Vierter Tag
Fortsetzung von Dritter Tag
Je später ich ins Bett gehe, desto früher werde ich am Morgen wach. Paradox, aber so ist es manchmal bei mir. Nach unserem Jam-Session im Keller bis Mitternacht schlief ich keine 5 Stunden – und war schon wach und voller Energie. Wahnsinn.
Also was sollte ich mit den ewig langen Stunden machen, die bei den Kellys noch zur Nacht zählen? Vor 10 stehen sie bestimmt nicht auf...
Und dann hatte ich eine ganz abgefahrene, sadistische, perverse, unverständliche, krasse Idee. Wie wär’s mit etwas Arbeit?!
Einerseits musste ich definitiv endlich etwas für meine Deutschstunden lernen. Andererseits – und das interessierte mich viel mehr – stand noch die Organisation des InfoCard-Systems vor mir. Ich begann alles langsam aufzubauen – die Kosten, die Angestellten, die Weiterleitung der Information, das Computerprogramm etc. Am Ende hatte ich das ganze schon ziemlich genau ausgedacht – musste aber jemandem noch tausende Fragen stellen. Und deshalb ging ich auf der Suche nach einem verantwortungsvoll aussehenden Kelly (vorausgesetzt, dass es sowas gibt).
Und das Schicksal wollte es so, dass ich auf Johnny stiess, und ihn aus einem nicht ganz klaren Grund für verantwortungsvoll gehalten habe – auch wenn nur für kurze Zeit. Und deshalb redete ich los: "Guten Morgen, Johnny, könnte ich dir so einiges fragen, ich habe nämlich das IC-System entwickelt, und..."
"Ich gehe grad reiten... ähm... na ja, komm einfach mit, und erzähl mir alles..."
Das klang sinnvoll. Ich folgte ihm zum Stall. Dort angekommen kam aber der Schock:
"Also Andrea – das Pferd da kannst du haben. Es gehört Angelo, aber er wird es dir sicher nicht übel nehmen, wenn du..."
"Aber... aber... das ist ein PFERD!" wimmerte ich entsetzt, und blickte hilfesuchend auf Johnny. Er guckte mich mit Augen voller Geduld an:
"Ja, Andi. Reiten tut man auf einem PFERD." Ich hasse es, Andi genannt zu werden, aber das fiel mir diesmal einfach nicht auf. Zu gross war meine Angst, als ich langsam verstand, was er von mir erwartete.
"Sag’ bloss nicht, dass du nicht reiten kannst." redete Johnny weiter. "In England sind ALLE Mädels verrückt nach Ponies, ohne Ausnahme. Die können alle so genial reiten... Wahnsinn. Das kannst du aber sicher auch, oder?"
Ich wünschte mir sehr, dass er das nicht gesagt hätte. Ich war schon dabei, zuzugeben, dass ich tatsächlich eine Ausnahme war, und mich für Ponies nie interessiert hatte – ganz im Gegenteil. Aber seine letzten Paar Sätze waren schon zu viel für mein Ego, und ich konnte mich nicht stoppen, bevor ich ihm gestand:
"Natürlich kann ich das auch!"
"Gut. Das Pferd heisst übrigens ‘Devil’."
"Wie beruhigend..." murmelte ich leise.
***
"Johnnyyyyyyyyyyyyyyyyyy!!! Wie kann man es stoppen?!?!?!"
"Waaaas?!"
"Wieso läuft es soo-ooh-ooh... (autsch!)...?"
"Hey Andrea, geh nicht in die Richtung, dort gibt es einen..."
"Waaaas?!" schrie ich – im letzten Moment, bevor ich im Wasser landete – PLATSCH!
"Ich wollte nur sagen, dass es dort einen Teich gibt." sagte Johnny, mit einem schuldbewussten Gesichtsausdruck. Devil stand inzwischen neben dem Teich, natürlich hundertprozentig trocken, und, ich schwöre es, lachte sich im Gedanken kaputt.
