Urlaub und andere Schwierigkeiten

by Melli   kelly.welt@berlin.de

 

Es war an einem Sonntag Morgen; alles war noch ruhig im Hause Kelly. Nach der langen Tournee waren alle froh, endlich mal wieder ausschlafen zu können. Als der Nightliner gestern Abend gegen Mitternacht in die Einfahrt des Schlosses eingebogen war, waren alle müde und wollten nur noch ins Bett. Also hatten sie beschlossen, die eine Nacht in Gymnich zu verbringen, bevor sie am nächsten Tag zu ihren eigenen kleinen Familien fahren würden.
Aber Jimmy trieb es nun aus dem Bett. Er hatte das Familienleben in den letzten Wochen zwar genossen, aber er hatte sich dennoch oft gefühlt, als hätte man ihm die Luft zum Atmen genommen. Er brauchte seine Freiheit und ein bisschen frische Seeluft um die Nase. Nun rannte er hektisch in seinem Zimmer umher und suchte die letzten Sachen zusammen, die er für seinen Trip brauchen würde. Dann nahm er seinen kleinen Koffer und schloss seine Tür leise hinter sich. Er wollte die anderen ja nicht wecken. Das hätte ihm nur neugierige Fragen eingebracht und kostbare Zeit geraubt.
Als er an der Küche vorbeikam, überlegte er kurz... Sollte er eine Nachricht hinterlassen? Eigentlich ging es ja niemanden was an, wo er hin wollte. Zumal er selbst noch nicht sicher war, wo ihn seine Reise hinführen würde. Nur eines war sicher, er wollte nach Irland. Jimmy huschte ein Lächeln über die Lippen, als er an die Worte seiner Lieblingsschwester dachte. Jimmy, hatte sie gesagt, geh' wenn du gehen musst und tu, was du nicht lassen kannst. Aber sag wenigstens mir Bescheid. Und er wusste wie sie sich stets um ihn sorgte, wenn er mal wieder Reiß aus nahm. Also kritzelte er schnell auf einen Fetzen Papier:

Liebe Familie,
ein Mann muss tun, was ein Mann eben tun muss... Ich brauche mal wieder Zeit für mich. Macht euch keine Sorgen, ich bin bald zurück.
Jimmy
P.S. Patricia, ich melde mich bei dir!

Jimmy nickte zufrieden. Das musste reichen. Er legte den Zettel vor die Kaffeemaschine. Dort würde ihn Patricia als erstes finden. Dann verschwand er leise durch den Schlosspark. Als er das Tor passiert hatte, fluchte er leise vor sich hin. "Verdammt Jimmy, dein Hirn ist auch nicht mehr das, was es einmal war!" Hatte er doch in der Eile tatsächlich vergessen, sich ein Taxi zum Flughafen zu bestellen. Sein Handy, wie sollte es anders sein, hatte er im Schloss gelassen, denn er wollte ja unbedingt absolut unerreichbar sein. Nun blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich eine Telefonzelle zu suchen.
Nach 20 Minuten Fußweg war er zwar klatschnass, denn auch an einen Regenschirm hatte er nicht gedacht, aber wenigstens hatte er eine funktionierende Telefonzelle gefunden.
Kurze Zeit später stand er am Flughafen in der Eingangshalle und studierte die großen Flugpläne. Er wollte auf jeden Fall nach Irland, so viel stand fest. Aber wohin genau, das wusste er immer noch nicht. Ihm blieben ja eigentlich nur drei Möglichkeiten. Entweder er flog nach Cork, Dublin oder Shannon. Cork war ihm allerdings zu langweilig, Dublin war ihm auch so vertraut, er hatte ja eine ganze Weile dort gewohnt. Also entschied er sich für Shannon. Da wäre er auf jeden Fall schon mal in der Nähe der Küste, so dachte er sich. Zu Jimmys Glück waren auch noch Plätze frei und so saß er eine Stunde später im Flieger Richtung "Grüne Insel".

Als er nach mehr als zwei Stunden turbulenten Fluges in Shannon landete, empfing ihn strahlender Sonnenschein. Es war mittlerweile um die Mittagszeit herum und Jimmy spürte, wie sein Magen sich langsam bemerkbar machte. Von dem Flugzeugfraß hatte er bei den Turbulenzen über den Niederlanden nichts anrühren können. Nun kämpfte er sich mit seinem Köfferchen durch die Menschenmassen zu einer kleinen Snackbar durch.
"Sir, das macht 3 Pfund. Siiir?" Verwirrt sah Jimmy die Verkäuferin an. "Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?" "Ihr Kaffee und die beiden Sandwiches... das sind 3 Pfund, bitte."
Jimmy kramte vergeblich in seinem Portemonnaie und bereute insgeheim schon ein bisschen, dass er so überstürzt abgehauen war. Natürlich hatte er dabei nicht daran gedacht, Geld umzutauschen. Schnell zog er einen 10 Markschein aus der Tasche, drückte ihn der Verkäuferin in die Hand und verschwand, ohne eine Reaktion abzuwarten. Was nun? Er überlegte kurz, zog seine Visacard aus der Tasche und machte sich auf den Weg zur Autovermietung.
"Guten Tag, ich hätte gern einen Wagen. Für sagen wir ... eine Woche." Ungläubig sah in die Dame am Schalter an. "Tut mir leid, Mister, aber es ist Ferienzeit und die Wagen sind zur Zeit alle ausgebucht."
Na das fing ja schon mal gut an. "Hören Sie, ich brauche ein Auto. Es ist mir egal, wie Sie das machen. Oder meinen Sie, ich fliege wegen einem beschissenen Wagen wieder zurück nach Köln??" Wow, das hatte gesessen. Langsam redete sich Jimmy richtig in Rage. Musste denn heute alles schief gehen? Bevor er sich noch weiter aufregte, machte er schnell auf dem Absatz kehrt und war schon auf dem Weg zum Taxistand.
"Mister, halt, so warten Sie doch!" Wutschnaubend kam Jimmy zurück und starrte die Frau düster an. "Was gibt's denn jetzt noch?" "Also eine Alternative hätte ich für Sie. Sie sagten, eine Woche brauchen Sie das Auto?" Jimmy nickte. "Wir haben noch einen Ford Fiesta. Der sollte eigentlich nicht mehr raus, weil in 10 Tagen der TÜV abläuft... Aber wenn Sie ihn nur eine Woche brauchen und der Wagen Ihnen nicht zu klein ist..." "Warum haben Sie das nicht gleich gesagt!? Ich nehme ihn."

