Nur zwei Minuten

by Honeygirl   honeygirl@kellys.com

 

Es war wieder mal einer dieser Tage, an dem nichts passierte... Die Brieffreundin, mit der Jana verabredet gewesen war, hatte sie versetzt. Hier allein zu stehen war schon ätzend genug, aber wenn sich dann auch noch nichts tat, dann ...
Jana gähnte verstohlen und betrachtete die um sie herum stehenden Menschen. Zumeist waren es Teenies und junge Frauen, die diesem Alter gerade entwachsen waren. Einige wenige "Ü30`innen" waren auch dabei. Alle hatten sie nur ein Ziel - sie warteten auf ein kleines Wunder: Auf ein Lächeln, ein nettes Wort ihres Stars, egal ob der nun Patrick, John, Joey, Barby, Maite oder sonstwie hieß... 
Heute war dieses Warten aber vergeblich gewesen. Nur Kathy war mit dem Taxi vom Schlossgelände gefahren und hatte verschlossen dreingeschaut. Als sie wieder zurück kam, hatte sie auch nur kurz gewunken. Sollte dies nun der Tageshöhepunkt gewesen sein? Jana schloss die Augen und fragte sich nicht zum ersten Mal, warum sie das alles auf sich nahm... Die Antwort war schnell gegeben, weil es einfach ein schönes Gefühl war, wenn sich wirklich mal ein Kelly, trotz der strengen Auflagen des Ordnungsamtes, raustraute und sich der Fans erbarmte! 
Für manchen Fan war es DER Augenblick des Lebens... für die Kellys nur ein paar Minuten. So hatte Paddy es mal in einer TV Show gesagt und war dafür schwer ausgebuht worden. 
Jana sah auf die Uhr - garantiert war dieser Spruch Paddy nur so rausgerutscht und seine Geschwister hatten ihn später - Backstage - zum Kamel des Tages erklärt und mit Wattebäuschchen nach ihm geschmissen!!! Natürlich war das ein Fettnapf 1.Klasse gewesen - aber nüchtern betrachtet, war es einfach nur die Wahrheit! Wer das nicht zugeben wollte, der lebte einfach nicht in dieser Welt! 
"Taxi!" riefe einige, die auf der anderen Straßenseite standen, denn das Tor war aufgegangen. Sofort herrschte Chaos. Jeder wollte einen guten Platz an der Absperrung haben und Mike, der junge SEC, bekam schon wieder diesen Blick, der einer Zitrone glich, weil sich einige einfach nicht an die Spielregeln hielten und unbedingt vor dem Gitter stehen wollten. So war man dem "Herzallerliebsten" (meistens war es eh nur Willi, der Gärtner, der rein oder raus fuhr!) ja ein paar Zentimeter näher, als die anderen! Es war immer das selbe Theater... 
Ein Taxi rauschte an Ina und den anderen Fans vorbei. Paddy, auf dem Rücksitz, hob kurz die Hand zum Gruß, dann war er auch schon auf dem Schlossgelände verschwunden. Neben Jana fielen sich zwei Mädchen in die Arme: "Er hat mir gewunken!" 
"Mir auch!"
Na klar - bei dem Tempo musste er sich ja auf Anhieb unsterblich in die beiden verliebt haben!!!!! Irgendwie gelang es Jana, diesen ironischen Gedanken für sich zu behalten... war sicher besser so, denn die Zwei würden von diesem Sekundenbruchteil noch ewig zehren. Ihr war es vor Monaten ja nicht anders gegangen - als sie zum ersten Mal Joey an sich hatte vorbei fahren sehen! Er hatte auch gewunken - nur waren es damals ganze zwei Fans gewesen, die dort gestanden hatten und nicht, wie jetzt, 60 -70! Damals hatte sie sich wenigstens sicher sein können, dass er sie wirklich gemeint hatte! 
Ein Piepen holte Jana aus ihren Gedanken. Während sie die SMS-Nachricht auf ihrem Handy las, bemerkte sie nicht, wie Bewegung in die Massen kam. Die gesamte Kölner Clique machte sich klammheimlich aus dem Staub... 

