Lieber Langeweile, oder ?!

by Barby K.   BarbyK@gmx.de

 

Als er aus dem Fenster sah, da musste er lächeln. Sie hatten immer noch nicht rausgefunden, wo er wohnte. Und er wäre bestimmt der Letzte, der es ihnen sagen würde. Es half also doch, nicht allzu oft raus zu gehen und sich hier in der Gegend aufzuhalten. Und mit einem genialen Plan konnte man die Mädchen so schnell in die Irre führen. Das machte besonders viel Spaß. Dennoch bekam er jedes Mal einen halben Schock, wenn es an der Tür klingelte. Das kam selten vor, und meistens waren es nur seine Geschwister oder der Postbote, aber er hatte früher schon andere Erfahrungen gemacht. Seinen Namen hatte er natürlich nicht an die Klingel geschrieben, aber er wollte auch nicht, dass seine Geschwister ihn oft besuchen kamen. Zu groß war die Gefahr, dass sie dabei gesehen wurden. Lieber ging er zu ihnen oder sie trafen sich in einem Hotel, wo er auch immer noch oft war.
Heute allerdings wollte er zu Hause bleiben und die Ruhe genießen. Er hatte schließlich nicht jeden Tag frei, und das wollte er ausnutzen. Einfach mal nichts tun, den ganzen Tag langweilen und abhängen, darauf hatte er sich schon gefreut, und in der letzten Zeit hatte er das sehr vermisst. Und diese Ruhe hier, keine lauten Rufe, keine Musik und niemand, der etwas von ihm wollte. Einfach nur er, allein. Er legte sich auf sein Bett und starrte die Decke an. Während er so da lag, bekam er plötzlich einen Ohrwurm von dem Lied, was seine Schwester ihm letztens vorgespielt hatte und er summte es leise vor sich hin. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt schlug er ein Bein über das andere und fing an mit dem Fuß im Takt zu wippen. Musik, ja, Musik musste her. Ohne dem war es einfach zu ruhig. Er ging zu seiner Anlage und legte eine Platte auf. Das tat gut. Erst mal ganz leise, zum entspannen.
Dann fiel ihm ein, dass er ja alleine war, da konnte er das doch so laut machen, wie er wollte. Und schon war der Bass aufgedreht und er sprang erst mal durch das Zimmer. Das macht Laune. Und nun? Er ging wieder zum Fenster. Tatsächlich, da stand niemand. Niemand... Entweder sie wussten wirklich noch nicht, wo er wohnt, oder sie hatten einfach andere Interessen gefunden. Ach, das konnte nicht sein. Er war doch schließlich die Nummer Eins.
Gut, was jetzt? Vielleicht sollte er seine Schwester anrufen. Ach nein, er wollte doch heute seine Ruhe vor allen haben. Und die war sicher auch beschäftigt. Er würde sich nur melden, wenn es wirklich wichtig wäre. Aber wenigstens anrufen könnte er doch. Er brauchte sie ja nicht einladen, einfach nur fragen, was sie gerade machte. Und schon hatte er den Hörer in der Hand und wählte die Nummer. Nachdem er es mindestens zwanzig mal durchklingeln gelassen hatte, legte er auf. Er hatte keine Ahnung wo die sich wieder rumtrieb, aber wie er es sich schon gedacht hatte, war sie beschäftigt.
Er setzte sich auf sein Bett und fing mal wieder an, eine Melodie zu summen. Sogleich griff er nach seiner Gitarre und suchte die passenden Griffe. Es klang echt gut, meistens fällt ihm so was immer Zwischendurch ein. Aber Moment mal... Es war doch sein freier Tag. Wieso machte er sich dann an die Arbeit und überlegte sich einen neuen Song? Nein, das hatte wirklich Zeit, und Ideen hatte er schließlich immer genug. Also die Gitarre wieder zurück in den Ständer.
Er ging in die Küche und sah in den Kühlschrank. Viel war nicht mehr drin, aber hier wollte er nicht einkaufen gehen. Er nahm sich den letzten Pudding und löffelte ihn leer. Vielleicht kam etwas im Fernsehen? Er zappte alle Programme durch, fand aber nichts unterhaltsames. Schließlich blieb er bei einem Zeichentrick hängen. Lustig war es nicht, spannend war es nicht, und besonders gut gemacht war es eigentlich auch nicht. Der Inhalt war entsprechend leer, aber wenigstens ging so überhaupt die Zeit rum. Nach der einen Sendung sah er sich noch eine zweite an, und schließlich eine dritte. Zwischendurch holte er sich noch etwas zu essen und mampfte nebenbei Schokolade in sich hinein. Eigentlich machte er das sonst nie, aber beim Fernsehen bemerkte man das ja kaum. Nach zwei Stunden konnte er diese Kindersendung, deren Inhalte sich in jeder Folge nicht großartig unterschieden, nicht mehr sehen.
Vielleicht gab es im Internet ja etwas Unterhaltung. Er startete seinen Computer und ließ sich einwählen. Doch zu seiner Enttäuschung war keiner seiner Freunde online, mit denen er sonst öfters mal chattete. Aber man konnte sich ja auch etwas im World Wide Web umsehen. Da gab es doch ein paar spezielle Seiten, die er gerne besuchte. Er gab die Adresse ein und drückte auf laden. Die erste Seite gab es nicht mehr, die zweite konnte nicht gefunden werden, die dritte hatte schon seit Monaten kein Update mehr gebracht und bei der vierten stürzte dann sein Rechner ab. Er fluchte, haute auf die Tastatur, und gab es dann auf. Gut, dann eben nicht.
