Memorys I

by Honeygirl   honeygirl@kellys.com

 

Oh Hallo!
Bitte entschuldigt, wenn ich etwas überrascht bin, denn hier kommt sonst nur noch selten jemand herein, seit mein Mensch weggegangen ist... Als gerade die Tür aufging, dachte ich doch tatsächlich für einige Sekunden, er wäre wieder zurück...
Wie? Warum ich so traurig bin? Das ist eine lange Geschichte - aber wenn ihr etwas Zeit mitgebracht habt, dann erzähle ich sie euch gerne...
Ihr wollt sie wirklich hören? Gut - dann fange ich am besten mal ganz vorne an und stelle mich erst mal vor: Ich bin eine Gitarre, eine akustische, also eine, die auch noch spielt, wenn der Strom mal ausfällt. Wie ich zu meinem Menschen gekommen bin, dass war so...
Damals war ich noch sehr jung - ein Gitarrenbaby sozusagen. Ich stand noch nicht sehr lange im Schaufenster der Musikalienhandlung, als eines Morgens die Tür zu dem kleinen Laden aufging und es plötzlich ziemlich laut wurde. Die alte, ehrwürdige Mandoline neben mir stöhnte auf - ein ganzer "Stall" voller Kinder, große, kleine, dicke und dünne, stürmten herein. Das war zuviel für die Mandoline - diese Hektik war sie nicht gewohnt und prompt riß eine ihrer Saiten mit einem lauten "Pling"! Ich hingegen fand es aufregend, besonders, als die junge, dunkelhaarige Frau recht zielstrebig nach mir griff und mich aus dem Fenster holte. Sollte jetzt der große Augenblick gekommen sein? Würde ich jetzt "einen Menschen bekommen"??? Ich war sooo nervös. Gekonnt entlockte die junge Dame mir einige Töne und sprach dann mit einem dicken Mann. Sie redeten in einer, für mich damals noch fremden Sprache, doch ich merkte sofort, daß sie über mich redeten. So ganz überzeugt schien der "Dicke" nicht zu sein, aber zum Glück schepperte es auf einmal mächtig in der hintersten Ecke des Ladens. Es waren die Hilferufe des Schlagzeugs - der kleinste Junge dieser Horde hatte sich darüber hergemacht!!!
Eins der älteren Mädchen eilte herbei, um den süßen Blondschopf daran zu hindern, allzuviel Schaden anzurichten... immer noch muss ich an diese Geschichte denken, wenn ich, den heute erwachsenen, Angelo Schlagzeug spielen höre... es lag ihm damals schon im Blut! 
Aber zurück zu meiner Geschichte...
Inzwischen hatte die junge Frau mich weitergegeben - ich war in den Händen eines etwa 15jährigen Knaben gelandet. Sehr zuviel schien er nicht mit mir anfangen zu können - seine Augen blitzten zwar unternehmungslustig, doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass er an alles andere dachte - aber nicht an Musik!!!
Das konnte ja heiter werden, dachte ich noch und wollte laut protestieren... Kein Mensch achtete darauf, die vielen Kinderstimmen übertönten meinen Protest völlig...