Das ganze Hin und Her mit dem Papierkram hatte sich so lange hingezogen, dass es mittlerweile schon Abend war, als Jimmy endlich irgendwo durch die Grafschaft Kerry fuhr. Immer noch ziellos. Als er nun um die nächste Ecke bog, musste er voll in die Eisen gehen. Vor ihm war in der Kurve ein Pferdewagen liegengeblieben. Da er sowieso nichts besseres zu tun hatte und Paddy ihm ständig einredete, der Mensch solle jeden Tag eine gute Tat vollbringen, hielt er an und versuchte, den Leuten zu helfen. Wie sich herausstellte, war die Achse des Planwagens gebrochen und die vier deutschen Touristen waren ziemlich hilflos. Der Vermieter des Wagens war nicht zu erreichen und Jimmy war sich darüber im klaren, dass hier in Irland heute sowieso nichts mehr passieren würde. Wie sagte man in Irland? Als Gott die Zeit gemacht hat, hat er genug davon gemacht!? Aber wenigstens hatten die ihren Wagen zum Schlafen. Und er? Was hatte er? Wo sollte er übernachten? Um diese Uhrzeit würde er sicher kein Hotelzimmer mehr bekommen. Und die Vorstellung, in diesem alten, vergammelten Ford schlafen zu müssen, fand er auch nicht sonderlich erfreulich. Als die vier Touristen krampfhaft versuchten, den Wagen an den Straßenrand zu schaffen, verdrängte Jimmy seine Gedanken und half schieben. Gemeinsam schoben sie den Wagen etwas abseits der Straße in eine kleine Ausbuchtung, spannten das Pferd aus und machten ein Lagerfeuer. Wenn die ganze Situation nicht so verworren wäre, wär's hier fast schon wieder schön, schoss es Jimmy durch den Kopf, als er zu seinem fahrbaren Untersatz zurück ging.
"Ey Jim, warte mal", rief einer der vier "Bruchpiloten". Erst reagierte er gar nicht. Er wurde fast nie Jim genannt. Aber warum hatte er sich hier als Jim vorgestellt? "Jim?? Warum bleibst du nicht hier und isst mit uns. Wir haben ja alles hier... Sogar noch ein warmes Schlafplätzchen, wenn du willst", rief Max ihm erneut hinterher. "Eigentlich gar keine schlechte Idee, Leute", strahlte Jimmy die vier an, als er zurückkam. "Wenn ich euch nicht störe, würde ich gern bleiben."

Nachdem sie gegessen hatten, kam Jenny auf ihn zu. "Sag mal, warum nennst du dich denn neuerdings eigentlich Jim, Jimmy?" Jimmy wurde ganz blass. Wie hatte er auch annehmen können, deutsche Leute, vielleicht sogar Fans, würden ihn, Jimmy Kelly, nicht erkennen?! Misstrauisch betrachtete er einen nach dem anderen. "Hey Jimmy, nu mach mal halblang. Wir wissen wer du bist, ja. Aber wir werden nicht in wildes Geschrei ausbrechen oder dich kidnappen! Oder doch, Julia?", grinste Jenny ihre Freundin an. "Nein, lass mal gut sein. Wir haben ja unsere Männer dabei", erwiderte Julia schlagfertig und Jimmy entspannte sich langsam wieder.
Kurze Zeit später holten Max und Julia ihre Gitarren aus dem Wagen und alle fünf setzten sich wieder ans Lagerfeuer.
Zwar äußerst außergewöhnlich, aber nicht schlecht für den ersten Tag, resümierte Jimmy, bevor er mit dem monotonen Schnaufen des Rappen vor dem Planwagen einschlief.

