Oh Hallo!
Bitte entschuldigt, wenn ich
etwas überrascht bin, denn hier kommt sonst nur noch selten jemand herein, seit
mein Mensch weggegangen ist... Als gerade die Tür aufging, dachte ich doch
tatsächlich für einige Sekunden, er wäre wieder zurück...
Wie? Warum ich so
traurig bin? Das ist eine lange Geschichte - aber wenn ihr etwas Zeit
mitgebracht habt, dann erzähle ich sie euch gerne...
Ihr wollt sie wirklich
hören? Gut - dann fange ich am besten mal ganz vorne an und stelle mich erst mal
vor: Ich bin eine Gitarre, eine akustische, also eine, die auch noch spielt,
wenn der Strom mal ausfällt. Wie ich zu meinem Menschen gekommen bin, dass war
so...
Damals war ich noch sehr jung - ein Gitarrenbaby sozusagen. Ich stand
noch nicht sehr lange im Schaufenster der Musikalienhandlung, als eines Morgens
die Tür zu dem kleinen Laden aufging und es plötzlich ziemlich laut wurde. Die
alte, ehrwürdige Mandoline neben mir stöhnte auf - ein ganzer "Stall" voller
Kinder, große, kleine, dicke und dünne, stürmten herein. Das war zuviel für die
Mandoline - diese Hektik war sie nicht gewohnt und prompt riß eine ihrer Saiten
mit einem lauten "Pling"! Ich hingegen fand es aufregend, besonders, als die
junge, dunkelhaarige Frau recht zielstrebig nach mir griff und mich aus dem
Fenster holte. Sollte jetzt der große Augenblick gekommen sein? Würde ich jetzt
"einen Menschen bekommen"??? Ich war sooo nervös. Gekonnt entlockte die junge
Dame mir einige Töne und sprach dann mit einem dicken Mann. Sie redeten in
einer, für mich damals noch fremden Sprache, doch ich merkte sofort, daß sie
über mich redeten. So ganz überzeugt schien der "Dicke" nicht zu sein, aber zum
Glück schepperte es auf einmal mächtig in der hintersten Ecke des Ladens. Es
waren die Hilferufe des Schlagzeugs - der kleinste Junge dieser Horde hatte sich
darüber hergemacht!!!
Eins der älteren Mädchen eilte herbei, um den süßen
Blondschopf daran zu hindern, allzuviel Schaden anzurichten... immer noch muss
ich an diese Geschichte denken, wenn ich, den heute erwachsenen, Angelo
Schlagzeug spielen höre... es lag ihm damals schon im Blut!
Aber zurück
zu meiner Geschichte...
Inzwischen hatte die junge Frau mich weitergegeben -
ich war in den Händen eines etwa 15jährigen Knaben gelandet. Sehr zuviel schien
er nicht mit mir anfangen zu können - seine Augen blitzten zwar
unternehmungslustig, doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass er an alles
andere dachte - aber nicht an Musik!!!
Das konnte ja heiter werden, dachte
ich noch und wollte laut protestieren... Kein Mensch achtete darauf, die vielen
Kinderstimmen übertönten meinen Protest völlig...
Wenig später fand ich
mich in einem seltsamen Gefährt wieder. Es war eine Art von Bus, in dem
anscheinend all diese Menschen lebten! Ein fürchterliches Chaos herrschte hier-
trotzdem schienen meine neuen Menschen glücklich zu sein. Dieser Tumult
faszinierte mich.
Die alte Mandoline hatte mir erzählt, dass Menschen
seltsame Geschöpfe seien. Meine Menschen waren da keine Ausnahme, musste ich
feststellen. Sie hatten alle ihre Macken und Eigenheiten, waren aber jeder auf
seine Art liebenswert. Vater Dan,
Kathy, John, Patricia, Jimmy, Joey, Barby,
Patrick, Maite und der kleine Angelo waren ganz besondere Exemplare dieser
Gattung!
Das fing schon bei ihrer seltsamen, gewöhnungsbedürftigen,
Kleidung an und hörte bei den wunderschönen, langen Haaren auf... Überhaupt -
diese Haare... ich habe es immer bedauert, dass Gitarren nur solch "spärlichen"
Haarwuchs haben! Hihi...