Ich zitterte vor Kälte – oder war es vor Wut? Auf jeden Fall zitterte ich, und dachte nach, wieso ich hier an jedem zweiten Tag irgendwie im Wasser lande. Vielleicht gibt’s in Deutschland einfach zu viel Wasser. Oder vielleicht ist es die Kelly-Ausstrahlung, die mich immer zum Nasswerden treibt. Hmmm.
‘Mit Reiten bin ich jedenfalls fertig. Nie wieder.’
***
Im Korridor traf ich Paddy, und dachte panisch nach, wie ich meine Nassheit erklären könnte – ohne mich allzu viel zu demütigen. Aber Paddy schien es überhaupt nicht zu registrieren. Stattdessen hielt er mir ein Video vor die Nase.
"Schau mal, was ich habe! Ein Corrs-Video!"
Oh, nein, schon wieder...
"Ach ja?"
"Aha. Offiziell. Wunderbar. Super. Spitze. Stark. Geil. Cool."
"Ja, ja..."
"Die sind die BESTEN!"
"Darf ich zu meinem Zimmer gehen?"
"Und... was? Ach, du willst schon gehen? Schon gut, schon gut. Ich dachte nur, es würde dich interessieren."
"Du bist seit gestern ein echter Corrs-Fan geworden, oder?"
"Ähm, na ja, eigentlich schon. Aber findest du nicht auch, dass sie gut sind?"
"Ich kenne sie einfach nicht, ehrlich gesagt."
"Dann komm mit mir, wir könnten das Video gemeinsam angucken."
"Paddy, ich weiss nicht, ob ich dazu fähig bin, stundenlang mein eigenes, singendes Spiegelbild anzusehen... das ist irgendwie stressig."
"Wie du meinst..."
Ich stieg die Treppen hoch, und hörte noch, als Paddy nach mir rief:
"Andrea... ist etwas nicht in Ordnung mit dir? Du siehst irgendwie anders aus..."
"Könnte das sein, weil ich zum Beispiel klatschnass bin?" fragte ich lächelnd.
"Ja, das ist es! Tatsächlich! Ich wusste, dass irgendwas nicht stimmte..."
***
Ich duschte, zog mich wieder an, und ging zum Wohnzimmer, um ein bisschen zu lesen. Ich habe schon immer viel gelesen. Ich war in meinem Buch vertieft, als ich plötzlich im Flur Stimmen hörte. Ich erkannte sie auch – Maite und Paddy. Sie kamen ins Wohnzimmer, schienen mich aber nicht zu erblicken. Ich las einfach weiter, aber die beiden redeten immer lauter – so, dass ich sie nicht mehr ignorieren konnte.
"Nein, Maite, ich gehe NICHT hin. Wir sind in Urlaub, das haben wir ganz klar festgestellt. Zwei Wochen OHNE Auftritte, OHNE BMG-Parties, OHNE Stress. Ich halte mich daran."
"Ich kann nichts dafür, tut mir leid. Jemand von uns muss da sein. Und alle anderen haben anderes zu tun."
"Wirklich? KOMISCH, irgendwie – plötzlich haben sie alle was zu tun..."
"Paddy, es ist nicht so schlimm, nur einige Stunden..."
"Ich HASSE Celebrity-Parties, Maite, das weisst du auch."
"Bitte..."
"Nein. Ich will es einfach nicht. Und man kann dort sowieso nicht allein erscheinen. Viel zu peinlich. Frag lieber Johnny und Maite, Angelo und Kira, Joey und Tanja, Jimmy und wen-es-gerade-ist, was weiss ich. Aber lass mich da raus. Okay? Bitte."
"Paddy, die sind alle beschäftigt. Du kennst bestimmt ein weibliches Wesen, mit dem du nicht verwandt bist, und das bereit ist, mit dir hinzugehen..."
Und in diesem Moment merkte Maite, dass ich im Zimmer war. Ich versuchte nämlich gerade aus dem Zimmer zu schleichen, da ich Gefahr spürte... – ohne Erfolg. Ihre Augen leuchteten auf. Paddy blickte auch in meine Richtung. Wir starrten uns an, und sagten beide im gleichen Moment:
"NEIN!"