***

Jimmy wachte früh auf. Er überlegte kurz, ob er die anderen wecken sollte, entschied sich letztendlich aber doch, einen schnellen Abgang zu machen. Er hatte schließlich schon genug Zeit verloren. 10 Minuten später war er unterwegs zu den Aran-Islands. Er wusste, mit seiner Klapperkiste würde es eine lange Fahrt bis dort hin werden und er würde bestimmt erst am frühen Nachmittag dort sein. Also hielt Jimmy an der nächsten Tankstelle, deckte sich reichlich mit Essen und Getränken ein und tankte noch mal voll. Doch schon nach wenigen Kilometern blieb ihm der Ford liegen.
"So eine Scheiße, auch das noch!", tobte Jimmy. Warum hatte er nur sein Handy daheim gelassen. Dann hätte er jetzt wenigstens einen Abschleppdienst rufen können. Schnell wurde ihm klar, dass ihm hier alles Schimpfen auch nicht weiterhalf. Pah, wenn Joey denkt, nur er wäre Superman... Dem wird' ich's zeigen, beschloss Jimmy und sprintete los. Die paar Kilometer bis zur Tankstelle zurück sind doch ein Kinderspiel für mich, dachte er so bei sich und freute sich schon fast, Joey, oder vielleicht sogar sich selbst, etwas beweisen zu können.
Er rannte und rannte; blieb stehen, verschnaufte und rannte wieder. Aber nach einer Stunde hatte er die Tankstelle noch immer nicht erreicht. Hatte er sich etwa verlaufen? Ausgeschlossen. So konnte ihn sein sonst gut funktionierender Orientierungssinn nicht im Stich gelassen haben. Er ging weiter die menschen- und vor allem autoleere Landstraße entlang. Das Rennen hatte er mittlerweile aufgegeben. Joey würde ihn ja doch nicht sehen...
Nach einer weiteren Stunde Fußmarsch sah er endlich die Tankstelle am Horizont. Da musste er sich kilometermäßig ja ganz schön verschätzt haben.
Er schnappte sich einen, nämlich den einzigen, Automechaniker, der gerade dabei war, aufgrund der Mittagspause zu schließen.
"Guter Mann, tun Sie mir das nicht an, bitte!", flehte er. "Ich stehe da irgendwo in der irischen Pampa mit meiner Karre! Und ich muss doch weiter!" "Es tut mir leid, Sir, ich hab jetzt Pause und außerdem... ach, was soll's, ich bin Ire und wir Iren wollen uns ja nicht nachsagen lassen, wir wären touristenfeindlich. Lassen Sie uns gehen!" Jimmy überlegte kurz... "Mister, mein Name ist Kelly, Jimmy Kelly. Von mir aus können Sie touristenfeindlich sein wie sie wollen. Aber einen Landsmann werden Sie doch wohl nicht im Stich lassen, nicht wahr?" Der Alte war beeindruckt. Dieser Kerl wusste, wie man sich durchschlug. "Ach noch was, Mister. Ich schlage vor, wir nehmen Ihr Auto! Ich hab nämlich keine große Lust, noch mal 2 Stunden zurückzulaufen!"
Bereits nach 30 Minuten machte sich Neill an Jimmys Wagen zu schaffen. "Sagen Sie, Mister Kelly, was haben Sie denn vorhin getankt?" Jimmy legte die Stirn in Falten. "Na Super Bleifrei, wie immer!" Da begann der Automechaniker zu lachen. "Sir, mag ja sein, dass sie auf dem Papier Ire sind, aber leben tun Sie sicherlich nicht hier, hab ich recht?" Jimmy verstand nur Bahnhof. Was wollte der Typ jetzt von ihm? "Wissen Sie", fuhr Neill fort, "bei uns laufen fast alle Autos mit Diesel Kraftstoff. Und der Ford ja sowieso!" Am liebsten wäre Jimmy im Boden versunken. Durch seine eigene Blödheit hatte er nun schon wieder Zeit verloren. Zum Glück hatte der falsche Sprit dem Motor noch nicht weiter geschadet, so dass Neill ihn einfach gegen Diesel austauschte und Jimmy nach kurzer Zeit weiterfahren konnte.

Gegen 19.00 Uhr kam er in Doolin, der ersten Möglichkeit, sich mit einer Fähre nach Inishmore übersetzen zu lassen, an. Doch wieder spielte das Schicksal Jimmy übel mit. Die letzte Fähre zu den Aran-Inseln hatte vor 20 Minuten abgelegt. Was sollte er nun tun? Er hatte sich in den Kopf gesetzt, wenigstens ein Mal die größte der drei Aran-Inseln zu besuchen. Rüber schwimmen? Jimmy musste lachen. Er war zwar verrückt, aber sooo verrückt nun doch noch nicht. Dann würde er eben am nächsten Tag rüberfahren. Er setzte sich wieder in sein Auto und machte sich auf die Suche nach einer Bed&Breakfast-Pension. Wenige Meter vom Hafen entfernt wurde er fündig. Die Pension würde ihm bis morgen reichen.
Da es in Doolin nichts weiter zu sehen gab, ging Jimmy gleich in sein Zimmer. Auf Pub hatte er keine Lust mehr. Dazu war ihm der Tag doch zu anstrengend gewesen. Er schaltete den Fernseher an und machte es sich auf seinem Bett bequem. Na bitte, eine Suchmeldung von ihm ging also auch noch nicht durchs Land, stellte er nach den Nachrichten zufrieden fest. Trotzdem befand er, es wäre nun an der Zeit, sich mal bei seiner Schwester Patricia zu melden.

>Halloo?
>Hi Schwesterchen, ich bin's, Jimmy.
>Jimmy, hi. Wie geht's dir? Wo bist du? Was machst du?
Jimmy atmete tief durch. Immer diese Fragerei...
>Ich bin in Irland, mir geht's gut und ich telefoniere gerade mit meiner
neugierigen Schwester! Fragen beantwortet?
Er konnte sie zwar nicht sehen, aber er spürte, dass sie lächelte.
>Du, Patricia, mach dir keine Sorgen, ich komme am Sonntag zurück.
Kann mich jemand vom Flughafen abholen?
>Ich leider nicht. Dad hat für Sonntag mal wieder den "Familienrat"
einberufen. Aber Denis kann dich bestimmt abholen!
>Ok, Schwesterchen. Ich mach dann wieder Schluss. Wir sehen uns. Bye.
>Bye, Jimmy.

