Sie lag im Gras und schaute in den strahlendblauen Himmel, wo vereinzelt kleine Schäfchenwolken vorbeizogen. Es war heute ein herrlicher Tag. Die Vögel zwitscherten, die Blumen standen in voller Blüte und verbreiteten einen süßlichen Duft und ein lauer Sommerwind strich ihr über das sonnengebräunte Gesicht. Barby liebte die Natur. Sie schien so perfekt, so harmonisch zu sein. Gerade so wie ihr momentanes Leben. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Ach ja, das Leben konnte so schön sein. Es schien ihr schon fast zu perfekt.
Die Sonne blendete sie, also schloss sie ihre Augen wieder und lauschte den summenden Bienen, die tüchtig ihren Nektar sammelten, den Vögeln, die vergnügt ihre Lieder sangen und den Blättern, die vom leichten Wind geschüttelt wurden. Sie war glücklich. Oh ja, das war sie wirklich.
Barby stand in einem großen, düsteren Saal. Sie war mutterseelenallein, als plötzlich ein gigantischer Felsbrocken mit rasender Geschwindigkeit auf sie zurollte. Sie wollte wegrennen, doch sie kam nicht vorwärts. An ihren Beinen schienen tonnenschwere Gewichte zu hängen. Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen und rannte um ihr Leben. Links und rechts von ihr standen tobende Menschenmassen, die sie aus hasserfüllten Augen anstarrten und sie anschrieen. Als sie endlich die rettende Ausgangstür des Saales erreicht hatte, musste sie feststellen, dass diese verschlossen war. Sie saß fest. Der Felsbrocken kam näher und näher. Er drohte, sie zu überrollen...
"Hiiielfe!" Barby war aus ihrem Schlaf hochgefahren. "Puh, das war knapp", schnaufte sie vor sich hin und tauschte schließlich ihr durchgeschwitztes Nachthemd gegen ein trockenes. Gott sei Dank, es schien sie niemand gehört zu haben. Alles blieb ruhig im Schloss. Seit Wochen träumte sie nun schon den selben Traum und jedes Mal erwachte sie an der gleichen Stelle. Merkwürdig, irgendwas musste doch dahinter stecken, dass sie dieser Traum nicht losließ.
Plötzlich klopfte es an der Tür und Maite trat ein. "Hey Barby, was ist denn los? Warum hast du so geschrieen?" "Ach nichts, ich hatte nur wieder diesen blöden Traum. Du weißt schon..." Maite sah sie mitleidslos an. "Ach so, ich dachte schon, es wär' was schlimmes passiert. Denk' einfach an was schönes und versuch' weiterzuschlafen, Barby." Sie drückte Barby einen Kuss auf die Wange und ließ sie wieder allein.
Barby versuchte, an ihre nächste Ballettstunde zu denken. Sie liebte Ballett und die Ballettschule war so ziemlich der einzige Anlass, zu dem sie das Schloss überhaupt mal verließ. Dort war sie nicht die Barby Kelly, sondern dort war sie eine von vielen Ballettschülern, welche in ihr einfach nur eine Freundin oder Mitschülerin sahen. Und sie waren eigentlich alle irgendwie miteinander befreundet.
Barby betrat die Ballettschule. Sie hatte mal wieder richtig gute Laune und freute sich aufs Tanzen. Schnell zog sie sich um und streifte ihre Ballettschuhe über. Als sie den großen Ballettsaal betrat, stellte sie erstaunt fest, dass zwar schon Musik lief, dass aber noch niemand dort war. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass sie eine ganze Stunde zu früh dran war. Das musste sie in ihrer Vorfreude außer Acht gelassen haben. Aber wenn sie schon mal da war, konnte sie sich auch gleich ein bisschen warm tanzen. Sie drehte mehrere Piouretten und vollführte Luftsprünge. Huch, da wär' sie fast gefallen. Sie war über einen Ball gestolpert, den sie in dem halbverdunkelten Saal nicht gesehen hatte. "Hi hi, zum Glück hat das jetzt niemand gesehen", grinste sie vor sich hin und tanzte ganz unbeschwert weiter. Plötzlich applaudierte ihr jemand und trat aus der dunkelsten Ecke des Raumes hervor.