Es war aber leider zu spät. Maite hatte auch die gleiche, schreckliche Idee gehabt:
"Doch, doch, hey, das wäre die perfekte Lösung!"
"Das wäre arschpeinlich!" sagte ich erschrocken.
"Für dich oder für mich?" fragte Paddy.
"Quatsch, das wäre genial. Andrea, du könntest eine Menge Celebs treffen, ist das nicht verlockend?"
"Maite, ich dachte, du wärest meine FREUNDIN... Ich würde lieber reiten gehen als zu einer Celeb-Party mit deinem nervenden Bruder!"
"Also ich würde auch lieber reiten gehen!" stellte Paddy fest, als mir einfiel, dass die beiden nichts von meiner morgenigen Blamage wissen, und deshalb die Ernstheit meiner Aussage nicht gut genug schätzen können.
"Und Andrea, du hast ja das schöne Gucci-Kleid..."
"Maite, hör auf!!!" schrie ich, immer mehr entsetzt.
"Auf keinen Fall." stellte Paddy fest. Endlich waren wir uns in einem bestimmten Thema einig. Miracles do happen, wie ich so oft sage.
Aber dann musste sich Jimmy unbedingt einmischen, und alles durcheinander bringen, indem er rienkam und sich erkundigte:
"Was ist hier los? Hast du ihn immer noch nicht überzeugen können, Maite?"
"Nee..."
Jimmy schaute auf Paddy, setzte sein schönstes Lächeln auf, und sagte die Zauberworte:
"Paddy, wusstest du eigentlich, dass die Corrs da sein werden?"
***
Danach hatte ich natürlich keine Chance. Die ganze Familie bestand darauf, dass ich am Abend mit Pad zu dieser schrecklichen Party gehe. Ich fürchtete schon, gefeuert zu werden, falls ich es nicht tue. Und irgendwann hatte ich dann keine Energie mehr zu protestieren.
"Bis 6 hast du Deutschstunden... Ich hole dich ab, okay? Um halb 7 sind wir schon zu Hause. Wie viel Zeit brauchst du, um dich fertigzumachen?" fragte Paddy. Ich dachte nach. Duschen, Haare waschen, Schminken, die Haare irgendwie schön machen, Fingernägel lackieren, Schmuck aufsetzen, Nerverzusammenbruch erleiden, mich wieder zusammenreissen...
"Mindestens zwei Stunden." sagte ich schliesslich.
"WAAAAAAS?!?!" schrie Paddy ohrenbetäubend.
"Frauen..." sagte Jimmy sein Lieblingswort.
"Das geht nicht, maximal eine halbe Stunde." stellte Paddy fest.
"Wenn du willst, kann ich zu deiner ach-so-wichtigen Party mit zerzausten, fettigen Haaren, ungeschminkt und stinkend gehen, aber tschuldigung, schön zu werden braucht ZEIT." erklärte ich ihm. Er dachte kurz nach.
"Ich hole dich um 4 ab. Ruf deinen Lehrer an. Wichtiger Arbeitstermin."
Juhuu! Ich hatte die Gelegenheit, meine Deutschstunden zu schwänzen. Geil!
***
Aber auf den ersten 2 Stunden musste ich da sein, und deshalb erfuhr ich nur viel später über folgendes Gespräch:
Maite und Jimmy sassen am Tisch im Esszimmer, als Maite plötzlich "Was für ein Glück, dass diese Corrs auch zur Party gehen werden..." sagte. Jimmy blickte auf, und grinste:
"Werden sie nicht..."
"Das hast du aber gesagt, oder?"
"Du darfst dreimal raten, WARUM ich das gesagt habe."
"Was? Das war nur eine Lüge?!" fragte Maite.
"Das heisst nicht Lügen, sondern Taktik." erklärte Jimmy. Maite war still.
"Er wäre sonst nie damit einverstanden gewesen, hinzugehen." sagte Jimmy. "Oder?"