Das hatte er auch erledigt. Eine Sache weniger, an die er denken musste.

***

Am nächsten Tag wachte Jimmy erst gegen Mittag auf. Vielleicht hätte er die dicken Vorhänge nicht zuziehen sollen. Schnell sprang er aus dem Bett und sprintete in die Küche, in der Hoffnung, auch um halb 12 noch Frühstück zu bekommen. Als er den gedeckten Küchentisch sah, erhellte sich sein Gesicht. Sein Magen begann, Luftsprünge zu machen. Er wusste schon, warum er Irland so liebte. Die Gastfreundlichkeit war unübertrefflich. Jimmy setzte sich an den Tisch und ließ sich Kaffee einschenken.
"Sir, ich hoffe, es war richtig, dass ich Sie hab ausschlafen lassen. Aber ich dachte mir, bei dem Wetter zieht Sie wahrscheinlich sowieso nichts nach draußen." Jimmy warf einen Blick aus dem Fenster. Schon wieder machte ihm jemand, oder besser gesagt Etwas einen Strich durch die Rechnung. Wieder musste er seine Pläne umwerfen, denn bei so einem Regen und Sturm würde keine Fähre rüber zu den Aran-Islands fahren.
Nach dem "Frühstück" überlegte Jimmy, was er nun mit dem angebrochenen Tag anstellen sollte. Er entschied sich, trotz schlechten Wetters, zu den Cliffs Of Moher zu fahren. Dort würden heute wenigstens nicht so viele Touristen sein.
Er fand schnell einen Parkplatz und machte sich auf zum O'Briens Tower. Alles sah noch so aus wie damals, als sie hier das Fotoshooting fürs Over The Hump-Cover gemacht hatten. Jimmy erinnerte sich, wie sie sich damals alle über das relativ schlechte Wetter geärgert hatten. Aber jetzt fand er das Cover mehr als passend. "Über dem Hügel" hatte es ja auch nicht immer nur Sonnenschein gegeben.
Nach diesem Besuch fuhr Jimmy nach Galway; im Hinterkopf immer noch die Idee, dass auch von dort aus eine Fähre nach Inishmore fuhr. Den Abend verbrachte er wenig spektakulär in einem Irish Pub bei einem guten Guinness und Livemusik. Und er nahm sich fest vor, seinen Geschwistern mal vorzuschlagen, ein paar irische Jigs und Reels auf der nächsten Tour zu spielen, als er in seinem Bett lag und Schäfchen zählte.

***

Als Jimmy am Morgen aufwachte, zog es ihn in der Hoffnung auf Wetterbesserung als erstes zum Fenster. Zufrieden stellte er fest, dass es aufgehört hatte zu regnen. Er suchte seine paar Sachen zusammen, schlang sein Frühstück herunter und stand auch schon an der Anlegestelle der Fähre nach Inishmore. Er glaubte es kaum, er würde doch noch zu den Aran Islands kommen. Sein Auto hatte er in einer kleinen Seitenstraßen am Hafen abgestellt, denn die Fähre war, wie seine Gastwirtin beim Frühstück schon prophezeit hatte, nur für den Personentransport ausgerichtet. Da Jimmy abends wieder zurück in Galway sein wollte, störte ihn das wenig, sein Auto zurückzulassen.
Die Fähre setzte sich in Gang und schon nach wenigen Minuten Fahrt stellte unser Jimmy fest, dass er wohl besser nicht gefrühstückt hätte. Es herrschte ein heftiger Seegang und Jimmy, dezent grünlich verfärbt, hing über der Reling und sah sein Toast-Rührei-Gemisch davonschwimmen. Was hatte er sich damals beim Familiensegeltörn über die seekranke Maite lustig gemacht. Und nun betete er selbst die Kloschüssel an, wenn es denn eine gegeben hätte. Nun wusste er, was es hieß, seinem Magen einen Kampf mit der irischen See zu liefern. Und Jimmy schwor sich, nie wieder Scherze auf Kosten seekranker Maites oder anderer Geschwister zu machen. Plötzlich wurde Jimmy in seinem Würgeanfall unterbrochen. Es hatte ein ohrenbetäubendes Knallen gegeben und die Fähre blieb mit einem Ruck stehen. Ratlos blickten sich die Passagiere um. Es waren nur noch knapp 200 Meter bis zur Insel; 200 Meter, die Jimmy unendlich lang vorkamen, wo sein Magen so rebellierte.
Der Reservemotor setzte ein und die Fähre lief im Schritttempo in Inishmore ein. Jimmy war der erste, der das Höllengerät verlassen hatte. Er stürmte in das erstbeste Restaurant und bestellte sich erst mal einen Whiskey, um seinen Magen wieder zu beruhigen. Als es ihm besser ging, machte er sich auf, die Insel zu Fuß zu erkunden.

