I
Es war drei Uhr in der Früh und Maite konnte nicht mehr einschlafen. Sie wusste nicht, was sie wach gemacht hatte. Es war nichts zu hören. Sie lauschte doch im Raum war eine Totenstille. Sie versuchte sich an ihren Traum zu erinnern, doch die Bilder waren schon zu verblasst. Sie beschloss aufzustehen und sich etwas zu trinken zu holen. Nachts kam es oft vor, dass sie Durst bekam. Sie suchte ihre Hausschuhe und trat auf den Flur. Um die anderen nicht zu wecken ließ sie das Licht aus. Sie ging die Treppe hinunter und wollte gerade in die Küche gehen, als sie ein Geräusch hörte. Sie blieb stehen und lauschte. Es hörte sich an, als wäre jemand in der Küche und spülte das Geschirr. Wer könnte sich so spät in der Nacht an der Hausarbeit betätigen? Sie schüttelte den Kopf und betrat die Küche. Was sie da sah, ließ ihr den Atem stocken. Vor der Spüle schwebte ein Geist und machte den Abwasch. Noch bevor Maite schreien konnte, schwebte der Geist zu ihr und hielt ihr die Hand vor den Mund.
"Pst, du willst doch wohl nicht die anderen wecken", sagte er mit seiner hauchdünnen Stimme. "Du brauchst keine Angst zu haben, ich will euch nur ein wenig bei der Arbeit helfen." Dann ließ er Maite wieder los. Sie hatte viel zu viel Angst um etwas zu sagen. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, so was hatte sie natürlich noch nie erlebt. Sie zitterte am ganzen Körper.
"Hey", sagte der Geist, "wir werden doch wohl nicht etwa Angst haben. Ich hieße übrigens Kurt, und ich fände es sehr nett, wenn du dich auch mal vorstellen würdest." "Mai...te", stammelte sie ihren Namen. Kurt war wirklich ein lustiger Name für einen Geist, doch es war ihr nicht zum lachen zumute. Sie sah sich in der Küche um, es schien sich nichts verändert zu haben.
"Gut Maite, wo wir uns nun bekannt gemacht haben, könntest du mir wenigstens beim Abwasch helfen." Und mit den Worten nahm er ihre Hand und führte sie zur Anrichte. Maite nahm benommen das Trockentuch und begann das Geschirr abzutrocknen. Mit offenen Mund stand sie da und ließ Kurt nicht aus den Augen. Dann erst hatte sie sich wieder berappelt und konnte sprechen.
"Was bist du?", fragte sie.
"Sieht man das denn nicht? Ich bin der Schlossgeist von Gymnich."
Was anderes hatte Maite auch gar nicht erwartet.
"Dann stimmt die Legende über den Geist also doch", stellte sie fest. "Ich kann es gar nicht fassen."
"Damit du dir weitere Fragen sparen kannst, werde ich dir ein wenig über mich erzählen. Wie schon gesagt, ich heiße Kurt. Ich wohne unten im Keller und komme nur des Nachts herauf. Mit deinem Bruder Patrick habe ich schon vor fast einem Jahr Bekanntschaft gemacht, ist ein netter Bursche."
Maite nickte. Das war also Patrick großes Geheimnis und der Grund warum er des Nachts so oft aufstand. So langsam wich ihre Angst vor Kurt. Er schien keine bösen Absichten zu haben. Und es sah tatsächlich so aus, als wolle er ihnen nur bei der Hausarbeit helfen. Als sie mit dem Abwasch fertig waren, setzten sie sich noch etwas an den Küchentisch und plauderten bis früh in den Morgen. Und erst als Maite die Augen zufielen beschloss sie, wieder ins Bett zu gehen. Die anderen mussten auch bald wach werden und Kurt musste zurück in den Keller. Sie schwor ihm noch, außer mit Patrick mit niemanden über die Begegnung zu reden, es sollte ihr Geheimnis bleiben. Maite legte sich ins Bett und dachte übe Kurt nach. Eigentlich war er gar nicht so Furcht einflößend wie sie anfangs gedacht hatte. Irgendwie mochte sie ihn. Und sie war sich schon immer sicher, dass hier nur ein guter Geist wohnen konnte.