Was zum Teufel tat sie hier eigentlich?!!! Hatte sie nicht vor einer guten dreiviertel Stunde noch über den Dingen gestanden? Jana biss sich auf die Lippen, umkrampfte ihre Kamera, die sie in der Jackentasche versteckt hielt und schielte vorsichtig zum Flugsteig C1 rüber. Gleich mussten die Passagiere der Maschine aus Berlin kommen. 
Seit dem Moment, in dem diese SMS-Nachricht bei ihr eingetrudelt war, hatte sich ihre Pulsfrequenz um einiges verstärkt und sie hasste sich selber für das, was sie hier tat...
Ihre Cousine Sandy, hatte ihr mitgeteilt, das sie, nach ihrem Griechenlandurlaub wieder gut in Berlin gelandet sei. Das allein war ja nun kein Grund, um in den Grundfesten erschüttert zu werden - zumindest nicht für Jana! Was Sandy aber dann noch gepiept hatte, schon eher: Auf dem Flughafen in Berlin hatte sie nämlich jemanden getroffen, auf den Jana bisher immer vergeblich gewartet hatte - Jimmy Kelly! Es war ein Zufall gewesen, denn Sandy war nicht das, was man einen Fan nannte... Trotzdem hatte sie - ihrer Cousine zuliebe - in Erfahrung gebracht, wohin Jimmy wollte... 
Nun stand Jana hier auf dem Köln-Bonner Flughafen und zitterte. Jimmy hatte es ihr von Anfang an angetan. Alles an ihm war irgendwie interessant gewesen, auch wenn sie ihn nie live erlebt hatte. Seine Entscheidung ein eigenständiges Leben, außerhalb der Band zu führen, musste sie nun mal akzeptieren! Er hatte sicher seine Gründe dafür. Trotzdem war der Wunsch, ihn einmal nah zu sehen, vielleicht ein paar Worte mit ihm zu wechseln, in ihr nicht schwächer geworden. Ganz im Gegenteil - durch sein Verschwinden war er nur noch interessanter geworden... nicht nur für sie! Aus diesem Grund stand sie nun hier, wenn ihr auch die Kellyjagd ansich völlig zuwider war. Nur dieses eine Mal wollte sie ihr Glück versuchen... 
Würde sie ihn überhaupt ansprechen? Und wenn ja - was sollte sie ihm sagen? Vor allem aber - wie würde er reagieren? Unwirsch, weil er schon wieder belästigt wurde? Oder war er gut drauf und würde ihr für zwei Minuten seine Aufmerksamkeit schenken? Wieder fiel Jana Paddys Spruch ein... "nur zwei Minuten"... 
Vielleicht würde sie doch lieber nur von weitem seinen Anblick genießen, statt von einem genervten Jimmy angeraunzt zu werden? 

Langsam spazierte Jimmy durch den Gang. Die Wände waren mit Werbeplakaten der verschiedensten Fluggesellschaften bepflastert. Jimmy ignorierte sie. Wie oft war er schon hier entlang gegangen? Er wusste es nicht. Was er allerdings wusste, war das, was ihn hier mit 99%iger Sicherheit erwartete: Aufdringliche Fans ... Vielleicht waren auch ein paar "normale" da, aber diese "Gefahr" war relativ gering! Mit den Letzteren konnte er gut leben - die Paparazzies aber, waren eine Plage. Immer wenn er in Germany war, fühlte er sich von ihnen verfolgt, wie ein Bankräuber von der Polizei... nur mit dem Unterschied, dass er nichts Böses getan hatte. Er trug nur den falschen Namen! Und seinen Geschwistern ging es nicht anders! 
Als Jimmy die Flughafenhalle betrat, sah er sich um - seltsam - noch waren keine bekannten Gesichter zu sehen. Das konnte doch nicht wahr sein!! Ungläubig blieb er stehen... Sollte tatsächlich mal keiner was von seiner Ankunft erfahren haben? Jimmys Miene hellte sich zusehends auf, er steuerte den nächsten Kiosk an...

Jana ging hinter einem Ständer mit Taschenkalendern in Deckung. Ihr Herzschlag war selbst im entlegensten Winkel ihres Körpers noch zu spüren! Warum kam Jimmy denn nun genau auf sie zu? Ihr hätte es doch schon gereicht, ihn nur zu sehen... 
Wie gut er aussah! So ganz normal... überhaupt nicht mehr wie ein Kelly! Schade war es zwar um seine schöne Mähne gewesen, aber auch der Kurzhaarschnitt hatte was! Noch während sie ihn anstarrte, war er näher gekommen. Genau gegenüber stand er nun - nur der Ständer mit den Kalendern trennte sie noch...

