisch und war sehr froh, dass keiner seiner Geschwister im Haus zu sein schien.

Sie nahm sich die Zeitung vor und blätterte sie durch, während sie ihr Müsli in sich hinein löffelte. Es stand nicht besonders viel drin, was sie interessierte, doch beim Anzeigenmarkt des Lokalteils blieb sie stocken. Da war doch glatt eine Anzeige zu einem Kräutermarkt ganz in der Nähe. Von so etwas hatte sie noch nie gehört, und sie war froh, die Zeitung gelesen zu haben. Natürlich würde sie dort hingehen, denn sie interessierte sich sehr für alles, was mit Kräutern zutun hat. Und da würde sie sicher auch neue Anregungen für ihren Garten finden. Sie beschloss, gleich nach dem Frühstück loszugehen und schob das Müsli weiter in sich hinein. Ihren Geschwistern würde sie einfach einen Brief schreiben und ohne Bodyguards gehen, das hatte sie einfach mal wieder nötig.

Sie betrat gerade das Marktgelände, als ihr der süße Duft von Minze in die Nase stieg. Und auf ihrem Gesicht breitete sich gleich ein Lächeln aus. Sie war sehr froh, hergekommen zu sein, denn hier könnte sie viel lernen. Vor ihr breiteten sich Stände aus, und jede Menge beschäftigte und interessierte Menschen gingen auf und ab. Sie würde sicher nicht besonders auffallen, wenn sie sich einfach unter die Menschen mischte. Denn sie hatte heute keine Lust auf Fangetue und Autogrammjagd. Also zahlte sie das Eintrittsgeld und mischte sich unter die Menge. Sie wusste gar nicht, wo sie zuerst langgehen sollte, denn es roch nicht nur alles gut, sondern sah auch noch gut aus. Zu ihrer linken befand sich ein lange Weg, der voller Stände war. Und die Stände waren alle voller Kräuter. Patricia hatte zwar schon gewusst, dass es eine Unmenge an Kräutern gab, aber sie war sich sehr sicher, dass sie hier noch etwas neues dazulernen würde und einige Kräuter kennen lernen würde. Sie konnte es gar nicht erwarten.

Sie stand gerade an einen Stand, der Informationsmaterial über verschiedene Heilkräuter bot, als die Frau sie ansprach. Sie war recht klein, hatte ein markantes Gesicht mit dennoch weichen Zügen und einem freundlichen Lächeln. Auf dem Kopf trug sie ein Tuch, dass ihre Haare verbarg und sie wie eine kleine Hexe aus dem Bilderbuch aussehen ließ. Patricia lächelte sie an, denn sie schien sich auch sehr für die Heilkräuter zu interessieren. Und irgendwie passte es auch, fand Patricia. Und dann kam die Frau auf sie zu und fragte: "Mein Kind, möchtest du eine Menge über Heilkräuter lernen? Ich kann dir eine Menge beibringen, wenn du mir vertraust." Patricia wusste nicht so recht, was sie darauf antworten sollte. Natürlich wollte sie etwas über Heilkräuter lernen, das war ihr Lieblingsgebiet, doch was sollte man einem fremden Menschen sagen, der einen danach fragte? Sie überlegte kurz, sah aber keinen Grund, der fremden Frau nicht zu vertrauen, schließlich war sie viel zu alt und gebrechlich, um einen schlechten Gedanken zu hegen. "Ja, ich möchte viel lernen, wirklich", sagte Patricia und lächelte. Sie wusste nicht, ob die Frau eine Ahnung hatte, wer sie war, aber das war ihr in dem Moment auch egal. Es ging ihr schließlich nur um die Kräuter. Sie nahm eine Tüte Johanneskraut entgegen, was sie gerade gekauft hatte, und wandte sich der alten Frau zu. Es würde sicher interessant sein, sich mit ihr zu unterhalten.