Die Jungs - besser die heranwachsenden Männer -
dieser Familie hatten es mir besonders angetan... Kein Wunder - schließlich bin
ich eine weibliche Gitarre!
Denkt bloß nicht, wir hätten keine
Gefühle!!! John, der älteste, hatte wunderschöne blaue Augen und eine Stimme wie
Samt und Seide. Wenn er auf mir spielte hätte ich regelmäßig heulen können - so
schön klang es...
Ganz anders geartet waren meine Empfindungen bei Joey! Das
war einer von der harten Sorte - zumindest wollte er so wirken... In Wahrheit
war er sensibel und verletzlich... Griff Joey nach mir, bekam ich Panik vor
seinen ölverschmierten Fingern! Wenn er dann aber auf mir spielte, kamen
meistens rockige Töne heraus - was ja auch seinen Reiz hatte...
Tja - und
dann war da noch der "Knabe" mit den aufgeweckten Augen - James - von allen nur
Jimmy genannt. Mit Musik hatte er damals noch nicht viel im Sinn. Das änderte
sich auch nicht, als ich ins Haus - pardon - in den Bus kam! Anscheinend hatte
Kathy es sich in den Kopf gesetzt, auch dem widerspenstigen Jimmy die
Gitarrentöne beizubringen - die Flötentöne kannte er immerhin
schon!
Das war aber gar nicht so einfach - auch wenn der wesentlich
jüngere Paddy seiner Schwester dabei half... Jimmy konnte ja sooo stur sein!
Mehr als einmal endete eine Unterrichtsstunde mit dem Knallen der Bustür! Mir
tat das sehr leid, hatte ich doch mein noch so junges Gitarrenherz schon bald an
Jimmy verloren... und er schien mich so überhaupt nicht zu mögen!!! Es war seine
Vorliebe für Blödsinn jeglicher Art, aber auch seine rebellisch Ader, die mir so
sehr gefiel. Trotzdem war ich davon überzeugt - wenn es darauf ankam, war auf
diesen Chaoten Verlass... Leider hatte er zu dieser Zeit oft genug Ärger...
meist dann, wenn er mal wieder gemeinsam mit Joey etwas ausgeheckt
hatte!
Irgendwann schien Jimmy jedoch endlich auch Gefallen an mir
gefunden zu haben... einmal, als wir beide alleine in Bus waren, nahm er mich
und strich fast ehrfurchtsvoll über meine Saiten. Ich erschauerte förmlich - das
war wohl einer der glücklichsten Momente meines Lebens! Seine Finger entlockten
mir Töne, die ich selber noch nicht gekannt hatte!
Von diesem Moment an
gab ich mir besondere Mühe... Jimmy und ich übten immer öfter alleine und auch
er wurde immer besser. Er "kniete" sich nun in seine Übungen und konnte bald
seinen Geschwistern das Wasser reichen. Oft unterhielt er sich mit mir, wie mit
seinesgleichen. Ach, hätte ich ihm doch nur antworten und ihm meine Gefühle
gestehen können... aber die einzige Sprache, die ich perfekt beherrschte, war
die Musik...
Die Zeit verging - die Kinder wuchsen heran und auch die
Leute, für die wir spielten veränderten sich.
Längst lebten wir nicht
mehr nur im Bus und tingelten durchs Land. Jetzt war es ein Hausboot, von dem
aus wir unsere Tourneen machten... Der alte Dan wurde krank und blieb Zuhause,
seine Kinder versuchten ohne ihn klar zu kommen und es klappte!
Unser
Publikum wurde größer, jünger und - lauter!!! Selbst auf dem Boot war bald keine
Ruhe mehr. Oft hörte ich die hysterischen Schreie verzweifelter Mädchen, die
immer wieder nach Patrick riefen. Ich verstand das alles nicht - bei den
Konzerten schrieen sie oft lauter, als meine Kollegen, der Bass und die
E-Gitarre, spielen konnten!!! Ich glaube fast, auch meine Menschen verstanden es
nicht... Mehr als einmal lauschte ich Gesprächen, bei denen der eine oder die
Andere erwähnten, sie hätten die "Schnauze voll"... nun - ich bin ja nur ein
einfaches Instrument und weiß nicht, was damit gemeint war, aber fröhlich klang
es nicht!!!