II
Am nächsten Morgen schlief Maite natürlich sehr lange. Und Angelo war schon mehrmals reingekommen um sie zu wecken, als sie endlich aus den Federn sprang. Und sofort musste sie an die vergangene Nacht denken. Kurt, wo er jetzt wohl war. Sie überlegte, wo er sich versteckt halten könnte, wo sie doch am Tag auch oft in den Keller gingen. Im Musikraum war er ganz sicher nicht, vielleicht in der Wäsche-Kammer oder im Speisekeller. Da konnte man sich gut verstecken und so ein Geist konnte sich sicherlich auch sehr klein machen. Sie beschloss nach dem Frühstück auf die Suche nach ihm zu gehen. Und dann wollte sie noch mit Patrick darüber reden. Aber er war sicherlich noch am schlafen. Also stand sie auf und ging in die Küche hinunter. Ob die anderen sich wohl fragten, wer den Abwasch gemacht hatte? Sie grinste in sich hinein und wünschte ihren Geschwistern einen guten Morgen. Sie saßen alle zusammen am Frühstückstisch und sogar Patrick war schon auf. Sie sah auf die Uhr, es war gleich 12 Uhr Mittags, und es war ein Wunder, dass sie nicht mehr müde war. Nach dem Frühstück beschloss sie, Patrick wecken zu gehen. Er war sicher wieder die ganze Nacht auf gewesen und hatte Gitarre gespielt, das machte er öfters. Es war natürlich klar, worüber sie mit ihm sprechen wollte, und dafür mussten sie allein sein. Niemand sollte davon Wind bekommen, dass hatte sie Kurt versprochen. Sie wusste zwar nicht, warum er so ein Geheimnis um sein Dasein machte, aber er hatte sicher einen guten Grund. Sie betat Patricks Zimmer und weckte ihn sanft aus den tiefsten Träumen. Er gähnte und sah sie mit schläfrigen Augen an.
"Was willst du?", brach er hervor, ohne ihr auch nur einen guten Morgen zu wünschen.
"Ich wollte dir nur von meiner Begegnung gestern Nacht erzählen. Ich habe Kurt kennen gelernt, mehr wollte ihr dir eigentlich nicht erzählen." Und schon stand sie wieder auf und drehte sich zum gehen um.
"Was? Du hast Kurt kennen gelernt, so warte doch..."
Maite grinste, sie wusste, dass sie ihn damit neugierig machen konnte.
"Ich soll dich schön von ihm grüßen", und wieder drehte sie sich zum gehen um. Doch Patrick wollte sie immer noch nicht davon gehen lassen.
"Warte, wie... wie hast du das gemacht, er versteckt sich doch immer so gut.", fragte Patrick.
"ich weiß nicht, er war auf einmal da und hat den Abwasch gemacht. Ich wollte mir nur etwas zu trinken holen. Ich habe ihm dann bei der Arbeit geholfen und wir haben uns lange unterhalten."
Mehr konnte Maite dazu eigentlich auch nicht sagen. Sie wusste nicht, warum sie ihm alle Einzelheiten erzählen sollte. Patrick kannte Kurt schließlich schon länger, und mit Sicherheit auch schon viel besser.
"Du hast doch hoffentlich den anderen nichts erzählt." Patrick glaubte also im Ernst, dass sie so blöd wäre den anderen von Kurt zu erzählen. Sie war ein wenig enttäuscht über das fehlende Vertrauen und schüttelte den Kopf.
"Natürlich nicht, was denkst du denn. Ich werde das Vertrauen, dass er mir gegenüber gebracht hat, doch nicht ausnutzen. Ich kann das schon für mich behalten."
"Umso besser, er mag es nicht, wenn man mit ihm angibt oder daraus eine große Sache macht", sagte Patrick, "also bleibt es also unser Geheimnis."
Maite nickte, sie war froh, endlich auch mal etwas so wichtiges zu wissen. Und sie war sich sicher, dass sie Nachts nun öfter aufstehen würde, um ihrem neuen Freund etwas Gesellschaft zu leisten.
Barby K. 16.09.2001