When the rain begins to fall

by Jule   Strawberry-Ice@gmx.de

 

 

Es war an einem regnerischen Samstagmittag.
Ich kam gerade von "der Arbeit" zurück, wie ich es nenne.
Meine Arbeit besteht im Großen und Ganzen aus den ganzen lästigen Sachen, die während einer Studioproduktion nun mal anfallen. Aber irgendwie mache ich es gerne, es gibt meinem Leben einen Halt. Die Arbeit rettet mich vor dem einfachen in-den-Tag-hinein-Leben, das auf die Dauer ziemlich langweilig ist.
Jedenfalls kam ich an diesem Mittag zurück zum Schloss. Samstags ist meistens viel los, so war es auch an diesem, obwohl das Wetter wirklich scheußlich war. Abends würde ein Konzert sein, nicht weit von "zu Hause", also konnte ich mich in Ruhe darauf vorbereiten. Der Soundcheck war für 16 Uhr angesetzt, also hatte ich noch etwas Zeit.
Also, wir fuhren also zur Haupteinfahrt. Das Blitzlichtgewitter bin ich ja mittlerweile gewohnt, aber ich bin jeden Tag aufs Neue überrascht, dass es anscheinend nie nachlässt... ich habe ihnen gewunken, da sah ich sie.
Sie stand etwas verloren, abseits, da, in ihrem schwarzen Mantel und mit ihrem schwarzen Schirm, aber eine höhere Macht führte meine Augen zu ihr. Ihr Blick sagte etwas aus, was ich noch nie zuvor erlebt hatte. Ein wenig abwesend wirkte sie, aber unsere Blicke trafen sich.
Viel zu schnell verlor ich sie aus den Augen, dennoch bewirkte dieser kurze Augenblick sehr viel in meinem Innersten. Sie hatte in mir ein wahnsinniges Interesse ausgelöst, in dem Moment wollte ich nur eins: mit ihr sprechen.
Sie sah so traurig aus, leer. Ich habe schon viele, viele Menschen kennengelernt, aber noch nie hatte mich eine Begegnung derart aufgewühlt. Dabei hatten wir doch kein Wort gewechselt!
Ich bekam ihr Bild nicht mehr aus dem Sinn. Im Schloss lief mir meine jüngere Schwester über den Weg, aber ich war noch so in Gedanken, dass ich sie kaum wahrnahm.
"Was ist los mit dir?" fragte sie mich. "Zu wenig Schlaf?" "Ich bereite mich auf das Konzert vor..." "Gut, dass du es ansprichst, was willst du tragen? Wenn du dich jetzt entscheidest, müssen wir nicht alles mitschleppen." Ich nannte ihr ein paar Kleidungsstücke und verzog mich auf mein Zimmer.
Erfolglos suchte ich eine CD mit einem bestimmten Song. Na, einer meiner Brüder wird sie sich geholt haben.
Also machte ich mich auf die Suche. Kaum war ich auf dem Flur, kam mir Jimmy auch schon entgegen. "Entschuldige, aber ich hab' mir ein paar CDs bei dir geborgt.""Kein Problem, aber... ist da auch die von Metallica dabei, mit dem San Francisco Symphony Orchestra, S&M?" "Ja, wieso?" "Die suche ich gerade..." "Okay, komm mit, ich geb' sie dir." Wir gingen die CD also aus seinem Zimmer holen. In dem Moment wunderte ich mich überhaupt nicht, dass er im Schloss war, obwohl das eher selten vorkommt. Zurück in meinem legte ich sie ein, aber ich konnte die Anlage noch so laut aufdrehen und mitsingen, ich bekam sie nicht aus dem Kopf.
Ich musste etwas unternehmen.
Also zog ich mir Schuhe und eine Jacke an, schnappte mir einen Schirm und lief vor ans Haupttor. Meine Geschwister würden mich für verrückt erklären, wenn sie mich hier draußen sehen würden. Kurz bevor ich am Tor ankam, fuhr der Bus ab. Mit dem müssen einige von ihnen gefahren sein, es kam mir so vor, als ob nicht mehr so viele dort stehen würden. Ich bat Tony, das Tor zu öffnen, und ging zu ihnen hinaus. Es waren wirklich nicht mehr viele Mädchen da. Sie freuten sich darüber, dass ich trotz des schlechten Wetters gekommen war. Ich erlaubte mir, ein paar Autogramme zu geben und machte mit ihnen auch ein paar Fotos. Ich fragte sie, ob sie zum Konzert kommen würden, die meisten wohl schon, sie würden später mit dem Auto fahren. Aber ich konnte suchen soviel ich wollte, sie war nicht mehr da. Hatte ich mir alles nur eingebildet??? Nein, das kann nicht sein.
Ich ging nach einer Weile zurück zum Schloss, duschen, um nach dem Essen zur Halle zu fahren.