Wenig später fand ich mich in einem seltsamen Gefährt wieder. Es war eine Art von Bus, in dem anscheinend all diese Menschen lebten! Ein fürchterliches Chaos herrschte hier- trotzdem schienen meine neuen Menschen glücklich zu sein. Dieser Tumult faszinierte mich. 
Die alte Mandoline hatte mir erzählt, dass Menschen seltsame Geschöpfe seien. Meine Menschen waren da keine Ausnahme, musste ich feststellen. Sie hatten alle ihre Macken und Eigenheiten, waren aber jeder auf seine Art liebenswert. Vater Dan,
Kathy, John, Patricia, Jimmy, Joey, Barby, Patrick, Maite und der kleine Angelo waren ganz besondere Exemplare dieser Gattung! 
Das fing schon bei ihrer seltsamen, gewöhnungsbedürftigen, Kleidung an und hörte bei den wunderschönen, langen Haaren auf... Überhaupt - diese Haare... ich habe es immer bedauert, dass Gitarren nur solch "spärlichen" Haarwuchs haben! Hihi...
Die Jungs - besser die heranwachsenden Männer - dieser Familie hatten es mir besonders angetan... Kein Wunder - schließlich bin ich eine weibliche Gitarre! 
Denkt bloß nicht, wir hätten keine Gefühle!!! John, der älteste, hatte wunderschöne blaue Augen und eine Stimme wie Samt und Seide. Wenn er auf mir spielte hätte ich regelmäßig heulen können - so schön klang es...
Ganz anders geartet waren meine Empfindungen bei Joey! Das war einer von der harten Sorte - zumindest wollte er so wirken... In Wahrheit war er sensibel und verletzlich... Griff Joey nach mir, bekam ich Panik vor seinen ölverschmierten Fingern! Wenn er dann aber auf mir spielte, kamen meistens rockige Töne heraus - was ja auch seinen Reiz hatte...
Tja - und dann war da noch der "Knabe" mit den aufgeweckten Augen - James - von allen nur Jimmy genannt. Mit Musik hatte er damals noch nicht viel im Sinn. Das änderte sich auch nicht, als ich ins Haus - pardon - in den Bus kam! Anscheinend hatte Kathy es sich in den Kopf gesetzt, auch dem widerspenstigen Jimmy die Gitarrentöne beizubringen - die Flötentöne kannte er immerhin schon! 
Das war aber gar nicht so einfach - auch wenn der wesentlich jüngere Paddy seiner Schwester dabei half... Jimmy konnte ja sooo stur sein! Mehr als einmal endete eine Unterrichtsstunde mit dem Knallen der Bustür! Mir tat das sehr leid, hatte ich doch mein noch so junges Gitarrenherz schon bald an Jimmy verloren... und er schien mich so überhaupt nicht zu mögen!!! Es war seine Vorliebe für Blödsinn jeglicher Art, aber auch seine rebellisch Ader, die mir so sehr gefiel. Trotzdem war ich davon überzeugt - wenn es darauf ankam, war auf diesen Chaoten Verlass... Leider hatte er zu dieser Zeit oft genug Ärger... meist dann, wenn er mal wieder gemeinsam mit Joey etwas ausgeheckt hatte! 
Irgendwann schien Jimmy jedoch endlich auch Gefallen an mir gefunden zu haben... einmal, als wir beide alleine in Bus waren, nahm er mich und strich fast ehrfurchtsvoll über meine Saiten. Ich erschauerte förmlich - das war wohl einer der glücklichsten Momente meines Lebens! Seine Finger entlockten mir Töne, die ich selber noch nicht gekannt hatte! 
Von diesem Moment an gab ich mir besondere Mühe... Jimmy und ich übten immer öfter alleine und auch er wurde immer besser. Er "kniete" sich nun in seine Übungen und konnte bald seinen Geschwistern das Wasser reichen. Oft unterhielt er sich mit mir, wie mit seinesgleichen. Ach, hätte ich ihm doch nur antworten und ihm meine Gefühle gestehen können... aber die einzige Sprache, die ich perfekt beherrschte, war die Musik... 
Die Zeit verging - die Kinder wuchsen heran und auch die Leute, für die wir spielten veränderten sich. 
Längst lebten wir nicht mehr nur im Bus und tingelten durchs Land. Jetzt war es ein Hausboot, von dem aus wir unsere Tourneen machten... Der alte Dan wurde krank und blieb Zuhause, seine Kinder versuchten ohne ihn klar zu kommen und es klappte!
Unser Publikum wurde größer, jünger und - lauter!!! Selbst auf dem Boot war bald keine Ruhe mehr. Oft hörte ich die hysterischen Schreie verzweifelter Mädchen, die immer wieder nach Patrick riefen. Ich verstand das alles nicht - bei den Konzerten schrieen sie oft lauter, als meine Kollegen, der Bass und die E-Gitarre, spielen konnten!!! Ich glaube fast, auch meine Menschen verstanden es nicht... Mehr als einmal lauschte ich Gesprächen, bei denen der eine oder die Andere erwähnten, sie hätten die "Schnauze voll"... nun - ich bin ja nur ein einfaches Instrument und weiß nicht, was damit gemeint war, aber fröhlich klang es nicht!!!
Als nächstes zog meine ganze Familie in ein Hotel. Eins von der ganz noblen Sorte hatten sie sich ausgesucht! Nur dort schienen sie etwas Ruhe vor den aufdringlichen Fans zu haben... aber so richtig zu gefallen schien es dort auch keinem. Wer wohnt schon gerne immer in einem Hotel???!!!
Jimmy und seine Geschwister waren immer öfter unterwegs - die Kasse schien gut zu klingeln...
Klingeln tat auch dieses dumme schwarze Ding, das Jimmy ( und die anderen auch!) immer bei sich trug! Mich nervte es bloß! Jedes Mal, wenn Jimmy sanft meine Saiten anschlug und ich mich gerade so richtig wohl in seinen Armen fühlte, klingelte dieses blöde Gerät!!! Dann sprach er mit ihm - und nicht mit mir!!! Ich glaube, die Menschen nennen das, was ich fühlte Eifersucht... 
Einmal, als es besonders schlimm wurde, sind mir vor Wut gleich drei Saiten gerissen! Da hat er aber blöde geguckt - der Jimmy!!! Patricia hat zu lachen begonnen und mir zugezwinkert - Frauen unter sich...