Piep... piep... piep... Halb blind taste Barby nach ihrem Wecker. "Ach schade, nur ein Traum". Sie ärgerte sich, dass sie gerade in diesem Moment aus dem Schlaf gerissen wurde. Zu gern hätte sie gewusst, wer ihr in ihrem Traum Beifall geklatscht hatte.
Fröhlich sprang sie im nächsten Moment aus ihrem Bett und zog die schweren Vorhänge von den Fenstern. Die Sonnenstrahlen kitzelten in der Nase und so begann sie laut zu niesen. Kurz darauf lief sie singend durchs Schloss und tänzelte, als sie sich unbeobachtet fühlte, durch die Küche, während sie sich ihr Frühstück zubereitete. Anscheinend waren heute schon alle ausgeflogen und auch sie hielt nichts mehr im Schloss. In Windeseile suchte sie ihre Sachen zusammen und war auch schon auf dem Weg zur Ballettschule. Endlich, dachte sie sich. Endlich wieder tanzen. Die Ballettschule hatte über die Sommerferien geschlossen gehabt. Barby war zuhause fast die Decke auf den Kopf gefallen, aber nun konnte sie ja endlich wieder tanzen gehen. Und heute war die erste Ballettstunde nach den Ferien. Sie ging geradewegs in die Umkleidekabine, zog sich um und streifte ihre Ballettschuhe über. Dann eilte sie zum Ballettsaal. Doch als sie die Tür öffnete, sah sie, dass der Raum nur halb beleuchtet war und die Musik nur leise spielte. Sie trat trotzdem ein und warf einen Blick auf die große Uhr über der Wandtafel. "Oh Mist, ich bin eine ganze Stunde zu früh dran", flüsterte sie leise. Sie überlegte kurz und beschloss dann, dass sie einfach bleiben und ein bisschen tanzen würde. Sie schien nur so durch die Luft zu schweben. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so frei gefühlt. Endlich tanzen, die ganze angestaute Energie rauslassen. Langsam ging ihr die Puste aus. Sie blieb stehen und verschnaufte. Sie wusste nicht, wie lange sie getanzt hatte.
Plötzlich trat jemand aus der dunkelsten Ecke des Saales hervor und applaudierte. Barby zuckte zusammen. "Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht stören, aber Sie haben so wundervoll getanzt. Da musste ich einfach klatschen."
Barby sah einen jungen Mann auf sie zu kommen. "Ähm, ja, also, ich dachte, ich wär' allein, ähm...". Beschämt sah sie zu Boden. Was für eine Blamage, dachte sie so bei sich. In diesem Moment ging die Tür auf und ihre Mitschüler kamen hereingestürmt. Noch nie hatte Barby sich so gefreut, sie wiederzusehen. Nicht nur, weil sie sich die ganzen Sommerferien nicht gesehen hatten. Heute viel mehr, weil sie sie aus der peinlichen Situation mit dem Fremden gerettet hatten. Schließlich stieß auch ihre Ballettlehrerin zur Gruppe dazu. "Wie ihr vielleicht schon gemerkt habt, haben wir heute einen Gast. Das ist Greg. Er studiert Theaterwissenschaften mit Schwerpunkt Ballett. Und wenn ihr nichts dagegen habt, würde er uns gerne öfter mal zusehen."
Die Stunde begann, doch Barby konnte sich einfach nicht konzentrieren. Heute wollte nichts klappen. Selbst die einfachsten Drehungen, die sie sonst mehr oder weniger im Schlaf konnte, gelangen nicht. Sie kam sich wie der letzte Depp vor. Oh Mann, was muss der Typ jetzt von mir denken?! In diesem Moment kam Barby ins Stolpern. Sie hatte den Ball, der direkt vor ihr lag, übersehen und landete unsanft auf ihrem Allerwertesten. Entsetzt wurde sie von einigen Dutzend Augenpaaren angestarrt. So was war ihr, Barby Kelly, noch nie passiert. "Okay, Schluss für heute. Bis zum nächsten Mal", hörte sie in diesem Moment die Stimme ihrer Ballettlehrerin. Schnell sprang sie auf, drehte sich um und lief los. Dabei wär' sie Greg fast in die Arme gelaufen. Ihre Blicke trafen sich. Oh Gott, ich muss hier weg, nichts wie weg. Barby rannte in die Kabine, schmiss sich ihre Jacke über und weg war sie. Eigentlich war es immer so gewesen, dass sich die ganze Gruppe nach der ersten Stunde noch in einem nahegelegenen Lokal traf. Aber Barby konnte das heute nicht. Ihr war nicht danach. Aber das lag wohl am ehesten daran, dass sie Greg nicht über den Weg laufen wollte. Denn die anderen würden ihn sicherlich mitschleppen. Was der wohl von ihr denken musste? Wahrscheinlich lachte er über sie. Was sollte er auch sonst tun? So miserabel wie sie heute getanzt hatte. Und dann auch noch die Bekanntschaft mit dem Fußboden...