"Ich habe eine Art Kräuterschule gegründet. Wenn du willst, kannst du mich mal besuchen kommen, mein Kind. Ich werde dir alles beibringen, was du über die Kräuter wissen willst, denn niemand kennt sie so gut wie ich." Dann sah sie auf das Johanniskraut: " Eine gute Wahl, es ist sehr gut gegen Verstopfung und Hämorriden. Sehr wirksam, wirklich, ich sehe schon, du hast Charakter und Verstand, so was mag ich."

Patricia lächelte. Sie wusste nicht was sie dazu sagen sollte, also nickte sie einfach. Die alte Frau hatte sie sehr neugierig gemacht und sie war sich sicher, dass sie die Frau wirklich einmal besuchen wollte. Auch wenn sie nicht so ganz wusste, was das alles sollte. Die alte Frau gab ihr ein kleines Kärtchen in die Hand und verschwand mit dem Satz: "Komm einfach vorbei, mein Kind". Patricia blieb allein zurück und sah ihr verdutzt nach, wie die Frau in der Menge verschwand. Dann sah Patricia sie nicht mehr. Sie warf einen Blick auf die Karte und stellte mit Erstaunen fest, dass überhaut nichts draufstand. Sie drehte sie um, konnte aber leider weder eine Adresse, noch irgendeine andere Notiz finden. "Na gut", dachte sie sich, "war also nur ein schlechter Witz." Das hatte sie leider laut gedacht, denn schon war die Verkäuferin, die ihr das Johanneskraut verkauft hatte, zur Stelle. "Du musst deine Kräuter darüber streuen, sie bleiben dort kleben, wo etwas steht. So kannst du es lesen", sagte sie. "Ein Wunder das du den alten Kräutertip mit der Geheimschrift nicht kennst, dass ist doch ein uraltes Rezept, bist wohl noch nicht so lange dabei, was?"

Patricia nickte, nein, das kannte sie wirklich noch nicht. Sie hatte aber Lust, es gleich auszuprobieren. So langsam kam ihr die alte Frau sehr merkwürdig vor. Wie kommt jemand darauf Visitenkarten in Geheimschrift zu machen. Das war wirklich sehr merkwürdig, und es weckte Patricias Interesse noch mehr.

Sie legte die Karte auf den Verkaufstisch und öffnete die Tüte mit dem Johanneskraut. Sie hatte so was noch nie gemacht und die Verkäuferin gab ihr einen guten Ratschlag. "Du musst es einfach sanft hinüberstreuen, eine Minute liegen lassen, und dann das lose Kraut wieder runterpusten. Ich denke, dann kann man es lesen."

Und so geschah es auch. Patricia streute das Kraut vorsichtig über die Karte und ließ es mehr als eine Minute lang darauf. Dann hob sie die Karte etwas an, beugte sich hinunter und pustete sanft dagegen. Beim ersten mal war es etwas zu sanft, nur wenige Körner des Krautes flogen davon. Sie pustete etwas fester und tatsächlich, ein paar der Körnchen blieben auf der Karte wie festgeklebt liegen. Nach einiger Zeit konnte sie es wirklich lese. Auf der Karte stand:

Madam Bonvour
Eselring 4

Patricia dankte der Verkäuferin und ging davon. Sie würde sicher einmal hingehen, das war klar. Sie war sogar so gespannt, dass sie am liebsten sofort hingegangen wäre, doch die gute Frau war jetzt sicher noch nicht zu Hause. Also ging sie noch eine Weile über den Markt und sah sich die verschiedenen Stände an. Es war wirklich interessant, doch sie konnte sich nicht mehr recht auf die Sache konzentrieren. Also ging sie auch bald wieder nach Hause, hatte noch eine Tüte Sonnenblumenkerne im Schlepptau und nahm sich vor, gleich am nächsten Tag zu Madam Bonvour zu gehen.