Gibt ja noch genug andere Sachen, die man machen kann. Er könnte genüsslich an seinem Buch weiter lesen. Dazu kam er ja sonst nie. Und das konnte wenigstens nicht abstürzen. Er ging wieder ins Schlafzimmer, nahm das Buch vom Nachttisch und legte sich damit auf sein Bett. Wo hatte er nur noch mal aufgehört zu lesen? Wie immer hatte er mal wieder kein Lesezeichen in die Seite gelegt, und so begann er zu suchen. Nein, da war er schon. Also ein paar Seiten weiter... da vielleicht... nein, das kam ihm auch schon bekannt vor. Ah, das war neu... zu neu. Wo war der Zusammenhang. Was war überhaupt noch mal als letztes passiert? War schon so lange her, dass er das letzte Mal darin gelesen hatte. Eigentlich müsste er noch mal von vorne anfangen, zumindest stellenweise darin lesen, damit er wieder wusste, was eigentlich passiert war. Aber die ersten paar hundert Seiten alle noch mal lesen? Nein danke. Er legte das Buch wieder zur Seite. Irgendwie wollte er heute auch an nichts so richtig Lust finden.
Ob er noch mal jemanden anrufen sollte? Aber wen bloß? Ja, der vielleicht.... oh, besetzt. Wahrscheinlich quatschte er wieder mit seiner Freundin. Das konnte Stunden dauern. Und sein Bruder? Ja, der war da. Legte aber nach einer Minute wieder auf, weil er gerade am Essen war. Da sollte man ihn besser nicht stören. Er sah auf die Uhr. War noch viel zu früh zum schlafen gehen, was sollte er die Zeit über noch machen? Jetzt ein entspannendes Bad, das wäre was feines. Er ließ sich Wasser einlaufen und zog sich aus. Als er vorsichtig einen Fuß in das Wasser hielt, bemerkte er, dass es viel zu heiß war. Er ließ noch mal etwas kaltes Wasser hinzu und stieg dann langsam ein.
Kaum lag er und schloss die Augen, da klingelte das Telefon. Ob er dran gehen sollte? Eigentlich konnte es nur etwas wichtiges sein, er hatte doch allen gesagt, dass er eigentlich seine Ruhe haben wollte. Also sprang er auf, lief pitschnass in das Schlafzimmer und griff nach dem Hörer. In dem Moment hörte das Klingeln auf, er hatte zu lange gebraucht. Und die Nummer konnte er auch nicht mehr sehen. Er grummelte vor sich hin und ging wieder zurück ins Badezimmer. Überall in der Wohnung hatte er seine feuchte Spur hinterlassen, aber sein entspannendes Bad wollte er sich jetzt nicht mehr nehmen lassen.
Zurück in der Wanne fiel ihm ein, dass er eigentlich den Hörer hätte mitnehmen sollen. Wenn es wirklich wichtig war, dann versuchte derjenige es vielleicht noch einmal ihn zu erreichen. Und lieber jetzt schon mal das Telefon holen, als dass er beim nächsten Mal wieder zu spät dran ging. Wieder raus... tropfend durch die Wohnung, Telefon genommen und ab ins Badezimmer. Doch halt, was war das? Das Kabel reichte doch glatt nur bis kurz vor die Tür. Er wollte sich schon lange in Schnurloses kaufen, warum war er bisher nur nicht dazu gekommen? Na dann eben nicht. Und dann war das Wasser auch noch kalt. Jetzt noch warmes hinzu laufen lassen? Ach nein, irgendwie war ihm die Lust vergangen. Er trocknete sich ab und zog sich schon mal seinen Pyjama an.
Vielleicht kam ja noch ein spannender Krimi im Fernsehen, mit dem er sich den Abend versüßen konnte. Den einen kannte er schon auswendig, der zweite Film war mit den Schauspieler, den er überhaupt nicht leiden konnte und der dritte Film war gerade zu Ende, als er eingeschaltet hatte. Also gab er es auf und ging in sein Bett. War doch auch mal was schönes, früh schlafen zu gehen. Er kuschelte sich in das Kissen und versuchte an etwas schönes zu denken. Endlich, nach langer Zeit schlief er ein...

Ein Klingeln an der Tür weckte ihn. Verschlafen machte er auf. "Wo bleibst du denn? Trödel nicht so". Seine Schwester... heute war ja der wichtige Termin. Er sah auf die Uhr und sprang erschrocken in seine Klamotten. Während er sich den Pullover überzog klingelte das Telefon. Eine wichtige Information, das Shooting war an einen anderen Platz verlegt worden, gleiche Zeit, anderer Ort. Das hieß, sie müssten noch etwas eher los. Und er war doch schon so spät dran. Während er sich die Zähne putzte kämmte seine Schwester ihm schon mal die Haare. Dann mussten sie auch schon los.
Ab ins Auto, Autobahn, Abfahrt, Shooting,... Dann blieben ihm zehn Minuten, um sich auf das Interview vorzubereiten und am Abend würde noch ein Konzert sein. Er wusch sich den Schweiß von der Stirn und überlegte, wann er endlich mal wieder einen freien Tag hatte. Den würde er dann aber auch wirklich genießen...


(12.03.02)


© Barby K.