So verging Ballettstunde für Ballettstunde, in der Barby grundsätzlich fünf Minuten zu spät kam und am Ende in Windeseile ihre Sachen zusammensuchte und aus der Schule rannte. Besonders fürchtete sie sich vor der 10-minütigen Pause während der Stunde, in der die Möglichkeit, mit Greg zusammenzutreffen, besonders groß war. Also verbrachte sie fortan ihre Pausen auf der Mädchentoilette. Während der Stunde jedoch beobachtete sie ihn verschämt aus den Augenwinkeln, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Aber er schien sie überhaupt nicht zu beachten. Warum auch? So ein Trottel wie ich bin, dachte sie bei sich und konzentrierte sich wieder auf die nächste Übung. So verging Woche um Wochen, ohne dass sich irgendetwas änderte, bis eines Nachmittags Barbys Handy klingelte und ihre beste Freundin Maria dran war.
"So Barby, jetzt erzähl' doch mal, was los ist! Du hast dich schon seit Wochen nicht mehr bei mir gemeldet!" "Was soll schon los sein? Nichts ist los! Alles wie immer", antwortete Barby erstaunt. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was ihre Freundin meinte. "Na aber du hast doch was!? Du bist in letzter Zeit so komisch!" Die stellt doch hier so komische Fragen!? Wer ist hier also komisch?! "So Maria, jetzt hör' mir mal gut zu. Es ist alles wie immer. Mir geht's gut, die Sonne scheint, das Wetter ist klasse. Was um Himmels Willen willst du also von mir hören?" Langsam wurde Barby richtig wütend. Wenn die Langeweile hatte, sollte Maria doch einem anderen Löcher in den Bauch fragen, aber nicht ihr auf die Nerven gehen! "Hey Barby, warum bist du denn gleich so gereizt? So kenn' ich dich ja gar nicht!" Das war zu viel. Barby schmiss ihr Handy in die Ecke und stürmte wutentbrannt aus dem Schloss. Nachdem sie ein paar Runden durch den Park gelaufen war, fühlte sie sich besser. Sie wusste, sie hatte sich falsch verhalten und sie wusste, dass sie Maria verletzt hatte. Schließlich wollte die ihr ja nur helfen. Helfen? Wobei eigentlich? Barby beschloss, Maria anzurufen und sich zu entschuldigen. Als diese abhob, spürte sie zu ihrer Verwunderung, dass Maria ihr längst verziehen hatte. Trotzdem hielt Barby eine Entschuldigung für angemessen. "Maria, du das vorhin war nicht so gemeint. Es ist nur... ach, ich weiß auch nicht." Sie seufzte. "Schon gut Barby, mach' dir keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung." Barby blickte auf ihre Uhr. "Maria, was hältst du davon, wenn du nachher vorbeikommst und wir zusammen was kochen? Die anderen sind alle weg und ich hab' keine Lust, alleine zu essen. Und außerdem, so als kleine Entschuldigung..." Na, das war doch mal eine gute Idee, dachte Barby sich, als sie aufgelegt hatten. Sie machte sich auf den Weg in die Küche, um nachzusehen, was der Kühlschrank noch so alles hergab.