Am nächsten Tag machte sie sich wirklich gleich auf den Weg. Es war nicht weit, sie hatte die Strasse im Stadtplan rausgesucht und festgestellt, dass man da gut zu Fuß hinlaufen konnte. Also nahm sie ihre Tasche und machte sich auf den Weg. Sie war schon sehr gespannt, was die alte Frau ihr wohl erzählen würde, und es hätte sie nicht gewundert, wenn sie vor einem Hexenhaus aus Lebkuchen stehen würde. Doch dem war nicht so. Es war ein sehr schnuckeliges altes Häuschen, das wirklich passend aussah. Durch die Fenster schien Licht, also müsste sie zu Hause sein. Patricia suchte nach einer Klingel, doch als sie keine finden konnte, klopfte sie zweimal laut. Und kurze zeit später hörte sie auch schon die Schritte vor der Tür. Madam Bonvour öffnete die Tür und hieß sie willkommen. Patricia trat ein und vernahm sofort den fremdem Geruch. Diesen konnte sie aber nicht einordnen, so fremd war er ihr. Er hieß auf jeden Fall etwas besonderes, dessen war sie sich sicher.

Die alte Frau führte sie in ein großes Zimmer, das nach allen möglichen Kräutern roch und bot ihr an, sich zu setzen. Auf dem Tisch standen ein paar Kekse, die selbstgebacken aussahen. Und in einem Regal standen sehr viel Kräuter in kleinen Döschen. In der Ecke stand ein Spinnrad und Patricia sah es sich verzückt an. Sie mochte dies alten Geräte und es versprach viel Persönlichkeit, das war sicher. Sie ging hin und untersuchte es genau. Und als sie auf die alte Spindel sah, da stach sie sich wie einst Dornrösschen in den Finger. Sie fluchte leise, leckte das Blut ab und ging zurück zu dem Sessel, auf dem sie sich schon vorher niedergelassen hatte. Doch Madam Bonvour hatte das Mistgeschick mitbekommen und bat darum, ihren Finger zu sehen. Patricia zeigte ihn, und Madam stand sofort auf und ging zu ihren Regal. "Da muss ich doch was machen, schließlich bin ich ja nicht umsonst die beste Kräuterhexe die es gibt." Sie holte eines der kleinen Fläschchen aus dem Regal und hielt es Patricia hin. "Hier, das Barbarakraut, es ist sehr gut bei solchen Verletzungen. Nimm ein Blatt und reib es auf die Wunde". Patricia tat wie ihr befohlen und sofort hörte der stechende Schmerz auf. Es schien wirklich ein Wundermittel zu sein, und sie war froh, so eine gute Heilerin gefunden zu haben. Als es aufhörte zu bluten, sah sie sich die Flasche genauer an. Ja, Barbarakraut, war doch klar dass das helfen würde. Schließlich hieß ihre Mutter auch Barbara und die war eine Heilige. Patricia hatte nie daran gezweifelt, ihre Mutter würde ihr immer helfen. Die heilige Barbara.

Patricia unterhielt sich noch lange mit Madam Bonvour und sie ließ sich die verschiedensten Kräuter zeigen. Als es langsam Abend wurde, und sie einen leckeren Tee zubereitet hatte, verabschiedete sich Patricia. Und sie schwor, bald wieder einmal zu kommen, denn sie hatte sich lange nicht mehr so wohl gefühlt.

Zu Hause angekommen ging sie sofort in ihren Garten und pflanzte die Barbarakrautsamen, die sie mitgenommen hatte. Sie hatte das Kraut schon lange in ihr Herz geschlossen, und sie beschloss, Madam Bonvour einen Tee daraus zu machen, wenn sie gewachsen waren. Zufrieden schlief sie am Abend ein und war fest der Überzeugung, eine neue Freundin gefunden zu haben. Leise dankte sie ihrer Mutter, für diesen schönen Moment.


Barby K. 07. Jun. 2001


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