Als er gegen 5 Uhr nachmittags an der Anlegestelle der Fähre ankam, war ihm bereits wieder schlecht. Er hatte zwar vorsorglich nichts gegessen, aber er hatte trotzdem Angst, wieder die ganze Zeit über der Reling hängen zu müssen. Seine Angst war allerdings erst mal, wie er kurz darauf feststellen sollte, unbegründet. Denn nun nahm er ein in großen Lettern beschriebenes Schild wahr:

Sehr geehrte Fahrgäste,
aufgrund der schlechten Seeverhältnisse waren wir gezwungen, den Fährverkehr bis voraussichtlich morgen Nachmittag einzustellen. Bitte benutzen Sie eines der zahlreichen Segelflugzeuge, um zurück nach Galway zu kommen.
Ihr Galway-Inishmore-Fährteam

Jimmy war verzweifelt. Die Fähre hatte ihm ja schon zugesetzt... Aber jetzt noch in so einen klapprigen Segelflieger?! Wo er doch so schon nicht unbedingt ein Fan des Fliegens war... Aber warum hätte auch sein dritter Urlaubstag ohne Pannen verlaufen sollen? Mittwoch, der 11., überlegte Jimmy. Was würde er da wohl erst am Freitag machen? Normalerweise war er ja nicht besonders abergläubisch. Aber hier und jetzt... und unter den Umständen..!?
Durch sein Grübeln hatte er gar nicht gemerkt, dass die Maschine schon wieder in Galway gelandet war.
"Sir? Hat es Ihnen so gut gefallen, dass Sie gleich wieder mit zurückfliegen wollen?" Erschrocken sprang Jimmy aus seinem Sitz. Alles, nur das nicht!
Er hatte keine Lust mehr, sich heute noch ins Auto zu setzen und weiterzufahren. Also ging er zu seiner letzten Pension zurück.
Als er in seinem Bett lag, ging ihm nur noch ein Gedanke durch den Kopf. Den nächsten Tag wollte er ruhiger angehen lassen. Koste es, was es wolle.

***

"Connemara!" Jimmy richtete sich in seinem Bett auf. Er war erwacht, weil er sich selbst im Schlaf hatte sprechen hören. "Connemara", wiederholte er leise. Das war es. Da würde er Ruhe finden. Er blickte auf die beleuchtete Uhr über dem Fernseher, doch es war erst kurz vor 4 in der Früh. Da konnte er sich getrost noch mal umdrehen und ein paar Stunden schlafen.
Gegen 8 Uhr wurde Jimmy das nächste Mal wach, weil ihn ein Sonnenstrahl blendet. Ja, ja, die Sonne würde er bald nicht mehr sehen. Er hatte schon gehört, und selbst miterlebt, dass in Galway der schönste Sonnenschein sein konnte. Aber ein paar Kilometer weiter im Connemara-Gebiet konnte das schon ganz anders aussehen. Was ja seiner Meinung nach sowieso viel besser zu der melancholischen Stimmung dort passte.
Jimmy bestellte sich sein Frühstück aufs Zimmer und schlang in Windeseile sein Müsli herunter. Er wollte so schnell wie möglich aufbrechen, aber hinderte sich letztendlich selbst an der frühen Abfahrt. In der ganzen Hektik, die er ja heute eigentlich vermeiden wollte, hatte er seinen Autoschlüssel verlegt. Er suchte alles ab, das Badezimmer, seinen Koffer, das Bett und wieder das Badezimmer, wo er schließlich fündig wurde. Er hatte den Autoschlüssel in seinen Zahnputzbecher gelegt, damit er ihn beim Zähne putzen sehen würde und ihn auch auf gar keinen Fall vergessen konnte. Und jetzt hatte er selbst das Zähne putzen vergessen. Aber glücklicherweise wurde er ja nun an beides, Zähne putzen und Schlüssel, erinnert.
Zufrieden verließ er kurze Zeit später die Pension und fuhr auf dem N59 Richtung Connemara.

Von Minute zu Minute bewölkte sich der Himmel mehr. Die ersten Regentropfen prasselten schon gegen die Windschutzscheibe und Jimmy stellte die Scheinwerfer an. Es blitzte und donnerte. Da war er ja in ein schönes Unwetter geraten. Er versuchte vergeblich, dass Donnern mit dem Autoradio zu übertönen. Bei dem Wetter würde man ja keinen Hund vor die Tür jagen, schoss es ihm durch den Kopf. Kein einziges Auto kam ihm entgegen. Die Straßen, alle ausgestorben. Aber Jimmy war trotzdem froh, dass er diese Tour machte. Er wollte auf dem N59 bis zur Küste, bis nach Cleggan, fahren.

Am Nachmittag verließ er Cleggan und fuhr den N59 wieder zurück. Es schüttete immer noch wie aus Eimern, aber Jimmy sah das monotone Wischen des Scheibenwischers schon gar nicht mehr. "In Dublin's fair city, where the girls are so pretty...", sang Jimmy lauthals mit dem Radio mit. Er schlug den Rhythmus auf dem Lenkrad mit und war in Gedanken schon wieder beim Planen seiner nächsten Strecke. Plötzlich vernahm er einen merkwürdigen Geruch. Hm, irgendwie roch es verbrannt. Jimmy konnte beim Fahren nichts Außergewöhnliches feststellen, aber er behielt die Motorhaube im Auge. Der Geruch wurde von Minute zu Minute intensiver. Langsam wurde es Jimmy doch irgendwie mulmig. Er fuhr weiter. Und da trat auch schon Rauch unter der Motorhaube hervor. "Na wunderbar, na klar, warum auch nicht! Immer muss mir so'n Scheiß passieren", tobte Jimmy und schlug wütend auf das Lenkrad ein. "So eine scheiß Karre! Altes Mistteil."
"TÜV", fiel es Jimmy wie Schuppen vor den Augen, "der TÜV ist fällig", murmelte er vor sich hin. Warum hatte er sich nur mit diesem Wagen abservieren lassen? Er begann zu frieren und fasste sich an die linke Schulter, wo die Kälte herzukommen schien. Was war das? Alles nass! Da sah Jimmy auch schon die nächste Misere. Der Dichtungsgummi am Türrahmen löste sich auf. Für so einen anhaltenden Regenguss war der alte Ford nicht mehr fit. Und nicht nur das Fenster... Jimmy sah sich im Auto um. Überall, aus jeder Ritze, kam das Wasser herein. "Scheiße, scheiße, scheeeeeeeiiße", brüllte er, schwieg aber sofort wieder und versuchte, einen kühlen Kopf zu behalten. Was sollte er denn nun tun? Er stand irgendwo in Connemara... ohne Telefon... und seit Stunden hatte er keinen Menschen und kein Auto unterwegs gesehen. Und es regnete und regnete. Jimmy ordnete seine Gedanken. "Entweder hier sitzen bleiben und warten, dass das Auto volläuft und wegschwimmt, oder...", flüsterte Jimmy, um sich selbst zu beruhigen, "oder... oder... oder... aussteigen, laufen und sehen, was passiert!" Er entschloss sich für letzteres. Nass wurde er ja so oder so. Und was hatte er da noch für eine Wahl? Es begann auch schon langsam, dunkel zu werden. Er musste sich also beeilen.

