Out of the darkness
Auch wenn
diese Gesichte wahrscheinlich nicht so wirkt: Sie wurde im Jahre
2001 geschrieben.
ABER SIE SPIELT IM JAHRE 1994!!!!!!!
Ich war todmüde,
als wir endlich in Köln ankamen. Fast hätte ich es nicht mal
mehr über die wacklige Brücke geschafft, die zu unserem
Hausboot führt. Patricia musste mich stützen. Kathy schloss die
Tür auf. "So, da sind wir."
Jimmy knipste das Licht an, und Angelo, Patricia, Kathy, Sean und
ich betraten hinter ihm unser Boot. Die anderen, also Maite,
Joey, Barby und Johnny, waren zu Vater ins Hotel gefahren. Doch
ich war, genau wie Angelo, Kathy, Sean, Patricia und Jimmy, zu
müde gewesen, um jetzt auch noch einen guten Gesellschafter
abzugeben.
Kathy setzte sich an den Tisch und gähnte. Sean sah unruhig zu
ihr auf. "Mama, in mein Bett! In mein Bett!" Er zog an
ihrem Rock. Kathy seufzte. "Also gut, dann werden wir mal
auf unser Boot gehen, was, Seanie?" Sie warf einen Blick auf
mich und Angelo und sagte dann zu Jimmy und Patricia, die an der
Tür standen: "Wenn ich morgen lange schlafe, macht ihr den
beiden dann Frühstück?"
Jimmy räusperte sich, und Patricia sagte: "Kathy, du weißt
doch, dass Jimmy und ich nochmal weg müssen. Der Bus muss doch
repariert werden, und deswegen wollten wir jetzt zur Werkstatt
fahren. Das kann dort dauern. Wir wollten dort schlafen."
"Mitten in der Nacht soll der Bus repariert werden?"
"Sie machen eine Ausnahme für uns. Denk' doch an den
Fan-Ansturm."
Kathy brummte irgendwas, und Jimmy und Patricia verschwanden.
Angelo hatte sich auf einen Stuhl gesetzt und knetete seine
Finger. Sean schlief schon fast im Stehen ein. Also stand Kathy
auf und nahm ihren Sohn auf den Arm. "Ihr beide kommt
klar?" "Logo," sagte ich. Kathy gab uns beiden
einen Gutenachtkuss, dann flog auch schon die Tür hinter ihr und
Sean zu.
Ich gähnte laut, ohne mir die Hand vor den Mund zu halten.
Angelo sah müde auf. "Komm, Angelo," sagte ich.
"Lass' uns schlafen gehen." Ich drehte mich um und
schlenderte auf meine Kabine zu.
Er rief mich zurück. "Paddy!"
"Ja? Ist noch was?" Erstaunt drehte ich mich um und sah
Angelo immer noch auf dem Stuhl sitzen.
"Ich hab' Hunger," sagte er.
"Hunger?? Jetzt???" Ich sah auf die langsam tickende
Uhr über Angelos Kopf. Es war fast zwölf. "Das meinst du
doch nicht ernst!"
"Ich habe Hunger!" wiederholte Angelo. Er kämpfte mit
den Tränen.
Ein weinender Angelo war mir unheimlich. Der heutige Tag war
wirklich stressig gewesen, also gut, er sollte etwas essen,
niemand sollte mir nachsagen, ich ließe meinen Bruder hungern!
Ich stürmte in Maites Zimmer und, hurra, ich wurde fündig! Ich
brachte Angelo eine Banane. Während er sie schälte, sah ich
wieder auf die Uhr und stellte fest, dass sie zu langsam tickte.
Sie war fast stehengeblieben, inzwischen war es schon kurz nach
zwölf. Ich rückte den Zeiger auf fünf nach zwölf. Als ich
wieder zu Angelo sah, bemerkte ich, dass er die Banane schon
aufgegessen hatte. "Schon fertig??"
Angelo klatschte verachtungsvoll die Bananenschale auf den Tisch.