Tja - und dann hat Jimmy mich mit "nach Hause" genommen...
Ich dachte immer das Hotel sei unser Zuhause - nun stand ich plötzlich in diesem Zimmer hier! Das Zimmer befindet sich in einem Schloss und das Schloss ist in einem anderen Land - so habe ich das zumindest verstanden. 
Wenn man aus dem Fenster sieht, kann man das Meer sehen. Es ist schön hier... Oft stand Jimmy mit mir am Fenster, sein Blick schweifte weit in die Ferne - ich weiß nicht, woran er dann dachte, aber es musste etwas Schönes gewesen sein, denn er lächelte dabei... Manchmal spielte er so einfach drauflos, sanfte Melodien oder auch rockigeres - seine rauchige Stimme war jedes Mal ein Erlebnis für mich...
Hier - in Irland - schien die ganze Familie endlich mal wieder Ruhe zu finden. Es gab auch wieder diese wunderbaren Abende, bei denen alle zusammen saßen und Musik machten. Nur ganz selten erlaubte Jimmy es, dass ein anderer auf mir spielte... Meist war es Joey, aber der fasste mich ja auch völlig anders an! Nicht, dass mir das nicht gefallen hätte, aber na ja... mein Herz war bei Jimmy!!! Wenigstens waren Joeys Finger jetzt immer sauber!!!
Alles hätte so schön sein können...
Eines Tages kam Jimmy in unser Zimmer. Er war verändert. Wortlos warf er sich auf sein Bett, legte einen Arm über die Augen und rührte sich nicht mehr. Ich glaube er weinte, denn ein kaum merkliches Zittern erschütterte seinen Körper... Er - der verrückte Clown - war traurig... und ich konnte ihm nicht helfen.
Es tat so unendlich weh, zu sehen, wie er seine Sachen packte. Die Augen voller Wärme und Schalk waren glanzlos geworden. Er war blass und mutlos, als er noch einmal vorsichtig über meine Saiten strich - ein gequälter Laut entfuhr mir...
Jimmy verschwand...

Ab und zu kommt eine alte Frau her und wischt Staub, aber mich rührt sie nicht an... 
Einmal war auch Joey hier - besonders glücklich sah er nicht aus. Mich hat er lange angesehen, dann ging er kopfschüttelnd wieder raus. Ich hätte schreien mögen!!!
Meine Saiten sind verstimmt, sicher klinge ich schrecklich - genauso, wie ich mich fühle...
Ich hätte niemals gedacht, wie sehr man sich an einen Menschen gewöhnen kann! Sogar das Klingeln des Handys fehlt mir!!! 
Warum ist Jimmy gegangen? Seine Geschwister verlieren nur selten ein Wort über ihn - warum? 
Tief in meinem hölzernen Bauch fühle ich - er hatte einen Grund dafür... und wenn er kann, wird er wiederkehren! Dann wird alles wieder so wie früher...


Fortsetzung folgt vielleicht - es kommt ganz auf den Hauptdarsteller an...

© 08/98 by honeygirl@kellys.com


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