"Ja, aber... das war recht gemein..."
"Mensch, er wird es überleben..."
"Trotzdem... Er wird dich morgen umbringen."
"Ach, es ist nur eine Frage von einigen Jahren, danach wird er mir schon vergeben..."
Die beiden blickten aufeinander, und begannen plötzlich zu lachen.
***
Um halb sieben war ich fertig. Genau zwei Stunden hatte ich gebraucht. Aber endlich konnte ich mein Spiegelbild ins Auge sehen – so wie das echte Spiegelbild, als auch die lebendige Andrea Corr. Für einen Nervenzusammenbruch hatte ich aber leider keine Zeit mehr gehabt, und die Spannung in mir stieg und stieg und stieg – ich hätte wissen sollen, dass das nichts gutes bedeuten könnte...
Paddy war aber überraschend nett zu mir, und ich dachte nach, ob das nur die Haar-Glitz und die Schminke zu verdanken war.
"Wow. Miss Scott, darf ich Sie zum Wagen begleiten?"
Wenigstens hatte er mich nicht Miss Corr genannt. Das war schon beruhigend. Trotzdem brachte ich kein Wort heraus. Ich begann krampfhaft meine Fingernägel zu kauen – hörte aber sofort auf, als ich merkte, dass es den Nagellack abkratzte. Oh, Mann, ich darf mir nicht mal die Nägel kauen, ohne den ganzen optischen Eindruck zu ruinieren. Hilfe!
***
Als wir im Saal ankamen, war ich immer noch total im Schock. Es wurde immer schlimmer. Ich hatte schon panische Angst. Sprechen konnte ich seit wir aus dem Schloss gekommen waren nicht mehr. Ich atmete schnell, viel zu schnell. Hier steht die Andrea Scott aus England, bekannt für ihre viel zu grosse Ego, und zittert vor Angst. Die grausame Ironie des Lebens...
Paddy sah mich besorgt an:
"Was ist los mit dir? Alles in Ordnung?" Ich schüttelte den Kopf.
"Hey, sei nicht nervös... Es ist alles nur halb so wild... du warst schon auf unzählige Parties, oder?" Ich nickte. Aber nicht auf solchen Parties, dachte ich mir.
"Aber nicht auf solchen Parties, das ist es, oder?" fragte Paddy, und ich fuhr zusammen – kann er meine Gedanken lesen?!
"Die meisten Leute hier sind einfach eingebildete Arschlöcher, lass dich von denen nicht entmutigen. Und die anderen sind ganz normale, nette Menschen. Du hast keinen Grund, nervös zu sein. Du bist die schönste Frau im Saal."
Waaas?! Habe ich das richtig gehört? Und dann fiel es mir ein: ach ja, ich sehe rein zufällig genauso aus, wie sein neuster Schwarm Andea Corr. Die aber auch viel netter ist als ich und dazu noch viel besser singen kann und und und. Wahrscheinlich hat sie auch eine grössere Ausstrahlung. Wie könnte es anders sein. Aber sie ist noch nicht hier. Bis die Königin erscheint, darf ich, die kleine, unbedeutende Andrea Scott die schönste Frau im Saal sein. Na toll. Ich will nach Hause... Und: von wegen habe ich keinen Grund, nervös zu sein. Ich finde es einfach schlimm, dass mir ständig irgendwelche Celebrities über dem Weg laufen, richtig beängstigend, totale Hollywood-Style Successful & Famous Modeschau. Hilfe. Ich wurde wieder aus den Gedanken gerissen, als Paddy mir ein Glas gab:
"Hier, hab ein Cocktail, das wird bestimmt guttun... Geht’s wieder? Kannst du wieder sprechen?" Ich trank den Drink auf, und schüttelte den Kopf. Sprechen? Auf keinen Fall... Er nahm plötzlich meine Hand, und drückte es:
"Hey, es ist okay, es ist okay... Mensch, du siehst echt krank aus..." Ich wusste das. Ich fühlte mich krank.