"Ich hab' immer noch Hunger!" sagte er trotzig.
"Jetzt gibt's nichts mehr!" sagte ich streng.
Angelos Augen wurden zu Schlitzen. "Willst du, dass ich
verhungere?"
"Es ist mitten in der Nacht!" fauchte ich.
"Sklaventreiber!"
"Vielfraß!"
"Biest!"
Was war denn nur mit meinem kleinen Bruder los? So aggressiv
kannte ich ‚meinen' Angelo ja gar nicht! Aber ich war mir
sicher, dass in dieser Situation jedes weitere Wort zuviel wäre.
Ich würde den Teufel tun und jetzt noch für ihn kochen! Ich gab
Angelo noch ein paar Sekunden Zeit, sich für sein Gemaule zu
entschuldigen. Dass er das nicht tat, hatte ich schon fast
erwartet. Ich drehte mich energisch um und ging in unsere
gemeinsame Kabine. Dort zog ich meinen Schlafanzug an und kroch
unter die Laken. Auf Zähne putzen hatte ich keine Lust. War mir
doch egal, ob ich Angelo ein schlechtes Vorbild war!
***
Ich hatte das Licht
ausgemacht und wollte eigentlich schlafen. Doch, zum Teufel, ich
konnte nicht. Angelo kam und kam nicht. Das machte mir Angst. Wo
war die kleine Nervensäge? Das heute war nicht der Angelo, den
ich kannte. In seiner Verfassung traute ich ihm alles zu.
Womöglich saß er immer noch in der Küche und überlegte sich
Schimpfworte für mich. Oder schlimmer noch, er war dabei, den
Kühlschrank zu plündern!
Dann würde ich von Kathy Ärger bekommen! Ich sprang aus dem
Bett. Nein, ich würde nicht für Angelos Schandtaten
geradestehen! Ich knipste das Licht an, öffnete die Tür und
tapste hinaus in den hellen Flur.
"Angelo?"
In der Küche brannte immer noch Licht. Ich ging hinein und
erschrak. Angelo saß immer noch auf seinem Stuhl und schluchzte
laut und klagend. Als er mich sah, schniefte er und versuchte,
sein tränennasses Gesicht vor mir zu verbergen. Vermutlich war
es ihm peinlich.
Doch ich hatte unseren Streit schon vergessen. "Angelo, um
Himmels Willen, was ist mit dir??" Ich rannte zu ihm und
nahm ihn tröstend in die Arme, wiegte ihn hin und her. Angelos
Schluchzen wurde leiser, und er legte seine Arme fest um mich.
Nach einer Weile lockerte sich sein Griff und sein Schluchzen
hörte auch auf.
"Angelo?"
Er war eingeschlafen. Sanft wiegte ich ihn in meinen Armen.
Langsam hatte ich das Gefühl, dass ich ihn verstand. Die
Erinnerungen... vielleicht sogar die fehlenden Erinnerungen...
Er war schwer, doch trotzdem schaffte ich es, Angelo mit hinüber
in unsere Kabine zu schleppen. Dort legte ich ihn auf sein Bett
und deckte ihn gut zu. Er sah friedlich aus, wie er da schlief...
wie ein Engel. Draußen war es ganz dunkel.
***
Mitten in der Nacht
wurde ich von dem lauten Gewitter wach. Der Regen schlug gegen
die Scheiben, und ich dachte, wann hört das endlich wieder auf.
Doch es wurde nur heftiger. Nun blitzte es, kurz darauf donnerte
es so laut, dass ich dachte, das Boot fliegt auseinander.
Besorgt lehnte ich mich zurück. Ich, ich hatte nichts gegen
Gewitter, es war nur... wegen Angelo.
Beim nächsten Donner schreckte er auf. "Mama!!"
Sofort sprang ich aus meinem Bett und rannte hinüber zu ihm. Er
saß aufrecht im Bett und war noch nicht ganz wach, obwohl seine
Augen weit aufgerissen waren. Ich sah, wie sich Tränen darin
bildeten. Er zitterte am ganzen Leib. Und wieder donnerte es.