Jimmy drehte am Ständer und bemerkte danach erst, dass auf der anderen Seite jemand stand, der wohl auch nach einem Kalender suchte.
"Oh sorry!", entschuldigte er sich sofort und drehte den Ständer lächelnd wieder in die alte Position zurück. 
"Äh... nicht so schlimm...", stotterte Jana. Himmel - was musste er von ihr denken?
Sie musste sofort aufhören, ihn anzustarren!!! Dies fiel ihr umso schwerer, da Jimmy nun auf ihre Seite wechselte und neben ihr weiter die ausgestellten Waren studierte... 
Was sollte sie nur tun - sie verriet sich ja völlig! Benahm sich wie die unreifen Teenies, die sie noch vor einer Stunde belächelt hatte! Ohne hinzusehen griff sie nach einem Kalender. Nur indem sie schleunigst zahlen und dann die Flucht ergreifen würde, kam sie aus dieser Nummer wieder raus!
Hastig wühlte sie in ihrer Tasche nach der Geldbörse... etwas fiel auf den Boden. Jana bemerkte es nicht...

Eigentlich schade, überlegte Jana, als sie durch die Halle ging. Wenn sie nicht so verdammt feige wäre, hätte sie ihn um ein Autogramm bitten können! Anscheinend war er doch gut gelaunt gewesen...
"Hey! Hallo! Fräulein!" 
Schnelle Schritte hinter ihr und eine Stimme, die sie unter Hunderten erkannt hätte, ließen Ina erstarren. Das war doch ... nein... sie hatte schon Halluzinationen! Trotzdem drehte sie sich um und sah prompt in zwei blaue, von kleinen Lachfalten umrahmte, Augen... Jimmy !
"Was ist?", brachte sie nur mit Mühe hervor.
"Sie haben was verloren." Jimmy hielt ihr ein Feuerzeug entgegen.
"Oh ... äh ja .. das ist meins!"
"Klar - ist ja auch aus ihrer Tasche gefallen!", wissend grinste Jimmy. Jede Wette würde er eingehen, dass sie ein verkappter Fan war! Diesen perplex-verwirrten Blick hatte er schon x-Mal gesehen. Das mochte er - viel mehr jedenfalls, als diese aufdringlichen, hysterischen Weiber, die ihm und seinen Geschwistern schon so oft das Leben sauer gemacht hatten. 
"D-danke." Jana nahm ihm das Feuerzeug aus der Hand - für den Bruchteil einer Sekunde war ihr, als durchführen sie 10 000 Volt!!! Natürlich war das alles nur Einbildung, genau wie Jimmys Blick, der immer noch auf ihr ruhte! Das musste doch Einbildung sein!!!!! Ohne es zu wollen, versank sie in seinen Augen...
"Hast du Lust ´nen Kaffee mit mir zu trinken?", wollte Jimmy wissen. Der Wechsel vom Sie zum Du kam ganz automatisch...
Diese Frage drang wie durch dichten Nebel zu Ina durch. Ehe sie begriff, das Jimmy sie wirklich gestellt hatte, flackerten Blitze auf. Leider rührten sie nicht von den kleinen Stromschlägen her, die Ina immer noch zu spüren glaubte! Sie waren sehr realer Art...
"Machst du Fotos mit uns, Jimmy ?!"
"Gibste uns Autogramme?" 
"Was machste denn hier?"
Jimmy fuhr herum, ein Fluch entfuhr ihm: "Bullshit!" Unbemerkt hatte die verhassten Paparazzies sich strategisch günstig um ihn herum platziert - eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht! Mussten die ausgerechnet jetzt auftauchen? "Lasst mich in Ruhe! Habt ihr den keinen Respekt vor meiner Privatsphäre??"
Die grinsenden Gesichter verrieten Jimmy, dass sie weder Respekt, noch Skrupel hatten - wie so oft vorher, würden sie ihn nicht eher in Ruhe lassen, bis sie erreicht hatten, was sie wollten!
"Seit wann is´ so `n Flughafen denn Privatgelände?!", konterte eine auch prompt.
Von allen Seiten flammten Blitze auf, sie schmerzten... Gequält schloss Jimmy die Augen und ließ alles über sich ergehen...

Jana sah von weitem zu, ihr war es im allgemeinen Tumult gelungen, zu flüchten. Was hätte sie auch tun sollen? Sie war traurig... nicht so sehr, weil aus dem Kaffee mit Jimmy wohl nichts mehr werden würde, sondern viel mehr, weil ihr Jimmy so unendlich leid tat.
Langsam verließ sie die Halle...


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