Die beiden entschieden sich für Spaghetti und öffneten dazu eine Flasche Wein. Als sie mit dem Essen fertig waren, war auch die Flasche Wein leer. "Was meinst du, vertragen wir noch ein Gläschen?", grinste Barby Maria an und war auch schon auf dem Weg in den Keller, um eine neue Flasche zu holen. Als sie zurückkam, fand sie Maria auf dem Fußboden sitzend mit der leeren Flasche Wein auf dem Schoß wieder. "Los komm', wir spielen jetzt Flaschendrehen!", bestimmte Maria. "Flaschendrehen? Meinst du nicht, dass wir dafür vielleicht ein bisschen zu alt sind?" Maria schüttelte energisch den Kopf. "Nein, für mein Flaschendrehen nicht. Also komm', setz' dich". Und sie begann, zu erklären: "Also, auf wen die Flasche zeigt, der trinkt ein Glas Wein auf Ex aus!" "Maria, spinnst du? Willst du mich hier abfüllen?" Ungläubig starrte Barby ihre Freundin an. "Nu los, sei kein Spielverderber!" Also spielte Barby mit. Lange spielten die beiden jedoch nicht, denn irgendwann kamen sie vor Kichern nicht mehr dazu.
Plötzlich wurde Barby schwindelig. "Lass uns mal lieber ins Bett gehen, sonst komm' ich nachher nicht mehr die Treppen hoch!" Maria musste grinsen. Sie fand Barby einfach zu niedlich, wenn sie betrunken war. Sie selbst hatte zwar auch etwas zu viel intus, aber sie schien den Wein weitaus besser zu vertragen. Außerdem hatte sie ja auch noch was vor. Wenn Barby so nicht reden würde, musste sie eben etwas nachhelfen. Sie kannte ihre Freundin Barby nur zu gut, um zu wissen, dass sie lieber alles in sich hineinfraß, als dass sie sich jemandem anvertraute. Ihr Plan schien schon fast aufgegangen zu sein.
Oben angekommen, schalteten sie das Radio an und warfen sich auf Barbys großes Bett. Die Heiterkeit war von einer Minute auf die andere verschwunden. Maria beobachtete Barby, wie sie schon seit Minuten die Decke anstarrte. "Aha, wusste ich doch, dass da was ist", bestätigte sich Maria selbst. "Entschuldige, was hast du gesagt, Maria? Ich hab' gerade nicht zugehört." "Ach nichts, Barby. Ich hab' nur laut gedacht". Nun wurde Barby aufmerksam. "Was hast du denn gedacht?", wollte sie nun wissen und sah Maria mit durchdringenden Blicken an. "Also gut, ich glaube, dass dich was bedrückt. Willst du nicht drüber reden? Mir kannst du's doch erzählen!?" Und so erzählte Barby die ganze Geschichte vom Ballett, von ihrem Missgeschick... und von Greg...
"Weißt du, wie das für mich aussieht, Barby? Du bist schwer verknallt in Greg!" Ungläubig starrte Barby ihre Freundin an. Quatsch, du spinnst! Ich kenn' ihn doch gar nicht!" "Na dann wird's aber allerhöchste Zeit, Barbylein", neckte Maria sie und knipste das Licht aus. "Aber jetzt lass uns schlafen, ich bin todmüde. Morgen ist ja auch noch ein Tag."
Ein paar Tage später war Barby mal wieder auf dem Weg zur Ballettschule...
Oh Mist, was mach' ich nur, damit er nicht merkt, wie sehr ich ihn mag? Vielleicht kann er mich ja auch gar nicht leiden!? Aber wieso sollte er mich nicht leiden können? Ich hab' ihm doch gar nichts getan. Kaum hatte die Stunde begonnen, stellte Barby überrascht fest, dass Greg gar nicht da war. Gott sei Dank muss ich die Pause heute ausnahmsweise mal nicht auf dem Klo verbringen, grinste sie in sich hinein. Am Ende der Stunde bat die Ballettlehrerin alle, noch einen Moment zu warten. "Hört mal, ich hab' morgen Geburtstag und deshalb veranstalte ich bei mir im Garten eine Grillparty. Ihr seid alle herzlich eingeladen! Und sagt Greg Bescheid. Der darf natürlich auch kommen!"
Die Freude war bei allen groß, nur Barby schien nicht ganz glücklich zu sein. Natürlich wollte sie auf die Party, aber wenn Greg...
Bisher hatte sie es ja immer ganz gut geschafft, ihm aus dem Weg zu gehen oder ihn zu ignorieren. Aber wie sollte sie das bei einer Party anstellen?
Trotzdem war sie festentschlossen, hinzugehen. Was sollte denn schon passieren!