***
Eine halbe Stunde später gab es immer noch keinen Spur von den Corrs. Paddy wurde langsam nervös. Ich war immer noch nicht ganz fähig zu sprechen, hörte also geduldig zu, als er mir alles über Andrea Corrs Perfektion erzählte, und trank ein Cocktail nach dem anderen. Ich war ziemlich überrascht, dass er so verrückt nach Andrea sein konnte, ohne sie jemals getroffen zu haben. Er, gerade er sollte wissen, dass es nicht so funktioniert. Schliesslich denken die Hälfte der Mädels am Schlosstor, dass er perfekt ist, und dass sie zusammenpassen würden. Er sollte wissen, dass kein Mensch perfekt ist. Dass Andrea Corr auch nicht viel besser ist, als ich, einfach anders. Aber nein. Paddy redete und redete, und es wurde irgendwie immer häufiger erwähnt, wie viel besser das Corr-Mädel ist, in jedem Hinsicht, als ich, und wieso ich nicht so sein konnte. Nicht so direkt ausgedruckt, aber mit diesem Hintergedanken. Vielleicht wird es ihm guttun, sie zu treffen, dachte ich, wenigstens würde er die Realität, die positive oder auch nicht so positive Realität, kennenlernen. Und endlich damit aufhören, meine schlechte Eigenschaften aufzuzählen...
... und plötzlich waren sie da. Sie wurden als "Überraschungsgäste" angekündigt (wieso Überraschung, Jimmy hat schliesslich gewusst, dass sie kommen werden, oder?!), und wir erblickten sie am anderen Ende des Saales. Paddy stand sofort auf. Ich folgte ihm durch die Menge, und es ging mir immer schlechter. Ich war total verkrampft, zitterte und konnte nicht mehr genau sehen – schwarze Flecken tanzten vor meinen Augen, und als ich rein gar nichts mehr richtig registrieren konnte, blieb ich stehen. Paddy schaute zurück, zog mich aus der Menge, und fragte schliesslich:
"Was ist es? Was zum Teufel ist es mit dir?!" Und diesmal hörte ich nicht mehr die besorgte Stimme, eher die ungeduldige. Ich konnte nicht antworten, war zu betäubt von der schlimmen Mischung von Gefühle in mir, wo ich die Nervosität und die Wut, das zerbrochene Selbstbewusstsein und die Demütigung nicht mehr unterscheiden konnte. Er seufzte, und zog mich aus dem Gebäude ins freie Luft.
"Was ist es??? Hast du dich erkältet heute morgen? SO nervös kannst du nicht sein, gerade du mit deinem Riesenselbstbewusstsein... Um Gottes willen, sag endlich was!!!"
Ich begann zu schluchzen, hörte aber sofort wieder auf. Nein, das auf keinen Fall. Heulen werde ich NICHT.
"Tschuldigung, dass ich das jetzt alles für dich vermassele... geh einfach alleine..." sagte ich leise, und versuchte wild meine Stimme unter Kontrolle zu kriegen. Er sagte nichts. "Ich weiss nicht , was los ist, es ist nur... oh, Gott, lassen wir es..."
"Es ist nur...?"
"Du... du denkst, dass sie so perfekt ist, die Andrea, aber das stimmt einfach nicht... keiner ist perfekt, echt... und, und es tut mir lied, wenn ich nicht so bin, wie du sie dir vorstellst, perfekt kann ich auch nicht sein, ich kann da einfach nicht mithalten ....................................................."
Paddy sah mich beunruhigt an. Schliesslich sagte er:
"Du musst nicht mithalten... ich mein’, das ist kein Wettbewerb oder so... ich wollte sie nur... kennenlernen, und... ach du Scheisse, du bist total blass... weisst du was, fahren wir einfach nach Hause..."
"Nee, das können wir nicht – geh rein und triff sie endlich, Paddy..."
"Und was wird mit dir?"
"Das ist dir sowieso ziemlich egal, oder?"
Das überraschte ihn. Sein Blick war fast verletzt.