Ich hakte ihn unter und hob ihn aus dem Bett. Er hielt sich an
mir fest. "Paddy, lass' mich nicht
los!" "Ich lass' dich nicht los!" sagte ich sanft
und griff nach seinem Bettzeug. Mit seinem Kissen und seiner
Decke bepackt und dann auch noch mit Angelo, der sich an meiner
Hüfte festgeklammert hatte, schaffte ich es kaum, zu meinem Bett
zu gelangen. Doch ich schaffte es.
Angelo kroch in mein Bett. "Hier ist es so warm,"
murmelte er. Er war immer noch nicht ganz wach.
"Ich weiß," flüsterte ich. "Ich weiß." Ich
kroch neben ihn und legte beide Arme um mich. Angelo kuschelte
sich ganz fest an mich und schloss die Augen. Ich betrachtete ihn
und lächelte wehmütig. Er war noch so klein... er hatte schon
so viel erlebt... er brauchte mich... ich musste stark sein...
"Paddy?... Danke, dass ich in deinem Bett schlafen
darf..." murmelte er, bevor er selbst einschlief.
"Das weißt du doch, Angelo. Ich bin für dich da. Du weißt
es doch. Ich bin immer für dich da..."
***
Am nächsten Morgen
war Angelo wie mein Schoßhündchen. Während meine Zähne
putzte, mich anzog, ja sogar als ich den Frühstückstisch
deckte, ließ er mich kaum los und bedankte sich bei mir für
alles und wollte immer meine Hand halten. "Meine Güte,
Angelo, was sollen denn Jimmy und Patricia denken, wenn sie
kommen!" sagte ich lachend.
Wie auf's Stichwort kamen die beiden zur Tür herein. Beide
sahen, genau wie wir, sehr übernächtigt aus. Jimmy lachte und
klatschte in die Hände, als ich ihn darauf ansprach. "Da
hast du wohl Recht, Paddy. Aber um wachzuwerden, sollte ich
einfach mit Angelo Fußball spielen! Was sagst du dazu, Angelo?
Komm, lass' uns gehen!"
Angelo zuckte zurück. "Ich will nicht ohne Paddy
gehen!"
Patricia und Jimmy sahen mich erstaunt an.
Ich räusperte mich. "Angelo... du kannst ruhig gehen."
"Echt?"
"Ja, klar!"
"Bist du denn auch noch da, wenn ich wiederkomme?"
"Aber sicher bin ich da."
Angelo gab mir einen Kuss und stürmte dann nach draußen,
gefolgt von einem total perplexen Jimmy.
Patricia und ich blieben nachdenklich am Tisch sitzen und
sprachen kein Wort. Erst als ich ihr eine Tasse Kaffee
einschenkte, sagte sie langsam: "So war er noch nie, nicht
wahr?"
"Nein. Ich glaube, es hat etwas mit Mama zu tun."
"Mit Mama?"
"Ja... verstehst du, dieses Gewitter... letzte Nacht... wie
in der Nacht, als sie... es muss ihn daran erinnert haben...
er... er war doch noch so jung..." Ich schluckte und sah
auf. "Verstehst du?"
"Ja. Ja, ich verstehe es." Patricias Augen schwammen in
Tränen. "Er war noch so jung... damals, als Mama starb...
er hat sie nie richtig gekannt... ich meine, er MUSS doch etwas
vermissen!"
"Und jetzt wissen wir, dass er etwas vermisst..." Meine
Stimme brach ab.
Patricia nickte hastig. "Ja. Er vermisst etwas... uns allen
geht es doch so... Ich... sie ist einfach zu früh gestorben...
wir waren alle zu jung. Nicht nur Angelo. Mein Gott, Paddy, wir
waren alle zu jung!"
Ich nickte und nahm sie in die Arme. Minutenlang saßen wir
einfach nur da, weinten viele Tränen und hielten uns einfach nur
aneinander fest.
© Doro