Welch ein netter Abend

by Barby K.   BarbyK@gmx.de

 

Michelle freute sich schon seit Wochen auf diesen Tag. Endlich war es so weit und sie würde sie alle wieder sehen. Schon lange hatten die Kellys keine Konzerte mehr in ihrer Nähe gegeben und auch wenn sie die täglich die Musik rauf und runter spielte, so war es doch nicht das selbe. Oft hatte sie die Band noch nicht live gesehen, das letzte Konzert dass sie besucht hatte war schon fast zwei Jahre her. Das hatte man eben davon, wenn man am Ende der Welt lebte, wie es der 20-Jährigen oft vorkam. Jetzt spielten sie endlich wieder in der nächstgelegenen Großstadt und Michelle hatte sich gerade erst Urlaub genommen. Durch ihren Job als Kellnerin gab es auch selten freie Wochenenden, so dass sie nicht einfach in ihr Auto steigen konnte um der Familie hinterher zu fahren. Das war es ihr auch gar nicht wert. Schließlich war sie eine erwachsene Frau und hatte auch noch andere Dinge zutun, als sich für eine Band aufzugeben und ihr eigenes Leben zu vergessen.
Schon früh am Morgen hatte sie sich mit ihrer Freundin getroffen. Thea war etwas älter als Michelle, stand mitten im Leben, war verheiratet und hatte bereits eine kleine Tochter. Sie erzählte ihrer Freundin wie die kleine Antonia lange gebettelt hatte und unbedingt mit auf das Konzert wollte. Natürlich war sie mit ihren 5 Jahren noch viel zu klein um auf ein Konzert zu gehen. Michelle ließ sich von Thea die Haare machen und das Make Up richten. Natürlich machten sie Scherze, dass sie für Joey, den sie beide sehr mochten, doch gut aussehen musste. Aber beide wussten, dass das nicht ernst gemeint war. Weder Joey noch die anderen würde Notiz von ihnen nehmen. Aber das war keinerlei Anlass für Depressionen. Sie freuten sich auf die Musik und vor allem darauf, endlich mal wieder einen netten Abend gemeinsam zu erleben, was in letzter Zeit immer seltener vorkam.
Erst hatten sie vorgehabt schon eher zu der Konzerthalle zu fahren, doch weder Michelle noch Thea hatten große Lust vor der Hallo so lange zu warten. Keiner der Beiden war darauf aus, weit vorne zu sein. Sie kannten das Gedränge in den ersten Reihen und wollten sich nicht zerquetschen lassen. Als sie schließlich mit den Vorbereitungen fertig waren, stiegen sie ins Auto. Michelle hatte ihren Führerschein noch nicht sehr lange, wollte aber unbedingt fahren. Sie legten eine Kassette mit Kelly-Musik auf und begannen lauthals mitzusingen. Sie kannten fast alle Texte auswendig und hatten viel Spaß. Schon bei der Autobahnausfahrt sahen sie die ersten Autos mit Kelly-Fans. Manche hatten die Musik so laut aufgedreht, dass sie die auch durch die geschlossenen Fenster hören konnten. Sie suchten lange nach einem Parkplatz und waren froh, als sie endlich einen gefunden hatten. Es waren nur ein paar hundert Meter bis zur Halle und sie mussten einfach nur der Menge hinterher laufen.
Sie kannten es von den Zeltkonzerten, dass man sich vor der Halle in Zweierreihen aufstellen musste. Doch hier schien das nicht der Fall zu sein. Vor dem Eingang drängten sich Tausende von Menschen. Der Einlass hatte schon begonnen. Hauptsächlich bestand das Publikum aus weiblichen Teenagern, die mit Edding "Paddy" oder "Angelo" auf ihre Gesichter geschmiert hatten. Michelle und Thea stellten sich hinter die Menge. Und voller Schrecken bemerkte Thea vor ihnen ein kleines Mädchen, das fast zerquetscht wurde. Sie musste an Antonia denken, ihre Tochter, die so gerne mit auf das Konzert gegangen wäre. Thea konnte sich nicht vorstellen, wie Eltern so rücksichtslos sein konnten ein so kleines Kind mit hierhin zu nehmen. Es war unglaublich.
"Macht doch mal Platz, ihr zerquetscht ja das Kind", rief sie, aber niemand schien sie wahrzunehmen. Es gab keine Reaktion. Thea schob sich durch die Menge und versuchte das Kind zu erreichen. Ihre Freundin Michelle zog sie dabei immer hinter sich her. Sofort fingen ein paar an zu meckern. "Hey, nicht vordrängeln, immer schön hinten anstellen." Und die beiden Frauen wurden von wütenden Blicken wieder zurück gedrängt. Dabei wollten sie doch nur dem Kind helfen und sich nicht vordrängeln.
Thea war die Lust schon längst vergangen. Sie gingen wieder nach hinten und warteten darauf, endlich rein zu kommen. Nach einer halben Stunde war es so weit, sie hatten die Schleuse erreicht. Die Security-Männer durchsuchten ihre Rücksäcke, fanden aber nicht, was sie nicht mit reinnehmen durften. Da in der Halle "Freie Platzwahl" war, hofften sie darauf, noch einen guten Platz zu bekommen. Sie wollten unbedingt auf einen Rang, von da aus hatte man eigentlich immer einen guten Ausblick. Sie suchten die Treppe. Oben angekommen sahen sie auch schon, wie sich die Leute auf den Sitzplätzen drängten. Es war schier unmöglich dort noch einen Platz zu ergattern, sie waren zu spät gekommen. Schließlich stellten sie sich auf eine Treppe, nicht wissend, dass sie damit einen Fluchtweg versperrten.
Kaum zehn Minuten später war auch die Treppe voll von Menschen. Sie drängten alle, doch Michelle und Thea verteidigten hartnäckig ihren Platz. Es war noch eine gute halbe Stunde bis zum beginn des Konzertes und die beiden Freundinnen beobachteten das Geschehen im Innenraum. Dort mussten sich die Leute alle auf den Boden setzen, aber die Securities hatten alle Hände voll zutun, die Masse im Zaum zu halten. Zehn Minuten bevor die Show beginnen sollte, kam das Chaos auf. Die hinteren Reihen sprangen auf und mit ihnen auch der Rest. Die Securities retteten sich in letzter Minute hinter die Absperrung.
Und dann kam eine Durchsage: "Bitte machen sie die Treppen frei, sie versperren einen Fluchtweg. Die Show wird nicht beginnen, wenn sie Treppen besetzt sind." Die Durchsage kam mehrere male und die beiden Freundinnen mussten sich einen anderen Platz suchen. Natürlich fanden sie keinen Sitzplatz mehr. Schließlich gingen sie in den Innenraum und stellten sich ganz hinten hin. Die Bühne konnten sie nicht sehen und besonders große Lust hatten sie auf das Konzert auch nicht mehr. Aber als die Show begann konnten sie dennoch wenigstens die Musik genießen.


© Barby K.