Beim Soundcheck konnte ich mich nicht richtig konzentrieren, aber das schien keiner der anderen zu registrieren. Ich wollte gerne mit jemandem darüber reden, aber mit wem? Ich hielt es für besser, mich nicht an Angelo zu wenden, da er in der Hinsicht etwas seltsam ist... na ja, er hat mit sowas keine Probleme. Ich glaube, das war das längste Konzert meines Lebens!!! Die ganze Zeit habe ich versucht, sie in der Menschenmenge ausfindig zu machen, aber es ist verdammt schwer, unter Tausenden eine einzige Person zu entdecken.
Ich weiß nicht, wie oft ich meinen Einsatz verpasst habe, wie oft ich mich vergriffen habe, ich war wirklich weit weg. Was hat diese Person mit mir angestellt, dass ich sie nicht aus meinem Kopf bekomme?
In der Pause kam Barby zu mir. Ich glaube, sie hat ein extrem gutes Gef\'fchl dafür, wenn etwas in einem vorgeht. " Ist was mit dir? Du bist so unkonzentriert wie schon lange nicht mehr!" "Barby, das ist etwas zu komplex, um es dir jetzt und hier zu erklären... zu Hause, okay?" Sie strich mir über den Kopf und meinte, ich solle mir nicht so viele Gedanken machen. Wie soll ich das denn anstellen? Ich kann mein Gehirn doch nicht abstellen! Sogar an Drogen hatte ich in dem Moment gedacht, aber dann wäre es ja wohl um meine Konzentration ebenso schlimm bestellt.
Nach der Show fuhren wir (natürlich nicht alle) in mehreren Autos zurück zum Schloss. Dort habe ich Barby alles erklärt, aber sie hatte nicht halb so viel Verständnis, wie ich gedacht hatte. So kann man sich irren!
Der Tag darauf war ein Sonntag. Eigentlich gehe ich nicht oft in die Kirche, aber an diesem Tag hatte ich irgendwie das Bedürfnis. Nach der Messe blieb ich noch eine Weile in der Kirche. Die anderen Besucher des Gottesdienstes waren schnell gegangen. Ich ging eine Kerze für meine Mutter anzünden. Das mache ich immer, wenn ich in die Kirche gehe. Irgendwie hat das eine tröstende Wirkung.
Zum Schloss zurück bin ich gelaufen. Die Straße war noch feucht vom Vortag, aber die Sonne schien, ihre Strahlen wurden vom Wasser in den Pfützen reflektiert. Komisch, ich habe mir darüber selten Gedanken gemacht.
Leider stand sie an dem Tag nicht am Tor, als ich kam. Die Mädchen wollten wie immer Fotos machen, also tat ich ihnen den Gefallen. Maite sagt immer, ich wäre zu gutmütig. Am folgenden Donnerstag war ich mit Angelo und seiner Freundin in Köln in einer Disco. Ich dachte, etwas Ablenkung wäre nicht schlecht, da ich bei allem, was ich in der Woche getan hatte, immer nur an sie gedacht habe. Es war ein so seltsames Gef \'fchl, ich kannte sie nicht, wusste nichts von ihrem Schicksal, hatte nie mit ihr gesprochen, und dennoch bekam ich meine Gedanken nicht mehr von ihr los.
Und da sah ich sie wieder, in dieser Disco. Es war genau derselbe Blick wie vor dem Tor. Auch diesmal schien es, als ob eine magische Kraft meinen Blick zu ihr gezogen hätte. Es war wie verhext. Ich hatte sie wiedergefunden, wusste aber nicht, was ich jetzt tun sollte! Nachdem ich also eine Weile in Gedanken versunken sie angestarrt hatte, fasste ich mir ein Herz und ging zu ihr. "Hallo, ich bin Paddy!" "Ich weiß... aber... kann ich dich Patrick nennen?" "Warum?" "Ach, Paddy klingt so... kindisch, und ich glaube, du bist doch mittlerweile ganz schön erwachsen, oder?!" Das war das erstemal, dass ich sie ein wenig lächeln sah. "Ach so... nun ja, die meisten nennen mich eben Paddy..." Dann schwiegen wir uns eine Zeitlang an. "Warum hast du mich angesprochen? Also warum gerade mich, nicht ein anderes Mädchen?" Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Oder was? ! "Äääähm... ich glaube nicht, dass ich das hier so kurz in zwei Sätzen erklären kann... also... sollen wir uns nicht setzten?" Wir haben uns also zusammen an einen Tisch gesetzt, an dem man sich noch einigermaßen verständigen konnte, und ich erzählte ihr in etwa, was ich empfunden hatte, als ich sie am Tor gesehen hatte. Dass ich ihren Blick ungeheuer interessant finde. Ich wollte mehr über sie wissen, aber irgendwie war nichts aus ihr herauszukriegen. Was hatte sie so verschlossen gemacht? Aber ich gab nicht auf und bohrte weiter. Bis ich ihr auf innerer Ebene schließlich etwas näher kam: ich hatte begonnen, ihr von meinen Problemen zu erzählen. Da war das Eis gebrochen und sie fing von sich aus an, von ihrem Leben zu erzählen. Von der Schule, die sie nicht mehr ertragen hat, weil sie mit einigen Mitschülern nicht zurechtkam. Von ihrem Vater, der öfters zu viel trank und sie, ihre Mutter und ihre Geschwister schlug. Von einem Typ, den sie für einen Freund gehalten hatte, dem sie vertraut hatte, der sie aber am Ende nur entt\äuscht und verarscht hatte. Davon, dass sie, je mehr sich das häufte, immer verzweifelter wurde, kaum mehr fähig gewesen sei, Freundschaften aufzubauen. Mir fiel auf, dass sie ungewöhnlich dünn war, aber es schien mir unpassend oder unhöflich, sie darauf anzusprechen. Meine Probleme schienen mir auf einmal so unwichtig. Da begann ich, ihren Gesichtsausdruck zu verstehen! "Ich würde dir gern helfen... aber verdammt nochmal, ich weiß nicht, wie!" "Du, also deine Familie und du, ihr habt mir schon oft mehr als genug geholfen. Weißt du, eure Musik... wenn es die nicht gäbe, wahrscheinlich gäbe es mich dann schon nicht mehr." Ich wusste in diesem Moment wirklich nicht, was mit mir los war, aber dieser Satz brachte mich zum Weinen. Zuerst war es nur diese Brennen in den Augen - ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten, aber es ging nicht. Ich war willenlos diesem komischen Gefühl ausgeliefert. "Was ist los mit dir?" " Ich... also... das habe ich noch nicht oft gehört... weißt du, es ist für mich einfach etwas Besonderes, wenn unsere Musik den Menschen so viel gibt... es ist genau das, was wir früher gemacht haben... heute ist alles so kommerziell, ich habe oft das Gefühl, die Fans kommen nur zum Konzert wegen meinem, Angelos oder einem der anderen Körper... aber das ist schon so zur Gewohnheit geworden... tut mir leid!" Mit den Worten wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Sie lächelte sanft. "Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht für dich ist!" "Aber was sind meine Probleme schon gegen deine?" Ich nahm ihre Hand und wir sahen uns eine Weile nur an, ohne etwas zu sagen. Mir wurde klar, dass unsere Probleme eins gemeinsam hatten: wir waren beide von Menschen enttäuscht worden, die uns sehr viel bedeutet hatten. Es war keine Liebe, die ich für sie empfand, es war etwas anderes. Es war auch kein Mitleid, nein, nicht im Geringsten. Ich glaube, ich hatte in ihr meine Seelenverwandte gefunden. Aber ich hatte Angst, dass sie mich vielleicht für verrückt erklärt, wenn ich ihr das sagen würde.
Ich weiß nicht, wie lange wir so zusammen saßen, aber irgendwann kam Angelo und meinte, er wolle gehen. Ich schrieb ihr meine Handynummer auf. "Ruf mich an, wenn du mich brauchst!" "Patrick?" "Ja?!" "Darf ich dich zum Abschied umarmen?" Wir nahmen ins in die Arme, und ich hatte das Gefühl, als wäre ich in meinem Leben noch nie einer Person so nahe gewesen wie diesem zerbrechlichen Mädchen. Eigentlich wollte ich sie nicht so stehen lassen, aber Angelo drängte mich dazu, zu gehen.
Das war gestern. Heute habe ich im Radio gehört, dass man in den frühen Morgenstunden in der Kölner Innenstadt den leblosen Körper eines jungen Mädchens gefunden hatte. Als ich das hörte war mir so, als ob ein kleiner Teil von mir gestorben wäre. Ich konnte nicht anders, ich rief bei der Polizei an und wollte mich vergewissern, ob es sich wirklich um sie handelte. Man bestellte mich auf die Wache, zeigte mir ein paar Polaroids. Ja, sie war es. Man hatte bei ihr einen Zettel gefunden, auf den mit zittrigen Buchstaben geschrieben war \"
I was calling heaven, now I found it. Keep on singing!"
Und jetzt sitze ich hier in meinem Zimmer, mit diesem Gefühl der Leere in mir, das mich fast zerreißt. Und draußen beginnt es zu regnen.


© Jule