Ihm peitschte der eisige Regen ins Gesicht und er war schon nach wenigen Schritten bis auf die Haut durchnässt. Das konnte ja eine super Nacht werden. Er lief und lief, immer in der Hoffnung, irgendwo ein Haus zu entdecken, bei dem er um Unterschlupf bitten konnte. Es war mittlerweile stockfinster. Jimmy sah seine eigene Hand nicht mehr vor Augen, aber er lief trotzdem weiter, kämpfte gegen Kälte und Erschöpfung und war bald soweit, einfach stehen zu bleiben und zu warten. Warten, dass jemand vorbeikam und ihn fand. Aber das konnte noch Stunden, ja sogar Tage dauern. Er quälte sich Meter um Meter vorwärts. "Määäh". Schafe! Das war es. Wieso war er da nicht früher drauf gekommen? Wo Schafe waren, musste es zumindest einen Unterstand geben. Jimmy setzte mit letzter Kraft zu einem Sprung über die Steinmauer an. "Määääh". Shit, da war er wohl auf einem Schaf gelandet. Hoffentlich nahm es ihm das Tier nicht allzu übel, dass es als Landeplatz missbraucht wurde und hoffentlich waren die nicht allzu fremdenfeindlich oder gar aggressiv!? Er taste sich langsam vorwärts, um es sich nicht mit noch mehr Herdenmitgliedern zu verscherzen. Schließlich war er ja nun auf sie und ihr "Haus" angewiesen. Er lief den dunklen Umrissen eines kleinen Gemäuers entgegen. Sah zwar nicht sehr einladend aus, aber besser als hier draußen musste es allemal sein. Eine Tür gab es nicht. Nicht mehr. Er trat durch den Türrahmen in die kleine Hütte. Es roch nach Stroh und Fäkalien. Jimmy tastete den Boden ab, um eine geeignete Stelle zum Schlafen zu finden. Na hoffentlich legte er sich nicht... "Iiiiiiieh", er spürte irgendetwas sehr Warmes, Weiches, Übelriechendes an seiner Hand. Voll reingefasst! Jimmy holte mit der verschont gebliebenen Hand ein aufgeweichtes Taschentuch aus seiner Hosentasche und putzte seine in Mitleidenschaft gezogene Hand, so gut es eben ging, ab. Er blieb stehen, tastete noch mal genauer und ließ sich dann in einer Ecke nieder. Er fror immer noch erbärmlich in seinen nassen Klamotten, aber wenigstens pfiff ihm der Wind nicht mehr um die Ohren und der Regen peitschte ihm nicht mehr ins Gesicht.
"Määäh". Jimmy setzte sich auf. Und wieder "Määäh". Das "Määäh"-Tier schien direkt auf ihn zuzukommen. "Määäääh". Da war es auch schon. "Nein, hör' auf, Mistvieh". Also das war ja wohl die Höhe. Nicht genug, dass es hier erbärmlich stank, nun wurde er von dem Vieh auch noch abgeschleckt. "Hör auf!!!!!", Jimmy schlug um sich. Das hielt das Schäfchen dennoch nicht ab, sich direkt neben Jimmy zu legen. Jimmy rümpfte die Nase. Dieser Gestank... Aber wenigstens strahlte das Wolltier ein bisschen Wärme aus. "Määäh". Die nächsten Schafe kamen. Jimmy gab es auf, die Luft anzuhalten, um den Geruch nicht einzuatmen. Gegen so viele hatte er keine Chance. Er war umgeben von stinkenden Gefährten, aber wenigstens schienen sie ihn zu akzeptieren, auch wenn er seinem "Herzensschäfchen" eine Abfuhr erteilt hatte, und spendeten ihm warme, wenn auch kaum auszuhaltende Luft.