Als nächstes zog meine ganze Familie in ein Hotel. Eins von der
ganz noblen Sorte hatten sie sich ausgesucht! Nur dort schienen sie etwas Ruhe
vor den aufdringlichen Fans zu haben... aber so richtig zu gefallen schien es
dort auch keinem. Wer wohnt schon gerne immer in einem Hotel???!!!
Jimmy und
seine Geschwister waren immer öfter unterwegs - die Kasse schien gut zu
klingeln...
Klingeln tat auch dieses dumme schwarze Ding, das Jimmy ( und die
anderen auch!) immer bei sich trug! Mich nervte es bloß! Jedes Mal, wenn Jimmy
sanft meine Saiten anschlug und ich mich gerade so richtig wohl in seinen Armen
fühlte, klingelte dieses blöde Gerät!!! Dann sprach er mit ihm - und nicht mit
mir!!! Ich glaube, die Menschen nennen das, was ich fühlte
Eifersucht...
Einmal, als es besonders schlimm wurde, sind mir vor Wut
gleich drei Saiten gerissen! Da hat er aber blöde geguckt - der Jimmy!!!
Patricia hat zu lachen begonnen und mir zugezwinkert - Frauen unter
sich...
Tja - und dann hat Jimmy mich mit "nach Hause" genommen...
Ich
dachte immer das Hotel sei unser Zuhause - nun stand ich plötzlich in diesem
Zimmer hier! Das Zimmer befindet sich in einem Schloss und das Schloss ist in
einem anderen Land - so habe ich das zumindest verstanden.
Wenn man aus
dem Fenster sieht, kann man das Meer sehen. Es ist schön hier... Oft stand Jimmy
mit mir am Fenster, sein Blick schweifte weit in die Ferne - ich weiß nicht,
woran er dann dachte, aber es musste etwas Schönes gewesen sein, denn er
lächelte dabei... Manchmal spielte er so einfach drauflos, sanfte Melodien oder
auch rockigeres - seine rauchige Stimme war jedes Mal ein Erlebnis für
mich...
Hier - in Irland - schien die ganze Familie endlich mal wieder Ruhe
zu finden. Es gab auch wieder diese wunderbaren Abende, bei denen alle zusammen
saßen und Musik machten. Nur ganz selten erlaubte Jimmy es, dass ein anderer auf
mir spielte... Meist war es Joey, aber der fasste mich ja auch völlig anders an!
Nicht, dass mir das nicht gefallen hätte, aber na ja... mein Herz war bei
Jimmy!!! Wenigstens waren Joeys Finger jetzt immer sauber!!!
Alles hätte so
schön sein können...
Eines Tages kam Jimmy in unser Zimmer. Er war verändert.
Wortlos warf er sich auf sein Bett, legte einen Arm über die Augen und rührte
sich nicht mehr. Ich glaube er weinte, denn ein kaum merkliches Zittern
erschütterte seinen Körper... Er - der verrückte Clown - war traurig... und ich
konnte ihm nicht helfen.
Es tat so unendlich weh, zu sehen, wie er seine
Sachen packte. Die Augen voller Wärme und Schalk waren glanzlos geworden. Er war
blass und mutlos, als er noch einmal vorsichtig über meine Saiten strich - ein
gequälter Laut entfuhr mir...
Jimmy verschwand...
Ab und zu kommt eine
alte Frau her und wischt Staub, aber mich rührt sie nicht an...
Einmal
war auch Joey hier - besonders glücklich sah er nicht aus. Mich hat er lange
angesehen, dann ging er kopfschüttelnd wieder raus. Ich hätte schreien
mögen!!!
Meine Saiten sind verstimmt, sicher klinge ich schrecklich -
genauso, wie ich mich fühle...
Ich hätte niemals gedacht, wie sehr man sich
an einen Menschen gewöhnen kann! Sogar das Klingeln des Handys fehlt
mir!!!
Warum ist Jimmy gegangen? Seine Geschwister verlieren nur selten
ein Wort über ihn - warum?
Tief in meinem hölzernen Bauch fühle ich -
er hatte einen Grund dafür... und wenn er kann, wird er wiederkehren! Dann wird
alles wieder so wie früher...
Fortsetzung folgt vielleicht - es kommt ganz auf den Hauptdarsteller an...
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