"Geh rein, Paddy. Das könnte deine einzige Chance sein..." murmelte ich, und hoffte wirklich, dass er bald abhaut – ich wollte nämlich alleine sein, wenn ich das Weinen nicht mehr zurückhalten kann – und dieser Moment war nicht mehr weit entfernt.
"Ich SCHEISS’ drauf!" sagte er plötzlich. "Verstehst du? Ich scheiss’ drauf. Woher hast du die blöde Idee, dass es mir egal ist, was mit dir passiert, hä?! Seit wann hast du Komplexe? Hmm? Was haltest du von mir eigentlich?!"
Oh je, er war wirklich verletzt. Ich konnte wieder nicht sprechen. Er seufzte.
"Sag endlich was, Andrea..." Stille. "Okay, dann fahren wir nach Hause. Komm..." sagte er schliesslich.
"Nein, das wär’ nicht fair..." flüsterte ich. "Das wollte ich nicht erreichen..."
"Was wolltest du dann erreichen, Prinzessin?!" fragte er, sarkastisch.
"Nichts... ich weiss nicht... gar nichts... ich wollte das ganze nicht so... vermasseln... echt..."
"Hör zu, okay? Hör mir endlich zu. Es geht dir sichtlich nicht gut, noch eine halbe Minute und du kriegst einen Nervenzusammenbruch oder was auch immer, und ich habe nicht vor, am Ende des Abends nur deine Leiche nach Hause zu schleppen. Und dabei ist es mir scheissegal, ob ich die verdammte Andrea Corr treffe oder nicht. Ich habe eine Andrea seit vier Tagen sowieso ständig dabei. Es gibt Prioritäten... du... du bist mir wichtiger, als das Corr-Mädel, verstehst du? Dich kenne ich – obwohl ich mir da nicht mehr ganz sicher bin, mit dir wohne ich in einem Haus und für dich bin ich verantwortlich. Also halt bitte die Klappe über deine Identitätskomplexe, und sage lieber, ob du hier bleiben oder nach Hause fahren willst." Es gab eine lange Pause. Dann sagte ich:
"Ich will hier bleiben."
"Sicher?"
"Ja."
"Und du sagst es mir, wenn es dir schlecht geht?"
"Ja."
"Okay."
Ich ging wieder zur Tür, und Paddy rief nach mir:
"Und, Andrea?"
"Ja?"
"Danke."
***
Ich ging zur Toilette, um mich zu beruhigen. Was war denn das?! So bin ich nicht. Ich verstand mich selber nicht mehr. Hier ist die perfekte Chance, zwei Lottis zu spielen, und was mache ich? Ich werde krank vor Nervosität, oder vor... was weiss ich, wovor. Ich, nervös. Das gibt’s nicht. Das gibt’s einfach nicht.
Ich beschloss, die Situation zu geniessen. Als ich die Toilette verliess, war meine Stimmung schon viel besser. Paddy schien das auch zu merken, denn er lächelte mich an.
"Ich hole uns Drinks, okay? Und dann gehen wir auf die Jagd!" lachte er, und ich musste auch lächeln. Er ging, und ich blieb allein. Allerdings nicht lange. Denn plötzlich wusste ich, dass die Jagd nicht mehr nötig sein wird – die Andrea kam direkt in meine Richtung. Ich merkte ungläubig, dass sie ein langes, bordeauxrotes Gucci-Kleid anhatte. ‘Der Abend wird noch lustig’, dachte ich. ‘Wann wird sie mich erblicken?’ Die Antwort bekam ich sofort, denn Andrea blieb plötzlich stehen. Wir schauten einander in die Augen, und sie starrte mich mit offenem Mund an. ‘Diese Gelegenheit darf ich nicht auslassen’, dachte ich, als ich zu ihr rüberging, und mich vorstellte:
"Hi, ich bin die Andrea, Hoffentlich amüsierst du dich gut auf der Party!" Sie starrte weiter, und hatte wahnsinnige Probleme damit, ein Wort herauszubringen. Irgendwann schaffte sie es doch:
"Hi... Andrea Corr... pleased to meet you... mein Gott, das ist aber der reine Wahnsinn!" Ich lachte:
"Finde ich auch! Und ich weiss erst seit gestern darüber, dass es zwei von mir gibt..."