***

Hatschi, hatschi, hatschi. Jimmy wurde wach. Na super, das hörte sich ja ganz verdächtig nach Erkältung an. Er sah an sich herab. Seine Sachen waren immer noch nass. Aber sie hatten ein wenig ihre Farbe geändert. Jimmy hatte noch nie Hose und Pullover einheitlich in braun-grün, behangen mit Stroh und Wolle, besessen. Er roch an seinem Ärmel. Pfui Teufel, wie der stank. So würde er glatt selbst als Schaf durchgehen. Jimmy streckte sich, machte ein paar Dehnübungen und lief dann zur Straße. Gott sei Dank hatte es aufgehört zu regnen. Das war aber auch das einzige, was Jimmy einen Lichtblick in seiner Situation gab, während er der Straße in Richtung Osten folgte. Er war schon einige Kilometer gelaufen, als er ein immer lauter werdendes Geräusch wahrnahm. Das musste aber ein großes Auto sein, was da kam. Wahrscheinlich sogar ein LKW. Er konnte ihn noch nicht sehen, weil die Straßenerhebung dies nicht zuließ, aber Jimmy war sich ganz sicher, dass der Wagen sich weiterhin näherte. Endlich jemand, der ihm helfen konnte. Er blieb stehen, drehte sich um, so dass er in Richtung des Wagens blickte und stellte sich mit erhobenem Daumen mitten auf die Straße. Nun sah er den Wagen endlich, es war wirklich ein großes Teil. Sah ja fast aus wie... ein Abschleppwagen. Und als dieser wenige Meter vor ihm zum Stillstand kam, sah er "seine Mistkarre" hinten drauf. Das konnte ja kein Zufall sein. Freitag, der 13... Aber er hatte wenigstens mal Glück. Nachdem Jimmy den Fahrer kurz in seine Situation eingeweiht hatte, erklärte dieser sich bereit, ihn samt Auto nach Galway zurückzubringen.
Jimmy brachte den Wagen in die nächste Werkstatt, um ihn wenigstens wieder fahrtüchtig zu machen, während er sich ein paar trockene Klamotten kaufte und sich in einer Pension mit einem heißen Bad wieder zum Leben erweckte. Bereits am frühen Nachmittag war er wieder mit seinem Katastrophenauto unterwegs, mit im Gepäck eine halbe Apotheke, um die ausbrechende Erkältung bestmöglich einzudämmen. Es lag ein langer, langer Weg vor ihm. Jimmy wollte bis nach Dublin. Er hatte genug von den ganzen Strapazen der letzten Tage und wollte nur noch nach Hause. Nachdem in Shannon für heute alles ausgebucht war, wie er telefonisch erfragt hatte, war er nun auf dem Weg nach Dublin, in der Hoffnung, dort morgen früh einen Flieger nach Deutschland zu bekommen. Während der Fahrt schickte er immer wieder Stoßgebete nach oben, in denen er nur darum bat, dass es nicht regnen würde; denn das Auto wasserdicht zu machen, war in Galway in so kurzer Zeit nicht möglich. Außerdem ging man sowieso davon aus, dass das Auto in den nächsten Tagen auf dem Autofriedhof landen würde.

Am Abend kam Jimmy total ausgepowert in Dublin an und suchte sich ein Hotel in der Nähe des Flughafens. Nach einem heißen Erkältungsbad legte er sich sofort ins Bett, aber schlafen konnte er nicht. Er wurde immer wieder von Schwitzattacken und Schüttelfrost heimgesucht. Da halfen auch die ganzen Tabletten nichts mehr, die er sich am Vormittag besorgt hatte. Schlief er mal ein, wurde er bereits nach kurzer Zeit wieder aus Fieberträumen gerissen, weil er sich selbst um sein Leben schreien hörte. Er musste nach Hause. Egal wie. Ihm war jedes Mittel recht. Auch wenn er Patricia gesagt hatte, er würde erst am Sonntag kommen, nun wollte er nur noch weg. Auf den einen Tag mehr konnte er getrost verzichten, erstens war er krank, nein mehr als das eigentlich, so fand er, und zweitens konnte er bestens auf noch einen weiteren Tag voller Katastrophen verzichten. In wenigen Stunden würde er am Flughafen sitzen und auf seinen Flug warten, so hatte er gerade beschlossen. Seiner Familie wollte er aber nicht mitteilen, dass er einen Tag früher als geplant kam, sonst würde er nur lange Erklärungen abgeben müssen und dazu hatte er in seinem Zustand nun absolut keinen Nerv. Und wieder fiel er in einen unruhigen Schlaf...

***

Als Jimmy das nächste Mal aufwachte, war es kurz nach 9 Uhr. Er richtete sich auf, fiel aber sofort wieder zurück in die Kissen. Mann, ihm dröhnte der Schädel, als hätte er drei Tage durchgesoffen. Nach einer Weile schlich er ins Bad, um sich wenigstens ein bisschen frisch zu machen. Er hatte das Gefühl, als würde er gleich ohnmächtig werden, aber er stieg trotzdem unter die Dusche, putzte sich die Zähne und machte seinen Koffer fertig. Dann legte Jimmy sich noch mal eine halbe Stunde aufs Bett, um sich auszuruhen und den Rückflug einigermaßen zu überstehen.
Er musste eingeschlafen sein, denn als er auf die Uhr schaute, war es bereits Mittag. Jimmy setzte sich auf die Bettkante. Er schwitzte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Scheiße. Meine Birne ist ganz schön heiß. Bestimmt Fieber!", murmelte er in sich hinein. Dann sprang Jimmy auf, riss seinen Koffer aus der Ecke und machte sich auf den Weg zum Auto. So ein bisschen Fieber würde ihn nicht aus der Fassung bringen, und ihn schon gar nicht daran hindern, nach Hause zu fliegen. Aufgeben gab's nicht, nicht für ihn. Und wie hatte Joey mal so treffend formuliert? Wenn du ans Aufgeben denkst, hast du schon aufgegeben. Aber so weit würde er es nicht kommen lassen, dass war sich Jimmy sicher.