Als sie am Samstag Nachmittag den Garten betrat, stellte sie fest, dass sie die erste war. Frau Pfeiffer, ihre Ballettlehrerin, war gerade dabei, das Salatbüffet aufzubauen. "Guten Tag, Frau Pfeiffer. Sieht wohl so aus, als wäre ich die erste... Kann ich Ihnen irgendwas helfen?" Frau Pfeiffer stellte den Salat ab und gab ihr die Hand. "Nein, nein, lass mal. Ich bin sowieso gleich fertig. Setz' dich doch schon mal hin. Im übrigen, du bist nicht die erste. Greg ist auch schon da." Damit verschwand sie wieder im Haus. Kurz darauf kam Greg heraus. "Ach, hi Barby. Heute so früh dran? Ich dachte, du kommst immer zu spät..." Ja, er hatte recht, zumindest was die Ballettstunden anging. Aber warum war das wohl so? Barby musste grinsen. Wenn der wüsste... "Wenn's ums Essen geht, bin ich immer zeitig da! Na ja, man sieht's ja..." Greg musterte sie von oben bis unten. "Ach Quatsch, ist doch gar nichts zu sehen! Außerdem, besser so, als wenn man sich blaue Flecken holt." Mit einem strahlenden Lächeln setzte er sich neben sie. So plauderten sie den ganzen Nachmittag. Barby musste zugeben, dass Greg wirklich nett war und ihr wurde bewusst, wie lächerlich ihr Wegrennen während der Ballettstunden gewesen war.
Einige Wochen später...
Barby hatte sich gerade in der Mädchenumkleidekabine umgezogen. Sie war spät dran und wollte schnellstmöglich nach Hause. "So ein Mist, die Ballettschuhe hat Vater mir doch erst vor zwei Wochen geschenkt! Was wird er nur sagen, wenn er erfährt, dass mir heute beim Proben die Nähte gerissen sind!?", murmelte sie wütend vor sich hin. Dabei fiel ihr auf, dass sie die kaputten Schuhe noch immer in der Hand hielt. Da sie aber keine Lust hatte, noch mal zu ihrer Kabine zurückzugehen, um die Schuhe wegzuwerfen, entschloss sie sich, sie in der Jungenkabine um die Ecke zu entsorgen. Sie hatte sich heute so viel Zeit gelassen, dass eh schon alle weg waren. Und Jungs hatten sie sowieso nicht in der Gruppe. So konnte sie also getrost in die Jungenkabine reingehen. Vorsichtig öffnete sie die Tür und trat beschämten Blickes ein. Ihr Blick wanderte durch die ganze Kabine, aber sie konnte keinen Mülleimer entdecken. Sicherlich gab es auf der Toilette einen Eimer, überlegte sie. Sie lehnte die Kabinentür an, ging quer durch den Raum zu der Tür, hinter der sich die Duschen und Toiletten befanden und drückte die Türklinke herunter. In diesem Moment hörte sie es schließen. Was war das? Barby ging zurück zur Eingangstür. Oh nein, auch das noch. Da hatte doch tatsächlich jemand die Tür abgeschlossen! Barby schossen die Tränen in die Augen. Sie saß fest. Heute würde sicher niemand mehr kommen und auch der Hausmeister würde sie durch die dick isolierten Wände nicht rufen hören. Verzweifelt ließ sie sich auf einer Bank neben der Tür nieder, schlang die Arme um die Knie und schluchzte hemmungslos. Da hörte sie ein leises Rauschen. Das kam aus der Toilette. Langsam richtete sie sich auf und bewegte sich mit unsicheren Schritten erneut auf die Tür zu den sanitären Anlagen zu. Sie legte ein Ohr an die Tür, schloss die Augen und... tatsächlich, sie hörte Wasser rauschen. Das konnte eigentlich nur von den Duschen kommen. Barby begann zu strahlen. Sie war also nicht ganz allein. Doch im nächsten Moment verfinsterte sich ihr Blick auch schon wieder. Moment mal, ich bin ja in der Jungenkabine. Oh Gott, gleich wird's peinlich! Mit hochrotem Kopf zog sie sich in die hinterste Ecke der Kabine zurück, kauerte sich auf dem Boden zusammen und ergab sich ihrem Schicksal. Wie konnte ihr das nur passieren? Was war das nur für ein beschissener Tag! Da ging auch