"Unglaublich..."
"Schon. Übrigens heisse ich Andrea Scott. Ich komme aus England." Andrea schaute mich in die Augen, und fragte:
"Hast du Lust, mit mir ein bisschen zu sprechen? Ich würde dich gerne kennenlernen."
"Mit Vergnügen. Aber es gibt noch jemand, der dich gerne kennenlernen würde: ein Freund von mir. Nein, eigentlich ist er mein Boss..." lachte ich. "Er kommt gleich." Und Paddy erschien tatsächlich in diesem Moment mit zwei Cocktails. Er schaute von mir zu Andrea, und sagte schliesslich: "Darf ich wissen, wer hier meine liebste Freundin Andrea Scott ist?!" Ich lachte:
"Ich." gab ich zu. "Und das hier ist Andrea Corr, wie du wohl weisst. Andrea, das ist Paddy Kelly."
"Schön, dich kennenzulernen." sagte Andrea, und lächelte.
"Ich habe Drinks für euch." sagte Paddy, und überliess sein Glas Andrea, und gab das andere mir – er musste aber unbedingt davon noch einen Schluck trinken, wahrscheinlich um seine Nerven zu beruhigen. Andrea sagte schliesslich:
"Ihr scheint beide zu wisen, wer ich bin – aber wer seid ihr? Erzählt mal!" Also erzählten wir. Woher ich kam, und wie ich erfuhr, dass ich einen Doppelgänger habe. Was Paddy macht, und alles über seine Familie. Und irgendwann wurde der arme Paddy wieder weggeschickt, um Drinks zu holen. Ich zog Andrea schnell in die andere Richtung, und fragte:
"Spielen wir zwei Lottis?"
"Was?"
"Ich bin du und du bist ich."
"Ich muss bald auftreten – wir haben keine Zeit die Schuhe und den Schmuck auszutauschen -–und sonst wird es der Paddy nie glauben." sagte sie. Aber ich wollte diese Chance nicht auslassen...
"Nur ganz kurz, bitte!" Sie sah mich an, und entschied sich:
"Mensch, das müssen wir tun! Schnell!" Wir umwandelten uns in Rekordzeit, und gingen auf der Suche nach Paddy. Aber plötzlich wurde ich aus der Menge gezogen, und verlier Andrea. Eine Frau sagte mir:
"Wo warst du, mein Gott, komm mit, du musst gleich auf der Bühne!", und sie zog mich mit.
Ich stand plötzlich ganz oben, ein Mikrophon vor mir, ein Mann mit einer Gitarre und eine Frau mit Geige neben mir. Die Frau schaute mich erwartungsvoll an, sagte aber schliesslich selbst den Text:
"Guten Abend! Wir fangen mit dem Song "Old Town" an."
‘Aha, den kenn’ ich’, dachte ich, ‘aber irgendwie muss ich hier runter...’
Das war aber nicht so einfach, und da mir nichts besseres einfiel, begann ich halt zu singen. Wo war denn die Andrea?! Leider war ich aber nicht richtig eingesungen – und nach dem zweiten falschen Ton bekam ich mörderischen Blicke von der Frau. Ich hielt es nicht mehr aus, und schrie:
"STOP!!!"
Und endlich kam Andrea, endlich nahm sie meinem Platz, endlich war ich wieder unten, und schaute mich um. Alles war wie im Traum, ich bekam es nicht mehr ganz mit. Zu viel getrunken? Aus der Ferne hörte ich Andreas Stimme, als sie selbstbewusst und lächelnd erklärte, dass es nur ein kleiner Scherz gewesen war, und dass sie jetzt echt mit dem Konzert anfangen werden.
Plötzlich umarmte mich Paddy von hinten, und sagte:
"Du... Hexe... was hast du da angestellt?!"
"Tschuldigung, wir wollten es nicht so..."