Am Flughafen angekommen, ging er schnurstracks zum Buchungsstand.
"Hi. Ich brauche einen Flug nach Köln. Wenn es geht sofort!" Sein Gegenüber sah im Computer und blickte ihn mitleidsvoll an. "Tut mir leid, Sir. Aber heute fliegen nur noch drei Maschinen nach Köln, und die sind alle ausgebucht." Das durfte ja mal wieder nicht war sein. Was sollte er nun tun? "Hören Sie, ich muss nach Köln..." Sollte er sagen, dass er krank war? Nein, dann würden sie ihn vielleicht erst recht nicht fliegen lassen... "wissen Sie ...meine Freundin, die... die..., ich meine, wir heiraten morgen...ähm...und...und...deshalb muss ich jetzt sofort nach Köln. Verstehen Sie?" "Sir, es tut mir leid. Ich kann Sie ja verstehen, aber ich kann Ihnen leider nicht helfen. Ich kann ja keinen Passagier aus der Maschine reißen!? Warten Sie." Die Dame tippte wie wild auf ihrer Tastatur herum und betrachtete dann ausgiebig den Bildschirm. "Ah hier. Also das einzige, was ich für Sie tun kann... hier", sie drehte Jimmy den Bildschirm hin und zeigte auf den Eintrag, "morgen früh können Sie fliegen. Um 8.30 Uhr ist was frei." Nein, das war Jimmy zu spät. Er wollte JETZT nach Hause. Und nicht erst morgen... irgendwann. "Nein, das geht nicht. Auf Wiedersehen, Miss." Und weg war er. Dann würde er eben nach Shannon zurückfahren und von dort fliegen. Dafür war er sogar bereit, den weiten Weg von Dublin wieder rüber bis fast zur Westküste zu fahren. Nur weg hier! Er brauchte seine Medikamente auf, hielt noch mal an einer Apotheke, um sich Aspirin zu besorgen und fuhr dann nach Shannon, wo er gegen 18.00 Uhr völlig fertig ankam.

"Hi Miss. Bitte helfen Sie mir", flehte Jimmy, "ich muss nach Köln. Heute noch. Am besten sofort!" Auch diese Dame schaute im Computer. Ihre Stirn zog sich schon nach kurzer Zeit kraus. Das konnte ja wieder nichts Gutes bedeuten, kam es Jimmy in den Sinn. "Sir, das sieht ganz schlecht aus. Die Flüge sind alle ausgebucht!" "Gute Frau, ich muss nach Köln heute. Ich war vorhin noch in Dublin, aber da war auch alles ausgebucht. Deshalb bin ich den weiten Weg hierher..." "Das tut mir leid für Sie, aber was soll ich machen? Voll ist voll." Jimmy war am verzweifeln. Er wollte doch nur nach Hause. Nur nach Hause. Er, ganz allein. Eine einzelne Person. Und wenn er im Gepäckraum... "Sir, ich habe gerade noch mal im Computer nachgesehen. Morgen früh um 5.10 Uhr geht eine Maschine nach Köln. Möchten Sie dort mitfliegen?" Mittlerweile war Jimmy alles egal. Heute kam er nicht mehr weg. Dann musste er den 5.10 Uhr-Flug buchen. Bevor der auch noch belegt war... Nachdem Jimmy dies getan hatte, setzte er sich in seinen Ford. Es lohnte sich ja nicht, eine Unterkunft zu suchen. Er musste schon um kurz vor 4 in der Früh wieder am Flughafen sein. So müde wie er war, würde er die paar Stunden im Auto schlafen. Jimmy fuhr zu Mc Donalds, um wenigstens ein bisschen was Warmes in den Magen zu bekommen, aber wirklich schmecken tat ihm sein Cheeseburger nicht. Er quälte sich die letzten Happen herunter und war auch schon wieder auf dem Weg zurück.
Mittlerweile war es Neun. Jimmy nahm eine Aspirin und verkroch sich mit seiner Wolldecke, die er gerade noch unterwegs an einer Tankstelle erworben hatte, auf den Rücksitz.

***

Um 7.50 Uhr stand Jimmy auf Kölner Boden. Er beschloss, Patricia aus dem Bett zu klingeln und zu fragen, ob sie ihn abholten.
Schon eine halbe Stunde später betrat Patricia den Terminal. Jimmy hatte sich am Telefon so komisch angehört, dass sie sofort losgefahren war. Nun sah sie ein Häufchen Elend auf einer Bank liegen, welches ihrem Bruder doch sehr ähnlich sah. "Hey Jimmy, ich bin jetzt da!" Jimmy erwachte und blinzelte Patricia aus kleinen, verquollenen Augen an. "Hi Schwesterchen. Danke, dass du so schnell gekommen bist!", krächzte er. "Oh Jimmy, was ist denn mit dir passiert? Du hörst dich furchtbar an! Wo warst du? Was ist passiert?" Da waren sie wieder... die Fragen, die er jetzt eigentlich gar nicht gebrauchen konnte. "Das ist eine lange Geschichte, Patricia, die ich dir erzählen werde. Aber bitte bring mich nach Hause, lass mich ausschlafen und dann erzähle ich dir, warum ich niiie wieder in Irland ein Auto miete!" Ein Auto? Patricia verstand nur Bahnhof. Konnte ein einziges Auto Jimmy in eine Bazillusbombe verwandelt haben? Patricia brannten die Fragen unter den Nägeln. Sie musste lachen. "Okay Jimmy, weil du es bist. Du kommst erst mal mit zu mir. Dann kann ich dich pflegen und du kannst ausschlafen... Aber dann will ich alles haargenau wissen!" Jimmy lächelte sie dankbar an. "Du bist und bleibst meine Lieblingsschwester! Aber nun bring mich endlich in ein verdammtes Bett!" Und Arm in Arm verließen die beiden das Flughafengelände...


© Melli (