schon die Tür auf. "Baaarby!? Was machst du denn hier?", Greg blieb vor Schreck im Türrahmen stehen und sah sie verwirrt an. "Ich... ähm... das ist eine längere Geschichte... ähm...", begann Barby zu stottern. "Ich wollte eigentlich nur meine kaputten Ballettschuhe..." "Halt, warte", unterbrach Greg sie, "nicht hier. Wir gehen einen Café trinken. Was hältst du davon?", fragte Greg sie verunsichert. Langsam wurde Barby wieder Herr ihrer Sinne: "Tja Greg, ich würde ja wirklich gern einen Café mit dir trinken gehen, aber ich fürchte, das müssen wir auf ein anderes Mal verschieben." Sie sah direkt in seine verwirrten Augen. "Jetzt guck' nicht so. Wir kommen hier vor morgen früh nicht raus!" Auf Gregs Stirn bildeten sich nachdenkliche Falten. Triumphierend schaute Barby zur Eingangstür und nickte: "Da, siehst du? Abgeschlossen! Wir sitzen fest. Irgend so ein ganz schlauer Mensch hat vorhin abgeschlossen, ohne zu gucken, ob noch jemand hier ist", erklärte Barby wissend. Greg fing an, laut zu lachen. "Das gibt's nicht. So was kann auch wieder nur mir passieren." Barby schmunzelte ebenfalls. Sonst war sie doch immer diejenige, der die unmöglichsten Missgeschicke passierten.
Und nun... na ja, wenigstens war sie nicht allein.
Wie lange saßen sie jetzt schon fest? Barby riskierte einen Blick auf ihre Armbanduhr. Halb zwei in der Nacht. "Vielleicht sollten wir versuchen, wenigstens ein bisschen zu schlafen. Dann vergeht die Zeit auch schneller!", schlug Barby vor. Greg sah sie aus müden Augen an. "Gute Idee. Machen wir das Licht aus?" Nachdem sich die beiden jeweils eine Bank zum Schlafen ausgesucht hatten, machte Greg das Licht aus und legte sich ebenfalls hin.
"Du Barby, schläfst du schon?" Greg hatte sich bereits mehrmals von einer Seite auf die andere gedreht, jedoch noch keine einigermaßen bequeme Schlafposition gefunden. "Nein, ich kann ich. Mir ist so kalt und außerdem ist die Bank hart", erwiderte Barby grimmig. Es war stockfinster in der Kabine. Sie sah in nicht, aber sie hörte, wie Greg sich auf sie zu bewegte. "Barby, wo bist du?" "Hier Greg, hier drüben." Er tastete sich weiter und ließ sich schließlich neben ihr nieder. "Soll ich dich wärmen?" Barby zögerte. Was wollte er jetzt hören? Ja? Nein? Bevor sie antworten konnte, legte er seinen Arm um sie. "Und? Besser so?" Barby quälte sich ein leises Ja aus der Kehle und schwieg wieder. Zum Glück konnte er sie nicht sehen. Eine Tomate war wahrscheinlich nichts im Vergleich zu ihrer überaus gesunden Gesichtsfarbe. Sie atmete durch und sog seinen Duft tief ein. Das war der Mann ihrer Träume... Er und kein anderer, da war sie sich sicher. Aber wie sah er das? Wie viel bedeutete sie ihm? Hatte er vielleicht sogar eine Freundin? Und wie sollte sie ihm erklären, dass sie für ihn viel mehr empfand als reine Freundschaft? Fragen über Fragen jagten durch Babys Kopf, während sie schüchtern ein Stück dichter an ihn heranrückte. Und plötzlich spürte sie seinen Atem ganz dicht vor ihrem Gesicht und seine Lippen streiften sanft die ihren.
Barby grinste vor sich hin. Was für eine Lovestory... Die "Kabinen-Geschichte"! Das war jetzt schon ein Jahr her und sie konnte sich noch erinnern, als wär' es gestern gewesen. Greg griff nach ihrer Hand und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Barby öffnete die Augen und sah in hingebungsvoll an: "Ich liebe dich, Greg." "Ich liebe dich auch, Barby." Ja, das war er, der Mann ihrer Träume und sie war sich sicher, dass er das auch bleiben würde. Für immer. Und noch länger. Denn sie waren noch immer eingeschlossen:
Barby in Gregs und Greg in Barbys Herz.