"Du hast mich in eine ganz schön peinliche Situation gebracht, weisst du das?"
"Echt? Was ist passiert?" Und Paddy erzählte:
Er hatte Andrea in der Menge erblickt, als ich auf der Bühne gezogen wurde, und hatte sofort losgeredet:
"Hey, baby, was meinst du denn? Sie war recht nett, das Corr-Mädchen, oder?! Hab’ ich dir schon vorher gesagt. Und jetzt singt sie auch bald, was wollen wir mehr?!" Dabei hatte Andrea natürlich voll erschrocken zur Bühne geblickt.
"Mensch, hoffentlich hat sie uns nicht für zu blöd gehalten – vielleicht hätte ich nicht so viel trinken sollen." sagte Paddy. "Aber was ist los mit dir? Hey – schau mir mal in die Augen... die Augen! Braun! Du, du bist gar nicht meine Andrea, oder?! Oh, Gott, dann ist sie die auf der Bühne?"
Aber Andrea war schon von neben ihm verschwunden – zu meiner grössten Freude war sie schon auf dem Weg gewesen, mich zu retten...
***
Zwei Stunden später sassen wir wieder zu dritt zusammen. Ich war schon ziemlich besoffen, und die anderen zwei wahrscheilich auch. Und so kam es, dass Paddy plötzlich fragte:
"Andrea, willst du mit mir tanzen?"
"Wen meinst du?" kam die Gegenfrage von der Andrea-Sektion.
"Beide..." war die Antwort, und wir standen auf, um zu dritt zu einer langsamen Nummer zu tanzen. Es ging eigentlich ganz gut. Irgendwann begannen wir alle zu singen. Wir fanden es schön, die anderen Leute irgendwie nicht. Frag mich nicht, wieso...
Als die Party zu Ende war, mussten wir uns leider verabschieden. Wir tauschten aber Telefonnummern, und versprachen uns irgendwann wieder zu treffen...
***
Im Schloss warteten Maite und Jimmy auf uns. Jimmy hatte allerdings ein Kissen in der Hand, wie ich später erfuhr, um sich wehren zu können...
"Die Andrea Corr ist VOLLLLLLL geil..." murmelte Paddy, und irgendwie fand ich das total witzig. Jimmy schaute uns verwirrt an. Er sagte nur:
"Ihr habt zu viel getrunken." Diese Aussage fanden wir beide superwitzig.
"Gemma inzzz Bett..." schlug Paddy vor, und ich nickte. Wir stiegen die Treppen langsam hoch, und fielen plötzlich beide um. Noch ein Lachanfall folgte, und Paddy stellte fest:
"Mein Zimmer ist soooo weit weg..."
"Meins ist noch weiter..."
"Wie wär’s, wenn wir einfach hier bleiben würden?!" fragte er, nach langem Grübeln.
"Auffff die Treppen?!"
"Nee... hierrrim näxten Ziemmmer..."
"Okay... vormirrraus..."
Maite und Jimmy schauten uns von unten skeptisch an.
"Meinst du, dass die Corrs echt da waren?" fragte Maite Jimmy.
"Nee, ich glaube, der hat nur zu viel getrunken, und denkt jetzt, dass unsere Andrea "Corr" heisst."
"Wär’ schon möglich."
"Aber dann sollten wir die beiden nicht in einem Zimmer schlafen lassen." meinte Jimmy besorgt. "Es wäre schon peinlich, Andreas Mutter ein Baby zu erklären..."
Sie gingen zur Tür, konnten sie aber nicht mehr öffnen – ich hatte sie geschlossen. Gewöhnungssache – ich schliesse fast immer meine Zimmertür. Aber die beiden hätten sich keine Sorgen machen sollen – wir hatten nur noch die Energie, das Bett zu erreichen, bevor wir sofort einschliefen. Einen hektischen Tag hatten wir gehabt...
Ich freue mich wahnsinnig auf Feedback! Mailt mir Eure Meinungen über die Story! Alice. hypercolor99@hotmail.com
by Alice